Nachruf: |
Ein verdienter Gmünder aus Straßdorf
Gedenkblatt für Professor Dr. Anton Nägele
Seine Vita ist rasch erzählt: Anton Nägele wurde am 15. Januar 1876, also vor 100 Jahren, in Straßdorf geboren, am 2. Mai 1899
zum Priester geweiht, am 11. Mai feierte er in der Straßdorfer Pfarrkirche das erste heilige Meßopfer. Zunächst blieb er im kirchlichen Dienst. Nach relativ
kurzen Vikariaten in Wiblingen, Nordstetten und Ludwigsburg studierte er in Tübingen und Berlin, promovierte 1902 mit einer umfangreichen, die Überlieferung
teilweise korrigierenden wissenschaftlichen Abhandlung über Johannes Chrysostomos, den bedeutenden griechischen Kirchenvater des christlichen Altertums,
und Chrysostomos' Verhältnis zum Hellenismus. Nach Ablegung der Staatsprüfung (1904) war er in verschiedenen oberschwäbischen Städten im Schuldienst,
so z.B. in Ehingen und Riedlingen. Ein Studienurlaub in Italien war in der Hauptsache wieder Chrysostomos gewidmet. Höhere akademische Ehren wurden ihm
zuteil mit der Aufnahme der sog. "Arbeitslieder" seines "Chrysostomos" in die Sitzungsberichte der Kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften
(philologisch-historische Klasse). Schließlich wurde Nägele am 1. April 1918 als Professor an das Realgymnasium in Schwäbisch Gmünd berufen. Er gab in den
Oberklassen Unterricht. Die stille Eindringlichkeit seines Wesens machte uns Schülern Eindruck, sein Vortrag war bedächtig, in seinem Urteil war er mild und
gerecht. Im April 1923 mußte er wegen eines frühzeitig einsetzenden Leidens die Lehrtätigkeit beenden. 1935 zog er nach Ellwangen, ohne Gmünd aufzugeben.
Am 3. März 1947 ist er im Alter von 70 Jahren gestorben. In Straßdorf, seiner Heimat, wurde er begraben. Keine Straße erinnert an seinen Namen.
Unter Heimatforschern und Heimatkundigen, Kunstfreunden und Humanisten wird sein Name mit hohem Respekt genannt. Denn
Prof. Dr. Anton Nägele war ein Fachmann in mehr als einem Bereich. Es ist etwas Außergewöhnliches, wenn einer so frühzeitig wie er die Richtung seiner
Interessen erkennt, seine spezielle Begabung andeutet. Bereits mit 21 Jahren (1897) kommt im "Gmünder Tagblatt" der erste Aufsatz von ihm, und zwar über
"Gmünder auf der Universität Freiburg im Mittelalter". Die Ausbildungsjahre sind literarisch noch wenig ergiebig, aber es wird bereits etwas Charakteristisches
sichtbar: an welchem Ort auch immer Anton Nägele tätig ist, er betreibt alsbald ortsbezogene historische Studien. In den späteren Lebensjahren wurzelt er sich in
Schwäbisch Gmünd und Ellwangen ein, seit 1935 seine wechselnden Ruhesitze. Sie wurden die Stütz- und Sammelpunkte seines Forscherlebens. Aber selbst im
Ruhestand kannte er keine Muße. Er war fast bis zu den letzten Jahren ein leidenschaftlicher Arbeiter, und er verstand das Handwerk des Schreibens.
Seine zunächst auf Heimatgeschichte angelegte Begabung weitete sich von Jahr zu Jahr mehr aus. Die gelehrte Tätigkeit hatte schließlich
ein schwer überschaubares Ausmaß erreicht. Das Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd besitzt zwei höchst wertvolle Verzeichnisse mit über 300 Titeln, die den
Namen Anton Nägele tragen: Kultur, Religion, schwäbische Geistesgeschichte, Kunst und Kunstgewerbe, spezielle Kapitel der Gmünder und der engeren
Landesgeschichte waren die Themen, die er weit verstreut in Zeitungen, Zeitschriften, Beilagen, Sammelwerken und in Buchform veröffentlichte. Schwäbisch Gmünd
steht rund 50 Jahre lang im Mittelpunkt seines Interesses.
Aus der Vielzahl seiner Arbeiten ragt ein stark beachtetes Werk von bleibendem Wert hervor: sein Buch über das Heiligkreuzmünster
in Schwäbisch Gmünd (1925), die erste große, grundlegende, gewissenhaft geschriebene Monographie über dieses epochale Bauwerk, den Ausgangspunkt der
hochbedeutenden Künstlersippe der Parier. Zeitlich vorausgegangen war sein Nachweis über "Hans Baidungs schwäbische, nicht elsässische Heimat", der eine
gelehrte Diskussion über die stammesgeschichtlichen Hintergründe seiner Kunst in Gang brachte. 1934 folgte durch ihn die von der Kunstwissenschaft akzeptierte
Festlegung des Geburtsdatums Hans Baidung Griens auf das Jahr 1485. Es verdient angemerkt zu werden, daß Prof. Dr. Nägele im Anschluß an diese bedeutenden
kritischen Kunstpublikationen 1927 bis 1929 Herausgeber und Alleinredaktuer der Zeitschrift "Archiv für Christliche Kunst" gewesen ist.
Kleinere Artikel, längere Studien, große Abhandlungen, viele davon in den Tageszeitungen und in den "Gmünder Heimatblättern" erschienen,
gelten der Stadt Schwäbisch Gmünd und ihrer Umgebung, ihrer Geschichte, ihren Bauten und Kunstwerken, ihrer Gesellschaftsstruktur, ihrem Gewerbe, ihren
Bürgern und nicht zuletzt ihren großen Persönlichkeiten. Es würde den Rahmen dieses Hinweises sprengen, wollte man vieles einzelne hervorheben. Nur ein paar
Besonderheiten seien erwähnt: z.B., daß Anton Nägele in der Untersuchung von "Martin Luthers Familienbeziehungen zu Gmünd" feststellen konnte, daß Anna
Warbeck, eine Gmünderin, die Schwiegertochter des Reformators und Humanisten war und als "Stammutter der heutigen Luthernachkommen" betrachtet wird.
Sehr ausführlich und farbig schilderte er einen Lebensabschnitt des Rechberg-Hinterweiler Politikers, Literatur- und Kulturhistorikers Johannes Scherr in dem
Beitrag "Aus Hans Scherrs Jugendleben und Jugendschriften" (1929). Nägeles Feder hielt alles fest, was wert war, überliefert zu werden: Heiliges, Hohes, Einfaches,
bis herunter zu so simplen Stücken wie "Eine Brieftaubenstation auf dem Hohenrechberg an der Jahrhundertwende" oder "Der Geiger von Gmünd in der Hauptstadt
Ägyptens".
Anton Nägele ist in gleicher Weise für Ellwangen, Bopfingen und andere Bereiche des heutigen Ostalbkreises bedeutsam geworden. In
der alten Fürstpropsteistadt Ellwangen fand er neben Gmünd den zweiten quellenreichen Untergrund und das Material für zahlreiche Veröffentlichungen.
Die Persönlichkeit Nägeles ist fest umschrieben: sie wird geprägt durch das vordringliche Interesse am historischen Bestand, das
alles Gemäße an sich zog - durch seinen erstaunlichen Fleiß, seine wissenschaftliche Sorgfalt - durch die Ergiebigkeit seiner Natur - durch eine schnörkellose
Diktion. Seine Themen bestätigen einen feinen Spürsinn für die historischen Quellen, gepaart mit der Begabung, persönliche Verbindungen für die Sache zu
nützen. Als Forscher beschritt er den mühsamen Weg auf der Suche nach Nachrichten; nichts von Bedeutung übernahm er ungeprüft. Angesichts des Umfangs der
Produktion war er mitunter zwar flüchtig, aber nie oberflächlich. Er nahm die historische Wahrheit wörtlich, und er ging den Dingen auf den Grund.
(Karl Hans Bühner, in: Einhorn Jahrbuch 1976, S.171-172)
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