Nachruf: |
Walther Steller
1.10.1895 - 29.12.1971
"Hy hat de Friezen altiten in goed hert tadroegen en hy hat in moai great part f an syn wittenskiplike formogens en aktiviteit oan it Frysk to'n
goede komme litten". So schreibt J. H. Brouwer über das wissenschaftliche Werk von Walther Steller zu dessen 70. Geburtstag im Herbst des Jahres 1965. In den
letzten Tagen des vergangenen Jahres ist Walther Steller in Kiel gestorben.
Der Verstorbene war seiner Herkunft nach Schlesier, ein heimatbewußter Schlesier und ein engagierter Ostdeutscher. Sein akademischer
Lehrer war der bekannte Germanist Theodor Siebs, ein gebürtiger Bremer und Ostfriesland nahestehend, dem nach von Richthofen die Frisistik in Deutschland ihre
Grundlagen verdankt. Siebs lehrte seit 1902 in Breslau, und so bildete neben der allgemeinen Germanistik, wobei neben der Literaturgeschichte die deutsche
Hochsprache hervorzuheben wäre - ebenfalls eine Anregung von Siebs, und neben der Volkskunde, speziell der ostdeutschen und der schlesischen, die friesische
Philologie ein drittes wichtiges wissenschaftliches Arbeitsgebiet von Walther Steller.
Er ist am 1.10.1895 in Breslau geboren. Im Jahre 1918 beschloß er sein Studium mit dem Staatsexamen in den Fächern Deutsch, Geographie,
Französisch, Englisch und Philosophie und promovierte ein Jahr später über Walther von der Vogelweide. Er wurde Assistent am Germanischen Seminar der Universität
seiner Heimatstadt, nach seiner Habilitation 1922 Privatdozent und 1928 außerordentlicher Professor. Noch davor hatte er 1926 die volkskundliche Abteilung im
Deutschen Institut der Universität Breslau begründet und war ihr Direktor geworden. Hier in seiner Vaterstadt widmete er sich im besonderen der Volkskunde, vor allem
der ost-deutschen-schlesischen, in der Forschung, durch die Aufstellung einer großen Materialsammlung und in der Lehre. Er war von 1928 bis 1935 Leiter der
Landesstelle Niederschlesien des Deutschen Volkskunde Atlas. Auf Grund von Konflikten mit dem Regime mußte Steller im Jahre 1937 nach Kiel gehen und lehrte und
wirkte hier seit 1938 als außerplanmäßiger Professor. Hier an der schleswig-holsteinischen Christian-Albrechts-Universität stand er nun einem besonderen Gegenstand
seiner friesischen Forschung auch räumlich nahe, nämlich dem. Nordfriesischen. Im Jahre 1939 wurde er Mitglied der Fryske Akademy. Im Kriege in seine schlesische
Heimat zurückgekehrt, mußte er hier nach Kriegsschluß wie so viele Ostdeutsche Böses erleiden und fand in Keitum auf Sylt als Flüchtling Zuflucht, um dann wieder
seinen ständigen Wohnsitz in Kiel zu nehmen.
Im "Nordfriesischen Jahrbuch" müssen wir vor allem die Wirksamkeit Stellers auf dem Gebiet der friesischen Philologie hervorheben. Seine
Habilitationsschrift befaßte sich mit dem westfriesischen Schulzenrecht und erschien 1926 unter dem Titel "Das altwestfriesische Schulzenrecht". In einer Reihe von
Beiträgen hatte er sich mit den Problemen der altfriesischen Textkritik und der Edition altfriesischer Texte befaßt. So erschien 1938 im "Frysk Jierboek" die
Abhandlung "Ein Beitrag zur friesischen Textkritik", und vor mehr als zehn Jahren hatte sein Beitrag in den "Fryske Stüdzjes", der Festschrift für J.H. Brouwer, mit dem
Titel "Prinzipien altfriesischer Textkritik" das gleiche Thema. Er stellt hier deutlich seine und von Siebs entwickelten Grundsätze in Auseinandersetzung mit anderen
und z.T. älteren Ansichten dar und äußert sich ausführlich über die Fragen, welche die altfriesischen Grapheme, aber auch die Phoneme in den einzelnen Mundarten,
aufwerfen, besonders die Sibilanten. Diesen Studien und Editionen lagen die Handschriften des niederländischen Gelehrten Franciscus Junius zugrunde. Ihm hat Steller
als eine seiner letzten Veröffentlichungen in der Festschrift für W.J. Buma eine kleine kulturgeschichtliche Studie gewidmet, die besonders hervorgehoben werden muß.
Daneben steht aber vor allen Dingen sein "Abriß der altfriesischen Grammatik mit Berücksichtigung der westgermanischen Dialecte des Altenglischen, Altsächsischen
und Althochdeutschen, mit Lesestücken und Wortverzeichnis" aus dem Jahre 1929, ein unentbehrliches Hilfsmittel für alle, die Altfriesisch studieren oder diese
Sprache auch wissenschaftlich in Forschung und Lehre zum Gegenstand haben. Erwähnt werden müssen ferner seine Bemühungen um die noch lebenden friesischen
Mundarten und die damit im Zusammenhang stehenden Schallplattenaufnahmen von Mundartsprechern. Seinen Studenten berichtete er in diesem Zusammenhang
öfters von den Aufnahmen der letzten Sprecherin des Wangeroogischen.
Auf dem. Gebiet des Nordfriesischen stand der Sylter Dichter Erich Johannsen stark im Vordergrund seiner wissenschaftlichen Bemühungen.
Ein weiteres Interesse galt dem, was er in zwei Beiträgen während und nach dem Kriege 1959 als Generationsproblem und Generationsunterschiede bezeichnet hat,
nämlich die Beobachtungen von sprachlichen Wandlungen beim Generationswechsel, in der Hauptsache im Bereich des Lautlichen, ein für die moderne
Sprachwissenschaft äußerst wichtiges Problem, und mehrfach hat sich Steller seit dem Kriege über das Schicksal des Nordfriesischen geäußert, so unter dem Titel
"Aufgaben und Zielsetzungen des Nordfriesischen" in der Festschrift für E. Löfstedt, It Beaken 1963. Es ist nicht uninteressant zu erfahren, daß Steller im
Schlußabsatz dieses Beitrages ein "Friesisches Institut" fordert, und zwar nicht nur ein rein akademisches Universitätsinstitut, sondern eines, das "eine enge
Verbundenheit zwischen der wissenschaftlichen Stelle und dem Menschen" herstellt, wobei er nach seinen Worten einen kulturellen Mittelpunkt im Auge hat.
Walther Steller ist mit seinen Veröffentlichungen und mit seinen Äußerungen auf vielfachen Widerspruch gestoßen, besonders im Bereich
der Ostforschung. Seines Einsatzes auf dem Gebiet der friesischen Philologie, wobei auch der akademische Lehrer nicht vergessen werden darf, muß aber in einem
"Nordfriesischen Jahrbuch" würdigend gedacht werden.
(Wolfgang Laur, in: Nordfriesisches Jahrbuch NF 8, 1972, S.7-9)
siehe auch Walther Steller bei Wikipedia und die
Abhandlung Walther Steller in Breslau (1920 bis 1937) -
Volkskunde und Frisistik im Zeichen des Nationalsozialismus von Harm-Peer Zimmermann. Allerdings ist die Behandlung von Steller durch seine nicht gerade
unproblematische nazionalsozialistische Vergangenheit nicht einfach. Er war ein eiskalter Karrieremensch der vor Denunziation von Prof. Ranke und Will Peuckert
nicht zurückschreckte. Die im Nachruf erwähnten Konflikte mit dem Regime waren seinem persönlichen Unvermögen geschuldet und nicht etwa in Ablehnung
des Nationalsozialismus.
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