Frankreich Elsass Bas-Rhin

Neuwiller-lès-Saverne


Rückseite
mit Inschrift

Das Kreuz im
Größenvergleich

PLZ: F-67330

GPS: N 48° 50,914', O 7° 21,537'

Standort: Östlich von La Petite-Pierre, am Wanderweg zwischen Loostal und Hammelsberg.

Größe / Material: 145:129:21 / Sandstein

Geschichte: Das Kreuz wurde 1964 durch den Club Vosgien Bouxwiller repariert.
Auf der Vorderseite ist eine Christusfigur eingerillt, auf der Rückseite befindet sich eine schwer lesbare Inschrift.

Sage:

Quellen und Literatur:
Hotz, Walter - Das "Steinerne Kreuz" bei La Petite-Pierre, in: Pays d'Alsace, No.69, 1970, S.24, mit Bildtafel VII
zusammengestellt und bearbeitet von Rudolf Wild
, Annweiler-Queichhambach



Das "Steinerne Kreuz" bei La Petite-Pierre
von Walter Hotz

Wenige Meter südlich der Strasse, die von Neuweiler zum Forsthaus Loostal und weiter nach Lützelstein führt, steht im Walde unterhalb des Hammelsbergs ein altes Steinkreuz. Es ist aus einem einzigen roten Sandsteinblock gehauen und von kräftig gezeichnetem Umriss. An seiner geschützten Stelle blieb das ehrwürdige Denkmal im Ganzen wohl erhalten. Nur der westliche Arm ist etwas beschädigt; der östliche war abgebrochen, ist aber wieder an den Stamm gekittet und durch Winkeleisen gesichert worden. Der Kreuzstamm steckt tief in der Erde und ist noch durch Steine verkeilt.
Das Kreuz trägt auf seiner der Strasse zugekehrten Nordseite eine Inschrift in grossen Unzialbuchstaben zwischen einem Wappen und einem keulenartigen Gegenstand, in dem man auch ein Messer oder einen Dolch erblicken kann. Die Südseite ist mit dem Bild des Gekreuzigten in Ritzzeichnung versehen.

Photo G. Thieling

Steinkreuze waren im Mittelalter häufig, wie das noch aus zahlreichen Flurnamen hervorgeht. Der erhaltene Bestand ist jedoch nur gering. Diese Steinkreuze hatten ursprünglich wohl eine apotropäische, Böses abwehrende Bedeutung. Damit verbindet sich ihre verschiedentlich nachgewiesene Eigenschaft als Grenzsetzungen. Sie begegnen uns jedoch vom 13. Jahrhundert an vorwiegend als Sühnekreuze und als Gedächtniszeichen1). Die Errichtung eines Sühnemals für begangenen Mord oder Totschlag wurde vom Täter oder seiner Sippe gefordert und in Sühneverträgen festgehalten. Im Gerichtsbuch von Niederingelheim am Rhein ist eine Verhandlung des 14. Jahrhunderts verzeichnet, in der es um einen Totschlag ging. Der Täter, ein gewisser Fulker, "sal ein steine crucze setzin in die leimgruben" (= Gewannbezeichnung und Ort der Untat) 2). In solchen Sühnenverträgen spielt die Sorge um das Seelenheil des jäh ums Leben Gekommenen eine wichtige Rolle. Die Steinkreuze bildeten darum einen Teil des "Seelengeräths", d.h. einer frommen Stiftung zur Erlösung aus dem Fegefeuer, und tragen zum Zeichen dessen öfter das Bild des gekreuzigten Christus oder nur der Marterwerkzeuge. Sie sind damit eine unmittelbare Vorstufe zu den heute noch, vor allem in den Alpen üblichen "Marterln" 3).
Steinkreuze wurden auch als Gedächtnismale an Unfälle oder Kriege gesetzt. In neuerer Zeit hat man hin und wieder die Stätte von untergegangenen Kirchen durch Steinkreuze festgehalten. So erinnerte vor den Toren von Metz bis zur Revolution ein Steinkreuz an den Platz der 1552 zerstörten Klosterkirche St. Arnulf. Im Elsass bezeichnen beispielsweise das Burnenkreuz bei Mulhuose-Brunstatt, die Feldkreuze von Erbenheim bei Sennheim, von Woffenheim südlich von Colmar oder oberhalb von Birkenwald die Stellen, an denen Kirchen oder Kapellen standen 4).

Das Steinerne Kreuz im Walde von Neuweiler dürfte ein Sühne- und Gedächtniskreuz sein. Das geht aus seiner Inschrift hervor. Sie lautet: Ø·JOH·SCHLIZEWE...DE·BOLSEM. Das beschädigte durchstrichene Ø am Anfang ist zu "obiit", der Name durch ein "ck" zu vervollständigen. Bolsem (oder Bolsen - die letzten Buchstaben sind ligiert) ist das unterelsässische, bei Erstein gelegene Dorf Bolsenheim 5). Die Inschrift lautet also übersetzt: "Es starb Johannes Schlizeweck von Bolsenheim" 6). Die eingemeisselte Waffe deutet doch wohl auf ein gewaltsames Ende des Genannten hin. Das Wappen am rechten Kreuzarm zeigt einen dreifach waagerecht geteilten Schild. Die dreimal aufgelegte Figur könnte einen Fisch darstellen. Wessen Wappen gemeint ist, lässt sich vorerst nicht sagen. Auch ist ungewiss, ob es sich um das Wappen des Getöteten oder des Täters handelt.
Die Rückseite des Kreuzes trägt ein Kruzifix in Ritzzeichnung. Sie rührt von geschickter Hand. Die Haltung des Gekreuzigten, die weit ausgereckten Arme mit herabhängenden Händen, der stark geneigte Kopf mit Kreuznimbus und zweigeteiltem Bart, der ausgemergelte Körper mit den erkennbaren Rippen, das nach rechts zu einem Knoten geschürzte dreieckige Lendentuch, entsprechen dem Typus, der unter dem Einfluss mystischer Frömmigkeit geschaffen wurde. Die Füsse Christi stecken heute im Waldboden, ein Zeichen, dass das Kreuz einst höher über der Erde aufragte.
Schriftcharakter und Christusbild weisen das Steinerne Kreuz dem 14. Jahrhundert, am ehesten der Zeit um 1350 zu.

Literatur:
1) Wörterbuch der deutschen Volkskunde, 2. Auflage, bearbeitet von R. Beitl, Stuttgart 1955, S. 729/30. Dort auch weitere Literatur.
2) 0. Höfel, Die Steinkreuze Rheinhessens, in : Der Wormsgau II (1943), S. 266.
3) Wörterbuch (Anm. l), S. 504/05.
4) M. Barth, Handbuch der elsässischen Kirchen im Mittelalter, Strasbourg 1960/63, Spalten 218, 300, 1793, 1853.
5) In der Gemarkung Bolsenheim wird 1312 und 1320 ein «ager uf das crüce» erwähnt. Barth (Anm. 4), Sp. 185.
6) Ein Franz Schlitzweck begegnet 1646 als Kanonikus in Strassburg. Barth, Sp. 1345.

(Hotz, Walter, in: Pays d'Alsace, No.69, 1970, S.24, mit Bildtafel VII)


Sühnekreuze & Mordsteine