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Heinrich Winter und sein Werk
von Rolf Reutter
Winters Werk muß der Öffentlichkeit zugänglich bleiben. Diese Forderung stellte sich unversehens, als er am 17. Januar 1964 starb und bei
manchem seiner Freunde die Frage auftauchte, was mit seinem mit viel Fleiß und Energie zusammengetragenen Lebenswerk geschehen solle. Vier Jahre nach seinem
Tode ist es nun möglich, an seinem 70. Geburtstag eine Bibliographie seines gedruckten, in Büchern, Zeitschriften und Heimatbeilagen verschiedenster Tageszeitungen
weit verstreuten Werkes vorzulegen. Auch eine Reihe druckfertiger, aber unveröffentlicht gebliebener Manuskripte sind am Schluß der Aufstellung angefügt.
Im Jahre 1927 tritt Winter erstmals mit bau- und kunstgeschichtlichen Arbeiten über Gernsheim und Maria Einsiedel (Nr.429 ff) 1)
an die Öffentlichkeit. Wenige Jahre später folgen Aufsätze über Heppenheim, die zur Promotion bei seinem ihn später so bestimmenden Lehrer, dem Geheimen Baurat
Prof.h.c. Heinrich Walbe führen. 1934 liegt seine Dissertation auszugsweise in zwei Ausgaben im Druck vor (Nr.445, 446). Zeitlebens bleibt er beiden genannten Städten
verbunden, was sich in zahlreichen weiteren Veröffentlichungen niederschlägt.
Galten bisher Winters Arbeiten der höheren sakralen und profanen Baukunst, so begegnet er uns von 1934 an auch als volkskundlicher Kunst- und
Brauchtumsforscher von bewundernswerter Vielseitigkeit, die es unmöglich macht, auf Einzelheiten hinzuweisen. Neben seinen privaten Studien- und Forschungsreisen
ist Winter auch für eine Reihe von Institutionen unterwegs. So unternimmt er 1937 und 1939 mit Hans von der Au, Pfarrer und Studienrat ( 1955), der als Volkslied-,
Volkstanz- und Trachtenforscher weit bekannt ist, im Auftrag der Landesstelle für Volkskunde im Bayerischen Heimatbund zwei Spessartfahrten, die der Erfassung des
Brauchtums dienen. 1939 und 1940 nimmt Winter Befragungen bei den Schülern der Berufsschule Bensheim über das Jahresbrauchtum im Odenwald, an der Bergstraße
und im Ried (49 Orte) vor. Daran schließen sich in den Jahren 1943 bis 1945 die Dorfältestenbefragungen in Starkenburg (250 Orte) an 1).
Allein im Jahre 1943 kann er neben seiner vollen beruflichen Tätigkeit als Gewerbestudienrat die Aufnahme in rund 100 in brauchmäßiger Hinsicht besonders gefährdeten
Orten durchführen. Diese Befragungen ergänzt und erweitert er nach dem Krieg, 1946 in den Landkreisen Bergstraße und Erbach und 1950 in 150 Orten des badischen
Odenwaldes.
Ebenfalls mit Hilfe befreundeter Forscher nimmt er im Jahre 1941 in den Umsiedellagern der Dobrudschadeutschen volkskundliche Befragungen vor, deren
Ergebnisse zum Teil in den Jahrbüchern der Dobrudschadeutsehen (Nr.566, 578ff., 614, 615, 624, 625) veröffentlicht sind. Seine Absicht dabei ist, die aus heimatlichem
Raum gewonnenen Kenntnisse vom Brauchtum zu erweitern durch die Aussagen der Nachfahren jener, die ihre deutsche Heimat um oder nach 1800 verlassen hatten.
Hier bestand die Aussicht, Bräuche noch auf einer um 100 oder 150 Jahre zurückliegenden Stufe zu erfassen. Das Material, vier Bände Text und über 200 Fotos, schenkt
Winter 1962 dem Archiv der Dobrudschadeutschen in Heilbronn. Der Leiter des Archivs und Herausgeber des Jahrbuchs, Otto Klett, schreibt daraufhin an ihn: "Sie haben
den Dobrudschadeutschen ein Geschenk gemacht wie kein zweiter. Sie haben eine große Freude bereitet, Tausend Dank." (Jahrbuch der Dobrudschadeutschen, 1963,
S.18).
Als Hausforscher begegnet uns Winter zuerst im Zusammenhang mit dem brauchtumsgebundenen handwerklichen Gestalten am Haus. So stellt er im Jahre 1933
vergitterte Kellerfenster und steinerne Kellerschieber dar (Nr.287). In weiteren Aufsätzen widmet er sich volkskundlichen Motiven (Sinnbild und Schmuck), wie sie an
Fachwerk, Türfüllungen und Fensterbrettern vorkommen (Nr.405ff.). Nach 1948 wendet er sich dem Haus in seiner Gesamtheit als einem primär architektonisch-konstruktiven Gebilde zu. Eine Dozentur für Baugeschichte an der Staatsbauschule in Darmstadt gibt ihm dabei die Möglichkeit, mit Hilfe eines ausgewählten Schülerkreises die ältesten Bauern- und Bürgerhäuser der näheren und weiteren Umgebung aufzumessen. Seit dieser Zeit ist Winter Mitglied des „Arbeitskreises für deutsche Hausforschung" und gilt bald als einer seiner führenden Mitarbeiter. Seine stetige Entwicklung und sein immer tieferes Eindringen in die Materie äußern sich in zahlreichem Schrifttum, dessen Auftakt der Aufsatz bildet: „Das hessisch-fränkische Fachwerk. Die große Leistung im deutschen Holzbau des ausgehenden Mittelalters" 1950 (Nr. 428). Das Thema zeigt deutlich den Einfluß seines Lehrers Walbe, einem der Fortführer Schäferscher Fachwerkforschung. Es folgen zwei Hefte in der Reihe „Schriften für Heimatkunde und Heimatpflege im Starkenburger Raum": „Das Haus im Südhessischen Raum. Das Bauernhaus" 1950 und „Zur Geschichte des Hausgerüstes" 1951 (Nr. 515 und 517). Winter legt hier dar, daß Henkelmanns erstmals 1906 geäußerte These vom alemannischen Einhaus und von der frankischen Hofreite von Grundriß und Gefüge her nicht haltbar ist, sondern sich deren charakteristische bauli-che Unterschiede erst im späteren Mittelalter herausgebildet haben. Bei-de Formen stellen vorwiegend sozial-ökonomisch bedingte Zweckbildungen dar wobei sich mit fortschreitender Realteilung und Güterzerstückelung das Einhaus neben dem Gehöft entwickelt hat. Keinesfalls können sie als ein volles Jahrtausend fast unverändert bestehende stammesmäßige Sonderbildung angesprochen werden.
Nach dem Tod seines Doktorvaters Walbe, mit dem er bis zuletzt, auch durch den gemeinsamen Wohnort Heppenheim, in stetem Gedankenaustausch stand, wird
Winter 1954 mit anderen namhaften Bauforschern zum Mitherausgeber und Vollender der zweiten Auflage des großen Werkes über das hessisch-fränkische
Fachwerk (Nr.534ff.). Im selben Jahr veröffentlicht er seinen grundlegenden Aufsatz: "Das Odenwälder Bauernhaus. Neue Ergebnisse der heimatlichen Bauforschung"
(Nr.539). Hier erscheint zum erstenmal seine These, die wir analog zu der Henkelmanns als Wintersche These bezeichnen möchten: Das Vollbauerngehöft besteht aus
Wohnstallhaus, Scheuer und Bau, den er primär als Speicher, für frühere Zeiten sogar als wehrhaften Speicher deutet. Jetzt setzt sein Suchen nach den ältesten
erhaltenen Gehöftanlagen ein. Drei Jahre später liegt das Ergebnis vor: "Das Bauernhaus des südlichen Odenwaldes vor dem 30-jährigen Krieg" (Nr.570), ein Buch, das,
längst vergriffen, zur Standardliteratur der modernen Hausforschung zählt. Seine hier an einer Vielzahl von Objekten erprobte Methode der Deutung und Datierung mit
Hilfe des Außenwand- und Innengefüges auf der Grundlage sorgfältiger Aufmaße wird neben der neuesten Möglichkeit absolut genauer Altersbestimmung durch die
Dendrochronologie Bestand haben. 1958 zeichnet Winter als Herausgeber des achten Bandes Deutscher Landschaften, "Der Odenwald", mit ausgewogenem Text-
und Bildteil. Er selbst behandelt darin Brauchtum und Hausbau.
Nachdem ihn fast ein volles Jahrzehnt - kleinere volkskundliche und lokale Themen ausgenommen - ausschließlich das bäuerliche Haus beschäftigt hat, wendet
er sich der Bürgerhausforschung zu. Den Übergang bildet das Heft 22 der "Lauterbacher Sammlungen" (Nr.587). Es folgen 1961 und 1965, schon posthum, die beiden
Bände: "Das Bürgerhaus zwischen Rhein, Main und Neckar" und "Das Bürgerhaus in Oberhessen"; für einen dritten Band, der 1967 von Rudolf Helm unter dem Titel
"Das Bürgerhaus in Nordhessen" herausgegeben wurde, hat Winter noch Maßgebliches zusammengetragen. Diese Werke eingehend zu würdigen, würde den Rahmen
dieses Aufsatzes überschreiten, es sei daher auf die ausführlichen Besprechungen anerkannter Fachleute in den führenden wissenschaftlichen
Publikationsreihen 3) verwiesen.
Als krönenden Abschluß seines Lebenswerkes hatte Winter ein Werk über den französischen Fachwerkbau vorgesehen. Zu diesem Zweck sammelte er
zahlreiches Material auf mehreren baugeschichtlichen Studienfahrten kreuz und quer durch Frankreich, die er teils mit Studierenden der Staatsbauschule Darmstadt,
teils als Einzelreisender unter anderem im Auftrage des Arbeitskreises für deutsche Hausforschung unternahm. Auf den jährlich stattfindenden Tagungen des
Arbeitskreises hat er zweimal darüber berichtet, so in Freiburg 1958 und in Heppenheim 1959 (Nr.593 und 598). Die Ausrichtung der Hausforschertagung in
Heppenheim 1959 mit zwei eintägigen Studienfahrten in Odenwald und Ried/Bergstraße war zweifellos einer der Höhepunkte seines hauskundlichen Schaffens.
Während dieser Tagung unternimmt er mit Hilfe des Arbeitskreises den Versuch, als Grundstock eines südhessischen Freilichtmuseums den Hof Schwöbel in
Vöckelsbach, die letzte rein erhaltene Gehöftanlage des 16. Jahrhunderts zu retten, scheitert aber an widrigen Umständen. Jedoch gelingt mit Hilfe des Bayerischen
Landesamtes für Denkmalpflege und des Landkreises Miltenberg die Rettung des berühmten, von ihm entdeckten Watterbacher Hauses 4),
das heute neben der Kirche in Breitenbach, Gemarkung Ottorfszell, wiederersteht. Schon 1955 konnte er durch den Ausbau des unteren Dachraumes im Heppenheimer
Amtshof, direkt über dem Kurfürstensaal, einen geeigneten Raum für das "Volkskundemuseum für Odenwald und Ried" gewinnen. Die Einweihungsfeier, zu der auch
ein Führer (Nr.585) erschienen ist, fand am 10. April 1958 statt. Fast sämtliche ausgestellten Gegenstände, Bilder und Karten stammen von ihm und legen neben
seinem Nachlaß, der aus über 200 Ordnern Forschungsmaterial, 60000 Fotos und 15000 Diapositiven besteht, Zeugnis ab von seiner mehr als 30-jährigen
unermüdlichen und uneigennützigen Sammel- und Forschungsarbeit.
Winters ungewöhnliche wissenschaftliche Breite dokumentiert sich auch in einer über 35-jährigen Veröffentlichungstätigkeit in der Heimatbeilage "Die Starkenburg"
(Nr.272ff.), für die er ab 1949 als Herausgeber verantwortlich zeichnet. Hinzu kommen ab 1950 (Nr.1ff.) die fast allwöchentlich erscheinenden Aufsätze in der
Samstagsausgabe des Hauptblattes, der "Südhessischen Post", die unter dem Begriff "Samstagsaufsätze" eine feststehende Einrichtung waren. Zur allgemeinen
Freude konnte ein Teil dieser Aufsätze (50) 1966 in Buchform erscheinen (Nr.629). Daneben war Winter Herausgeber der Reihe "Schriften für Heimatkunde und
Heimatpflege im Starkenburger Raum". Von den erschienenen 30 Heften nennt ihn fast ein Drittel auch als Verfasser. Nicht zu vergessen ist schließlich seine Tätigkeit
für die Volkshochschule. 5) Anläßlich der 1200-Jahr-Feier Heppenheims 1955, bei der Winter die Festrede hielt,
ehrt ihn der Magistrat für seine Verdienste um die Stadt durch die Überreichung eines goldenen Ringes. Er trägt die Inschrift: "Dem Wahrer alten Kulturgutes - die
dankbare Stadt Heppenheim".
Zahlreiche Nachrufe 6) erinnern an seine ungewöhnlich vielseitige Forscherpersönlichkeit, die in der
Volkskunde, Geschichte, Kunstgeschichte und Architektur gleichermaßen beheimatet war. Da der vorliegende Aufsatz sich hauptsächlich auf seine hausforscherischen
Leistungen beschränkt - seine Bedeutung auf den übrigen Fachgebieten zu würdigen, muß einem anderen vorbehalten bleiben - sei mit einem Auszug aus J. Schepers
Nachruf 1) geschlossen: "Mit Dr.-Ing. Winter ist ein Forscher von uns gegangen, der in einer Zeit umstürzender
Änderungen die dahinsinkenden Beispiele älteren handwerklichen Bauens mit seltener Eindringlichkeit als Zeugen vergangener Handwerkskunst und Urkunden einstiger
Lebens- und Kulturformen untersuchte... Eine spätere Schreibtischwissenschaft wird angewiesen sein auf seine mit originalem Material angefüllten Standardwerke ..."
Anmerkungen:
1) Die Nummern beziehen sich auf die Bibliographie.
2) Die Kartei über die Starkenburger Dorfältetestenbefragungen, die sämtliche Orte des Kreises Bergstraße, Darmstadt, Dieburg, Erbach und Groß Gerau
enthält (18 Bände und 4 Kästen), befindet sich zusammen mit zwei Mappen Zeichnungen, Plänen und Statistiken, vorwiegend über das Oberamt Starkenburg, im
Hessischen Staatsarchiv Darmstadt.
3) Deutsches Jahrbuch für Volkskunde, Bd.9, 1963
Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bd.16, 1966
Hessische Blätter für Volkskunde, Bd.58, 1967
4) Das Watterbacher Haus ist vom konstruktiven Gesichtspunkt her das älteste Bauernhaus der mitteldeutschen Hausregion. Es stammt aber
merkwürdigerweise laut Jahreszahl am Keilereingang erst aus dem Jahre 1604. Dieses junge Alter wird auch durch die Dendrochronologie bestätigt.
5) Vgl. "Südhessische Post" 24.6., 20.7., 23.11.1954; 21.1.1955
6) "Bergsträßer Anzeigeblatt" 20.1.1964, "Darmstädter Echo" 20.1.1964, "Heidelberger Tagblatt" 21.1.1964, "Hessische Blätter für Volkskunde" 56,
1965, "Hessische Neckar-Post" 20.1.1964, "Südhessische Post" 18.1. und 23.1.1964, "Die Starkenburg" Nr.1, 1964, "Unter der Dorflinde" Heft 1, 1964, "Der Odenwald",
Heft 3, 1964, "Laurissa Jubilans", Beilage zum "Lorscher Anzeiger" 1.2.1964, "900 Jahre Starkenburg", Heppenheim 1965, "100 Jahre Verkehrs- und Heimatverein
Heppenheim" 1966, Bericht über die Tagung des Arbeitskreises für deutsche Hausforschung in Eßlingen/Neckar 1964, Münster 1965.
7) Schepers, J.: Nachruf Dr.-Ing. H. Winter. In: Bericht über die Tagung des Arbeitskreises für deutsche Hausforschung in Eßlingen/Neckar 1964,
Münster 1965, S.147-149
(Rolf Reuter, in: Geschichtsblätter für den Kreis Bergstraße, Heft 1, 1968, S.5–9)
siehe auch: Bibliographie Dr. Heinrich Winter, bearbeitet von Rolf Reuter in: Geschichtsblätter für den Kreis Bergstraße, Heft 1, 1968, S.11-56
Friedrich Mößinger: Heinrich Winter zum 65. Geburtstag, in: Der Odenwald. Darmstadt 1963. H.4, S.99-101.
Friedrich Mößinger, Nachruf in: Hess. Bl. f. Volkskunde Bd.55. Gießen 1964. S.331-332
Mellinghaus-Winter, Hildegard: Heinrich Winter 1898-1964. Dozent, Volkskundler, Hausforscher – ein Leben in bewegter Zeit. Heppenheim 1995. (Hrsg. Arbeitsgemeinschaft der Geschichts- und Heimatvereine im Kreis Bergstraße).
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