Geschichte & Forschung Rechts-Bräuche

Henker



 kleinere Abhandlungen 

Knauth, Paul - Gestalt und Name des Scharfrichters in der Volksmeinung, 1930



 sein Ruf und Beruf 

   Am 21. September 1732 starb in Grünberg "jählings" eine ledige Dienstmagd, welche der Pfarrer Schumann früher öfters wegen ihres liederlichen Lebenswandesls vermahnet hatte - aber erfolglos. Da man den Verdacht eines begangenen Verbrechens gegen sie hegte, wurde sie seciert. Man fand bei ihr eine große Quantität Giftpulver, das sie propter abortum eingenommen hatte und verweigerte ihr deshalb ein ehrliches Begräbnis. Ihre leiche wurde dem Gericht zu Frankenhausen übergeben und dann vom Scharfrichter zu Crimmitschau im Friedrichsholze verscharrt - "aber vom Scharfrichter noch den Abend wieder ausgegraben sonder Zweifel" - propter foetum in ventre ejus - "und wegen ihres häufigen Fettes, so sie an ihrem leibe hatte*) - und ist wahr worden ein Traum, so sie kurz vor ihrem Ende gehabt: Daß sie der Scharfrichter in kleine Stücke zerschnitte, wie eine Sau - ist sonder Zweifel eine göttliche Warnung gewesen. Gott behüte mich und alle fromme Christen vor dergleichen Ende" (Kirchenbuch)!
*) Man bedenke den Volksaberglauben, welcher dem Fleische, Blute und den Knochen foetuum, sowie dem menschenfett wunderbare Heilkräfte zuschreibt!
(Frost, Gustav Adolph - Illustrierte Chronik von Grünberg und Umgebung, 1900, S.120)

Galgen und Henker im Sprachgebrauche
   An die Zeit, da fast jeder Ort seine Richtstätte besaß, wo der Henker seines Amtes waltete, gemahnen uns noch jetzt eine Menge sprachlicher Wendungen. Noch heute sprechen wir von Leuten, die gern aufgezogen werden (urspr. unter dem Spotte der Menge am Galgen aufziehen), die immer herhalten müssen (ursprünglich den Kopf), denen es an den Kragen geht oder die am Kragen genommen werden (Kragen = Hals, wie Geizkragen = Geizhals), denen irgendeine Sache den Hals kostet, die Manschetten tragen (= Angst haben; gemeint sind die Handschellen, die der Henker dem armen Sünder für den letzten Gang anlegte), die geliefert sind (dem Henker ausgeliefert), deren letztes Stündlein geschlagen hat, die eine Armesündermiene aufstecken, denen aber zu guter Letzt (muß eigentlich heißen: zu guter Letze; letzen = laben, also mit Speise und Trank bewirten) noch eine Henkersmahlzeit bereitet wird, die schließlich noch einen Gnadenstoß erhalten (um die Todesqualen abzukürzen).
   Noch heute reden wir verächtlicherweise von einem Galgenstrick, Galgenvogel, Galgenbraten, Galgengesicht, Galgenschwengel, Galgenhumor, Henkersmahl, Henkerslohn, Henkersdienst, von einer Galgenfrist, Henkersfrist, Henkerskunst; in vielen Gegenden gibt es noch Galgenberge und Rabensteine; in Frankfurt a.M. gab es ein Galgentor (das irrtümlich in Gallustor umgeändert wurde); auch unser Wort Racker gehört hierher. Denn Racker bedeutet ursprünglich Henkersknecht und Schinder.
(Alschner, Richard - Deutsch und Deutschkunde im Rahmen des Sachunterrichts, 2.Teil, 1926, S.97)

[...] Nach dem deutschen Recht des Mittelalters entbehrte der Rechtlose des Wergeldes und einer richtigen Buße; nur Scheinbuße war ihm gesetzt. Er galt als lehensunfähig und den in ihrem Recht Vollkommenen unebenbürtig. Zu den Rechtlosen gehören stets die, welche schimpflicher Verbrechen überführt sind, dann Leute von verachteter Lebensweise, wie z.B. Spielleute, gewerbsmäßige Kämpen, Bettler, Landstreicher, in Deutschland auch die unehelich Geborenen und im Spätmittelalter die Henker. Die Rechtlosigkeit der Kämpen ist sogar auf deren Kinder vererblich. [...]
(Amira, Karl von - Grundriss des germanischen Rechts, 1913, S.146)

   [...] Die Unfreiheit der ersten Scharfrichter und ihre Beschäftigung mit der Abdeckerei machten den Scharfrichter zum Ausbund der Verrufenheit und "Unehrlichkeit". Jede durch ihn vollzogene Strafe entehrte, jede Berührung seiner Hand befleckte. Jedermann mied seinen Umgang, seine Nähe wurde geflohen und er blieb, um zufälliger Berührung vorzubeugen, gezwungen zu einer leicht erkenntlichen Kleidung des Mannes der Schmach. In der Kirche hatte er einen abgesonderten Platz, zur hl. Kommunion trat er gesondert als der letzte heran, und nach dem Tode erhielt er seine letzte Ruhestätte in einem abgelegenen Winkel des Friedhofes.
   "Vom gesellschaftlichen Verkehr war der Henker so gut wie ausgeschlossen; er durfte weder eine Schenke noch eine Herberge führen, es sei denn, daß er nur unehrliche Genossen seines Standes bei sich aufnahm. Betrat er selbst eine Herberge, so wurde ihm die Atzung abseits von den andern Gästen am gesonderten sogenannten "Henckertischchen" gereicht. Wo der Eintritt in die Schenkstube derfl Henker auch nicht gerade verweigert wurde, waren doch Empfang und Behandlung so geartet, daß die Neigung zum fleißigen Wirtshausbesuch im Scharfrichter nicht wohl aulkommen mochte. Zum Unterschied von den "ehrlichen" Gästen wurde ihm ein dreibeiniger Sitz gereicht und auch der Trunk ihm in besonderem henkellosen Kruge vorgesetzt. Auf dieses sonderbare Trinkceremoniell spielt noch heute der Volksmund an, wenn er sagt: "Du schenkst mir ein wie einem Henker", wenn nämlich jeweilen der Trunk einem rücklings über die Hand gegossen wird. Selbst den Mammon, die blanke Münze, wollte man nicht direkt aus der Hand des Henkers nehmen. Er mußte beim Bezahlen der Zeche oder seiner Einkäufe das Geld ablegen, worauf der Empfänger darüber wegstrich oder darüber hinblies, bevor er es einsteckte - ein Stück Exorzismus, wie noch heute das Anhauchen und Anblasen des Neugeboren im Taufceremoniell.
   Bei seiner düstern Berufsart und völlig abgeschlossenen Lebensweise muß sich im Scharfrichter ein gewiß ganz eigentümlicher Charakter, ein durchaus fremdartiges Wesen ausgebildet haben. Im Laufe der Zeit gelang es ihm jedoch, beim Volke ein nicht geringes Ansehen zu erlangen, wozu die Ausübung der ärztlichen Praxis nicht wenig beitrug. [...]
   [...] So seltsam es erscheinen mag, erfreute sich der Scharfrichter in seiner Eigenschaft als Volks- und Vieharzt eines nicht geringen Ansehens. Der Aberglaube des Volkes trug hiezu mächtig bei. Die abgesonderte Lebensweise des Scharfrichters, die Scheu vor seiner Erscheinung und das seltsame seines ganzen Wesens trugen seiner Person den Ruf eines Zauberers ein. Als Hüter der in seiner Sippe sich vererbten Geheimnisse in der Arzneikunde verstand er es meisterhaft, die Abscheu vor ihm und seinem Amte in Respekt zu verwandeln. Die anatomischen Kenntnisse, welche er sich bei der Ausübung seiner Verrichtungen erwarb, sicherten ihm das moralische Übergewicht über die praktizierenden Ärzte jener Zeit. Seine Hand, die Wunden schlug, wußte auch Wunden zu heilen.
   Auf den Nebenzweig der Medizin und Chirurgie ward der Henker durch seine Lebensumstände geleitet und angewiesen. Religiöse Vorurteile wie auch weltliche engherzige Verbote hatten jahrhundertelang das beste wissenschaftliche Hilfsmittel, die anatomische Beschauung und Zergliederung des - menschlichen Leibes der Berufsmedizin vorenthalten; ihm, dem Scharfrichter lagen diese Geheimnisse offen und frei vor. Ja ihm drückte die Mitwelt das Sezirermesser zur pflichtmäßigen Vivisektion am menschlichen Leibe geradezu in die Hand und trug ihm reichlich jenes Material anatomischen Studiums herbei, das ein Vesal, ein Felix Platter u.a.m. in gefahrvoller, mühsamer Weise den Gräbern und Friedhöfen heimlich entheben mußten. Der Scharfrichter schien wie geboren, Blut fließen zu sehen ohne zu beben, Todesjammer zu hören, ohne zu erzittern. Er wußte, daß er das Messer sicher zu führen hatte, wollte er nicht selbst diesem zum Opfer fallen. Das gab sichere Hand und geübtes Auge und beides kam dem Henker zu statten, wo es galt, auch zu heilen und zu retten, statt nur zu vernichten. Sodann gingen nicht alle Amtsverrichtungen des Scharfrichters darauf aus, das Opfer geradenwegs zum Tode zu führen. Die Ceremonie der Peinlichkeit zog sich oft in der Abfolge eines Martyriums hin, bei welchem Phasen der Verwundung mit Pausen zur Heilung abwechselten, so wie heutzutage ab und zu Versuchstiere nach leichterem operativem Eingriffe wieder in Verpflegung genommen werden, um, wieder vollblutig und vollkräftig geworden, zu neuem, vielleicht nunmehr totbringendem Blutentzug zur Verwendung zu kommen. Zu einem solchen Wechselspiel von Heilung und Verwundung führten die bekannten Marterwerkzeuge des peinlichen Verhörs, wie: Folter, Daumenschneller u.s.f. Nach ähnlich peinlichen Anwendungen fiel das unglückliche Opfer, so wie es war, als blutender, in Wundfieber oder Krämpfen liegender Patient dem Hencker zur Besorgung und Überwachung zu. Man möchte gerne annehmen, daß der Scharfrichter in dergleichen Lagen aus freien Stücken beigesprungen wäre, halbzertretenen Geschöpfen den Blutstrom zu schließen, das Brandmal zu kühlen. So er dies nicht von sich aus getan, haben in vielen Fällen der Geschäftsgang des Gerichtshofes und dessen juridisches Interesse ihm hiezu Veranlassung gegeben: Die Selbstanklage des Opfers war vielleicht noch nicht in der erwarteten Vollständigkeit, noch nicht zur vollen Befriedigung abgerungen, und doch war der Gemarterte schon entkräftet eingesunken: wollte in Wiederholung des Verfahrens völlige Klarheit oder besser das gewünschte Maß unsinniger Selbstanklagen erreicht werden, so mußte das Opfer aufgehoben und zu einem fernem Torturgange in Pflege gegeben werden.
   Eines Großteils der Verurteilten warteten zudem bloße Leibesstrafen, Züchtigungen, die den Tod gar nicht herbeiführen sollten: so das Riemenschneiden, Zungenschlitzen, Handabschlagen, Gliederstümmelung, lokale Verbrennung und andere Scheußlichkeiten verwandter Natur. Nach alter Rechtsanschauung war der Gerechtigkeit Genüge geschehen, wenn das Urteil nach Maßgabe des Vergehens und Richtspruches vollzogen war. Derjenige, der in Sühnung seiner Schuld die Hand zum Beilschlag hinhielt und nun mit blutendem Armstummel wieder in die menschliche Gesellschaft und deren Rechte zurücktrat, hatte gewiß ein Anrecht darauf, daß die in gewaltsamer Amputation vollzogene Leibesstrafe nicht in ihren Nebenfolgen gar zur Lebenstrafe ausartete, welch letztere in keinem Verhältnis zur Größe des Vergehens gestanden und nicht im Sinne des Strafurteils gelegen hätte. [...]
   [...] Die Bevölkerung suchte allgemein in Krankheitsfällen Hilfe beim Scharfrichter. Die Mitwelt, welche den Scharfrichter als ehrloses, sündenbeflecktes Glied aus ihrer Gemeinschaft verstieß, nahm sonderbarer Weise ohne Zaudern den Heiltrunk aus dieser verachteten Hand. Manch einer, der am hellen Tage und vor den Augen der Öffentlichkeit in weitem Bogen die verrufene Erscheinung des Henkers umging, jede Berührung ängstlich mied, zog in der Verschwiegenheit der Nacht hinaus zum vereinsamten Stöckerhäuschen, dort Rat zu holen, wenn im Inneren ein Fieber blühte, oder wenn ein Glied siech geworden.
   Der Henker und Scharfrichter war aber nicht nur Volks-, sondern auch Vieharzt Sein Nebengeschäft als Wasenmeister, Schinder oder Abdecker einerseits, die damalige Vermischung von Menschen- und Tierheilpflege anderseits, machen diese Doppelstellung zum voraus begreiflich.
   Wenn ein Viehpresten im Lande herrschte, wurde der Scharfrichter mit der Visitation des kranken Viehes beauftragt und nahm also als Tierarzt eine offizielle Stellung ein. Wir ersehen dies aus einer Schlußnahme des Landrates vom 2. Juni 1649. Da eine ansteckende Krankheit unter den Geißen herrschte, wurde erkennt, daß der Scharfrichter, Meister Stoffel, alle Geißen unseres Landes zu besichtigen und zu untersuchen und die krank erfundenen totzuschlagen und zu verscharren habe. Ebenso lag ihm die Pflicht ob, die kranken und unnützen Hunde auf Staatskosten zu beseitigen. [...]
(Dettling, A. - Die Schrfrichter des Kantons Schwyz, in: Mitteilungen des Historischen Vereins des Kantons Schwyz, 20. Heft, 1909, S.1-204)



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