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ID107
TitelSteinkreuze in der Oberpfalz
Jahr1977
AutorSchmeissner, Rainer H.
RegionBayern
InhaltEin volkskundl.-rechtskundl.-topogr. Beitrag zur Flurdenkmalforschung in Bayern.
Erstes Gesamtverzeichnis der Steinkreuze eines bayrischen Rgierungsbezirkes.


Rainer H. Schmeißner: Steinkreuze in der Oberpfalz. Regensburg: Studiodruck 1977. 414 S., 41 Abb.

   Dem Rez. erscheinen Verluste an Kleindenkmalen durch Diebstahl fast undenkbar, sie dokumentieren aber doch eine bedenkliche Nostalgie in der Bundesrepublik.
   R.H. Schmeißner begründet einleitend sein Vorhaben zur Inventarisierung der oberpfälzischen Steinkreuze, aber auch zur Behandlung des Steinkreuzproblems nach W. Brockpähler (1963) und B. Losch (1968). Seine Inventarisierung schließt er bewußt mit der Zeit um 1750 ab, so daß das Fortleben der volkskundlichen Aspekte bedauerlicherweise keine Behandlung findet. Das kommt auch bei der Erwähnung des Sagenschatzes und der Denkmalnamen zum Ausdruck. Im Gegensatz zur Nostalgie gegenüber Sachen scheint man sich der alten Volksüberlieferungen öffentlich zu genieren.
   Das Steinkreuzinventar leitet R.H. Schmeißner mit der Beschreibung der Verfahrensweise zur Bestandsaufnahme ein. Außer der wohl immer angewandten Nutzung älterer Literaturangaben und vor allem auch älterer Kartenwerke, die als Quelle noch unterschätzt werden, sind Altstraßenforschungen und die Mitarbeit von Heimatforschern zu nennen. Daß Fragebögen-Aktionen oft nicht den gewünschten Erfolg bringen, hat der Verf. auch erleben können. - Die einzelnen Flurdenkmale werden kreisweise und in den Kreisen nach den Namen der Ortsteile gebracht. Die jetzigen Hauptorte sind im Nachsatz angegeben. Alle drei Bearbeiter sind wenigstens in dieser Hinsicht, einheitlich vorgegangen. Auch abgegangene, jedoch noch feststellbare Denkmale sind mit aufgeführt. Standort, Maße, Material, Beschreibung, Sage und Literatur wird bei jedem Steinkreuz angegeben. Leider wird die Lage in einem Kartenwerk nach Koordinaten nicht gebracht, ob die Lagebeschreibung immer genügt, muß bei unserer kurzlebigen Zeit mit den vielen Veränderungen des Landschafts- und Straßenbildes doch bezweifelt werden, auch wenn die neueste Straßenbefestigung (Teersträßchen) genannt wird. Auf die leider wenigen Abbildungen in der Reihenfolge der Beschreibungen wird im Textteil nicht verwiesen.
   R.H. Schmeißner weist für die Oberpfalz 376 Steinkreuze und 15 Kreuzsteine nach, von denen 83 Steinkreuze und 6 Kreuzsteine verlustig sind, so daß tatsächlich nur noch 293 + 9 Flurdenkmale existieren. Interessant sind die Untersuchungen des Verf. zur Auswertung des Inventars. Bei der Darstellung der Ballungsgebiete und der fundleeren Bereiche vermißt der Rez. eine Gegenüberstellung der Siedlungsgebiete im 13. bis 16. Jh. Aufgegliedert nach den Standorten befinden sich 52,6 Prozent an Durchgangs- und Fahrwegen, 17,9 Prozent an anderen Wegen, in Privatgrundstücken 7,3 Prozent, an Kirchen und Kapellen 12,6 Prozent, wegefern 6,6 Prozent, während 3 Prozent auf die verschiedensten Standorte (einschl. Museen) entfallen, wobei dies zum Teil auf Umsetzungen zurückzuführen ist. An der sogen. Magdeburger Straße stehen oder standen 21 Steinkreuze, an der Bernsteinstraße 11. - Das Material ist überwiegend Granit. Die Größenauswertung kann vom Rez. nicht voll bejaht werden, da auf die Größe sicher der Geldbeutel des zur Errichtung Verpflichteten und wohl auch die Zeit der Entstehung den größten Ausfluß ausübte, was aber verständlicherweise vom Verf. nicht berücksichtigt werden konnte. Ob die angebrachten Zeichen den Beruf des Getöteten oder die Totschlagswaffe darstellen, wagt R.H. Schmeißner mit Recht nicht zu entscheiden. Auch der Rez. neigt dazu, hier landschaftlich bedingte Einflüsse anzunehmen. Eine ähnliche Frage werfen die Namen auf, die nach Ansicht des Rez. von den Kriegsvölkern beeinflußt sind, die sich am unangenehmsten im Bewußtsein der Bevölkerung einer Landschaft eingrub. Den Hussitenkreuzen der Oberpfalz steht z.B. in den Bezirken Halle und Magdeburg nicht eines gegenüber. Hingewiesen sei auch auf die Sagenauswertung. Wenn an erster Stelle das Umgehen steht und erst an vierter Stelle der Hinweis auf einen gegenseitigen Totschlag, übrigens genau so oft wie die Erklärung durch Unfall, müßte sich hier eine eingehendere volkskundliche Auswerfung anschließen. - Durch Hochrechnung ermittelt der Verf. für ganz Bayern einen Bestand von über 2000 Steinkreuzen und Kreuzsteinen.
   Das im Titel des Buches weniger in Erscheinung tretende Anliegen des Verf. sieht der Rez. jedoch in der 120 Seiten umfassenden Einleitung in die Steinkreuzproblematik und damit in den derzeitigen Forschungsstand, wobei diese Problematik nur durch unterschiedliche Auffassungen der interessierten Heimatforscher hervorgerufen wird, die teilweise wohl auch aus landschaftlich bedingten unterschiedlichen Gestaltungen der Flurdenkmale entstanden sind. Es sei hier nur auf die bereits erwähnte unterschiedliche Betrachtung der eingehauenen Zeichen als Totschlagswaffen oder Berufszeichen hingewiesen.
   Bei der Behandlung der Geschichte der Steinkreuzforschung überhaupt weist R.H. Schmeißner mit Recht auf die schon vor 190 Jahren erkannten Zusammenhänge zwischen Sühnekreuz und Sühneurknnde hin, über auch auf den starken Einfluß von G.A. Kuhfahls Sachsen-lnvenlar von 1928/1938 auf alle nachfolgenden Forscher. G.A. Kuhfahls Arbeit ist aber auch nicht ohne die Kenntnis der vorausgegangenen Arbeilen von K. Helbig, E. Mogk und H. Kalliefe zu verstehen. Wenn bei G.A. Kuhfahl auch ein gewisser Zug des "Nichtfestlegenwollens" zu beobachten ist. so kann auch R.H. Schmeißner hiervon nicht freigesprochen werden.
   Eine Bereicherung der Steinkreuzforschung sieht der Verf. in den Grabkreuzsteinforschungen F.K. Azzolas, der nach Ansicht des Rez. von Einzel-Verweisungen abgesehen, jedoch dabei den noch recht unklaren Beziehungen zwischen Grabstein, Sühnekreuz, Gedenkmal, Bildstock und Marter auch noch nicht, nachgegangen ist.
   Rückbetrachtend gliedert R.H. Schmeißner die Steinkreuzforscher unseres Jahrhunderts in drei Gruppen. Die erste Gruppe, die sich vor allem der Vorgeschichte, um nicht zu sagen: den urgeschichtlichen Wurzeln, der Steinkreuze zuwendet, die zweite, deren Standpunkt auf den mittelalterlichen Rechtsbrauch des Sühnekreuzes ausgerichtet ist, und eine dritte Gruppe, die eine zwischen den ersten beiden vermittelnde Haltung einnimmt und sie zu verbinden sucht. Dabei versucht die erste Gruppe die Steinkreuze über die Runensteine zu den Menhiren und Großsteingräben zurückzuführen, wobei in den Steinen Ruhesitze der Seelen Verstorbener gesehen werden. Diese Linie ist durch die Lehren der sächsischen Forscher H. Kalliefe und E. Mogk stark beeinflußt worden und gewann vor allem in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg stark an Boden. Auch G.A. Kuhfahl hat sich ja in seinem Buch 1928 sehr ungewiß ausgedrückt, und sogar durch die Betonung des "weltweiten germanischen" Vorkommens von Spanien bis zum Schwarzen Meer, von Italien bis zum Nordkap, diese Richtung gefördert.
   Die Behandlung der älteren Forschungen nimmt den Verf. sehr gefangen und man muß ihm die versuchte kritische Auseinandersetzung sehr hoch anrechnen. Sophus Müller hat bereits 1898 die Herleitung der Steinkreuze von den Menhiren vorgenommen. Unter den derzeit Lebenden ist, der Leiter der Nürnberger Vereinigung der fränkischen Steinkreuzforscher Leonhard Wittmann der stärkste Vertreter der Kontinuitätstheorie. Die von C.L. Curie 1939 herausgestellte Entwicklung der iroschottischen Kreuze über Kreuzsteinplatten aus brito-romanischen Grabplatten und vorchristlichen heidnischen Grabplatten ist unbestritten, aber wohl kaum auf die deutschen Steinkreuze als ihre Nachfolger übertragbar. Zur gleichen Zeit, als in Deutschland ein Aufblühen der Steinkreuzsetzungen zu verzeichnen ist, tritt auf den britischen Inseln eine Verflachung ein. Schon der Zeitraum zwischen dem 7. und dem 13.Jh. ist dabei R.H. Schmeißner wie dem Rez. zu unklar und die von W. Brockpähler 1963 vertretene Möglichkeit der Übernahme des Steinkreuzkultes aus heidnischer Zeit doch recht dunkel und ungewiß. Wie unsicher dann die Verbindungen bis zu den Steinsetzungen neolithischer Kulturen sind, ist bisher von Steinkreuzforschern überhaupt noch nicht erörtert worden.
   Die Ansicht, in den Steinkreuzer, Grenzzeichen kirchlicher Besitztümer zu sehen, die Anfang unseres Jahrhunderts der Sachse K. Helbig vertrat, ist zwar schon längst ad absurdum geführt worden, wurde aber trotzdem erst 1975 in einer österreichischen Veröffentlichung wieder aufgewärmt.
   Während das 1923 von M. Hellmich für Schlesien vorgelegte Inventar leider kaum in einem größeren Kreis zur Kenntnis kam, hat G.A. Kuhfahl durch seine Arbeit die Inventarisationen in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mittelbaden und Böhmen erst ermöglicht. Es folgten nach 1945 Sachsen-Anhalt, verschiedene bayrische Kreise, Thüringen, Westfalen und Südwestdeutschland. R.H. Schmeißner betont, daß die Forschungen nach 1945 auch sachlicher und Wissenschaft lieber betrieben wurden. Den Rez. stellt er als Vertreter der rechtskundlichen Richtung heraus, ohne zu bedenken, daß damit die kommunikative Seite der Auflage zur Steinkreuzerrichtung zu wenig Beachtung gefunden hat.
   Da ein Totschläger ein Steinkreuz nur zu errichten brauchte, wenn er der Tat überführt und nicht mehr unbekannt war, sind sehr wahrscheinlich Steinkreuze auch von Verwandten und Freunden des Erschlagenen errichtet worden, wie dies trotz Sühne nach Erlaß der Lex Carolina für 1561 in Blankenheim bei Eisleben nachweisbar ist. R.H. Schmeißner verweist wohl mit Recht darauf, daß die Kreuzsteine zu einem erheblichen Teil Erinnerungs- bzw. Grabmale darstellen und seltener Sühnesteine sind, wobei jedoch das nahezu völlige Fehlen von Kreuzsteinen im südlichen Deutschland wiederum Fragen aufwirft. Unerwähnt läßt der Verf. das Vorkommen von Mordwangen im Bereich der hanseschen Seestädte, das sich daher in der DDR auf den Bezirk Rostock beschränkt. Das ist nach m.A. auf die Einfuhr vorgefertigten und leicht weiter zu bearbeitenden Steinmaterials aus Estland und von den Ostsee-Inseln in das an geeignetem Steinmaterial ärmere Gebiet zurückzuführen, wobei man sich sicher in besitzärmeren Klassen auch mit der Errichtung von Holzkreuzen begnügte. Die Möglichkeit der Errichtung von Holzkreuzen wie auch das vom Rez. 1952 bereits für das Ende des 11.Jh. an der Stelle des jetzigen Steinkreuzes bei Zscheiplitz, Kr. Nebra, nachgewiesenen Gedenkkreuzes aus Holz für den erschlagenen Pfalzgrafen Friedrich III. von Sachsen beweist eine gewisse Überbewertung des Steinmaterials bei den Vertretern der Kontinuitätstheorie.
   Zu dieser Überbewertung dürfte auch der Standort von Steinkreuzen an Kreuzwegen und die Erwähnungen dieser Denkmale in der Volks- und Kunstliteratur und die Darstellungen auf Zeichnungen und Gemälden beigetragen haben. Steinkreuze sind beliebtere Motive gewesen, als allgemein angenommen wird. Ludwig Richter hat Steinkreuze mehrfach auf Zeichnungen angebracht und C.D. Friedrich hat ein Steinkreuz als Hauptmotiv eines Gemäldes gewählt. Sogar Heinrich Heine verlegt das Selbstmördergrab an den Kreuzweg, und Goethe läßt im Faust Margaretes tote Mutter auf einem Stein sitzen und mit dem Kopf wackeln.
   R.H. Schmeißner behandelt weiter die Steinmale nach ihrer Anzahl, dem Vorkommen und den Deutungsversuchen. Das erste Auftreten setzt er, wie der Rezensent, ins 13.Jh., erwähnt aber das bekannte Steinkreuz im Erfurter Steiger von 1313 nicht.
   Die fehlenden Inschriften werden mit dem Analphabetentum der Bevölkerung erklärt, sie bedeuteten aber auch eine Kostenfrage, andernteils bestand sicher eine Scheu davor, seine Tat derart öffentlich zu bekennen. Wieder sei der Hinweis auf den Kommunikationszweck getan, der so bekannt war, daß eben jeder Vorübergehende hier ein Gebet für einen Toten zu verrichten hatte, der ohne letzte Ölung sein Leben lassen mußte.
   Außer Sühnevergleichen aus Bayern und dem übrigen Deutschland stellt R.H. Schmeißner Belege aus der Oberpfalz vor. Seine Annahme, daß Sühnevergleiche nach dem Erlaß der Lex Carolina 1532 unwahrscheinlich seien, beruht auf einem Trugschluß. - Im 16.Jh. setzten sich Gesetze nicht so schnell durch wie im 20. Jh.! - Er behandelt weiter die Kreuze als Wegweiser, wozu sie wohl meist erst sekundär wurden, und als Asyl- oder Freisteine. Letztere können nicht als Sühnemale bezeichnet werden, genau so wenig wie die noch selteneren Marktkreuze, die sich meist durch besonders hervorragende Ausführungen auszeichnen. Zu Pest- und Gerichtskreuzen sind Sühnekreuze wohl erst durch die Sagenbildung geworden, wozu vermutlich meist ihr Standort den Anlaß gab. Missions- und Bonifatiuskreuze als Bezeichnung der Orte, an denen Bonifatius wandelte, dürften ebenfalls erst durch die Sagenbildung nach dem Vergessen des wirklichen Zwecks zu ihrem Namen gekommen sein. - Steinkreuze, die an Stelle abgebrochener Kirchen gesetzt worden sind, sind kaum nachweisbar, denn ein vorhandenes Kreuz kann schon vorher an dieser Stelle gestanden haben, dem Rezensenten ist nur in einem Fall aus dem Eichsfeld bekannt, daß an Stelle einer Ortswüstung mit Kirche ein allerdings viel späteres barockes Kreuz gesetzt worden ist.

Walter Saal, Merseburg

(Zeitschrift für Archäologie Nr.13,1979, S.144-147)
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