volkstümliche Bezeichnungen von Flurdenkmalen |
Einleitung.
Den seltsamen Namen führt eine Denksäule auf dem Wienerberge bei Wien, hart an der Straße
nach Italien. Die Bauart zeigt auf ein Alter von sechs bis sieben Jahrhunderten; und sicher wurde ihr Entstehen durch eine
besondere Begebenheit veranlaßt. Da aber weder Jahreszahl noch Inschrift, weder Wappen noch sonst ein Denkzeichen daran zu sehen, da in keiner vaterländischen,
noch fremden Urkunde Nachricht über Urheber, Jahr der Erbauung, Veranlassung der Errrichtung zu finden ist, so schwebt dichtes, undurchdringliches Dunkel über
dem Ursprung dieses altergrauen Denkmales.
Daß die Säule zu Folge eines, bei einem Kreuzzuge gemachten Gelüdes, von einem Ritter, seiner Gemahlin oder Braut errichtet wurde, ist
nicht unmöglich, hat aber wenig Wahrscheinlichkeit; denn wäre der Gründer so vornehmer Herkunft, die Veranlassung eine solche, so würde, wenn auch heute zu Tage
Inschrift und Wappen fehlen, die Geschichte uns eine übereinstimmende, glaubwürdige Nachricht von der Entstehung des Denkmales aufbewahrt haben.
Die Bauart deutet auf das dreizehnte Jahrhundert, und dieses ist überreich an großen Begebenheiten. In demselben Jahrhundert wurde in
dieser Gegend die große Mongolengefahr abgewendet; Wien zwischen den Jahren 1236 und 1276, also binnen des kurzen
Zeitraumes von vierzig Jahren, fünfmal feindlich überzogen. - (Durch die Ungarn 1235, durch Kaiser Friedrich II. (Barbarossa) 1236, durch den eigenen Beherrscher
Friederich den Streitbaren 1240, die Mongolen 1242, Kaiser Rudolf I. 1276 - ) Viermal erobert: - (Durch die beiden
Kaiser Friedrich II. und Rudolf I., Herzog Friederich und König Przemysl Ottokar.) -
Die denkwürdigste war wohl die zwei Jahre lang währende Belagerung durch Herzog Friederich
dem Streitbaren. Als er mit Acht und Bann belegt, das Land, welches er gegen Uebermacht des Kaisers nicht vertheidigen
konnte, preis gab, und bei Neustadt die wenigen Getreuen um sich versammelte, fragten die Wiener betroffen, was sie thun
sollten? Der Herzog rieth ihnen, sich gleich den Uebrigen zu ergeben. Bald zog Kaiser Friedrich heran, und die Hauptstadt
ergab sich. Auf jede Art suchte der Kaiser sich die Einwohner geneigt zu machen und für seine Partei zu gewinnen. Er gab den Wienern
viele neue Privilegien, stiftete eine Hochschule daselbst, erhob Wien zu einer freien Reichsstadt.
Nachdem des Kaisers Heeresmacht in drei blutigen Schlachten vernichtet war, und Herzog
Friederich wieder Herr im eigenen Lande war, zog er vor Wien, welches aus
törichter Furcht und von des Kaisers Vögten genöthigt die Thore schloß.
Friederich kannte den Grund dieser Wiedersetzlichkeit, und wollte seine geängstigte Hauptstadt
nicht verderben. Er stürmte nicht, sondern schloß sie allerwärts ein, und zwang sie endlich durch Hunger zur Uebergabe. Statt der erwarteten Strafe erhielten die
Verirrten völlige Verzeihung und Vergessenheit des Geschehenen. Bloß die Reichsfreiheit der Stadt und die darauf begründeten Privilegien hörten auf, und Wien wurde
wieder des Landes Hauptstadt.
Der drückenden Hungersnoth wurde in Kurzem abgeholfen, die Wunden, die der Krieg geschlagen hatte , geheilt, der Wohlstand der Stadt
wiederhergestellt. Durch seine Großmuth und Milde gewann Friederich Aller Herzen, so sehr, je minder sie darauf gehofft, je
weniger sie solche verdient hatten; und von nun an waren ihm die Wiener aufrichtig ergeben.
Diese erfreuliche Begebenheit, die die unverhoffte Begnadigung der abtrünnigen Hauptstadt kann jene Denksäule verewigen. Vielleicht setzte
sie die Stadt, wahrscheinlicher noch einige Bürger derselben. Ist diese Vermuthung richtig, so ist es begreiflich, warum der Ursache der Erbauung in keiner Inschrift
gedacht wird. Der Stifter wollte sein Gelübde lösen. Die Seelengröße seines Fürsten anerkennen, das Andenken der That aber, die einen finsteren Schatten auf den
Ruhm seiner Vaterstadt warf, nicht ins Gedächtniß zurückrufen.
Der Mangel einer Inschrift oder eines Wapens wird, wenn nicht schon durch die, ziemlich häufig im Mittelalter angetroffene Sitte, Denkmale
ohne Jahreszahl und Inschrift zu erichten (wie viele um den Dom von Wien beweisen), durch die Geschichte des Denkmales
erklärt. Die Säule wurde im Jahre 1446 von Huniades Scharen zerstört, und erst 1451 durch Baumeister Buxbaum
hergestellt. 1683 wurde sie von den Türken hart mitgenommen, und lag bis 1709 in halbem Schutt. Auch geht die Sage, daß sie im Jahre1598 - als auf Befehl
Rudolf II. alle verwitterten oder durch feindliche Einfälle zerstörten Denkmale, Marterkreuze und Wegsäulen hergestellt
werden mußten - gleichfalls neu empor gerchtet wurde. Bei einer solchen Renovation vielleicht, als die halb
verwitterte, halb verfallene Denksäule mit jener allzugewöhnlichen, rücksichtslosen Barbarei, welche Nichts achtet und Nichts schont, ausgebessert wurde, gingen
Inschriften und Wapen verloren, oder waren in der Zerstörung untergegangen.
Zum Dank oder zur Sühne wurden dergleichen Denksäulen zumeist erhoben. So könnte die viel prächtigere Denksäule bei Neustadt,
welche das Wapenbild der Emmerberge trägt, zur Sühne des, von Berchtold
Schenk von Emmerberg, an Ottokar II. begangenen Mordes errichtet worden seyn.
Der Gegenstand der Abbildungen an der Wienersäule ist ein dem Zeitalter gewöhnlicher, und hat nichts Auffallendes. Des Heilands Leiden und Tod, so wie sein Abschied
von der Mutter, sein Gebeth am Oelberge waren bei Denkmalen, besonders an Grabmälern und Gelübdesteinen die alltäglichsten Gegenstände der Bildnerkunst.
Der Name ist sehr rätselhaft. Die Ableitung vom heiligen Crispin, der nirgend auf der Säule
vorkommt, verdient keiner Erwähnung. Eher die von einem Baumeister Spinner oder von einer Spinnererin,
die es gestifet; daß erste um so mehr, da auch die Neustädter-Säule seit 1671, wie die wienerische erst seit dem achtzehnten Jahrhunderte, Spinnerkreuz
oder Spinnekreuz heißt. - Daß der Name Spinnerin am Kreuz nicht von den
Mährchen herkomme, sondern diese nach jenen gedichtet wurden, ist mehr als wahrscheinlich. Sinnreich erklären Geusau
und Ziegler den Grund der Benennung. Der Erstere findet ihn in dem Doppelkreuz an der Spitze der Säule, welches durch
seine haspelförmige Gestalt und die sich kreuzenden Querstangen mit ihren vier Armen, in der Ferne dem Gewewbe einer Spinne (im österreichischen Volksdialecte
Spinnerin) gleicht; Letzterer in den vielen, theils am Kreuze, theils an den Ecken und in den Winkeln haftenden Spinnengeweben. Die Meinung eines Dritten, der den
Namen Spinnerin von der Grundform der vieleckigen, fast sternförmigen Säule, welche im Grundrisse einer, inmitten ihres Nestes sitzenden Spinne gleicht, zu suchen,
heißt dem Volke, welches der Denksäule den vielbesprochenen Namen gab, mehr Spitzfindigkeit zutrauen, als von demselben zu erwarten ist.
Die chronologisch zusammmengestellten Benennungen der Säule am Wienerberge zeigen, daß
ihr jetziger Name einer neueren Zeit angehört, und im Volksmunde älter ist als in Schriften. Sie hieß sonst schlechtweg das Wienerkreuz
oder das Hochkreuz, seit der Herstellung 1451 das neue steinerne Kreuz ob
Meidling, das neue Kreuz am Wienerberg ob Meidling womit jedoch das gleichfalls seit 1598 und 1614 erwähnte
Marterkreuz am Khaderhölzl bei Meidling gemeint sein könnte, weil dieses am
Fuße des Wienerberges, die Wienersäule aber auf demselben errichtet ist.) -
1488 das große Kreuz auf dem Wienerberge;
1599 die Martersäule;
1614 - 1626 die Martersäule am Wienerberge;
1670 das Kreuz am Wienerberge;
nach der Renovierung 1709 zum ersten Mal die Kreuzspinne (erinnert an Geusau) oder das Spinnerin
Kreuz genannt;
1720 - 1739 Spinnekreuz;
1749 Spinnerkreuz;
1752 - 1788 Spinnerkreuz;
1789 Spinnekreuz;
1804 Spinnerin am Kreuz*)
Demnach scheint der Nahme "Wienerkreuz" - ohne Rücksicht auf die nahmensschöpfenden
Mährchen und Sagen - der älteste und echte. Alle späteren, welche sich nicht auf die an der Säule befindlichen Vorstellungen aus dem Erlöser Leiden, beziehen, sind
Verunstaltungen im Volksmunde, wie man sie bei uns zu Lande öfters antrifft. - Man denke an den Platz Haidenschuß, der lange vor der ersten türkischen Belagerung
"da der Haid scheußt", später hin "Wo der Haid schießt" und endlich
"Haidenschuß" hieß - (der ursprüngliche Name war hier wohl wo die Haid (ab) schießt. Denn die abschüssige Haide (jetzt
Freiung) lag außerhalb des ältesten Wiens - Man erinnere sich des Obstmarktes an der Wien, der einst "Naschmarkt",
später (freilich nur bei Plebecula) "Naschenmarkt" hieß, und bei den untersten Volksklassen nun den unsinnigen Namen
"Aschenmarkt" führt. - So vielleicht wurde nach und nach aus
"Wienerkreuz" Spinner-, Spinnen-,
Spinne, zuletzt "Spinnerin am Kreuz". An die Entstehung dieser Säule knüpfen
sich mancherlei Sagen.
(Ziegelhauser, Leopold - Schattenbbilder der Vorzeit. Ein Kranz von Geschichten, Sagen, Legenden, Märchen, Skizzen und Heldenmahlen. Aus allen Gegenden Deutschlands und des österreichischen Kaiserstaates. Erster Theil. Wien, 1844, S.31-37)Amnerkungen:
*) Es ist nicht löblich daß gerade in neuester Zeit Provinzialismen sich in Schriften einschleichen, als wollte man das Idiom zure Schriftsprache ergeben.