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ID829
TitelDer Kreuzeskult: Kreuzsteine und Voraltarkreuze
Jahr1990
AutorTessa Hofmann
RegionGUS / Kaukasus
InhaltAuszug aus dem Reisehandbuch Armenien/Georgien vom MUNDO-Verlag München 1990. S.89-91 Der Kreuzeskult: Kreuzsteine und Voraltarkreuze Auch die in Armenien und Georgien gleichermaßen starke Kreuzesverehrung fand ihren national unterschiedlichen Ausdruck: In Armenien wurden ab dem 9. Jh. Kreuzsteine (Chatschkarner) errichtet, deren Vorläufer Steinkreuze mit kurzen Seitenarmen bzw. Stelen waren. Kreuzsteine sind Votiv- oder Gedächtnisbauten aus Anlaß eines privaten oder historisch-politischen Ereignisses oder für das Seelenheil des Stifters und seiner Angehörigen. Freistehende Kreuzsteine wurden ebenso wie die Kirchbauten nach Osten ausgerichtet. Das »lateinische«, bisweilen von zwei kleineren Kreuzen flankierte Mittelkreuz betont den Triumph, nicht die Passion Christi und trägt darum fast nie den Leib des Gekreuzigten. Der »blühende« Kreuzfuß - manchmal »blüht« auch der Kreuzeskopf - erinnert mit seinem pflanzenartigen Rankwerk an das altorientalische Symbol des Lebensbaumes, das ab dem 5. Jh. in die christliche Kunst (crux florida) übernommen wurde. Bisweilen erscheinen figürliche Darstellungen (Kreuzesabnahme und Auferstehung Christi, die Deesis) in den seitlichen oder oberen Bildfeldern, später auch als zentrales Motiv. Diesem Amenaprkitsch (»Allerlöser«) genannten Typus schrieb man besondere Schutzkraft gegen Krankheit, Unwetter und Mißernten zu. Mehr noch als andere Kreuzsteine waren daher die Amenaprkitschner Gegenstand der Verehrung und sogar Ziel von Wallfahrten. Die Kreuze erheben sich auf einer Rosette (vorchristliches Sonnen- bzw. Ewigkeitssymbol) oder einer stufenförmigen Abstraktion des Berges Golgatha. In verschiedenen Regionen Armeniens, wie vor allem Nach-itschewan, dauerte die Kreuzsteinkultur bis in das 16. Jh. hinein, doch die Blütezeit der Entwicklung war im 13. Jh. erreicht, als besonders prächtig ausgestaltete Kreuzsteine entstanden: Geometrische und florale Muster überziehen nun den gesamten Bilduntergrund, die seitlichen »Umrahmungen« zeigen Sternkompositionen und Flechtbandmotive. Die armenischen Kreuzsteine sind einmalig, als Kunstform ebenso wie als Einzelstück. Denn kein Kreuzstein ist mit einem anderen völlig identisch. Kreuzsteine finden sich überall dort, wo Armenier lebten, am häufigsten aber in und um Kirchen oder Klöster. Teilweise wurden sie direkt in die glatten Steinverschalungen der Innen- und Außenwände oder in Fels eingemeißelt. Der Schmuck - Fresken, Ikonen - georgischer Kirchen folgt byzantinischen Vorbildern, wenn auch das mystische Dunkel byzantinischer Kirchen dank der zahlreichen Fenster im Tambour, oft auch in den Seitenwänden, aufgehellt wird. Vor allem Westgeorgien, das unmittelbar von Byzanz aus missioniert wurde, weist reichen Schmuck an Fresken und Mosaiken auf (z. B. Hofkloster Gelati; in Ostgeorgien Sweti Zchoweli, Kinzwissi, Ateni). Während die Armenier, frühchristlichen Traditionen gemäß, baulich den Sakralbereich kaum vom Gemeinderaum unterschieden - spätere Jahrhunderte führten lediglich zu einem bühnenartigen Bema -, trennt in Georgien eine Chorschranke die Gemeinde vom Altar. Am weitesten ging in dieser Hinsicht das orthodoxe Rußland, wo sich ab dem 16. Jh. die Ikonenwand durchsetzte; sie bewirkt eine vollständige Trennung von Gemeinde- und Altarbereich, wie sie in Armenien nur schwach, in Byzanz und Georgien stärker eingeleitet wurde. Der Altar bleibt in den orthodoxen Kirchen - Byzanz, Georgien, Rußland - den Blipkeli der Gemeinde entzogen, bis auf bestimmte Momente in der Liturgie, umgekehrt verhüllt ein Vorhäng die sonst sichtbaren »Bühnen« armenischer Kirchen in bestimmten Augenblicken der Liturgie (Wandlung) bzw. während der vorösterlichen Fastenwochen. Der Altar selbst ist in Armenien immer nach Osten, in Georgien bisweilen auch nach Jerusalem ausgerichtet. Die Grenzen des Gemeinderaumes markieren in Georgien zusätzlich die Voraltarkreuze. Wie der armenische Kreuzstein, so stellt das georgische Voraltarkreuz einen ganz eigenständigen Beitrag zum frühchristlichen Kreuzeskult sowie eine Fortentwicklung jener monumentalen Holzkreuze dar, die ursprünglich in beiden Ländern zum Triumph der neuen Religion errichtet wurden, bevorzugt an einstigen heidnischen Kultstätten. Voraltarkreuze, die daran erinnern, treten in Swanetien, einer georgischen Hochgebirgsregion, ab dem 10./11. Jh. auf; sie bestehen aus flachen oder runden Hölzern mit bebilderter Metallverkleidung. Diese Treib- und Stanzreliefs aus Silber oder mit Vergoldung zeigen Szenen aus der Bibel, den Heiligenleben oder Ereignisse der georgischen Kirchengeschichte. Auf der Längsachse ruht ein Kegel, der sowohl als Symbol des Golgatha als auch als Überrest des einstigen Wetterschutzes gedeutet wird, den die im Freien errichteten Standkreuze benötigten. Zeitgleich mit den Voraltarkreuzen tritt eine georgische Variante des Lebensbaumkreuzes, der crux florida, in der Bauplastik und als Fassadenschmuck auf.
Periodika
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ISBN3-87322-001-6
TypArtikel


Sühnekreuze & Mordsteine