Beiträge zur Geschichte der Steinkreuze |
Wem wäre nicht schon gelegentlich einmal bei einer Wanderung ein verwittertes und bemoostes altes Steinkreuz
aufgefallen. Roh und ungefüge, halb in die Erde versunken an einer Wegescheide oder einfügt in die Umfassungsmauer eines Friedhofes wirkt es auf den nachdenklichen
Beschauer wie eine stumme Frage. Die Sagen und Deutungen, die sich daran knüpfen, raunen von Zorn und Streit, vom bittrem Haß und blutiger Tat oder erinnern an
Zeiten, wo Krieg und Gewalt im Lande herrschten.
Das Streben nach der Erkenntnis vergangener Zeiten hat sich in neuerer Zeit auch auf diese stillen Zeugen einer raueren Lebensauffassung
zugewandt und in Sachsen und Böhmen z.B. kann man die vielen Fragen, die sich auf die Herkunft der Kreuze beziehen, als nahezu gelöst ansehen. Trotz der von Zeit
zu Zeit immer von neuem wieder vorgebrachten Deutung als Grenzzeichen, kann heute auch für Schlesien kaum mehr ein Zweifel daran bestehen, daß sie, mindestens
der überwiegenden Zahl nach Sühnezeichen für einen Totschlag sein sollen. Schon Amtsgerichtsrat Dr. Frauenstädt hat in seinem 1881 erschienen Buche über
Blutrache und Totschlagsühne aus den Archiven von nur sechs Orten in Schlesien bereits 69 Sühneurkunden beibringen können, die in der überwiegenden Mehrzahl
die Setzung eines sichtbaren Zeichens für den Vergleich zwischen der Familie des Ermordeten und dem Totschläger fordern, und nach dem Unterzeichneten ist es
gelungen, dieselben durch Sammlung aus der Literatur und bereitwillig gegebene Ergänzungen von befreundeter Seite schon wieder um eine ganze Reihe von
Nachweisen zu vermehren.
In Schlesien haben bisher die Jahresberichte des Neisser Kunst- und Altertumsvereins und die "Oberschlesische Heimat“ herausgegeben
vom Oppelner Geschichtsverein zusammenhängende Verzeichnisse mit näheren Angaben für einzelne Kreise ihres Arbeitsgebietes gebracht. Durch Benützung dieser
Quellen und eigene Sammeltätigkeit auf Reisen in Schlesien habe ich bisher 291 Kreuze in 207 Orten unserer Heimatprovinz kennen gelernt und ich besitze meist
selbst aufgenommene Bilder von etwa einem Drittel dieser Zahl. Immerhin aber übersteigt die Herstellung eines lückenlosen Verzeichnisses aller Steinkreuze für
unsere Provinz doch die Kraft eines Einzelnen und jede Mitarbeit wäre mit Dank zu begrüßen. Eine einfache Zeichnung, wie sie jeder anfertigen kann mit den Maßen
für Länge, Breite und Dicke des Kreuzes, die genaue Bezeichnung des Standortes, Angaben etwaiger Sagen und über das Material des Steines genügen schon auf dem
Raum einer Postkarte. Tritt noch eine Liebhaberaufnahme hinzu, so bleibt nichts mehr zu wünschen übrig. An alle aber, die sich mit der schlesischen Geschichte
beschäftigen, richte ich die Bitte um Mitteilung jeder Stelle, in der von einer Sühne, Verrichtung oder einem Vergleich bei einen Mord oder der Errichtung eines Kreuzes,
einer Kapelle oder Marter die Rede ist mit genauer Fundortbeschreibung. Denn auch die alten, aus einem Stein gehauenen Bildstöcke gehören mit zu den sichtbaren
Sühnezeichen einer früheren Zeit.
Die vorhandenen und bisher bekannt gewordenen Urkunden umfassen die Zeit von etwa 1400 bis 1550; doch bin ich in neuster Zeit vom
Breslauer Staatsarchiv auf eine Beurkundung der Herzogin Beatrix von Schlesien vom 4. Dezember 1305 hingewiesen worden, die einen Sühnevertrag mit dem Bruder
Konrad, weiland rector curie in Zedlitz in Böhmen wegen des an Konrad von Langinberc, weiland Müller in Stanowitz, Kreis Striegau begangen Totschlag betrifft. Da
heißt es über die Errichtung eines Kreuzes: In signium eciam composicionis super occisionis crux est locata – zum Zeichen des Vergleiches ist über dem Ort des
Totschlages ein Kreuz errichtet worden. Wem diese dabei in unwillkürlicher Gedankenverbindung nicht die Redensart "ein Kreuz darüber machen“ als Zeichen für die
Besegnung des Abschlusses eines schwierigen Werkes ein? Nach einer Mitteilung des Herrn Professors Wesemann in Löwenberg, findet sich zu einem Vergleich
aus Löwenberg vom 23. Juni 1492 die Bestimmung "Auch sal der gnate Bartil Seybit zcewgen eyn Mariapilde mit eynem Kinde ond das selbige setzen yn die mauer
vor dem Laubanischen thore“ und tatsächlich ist in Löwenberg gegenüber dem Kreisständehause ein altes verwittertes Steinbild in der Mauer zu finden.
Die Zahl der bereits bekannten Kreuze darf kein Hindernis sein, mit der Mitteilung von deren Vorkommen zurückzuhalten umsomehr, als
öfters mehr Kreuze an einem Orte gefunden werden, als die frühere zum Teil unzuverlässige Literatur angibt. Auch ist manches Kreuz verschwunden, dessen Andenken
noch so lebendig ist, daß seine Aufnahme mit der Notiz von dem Verschwinden gerechtfertigt ist. Denn das Streben muß dahin gehen möglichst viele derartige Steine
mit in den Urkunden genannten Bußen gleichzusetzen, um alle Zweifel an ihrer Eigenschaft als Sühnekreuze und als Überbleibsel einer überlebten Rechtsanschauung
zu beseitigen.
Aus 43 schlesischen Kreisen sind solche Zeugen einer vorangegangenen Zeit bekannt, besonders zahlreich aus den Kreisen Schweidnitz 25,
Neisse 20, Liegnitz 12, Breslau 11, Hirschberg und Nimptsch je 10, Landeshut 9, Grottkau, Neustadt, Ohlau, Löwenberg je 8, Görlitz und Jauer je 7, dagegen fehlen
noch gänzlich Angaben aus den Kreisen: Brieg, Falkenberg, Gleiwitz, Grünberg, Kattowitz, Kosel Kreuzburg, Leobschütz, Lublinitz, Militsch, Münsterberg, Namslau,
Neurode, Oels, Oppeln, Pleß, Rosenberg, Groß-Strehlitz, Tarnowitz und Groß-Wartenberg.
M. Hellmich in Glogau, Kgl. Landmesser.
(Schlesische Zeitung. Breslau den 27. Juni 1909, 168. Jahrgang. Nr. 242, Dritter Bogen)