volkstümliche Bezeichnungen von Flurdenkmalen |
Bei der Lektüre der zahlreichen, in Büchern sowie in Vereinszeitschriften der Flurdenkmalforscher dargebotenen Berichte über Kreuzsteine und
Steinkreuze trifft man mitunter auf ein im Volksmund sogenanntes "Rotes Kreuz". Viele solche sind in den deutschen und österreichischen Karten 1:50 000
bzw. 1:25 000 nicht nur eingezeichnet, sondern mitunter auch mit ihren volkskundlich so interessanten Namen gekennzeichnet. Geht man nun den Roten Kreuzen,
die meist gar keine rote Farbe aufweisen, nach, so findet man, daß die meisten nur aus Holz gezimmert sind; vielleicht ein Grund, warum sich die Steinkreuz- und
Kreuzsteinforscher bisher nur mit einzelnen der vielen Roten Kreuze - es sind schon über 300 solche registriert - befassen.
Anstelle längst verschwundener Roter Kreuze existieren aber noch manche Riede und Ortschaften, in denen sie einst standen und auf die sie ihren Namen
übertragen haben. In der Oberpfalz wurden bisher folgende Rote Kreuze festgestellt:
Rote Marter im Pechofener Wald (Karte 1:50 000, L 6138: 196mm vom rechten, 70mm vom oberen Kartenrand)
Rotes Marterl im Grafenbuchenwald zwischen Pettenhofen und Litzlohe, Höhenkote 597m (Karte L 6734: 200mm vom rechten, 76mm vom oberen Kartenrand)
Rotes Kreuz in Klein-Duggendorf (Karte L 6936: ca. 60mm vom rechten, 200mm vom oberen Kartenrand). Friedrich Panzer erwähnt es in
seinem Buch "Bayerische Sagen und Bräuche, Beiträge zur deutschen Mythologie" (Verlag Christian Kaiser, München 1848, bzw. Verlag Otto Schwartz, Göttingen
1954, unter Nr.138).
Der genaue einstige Standort konnte jedoch bisher noch nicht in Erfahrung gebracht werden.
Rote Marter im Burglengenfelder Forst südlich vom Lindenbrünnerl, Kote 362 (Karte L 6938: 48mm vom linken, 46mm vom oberen Kartenrand)
Rote Marter, Kote 442 Wolferlohe im Schwaighauser Forst (Karte L 6968: 24mm vom linken, 189mm vom oberen Kartenrand)
Diese beiden Roten Kreuze sind heute nicht mehr vorhanden, in der Karte 1:25 000 vom Jahre 1951 aber noch vermerkt.
In der Bundesrepublik Deutschland wurden bisher 40 Rote Kreuze konstatiert. In Österreich sind es bereits mehr als 260. In Elsaß-Lothringen
gibt es 12 solche, auch in der Schweiz gibt es Rote Kreuze sowie in der früheren Untersteiermark, in Sachsen, in dem einstigen Sudetenland und in Westungarn. Die
meisten Roten Kreuze sind sagen- und legendenumrankt sowie brauchtumsumwoben.
Versucht man nun an die Wurzeln der Roten Kreuze zu kommen, so muß man alsbald feststellen, daß als das ihnen wirklich Gemeinsame vorläufig nur der bloße
Name genannt werden kann.
Nur manches sogenannte Rote Kreuz ist - wie bereits eingangs erwähnt - auch tatsächlich rot gefärbt. Die rote Farbe hatte bei der Namensgebung vielleicht
überhaupt keine oder nur eine sekundäre Bedeutung. Bei der Suche nach dem Sinn des Namens der Roten Kreuze tauchte eine Reihe von Überlegungen auf: Das
Rod, die englische (anglokeltische) Rute, ist ein in England bis heute noch immer gebräuchliches Längenmaß: 1 Rod = 5,5 Yards = 198 Zoll =
16,5 Fuß à 0,304795m = 5,0291175m.
Das bis ins 11.Jahrhundert in England häufig in Verwendung gestandene Rood-Maß (auch furlong = Ackerfurchenlänge) 600 Fuß = 220 Yards =
40 Rod = 201,1647m lang, gehört längst schon der Geschichte an. Kreuz heißt im Englischen im allgemeinen "cross". Für das Kreuz Christi - das Kruzifix -
wählten kluge Missionare aber wohl mit Bedacht und aus Gründen der Kultkontinuität das mythologisch bedeutsame Wort "rood" (Rute, Meßlatte, Stange, Kreuz,
vgl. ahd. ruota, as. rooda, altnord. ruoda, ags. rood, cymr. rhód, ir. roth, indg. rot)1). In diesem Zusammenhang wird
auf das angelsächsische Traumgesicht vom hl. Kreuz hingewiesen, in dem es heißt: "Krist was on rodi, on galga gigista" (Christus war an der Rute - der Meßlatte,
dem Kultpfahl, dem Kreuz - an den Galgen gestiegen)2).
Es ist auch nicht uninteressant, daß die von den Hexen gefeierte Walpurgisnacht in England "roodmass" - also Rod- (= Kultpfahl-, Kreuz-) Messe heißt3).
Bei all dem drängt sich die Frage auf, ob nicht der Name für die Roten Kreuze primär von "rot", dem indogermanischen Maßpfahl, abzuleiten ist.
So wie die Altäre wurden auch die Kultpfähle mit dem Blut der Opfertiere rot gefärbt. Es sei auf das Färben des Raumberger Roten Kreuzes mit Fohlenblut
hingewiesen. Aus dem Opferblut der Pferde und Rinder wurde schließlich durch die Umdeutungen in den Sagen das Blut getöteter Drachen, der Türken, Schweden
oder Franzosen bzw. der verwundeten Kreuzritter. Ich erinnere an das eddische Hyndlu-Lied:
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(Glas dürfte hier soviel wie roter Bernstein bedeuten). Das ist aber kein vereinzelter Hinweis. Ähnliche Bräuche können aus der "Hervara
saga" herausgegriffen werden: "Afhild ging zum Opfer. Aber zur Nacht, als sie den Opferstein rötete, raubte Starkad die Afhild hinweg". - "Es wurde ein Roß zum Thing
geführt, in Stücke gehauen, zum Essen geteilt, und sie röteten mit dem Blut den Opferbaum." Von solchen Bräuchen der Waräger berichtet auch der Araber Ibn
Fadhlan5).
Der Name Rotes Kreuz, der wie jener der übrigen Farbkreuze aus christlicher Sicht trotz der Kreuzbenennung überhaupt nicht erklärbar ist, stellt sicherlich ein
typisch sprachliches Denkmal im Sinne von Jakob Grimm und Friedrich Panzer dar. Es handelt sich bei den Roten Kreuzen daher nicht nur um ein volkskundlich
wichtiges und bisher überhaupt nicht beachtetes Phänomen, sondern zweifelsfrei um christlich verkleidete Markierungen heidnischer Kultstätten6).
Dabei muß man aber in Betracht ziehen, daß im Laufe der Jahrhunderte und insbesonders während der letzten Jahrzehnte viele Rote Kreuze nicht nur de facto
verschwunden, sondern auch manche einstigen Standplätze in Vergessenheit geraten sind. Manche haben zufolge der Umfunktionierung in Kapellen und Kirchen ihre
alten Namen verloren; anderseits dürften aber immer wieder neue, also unechte Rote Kreuze an willkürlich ausgewählten Stellen errichtet worden sein, so daß man
vielleicht nur mit Hilfe der Trigonometrie - so unglaublich das auch scheinen mag - an das Problem heranrücken kann. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß zwischen
den Roten Kreuzen sowohl untereinander, wie auch zwischen ihnen und anderen Kultmälern häufig mit den Verbindungslinien rechtwinklige oder gleichschenklige
Dreiecke von ganzzahligen Proportionen oder solchen des goldenen Schnittes zeichnen lassen. Diese sich überraschend häufenden Erscheinungen, die sich nach
Wahrscheinlichkeitsrechnungen nicht mehr als bloße Zufälle einstufen lassen, weisen auf vorchristliche, aus kultischen Gründen vorgenommene Vermessungen hin.
Maßstab 1:100 000 (Nach Karte L 6938 Regensburg 1:50 000)
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Hierbei spielen der Goldene Schnitt und besonders der pythagoreische Lehrsatz eine besondere Rolle, wie sich aus der, die Oberpfalz betreffenden Skizze, ergibt, die aus zahlreichen solchen herausgegriffen wurde. Wie sich jeder Leser leicht überzeugen kann, verhalten sich die drei Seiten des gleichschenkligen Dreieckes wie 5:6:5, was zwei mit den längeren Katheten zusammengefügte rechtwinklige pythagoreische Dreiecke 3:4:5 ergibt. Die gleichen Proportionen ergeben sich zwischen dem Roten Kreuz am Kleinen Feldberg und den Kirchen Oberems sowie Oberreifenberg (Karte 5716) bzw. zwischen dem Roten Kreuz im Eichenhölzle und den Kirchen Großmannsdorf sowie Zeubelried (Karte L 6326) und dem Roten Kreuz sowie der Kapelle Haag und der Kirche Prühl und schließlich zwischen den Kirchen Hohnsberg, Ilmenau und Hohn am Berg (Karte 6328).
(Beiträge zur Flur- und Kleindenkmalforschung in der Oberpfalz, 3.Jg., 1980, S.11-14)Anmerkungen:
1) Wasserzieher, "Woher?" - Kluge-Goetze, Etymologisches Wörterbuch - Lexer, Mittelhochdeutsches Wörterbuch. - Students dictionary of Anglo-Saxon der Oxford Universität, 1896.
2) Ruthwelltext des angelsächsischen Traumgesichts, zitiert in H. Wirth, Der Neue Externsteinführer, 1969, S.54 und 55. - K.Th. Weigel, Beiträge zur Sinnbildforschung, 1943, S.49.
3) W.B. Crow, A history of magic, witchcraft & occultism, 1972, S.247.
4) J. de Vries, Altgermanische Religionsgeschichte I, S.240, und II, S.108.
5) 0.S. Reuter, Germanische Himmelskunde, 1934, S.422 und 423. - Ibn Fadhlans Reisebericht, hgg. v. A. Zeki Validi Togan, Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes, XXIV, S.3.
6) Hubert Stolla, Das Phänomen der Roten Kreuze, in: Blätter für Heimatkunde des Historischen Vereins für Steiermark, 51.Jahrgang, 1977, Heft 3, S.76ff.