Deutschland Hessen Lkr. Darmstadt-Dieburg

Messel


Nachruf von 1752
Quelle: Wenchel

Aktenauszug von 1752
Quelle: Wenchel

PLZ: 64409

GPS:

Standort: In der Kirche.

Größe / Material: roter Sandstein

Geschichte: Der "Mordstein" wurde um 1950 vom Originalstandort in den Kirchhof verbracht, später restauriert und in das Turmgewölbe umgesetzt.

[...] Seine Augen blitzen begeistert auf, als er im Turmgewölbe auf einen historischen Schatz hinweist: Es ist roter Grabsandstein von 1752. "Bis 1835 war der Gemeindefriedhof direkt an der Kirche, aber der Stein stand sogar bis 1957 dort. Es ist der so genannte Mordstein, und wir Buben gruselten uns herrlich", erzählt Wenchel.
Die Geschichte, die als Relief bildhaft eingemeißelt ist und auf einer Bronzeplatte erzählt wird, geht auf einen tödlichen Jagdunfall zurück. Wenchel berichtet: "Die Jagdgrenzen der umliegenden Fürstenhäuser im 18.Jahrhundert waren umstritten. So kam es dazu, dass der Jäger Christian Pfeffer im Auftrag der Freiherren von Groschlag mit seinen Burschen angeblich die Grenze der Grafen von Hanau passierte. Dabei wurde der achtzehnjährige Christian Stamm vom Hessen-Kasseler Jagdzeugmeister Lautemann erschossen." Pfeffer sei als Verursacher der Tragödie im Turm von Babenhausen gefangen gesetzt worden, doch als Verantwortlicher verurteilt wurde letztendlich niemand.
Johann Georg Stamm, einst Lehrer in Messel, hat den Stein zum Gedenken an seinen Sohn errichtet. Witterung setzte dem Stein im Lauf der Jahrhunderte zu, so dass er ab 1957 in der Sakristei verschwand, bis er im Zuge der Kirchenrenovierung der siebziger Jahre restauriert und wieder aufgestellt wurde. (Martin 2010)

ACTA
Das von dem "von Groschlagischen" Jäger, namens Pfeffer, und einigen Unterthanen in der Messeier zur Röder-Mark gehörigen Terminey unternommene Treibjagen, wobey von denen dießeitigen Forstbedienten, gedachter Jäger Pfeffer arrestiert, ein Messeier Unterthan aber Todt geschossen worden, betreffend 1752.
So beginnt die Akte über eine tragische Geschichte, die sich Anno 1752 am 19.März, einem Sonntag, hier in Messel zugetragen hat. Schon als Kinder wurden wir mit diesem Vorfall konfrontiert. Jedes mal wenn man zur Kirche ging, musste man an diesem kunstvollen Grabstein vorbei, der dieses Geschehen manifestierte. Er weckte natürlich unsere Neugierde, und uns wurde dann die traurige Geschichte des Lehrersohnes Stamm erzählt. Dieser Grabstein oder "Mordstein" steht heute noch in relativ gutem Zustand im Kirchhof aber nicht mehr am alten Standort. Er wurde in den 50er Jahren ausgegraben und in die Sakristei der Kirche gebracht, um ihm später innerhalb der Kirche einen neuen Platz zu geben. Man wollte ihn dadurch vor dem Verfall schützen. Die Denkmalpfleger haben sich bei der später erfolgten Grundüberholung der Kirche dagegen ausgesprochen. Er wurde dann zwar restauriert und wetterfest(?) gemacht, aber offensichtlich nicht mit bleibendem Erfolg.
Aber nun zur Sache selbst. Um die Zusammenhänge zu verstehen, müssen die historischen Hintergründe ein wenig erhellt werden.
Die "reichsritterlichen" Freiherren von Groschlag waren zu diesem Zeitpunkt seit über 300 Jahren die Ortsherren von Messel als Inhaber eines Kurmainzischen Lehens. Die Besitzverhältnisse waren sehr kompliziert und sind nie exakt beschrieben worden. Gerade die Reichsritter, als reichsunmittelbare Edelleute nur dem Kaiser untertan, hatten besondere Grenzprobleme mit den angrenzenden Fürstentümern. Es gab immer Streitigkeiten um die ihnen zustehenden "Gerechtsamen". Damit sind alle Rechte gemeint, die ihnen per Lehensbrief zugesprochen waren. Man kollidierte aber nicht nur mit den fürstlichen Nachbarn sondern auch mit den Markgenossenschaften. Allein hier in der Gemarkung Messel grenzten 4 Marken aneinander. Messel selbst gehörte zur "Rödermark", einer Waldgenossenschaft, die bis nach Jügesheim und Hainhausen reichte. Dazu gehörten auch Urberach, Ober- und Nieder-Roden, Dudenhofen und Dietzenbach. Offenthal war schon in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts ausgeschlossen worden, hatte es sich doch in erheblichem Maße gegen die Markordnung vergangen. Es war eine sehr harte Bestrafung und der Graf von Ysenburg prozessierte bis Ende des 18.Jahrhunderts vergeblich beim Reichskammergericht um die Wiederaufnahme in die Mark.
Die "Rödermark" wurde nach dem "Markweistum" geführt, einem uralten Reglement. Alle Gemeinden waren mit ihren "Markschöffen" beteiligt. Aber das letzte Wort hatten fast immer die mitbeteiligten Fürsten und Grafen, die sogenannten "Obermärker". Das waren der Kurfürst und Erzbischof von Mainz sowie der Graf von Hanau. Der Graf von Ysenburg, die Herren von Groschlag und weitere Herrschaften mit Besitz- oder anderen Rechten in dieser Mark hatten weniger Einfluss.
Erst gegen Ende des 18.Jahrhundert kam es zu einer exakteren Grenzmarkierung mit Grenzsteinen. Vorher gab es nur ungenaue Regelungen. Mit sogenannten "Lochbäumen", "Lochgräben" und auch "Lochsteinen" als Grenzpunkte, benutzte man natürliche, sich immer wieder verändernde Markierungen. Die einzigen wirklichen Grenzsteine waren die extra gesetzten "Dreimärkersteine", also der Punkt, an dem drei Marken zusammenstießen. Davon gab (gibt?) es alleine 3 im Messeier Umfeld.
Diese ungenauen Grenzverhältnisse führten andauernd zu Auseinandersetzungen bis zu dem höchsten kaiserlichen Gericht.
In erster Linie stritt man sich um die "Jagdgerechtigkeit", war doch in den fürstlichen Jagd- und Forstverwaltungen die Meinung vorherrschend, daß die Freiherren von Groschlag nicht das Recht hätten, in der "Rödermark" zu jagen. Trotz vieler Interventionen von Seiten der Herren von Groschlag und ihrer Standesorganisation, dem "Reichsritterkreis Unterfranken" mit Sitz in Heilbronn, vieler erbrachter dokumentarischer Beweise oder auch Zeugenaussagen über althergebrachte Rechte, musste man bei jedem Generationenwechsel in der Herrschaft sich erneut mit diesen Problemen beschäftigen.
Die Freiherrn von Groschlag stritten sich ganz besonders mit dem Grafen von Hanau, der hier in der Rödermark besondere Rechte geltend machte.
Dieser bestritt energisch, daß die Freiherrn von Groschlag im Waldgebiet der Mark überhaupt jagdberechtigt seien, wo er doch dort, "seit urdenklichen Zeiten" das alleinige Jagdrecht dazu besäße. Die Machtverhältnisse zu dieser Zeit waren so, daß in Babenhausen ein "Hochfürstlich Hanauischer Amtmann" residierte, daß zum Beispiel Nieder-Roden kurmainzisch, Ober-Roden zur Hälfte, Dudenhofen und Dietzenbach, Jügesheim und Hainhausen ganz hanauisch war, Urberach gehörte den Grafen von Ysenburg, Eppertshausen wiederum war ein groschlagisches Dorf. Die "Babenhäuser Mark" ging bis zur "Thomashütte" bei Eppertshausen, sie war vollkommen unter hanauischer Herrschaft. Gleich anschließend in Richtung Messel liegen das sogenannte hanauische "Sporneigen" und weiter westlich das "Mainzer Eigen".
Ein herrschaftlicher "Zeuchmeister" namens Lautemann residierte in Harreshausen, er war der höchste Jagdbeamte der Hanauer Grafen in den Marken südlich des Main. Von ihm wird später noch die Rede sein.
Aber auch die Grafen von Ysenburg besaßen in Teilen der Rödermark noch alte "Wildbannrechte". Auch mit diesen hatten die Groschlage immer Probleme. Als einmal der Ysenburger Förster "Wildfrevler" aus Messel ertappt hatte, versohlten ihm diese fürchterlich das Fell, so daß er nicht in der Lage war, sie zu identifizieren. Als Strafe wurden danach den Messelern Kühe von der Weide auf der Bickelwiese gepfändet. Aber zu einem Schuldeingeständnis war die Messeier nicht bereit, und die Kühe wurden versteigert.
Die Dorfherrschaft unterhielt hier einen „herrschaftlichen Jäger" und einen "Hasenheger", die im Aufträge ihrer Herrschaft die Jagd hegen mußten. Die Feldgemarkung war in dieser Zeit ungefähr halb so groß wie heute, war lang und schmal, ging vom Dreimärker am Silzbach bis zur Rutschbach im Norden. Im Westen war sie begrenzt durch die Landwehr und den Wildzaun des "Landgräflich-Darmstädtischen Wildparkes", der von Zaunknechten überwacht wurde. Allein zwei Zaunknechtshäuser grenzten an die Messeier Gemarkung, eines davon, das "Steinackerhaus", existiert bis heute. Von Westen konnte kaum Wild zuwandern, nur aus den Markwaldungen war dieses möglich.
Durch die für die Jagd nicht gerade günstig gestaltete Gemarkung Messel war dieses Handwerk ein mühsames und oft erfolgloses Unterfangen. Innerhalb der angrenzenden Markwälder sah das ganz anders aus. Hier beklagte man auch damals schon den Wildverbiß, dem man nur mit "einhegen" von Waldstücken begegnen konnte. Die Messeier wussten natürlich, wo das Wild zu finden war, und so kam es auch schon ab und an zu Wildfrevel. Auch die im Aufträge der Messeier Herrschaft durchgeführte Jagd wurde von den fürstlichen Nachbarn als solcher bezeichnet. Trotz einiger bekannt gewordener Fälle, konnte man nie einen "Wilddieb" ertappen. Die Markförster waren immer unterwegs, aber die Messeier waren allem Anschein nach immer schlauer.
Der Markförster Hill zu Altheim hatte dem herrschaftlichen "Zeuchmeister" Johann Heinrich Lautemann von Harreshausen von einem Vorfall berichtet, und der wiederum zeigte beim Amtmann Claudy in Babenhausen folgendes unter dem 20."Merz" 1752 an:

wasmaaßen der Förster Hill zu Altheim berichtet, daß verschiedene Messeier Unterthanen unter ... mit Gewehr, besonders aber auf die Sonntäge in die Rödermark Waldung gingen, dahero er nebst denen sämtlichen Forstbedienten (...) sich gestrigen Sonntag in die besagte Rödermark Waldung begeben, umb auf diese Leute zu invigilieren (überwachen). Nachmittags gegen 5 Uhr wären sie gewahr geworden, daß verschiedene Schuf in mehrerwähnter Rödermark Waldung und zwar hinter der sogenannten Küh-Ruhe onweith Meßel, woselbsten der dießeitigen Gnädigsten Herrschaft die Jagens-Gerechtigkeit privative zuständig, gefallen seyen. Alß sie, die Forstbedienten, nun diese Leute umstellet und ihnen vielfältig zugerufen hatten, daß sie sich ergeben sollten, diese aber sich auf flüchtigen Fuß zu setzen gesucht, so seyen von denen dießeithigen Forstbedienten und deren Purschen, so sie bey sich gehabt, einigen Dudenhöfer Unterthanen, so sie zur Hälfte mitgenommen, verschiedene Schuß gegen ermelte Meßeler Wildpretts-Diebe geschehen, wovon einer von denen selben dergestallten geschoßen worden, daß er auf der Erden liegen geblieben, nicht weniger auch ein Hühnerhund todt geschossen worden seye.
Während dieser Aktion habe sein, des Zeugmeisters, Pursch nahmens Georg Adam Mahlas, einem Meßler Unterthan die Flinthe hinweg genommen und denselben arrestiert. Sie, die übrigen Forstbedienten hätten ebenfalls dem Wildpretts-Dieb, so gedachtermaaßen geschoßen worden, die Flinte hinweg genommen und selbigen liegen laßen, den einen Pursch aber hätten sie gestern abend gefänglich anhero gebracht und seye derselbe auf hiesige Schloß wacht in Verwahr gesetzt worden.
Add.
(Addatur, noch anzufügen): Dieser nun arrestierte Wildpretts-Dieb habe ein Beutelgen, so sie ihme abgenommen, bey sich gehabt, worinnen vier Kugeln und sechs Posten, wie auch zwei Flinthen Steine befindlich, woraus klärlich abzunehmen, daß diese Wildpretts-Diebe, bey sich ergebender Gelegenheit, auch nach großem Wildprett zu schießen intentioniret (beabsichtigt) gewesen.

Der Babenhäuser Amtmann Claudy berichtete seiner gräflichen Herrschaft in Hanau unter dem 21.Martii 1752 über diesen Vorfall:

Reichsfrey, Hochwohl- und Hochedelgebohrene, Hochedelgetrenge- und Hochgelährte, Gnädig-Hochgebietetende- und Hochverehrteste Herren.
Aus dem anliegenden PROTOCOLLO geruhen Ehrenwerte Reichs- Freyherrliche Excellenz, Ehrenwerte Excellenzen und Hochedelgeborene in mehrerem zu ersehen, wasmaasen die diesseitigen Forstbedienten gestrigen Sonntag Nachmittag den Freyherrlich Groschlagischen Jäger, nahmens Christian Pfeffer von Mößel und noch verschiedene Unterthanen von dar, mit Gewehr, welche ein ordentliches Treiben auf Schneppen angestellet, auch eine Schneppe geschoßen, in der Rödermark Waldung angetroffen, sofort besagten Jäger und noch einem Pursch von Mößel, so durch einen Schuß tödtlich bleßieret worden und wie anheute vernommen, zu Mößel gestorben ist, die Flinthen abgenommen und mehrermeldten Jäger gefänglich anhero gebracht haben. Gleichwie nun ermeldter ARRESTATUS seine DEFENSION darauf setzet, daß er von des Kayserl. Cammer-Präsidenten, Freyherrn von Groschlags Excellenz dahin gemeßenen Befehl erhalten, daß er die Nieder- Jagdt in besagter Rödermark Waldung exercieren sollte. So muß diese Sache billig höherer DIJUDICATUR anheim stellen, und verharre in geziemendem Respect Euerer Reichsfreyherrlicher Excellenz, Ehrenwerte Excellenzen und Hochedelgebohrenen unterthänigst gehorsamer Georg Claudy
Babenhausen, den 20.Martii 1752

In Babenhausen wurde der Arrestant einer "Inquisition" unterzogen, die im Wortlaut wiedergegeben wird:
Frage: Ob Ihme bekannt, werden einen Wildpretts-Dieb geschossen habe?.
   "Dieses könne er nicht sagen, weilen der Lermen (Lärmen) groß und solcher in der Dickung des Waldes geweßen".
Der Märkermeister Sieberth conformierte sich in allem mit der von dem "Zeuchmeister" Lautemann getanen Anzeige und antworte(te) auf die formierte "Question":
   Der Förster Johann Nicolaus Gaudeamuß von Dudenhofen, der Förster Johann Georg Gaudeamuß von Langstadt, der Forstläufer Joahnn Christian Zimmermann von Harreshaußen, Johann Michael Grünewaldt, Jägers-Pursch bey Herrn Oberförster Müller und Georg Adam Mahla, Jägers-Pursch bey dem Zeuchmeister Lautemann, sagten in allem und jeden Stücken aus, wie der Zeuchmeister deponieret hat und seye Ihnen ebenfalls ohnbekannt, wer den einen Wildpretts-Dieb geschossen habe.
Danach wurde der arrestierte Wiltpretts-Dieb vorgeführet und examimiert wie folgt:
   Frage 1: Wie Er heiße?:
   Christian Pfeffer

   Frage 2: Wie alt Er seye?:
   Bald 42 Jahre

   Frage 3: Wo er hehr und gebürtig seye?:
   Er seye von Meßel, wo er Unterthan und verheiratet wäre

   Frage 4: Warum er dahier in Arrest gebracht worden ?:
   Er seye Freiherrlich Groschlagischer Jäger zu Meßel und weilen er von des Herrn von Groschlags Excellenz den Befehl erhalten, daß er in der Rödermark-Waldung die kleine Jagd exercieren sollte, so seye er gestern Nachmittag mit noch sechs Leuthen von Meßel in besagte Rödermark-Waldung gegangen um nach Schneppen zu bouchieren, da er dann von den hiesigen Forstbedienten arretiert worden seye.

   Frage 5: Ob er auch wirklich Schneppen geschoßen und wieviel?:
   Er habe vor sich noch keine Schneppen geschoßen gehabt, seine Cameraden aber hätten eine Schneppe geschoßen.

   Frage 6: Wie diejenigen von Meßel mit Nahmen hießen, so mit Ihme auf der Schneppenjagt gewesen?:
   Christian Stamm, des Schulmeisters Johann Georg Stamms Sohn, Philipp Hoffman, Unterthan und Schneidermeister, Niclaus Müller, des verstorbenen Lorenz Müllers Sohn, Balthasar Breitenbach, Dienstknecht bei Philipp Breitenbach, Johannes Klock und sein, Pfeffers, Sohn ein Jung von sieben Jahren. Während dem Treiben wären noch mehrere Unterthanen von Meßel gekommen. Er hätte aber selbige, weilen er immer voran gegangen, nicht erkennen können.

   Frage 7: Ob Ihme bekannt seye, daß einer von denen Meßelern, so bey Ihme geweßen, geschossen worden?:
   Er könne vor
(für) sich nicht sagen, indem er gleich anfänglich arrestiert worden.
   Frage 8: Ob sämtliche bey Ihme geweßene Meßeler mit Gewehr versehen gewesen?
   Dieselben hätten insgesamt, biß auf den Johannes Klock, Gewehr gehabt.

   Frage 9: Was er mit denen Kugeln und Rollern, so er bey sich gehabt, thun wollen
   Er hätte unten / veilen Enden (Enten) verspühret, dahero er diese Kugeln und Roller bey sich gesteckt.

"Ad custodiam remisus (mit Begleitung zurück) und soll an Hochfürstliche Regierung gehen".
Im Messeier Kirchenbuch ist unter dem Datum vom 22.März 1752 folgender Eintrag:

Den 22ten Mertz wurde des hiesigen evangelischen Schuldieners Herrn Johann Georg Stamms jüngster Sohn, Christian Stephan Johann Stamm bey einer zahlreichen Versammlung mit christlichen Ceremonium zur Erde bestattet, indem derselbe den 19ten dieses Monats sein junges Leben jämmerlich eingebüßet, indem ihn ein Caßelischer Zeugmeister, nahmens Lautemann von Harreshausen, da er mit dem hiesigen herrschaftlichen Jäger auf den Schneppenstrich gegangen, mörderischer und vorsätzlicher Weise erschoßen hat.
Aetatis 18 Jahr 2 Monat 24 Tag und 5 Stunden.

Unter gleichem Datum kam ein Schreiben des groschlagischen Amtmannes Vogel aus Dieburg in Babenhausen an. Darinnen bekundete der vor allem sein Befremden, daß die hanauischen Forstbedienten,

verstärkt mit bewehrten Bauern, meines Gnädigen Herrn Hochfreyherrliche Excellence Jäger zu Messell in der Rödermarkwaldung nächst dem Messeier Feld gewalttätig angegriffen und dabey des Schulmeisters Stammen Sohn durch einen Kugelschuß getötet, des Jägers Hund erschossen, sofort den Jäger nach Babenhausen gefänglich geführet haben, deßen ist mir umständlicher Bericht gegeben worden. Nun laße dieses sowohl vor Gott als aller Ehrbahren Gewalt ohnjustificierliche Factum dahin gestellet seyn, wie solches Höheren Orthen könne oder möge angesehen und verantwortet werden, und fürchte sehr, daß dieses so unschuldig vergoßene Bluth gegen den Thäter von dem Himmel Rache rufen werde. Gleich wie aber die Hochfreiherrliche Familie von Groschlag dardurch in Ihrer DE SAECULIS (seit Jahrhunderten) in der Röder- Markwaldung ohnstreittig hergebrachten Jagens- Gerechtigkeit durch diese Gewalthätigkeit turbieret (gestört) worden. Alß finde mich Pflichten halber schuldig, die ohnentgeltliche Loslaßung des arrestierten Jägers, die RESTITUTION (Herausgabe) des abgenommenen Gewehres, wie nit weniger die Ersetzung des todtgeschoßenen Hund (es) hier zu verlangen und so weither PER VIOLENTAM HANC TURBATIONEM (durch die gewaltsame Störung) unterbrechen wollende ANTIQUISSIMA JURA FAMILIAE (ältesten Familienrechte), welche Sie von dem Hohen Erzstift zu Lehen träget, QUAM SOLENNISSIME (auf das feierlichste) zu protestiern und QUAEVIS RESERVANDA (jede möglichen Vorbehalte) zu reservieren.
Euer Hochedelgebohren ergebenster Diener Vogel
Dieburg, den 22ten Martii 1752.

Mittlerweile war diese Angelegenheit auch auf höchster herrschaftlicher Ebene bekannt geworden. Mit einem "privaten" Schreiben hatte sich der Freiherr von Groschlag, der als "Camergerichtspräsident seiner Majestät des Kaisers" in Wetzlar am Reichskammergericht tätig war, an den Landgrafen "Wilhelm zu Heßen-Cassel", der auch Graf zu Hanau war, gewandt. Daraufhin ordnete dieser mit Schreiben vom 28.März eine strenge Untersuchung an. Er wollte genauesten Bericht über den Ablauf, er wollte wissen ob sich die Messeier Unterthanen "zur Wehr gesetzet hätten, oder wie solches veranlaßte worden und wer der eigentliche Thäter seye?"
Auf die von Groschlagischer Seite geforderte Jagdgerechtigkeit in "oberwähntem District, werde man nicht eingehen, da dieser sie nur privat questionieret hat".
Der Freiherr von Groschlag hatte in einem, moderat aber bestimmt gehaltenen Brief vom 25.Martii an "Seine Hochfürstlichen Gnaden den Landgrafen Wilhelm", auf seine alten Rechte hingewiesen, "da es landeskundig ist und keines Beweises bedarf; daß von allen Zeiten her diese gemeinsahme Jagd von den Meinigen exercieret worden, und er hoffe auf die tiefe Einsicht und Erfahrniß Seiner Hochfrstl. Gnaden".
Er führte weiter aus, daß wegen "anerwehnter gewaltsamer Turbationen und schweren Thätlichkeiten bei einem, dem Höchsten Reichsgericht geklaget werden sollte, und er sicher sogleich ein Mandatum erhalten würde. Er wolle aber nicht diesen Passum (Schritt) tun, sondern hoffe auf ein gütliche Regelung".
Er forderte aber die sofortige "ohnentgeltliche" Freilassung des inhaftierten Messeier Unterthanen und auch die "Restituierung" der ihm abgenommenen Flinten. Diese schwere "Mordthat aber nach der gegebenen Ordnung nachuntersuchet und dadurch, das wegen eines Streichvogels vergoßene ohnschuldige Menschenblut nach Göttlichem und Menschlichen Rechten gerächet, die Hauptsach selbsten aber (die Jagens-Gerchtigkeit) zu der nun gnädigst beliebten Conferentz ausgesetzet werde".
Der Babenhäuser Beamte Claudy weißt in seinem Bericht vom 1.April an das Jagdforstamt zu Hanau darauf hin, "daß feststehe, daß der Schuß von unserer Seite kam. Er sehe aber keine andere Möglichkeit der Sache auf den Grund zu kommen, als alle auf ihrer Seite Beteiligten, nach vorheriger Ablegung eines körperlichen Eides in allem die Wahrheit zu sagen, erneut abgehört werden. Weilen aber der Thäter in Anbetracht, daß der ganze Händel mit großem Le(ä)rmen verknüpft gewesen, auch in der Dickung des Waldes vorgegangen, und so allen anderen beteiligten Personen gar wohl unbekannt sein kann, nichts destoweniger die Wahrheit zu verschweigen und dazu noch einen Meyneyd zu begehen, Anlaß nehmen möchte".
Weiterhin führt er aus, um der Sache besser auf den Grund zu kommen , daß er alle hierüber (Jagdgerechtigkeit) "vorhandenen, wiewohlen sehr zerstümmelten ACTA einzusehen nicht ermangelt, woraus sich soviel ergeben, daß zwaren die Groschlagische Familie in der Rödermark, besonders aber in der Messeier Terminey die Mitjagensgerechtigkeit zu praetendieren (zu fordern) sich beygehen lassen, auch zu Ende des 16ten SAECULI, wegen einer gegen sie vorgenommenen Pfändung bey dem Cammergericht wider Hanau und das wegen des Dreieycher Wildbanns hierbey mit interessiert gewesenen gräflichen Hauses Ysenburg ein Mandatum ausgewürket, die Sache aber nach der Hand vermuthlich nicht erfolgreich geblieben sey.
Die nachherigen ACTA zeigen aber hier wiederum auch, daß man diesseits nichts destoweniger bey der "Kleinen Jagdbarkeit" sich jederzeit MANUTENIERET (Anspruch erhalten) habe und noch 1720 dem Freyherrn von Groschlagischen Jäger ein wildes Schwein, welches er in der Rödermark geschossen, abgenommen und von hiesiger Regierung dem Amt Babenhausen den 9ten Dezember den Befehl erteilet worden seye, daß, wann die Sistierung ersagten Jägers nicht erfolgen werde, selbiger auf den Betretungsfall (der Rödermark) bey dem Kopf genommen werden könne. Welches alles hierdurch unterthänigst nicht verhalten sollen.

Hanau den 1ten April 1752
nomine
(Im Namen)
[Des Jagdforstamtes also abgangen.]
[Am 8.April wurde vom Landgrafen Wilhelm (von Hessen-Kassel) u.a. angeordnet]:
fürnehmlich aber aus besonderem EGARD (Ansehen) von dem Herrn Cammergerichts Präsidenten, deßen arrestierten Jäger, jedoch mit Zurückbehaltung deren abgepfändeten Flinten, einstweilen wiederum loßgelaßen werde.

Mit den üblichen Vorbehalten, daß nichts "präjudicieret" werden soll, usw..
Christian Pfeffer wurde am elften April 1752, laut beigefügter Brotrechnung des Bäcker Rosenkrantz von Babenhausen, aus der Schloßwache entlassen und durfte nach Messel zurückkehren.
Der erwähnte Bäcker Rosenkrantz, der offensichtlich Probleme mit dem Kalender hatte, stellte das dem Arrestanten gelieferte Brot für einen Aufenthalt von 22 Tagen in Rechnung. Die Rechnung wird in Kopie beigefügt. Der Bäcker musste wohl längere Zeit auf die Begleichung der Rechnung warten, denn mit Schreiben vom 17.April des Amtmannes Claudy an das Jagdforstamt in Hanau und dessen Protokoll vom 6.Mai, an die "Fürstlich Hessen-Hanauische Regierung" wird angefragt, wer das Brot nun bezahlen solle. (Es waren 28 Albus oder 56 Kreuzer, also 4 Kreuzer weniger als ein Gulden).
Mit Schreiben vom 31.Juli 1752 wurde von Seiten des Babenhäuser Amtmannes erneut bei der Regierung in Hanau um "Verhaltens-Befehl" gebeten, wie man sich bei dieser noch offenen Brotrechnung verhalten solle. Die "Hauptsache" aber, der Streit um die Jagdberechtigung ging weiter. Hanau verbündete sich mit Ysenburg, und es dürften wohl weitere Jahre ins Land gegangen sein, bis man, wenn überhaupt, zu einer Regelung kam. Als um 1830 die herrschaftlichen Rechte mit Geld abgelöst wurden, musste die Gemeinde Messel u.a. auch eine nicht unerhebliche Abfindung an die Grafen von Ysenburg bezahlen. Die Gemeinde Messel war mit Aufteilung der "Rödermark" im Jahre 1818 Besitzer ihres Markanteiles (des jetzigen Gemeindewaldes) geworden und stand so in der Pflicht. Erst ab 1848 war alles bezahlt, und die Gemeinde wurde Eigentümer des Jagdbezirkes in der eigenen Gemarkung.
In der Mordsache Stamm wurde nicht mehr allzu viel unternommen, es blieb dabei, daß man nicht wisse, wer den Schuß abgegeben habe. Dann allerdings gibt es einen Bericht des Jagdforstamtes vom 1.Juni 1752 über ein von der Serenissimi Hochfürstliche Durchlaucht vermöge höchst venerierlichen Rescripti vom 28ten Martii ac. (anno currentis) gnädigst uns anzubefehlen geruhet: Daß wir unter anderem auch dieses untersuchen sollen: Wer auf den entleibten Messeier Einwohner den tödtlichen Schuß gethan und was ihn dazu veranlasset habe.
Wir haben zwaren (...) dem Amtmann Claudy zu Babenhausen hierunter das nötige aufgegeben: Es hat aber laut seines unterm 30ten Martii erstatteten Berichts, der Thäter nicht ausfindig gemacht werden können.

Dies wurde unter dem 1.April an "Serenissimum" (Durchlaucht) berichtet.

Gleichwie aber nach der Hand und erst vor kurzem die sichere Nachricht eingegangen, daß mentionierter Schuß von dem Jagdzeugmeister Lautemann zu Harreshausen geschehen und er hierzu dadurch veranlasset worden seye, weilen er, der Jagdzeugmeister, den vor einen Wilddieb angesehen und dieser auf den wiederhohlten Zurufen nicht stehen, sondern die Flucht ergreifen wollen. Als haben (wir) uns Pflichten halber gemüsiget gesehen, solches des Herrn Ober-Jägermeisters von Einsiedel, Hochwohlgebohren gehorsamlich einzuberichten Hochwohldenenselben anheim stellend, ob Serenissimi Hochfürstliche Durchlaucht hiervon APERTURE (Nachricht) gethan werden wollen.
Hanau den I.Junii 1752
Ihro Hochwohl Gebohrenen gantz ergebensten Diener.

Als Randbemerkung wurde später, zum 31.August 1752 hinzugefügt:

Herr Oberjägermeister von Einsiedel haben herauß zu vernehmen gegeben, daß weilen (bei ihm) keine Nachfrage geschehen, wer den Meßler Einwohner entleibet habe, sie (das Jagdforstamt) auch bei Serenissimo davon keine Erwähnung getan hätten. Damit zur Nachricht, den 31.August 1752.

Somit war klar, daß der Jagdzeugmeister Lautemann den jungen Stamm "entleibet" hat. Es war schon mit der Nachricht vom 28.März an den Oberjägermeister von Einsiedel nach Hanau gemeldet worden.
Wer auch immer die "sichere Nachricht" (anonym?) gegeben hat, ist unbekannt, dadurch kam die Wahrheit ans Licht. Über den weiteren Verlauf gibt es keine weiteren Unterlagen, man kann aber davon ausgehen, daß es für den Jagdzeugmeister Lautemann keine weiteren Folgen hatte.
Dem Lehrer Stamm blieb nur, seinen Sohn zu begraben und zu beweinen. Er muß allerdings erfahren haben, wer der Täter war. Denn er ließ den weiter unten aufgeführten Nachruf drucken und mit gleichem Text eine Metallplatte für den Grabstein hersteilen, worin er den Hessen-Casselischen Zeugmeister aus Harreshausen namentlich als Täter erwähnt.
Der Vater ließ den w.o. erwähnten Grabstein errichten und einen nicht weniger kunstvoll gestalteten Nachruf herstellen.
Wer heute bei einem Spaziergang vom Heimkehrerplatz den Waldrandweg in Richtung Urberacher Straße geht, kommt an der Streitwiese vorbei und nach dem dritten Feldweg links an das Gebiet mit dem Gewannnamen "Am Laute(r)manns Hügel". Diese Gegend gehörte um 1750 noch zum Waldgebiet der Rödermark und wurde als "Kühruhe" bezeichnet. In diesem Bereich ereignete sich diese Mordtat. Nach der Rodung gab man dieser Gegend diesen Namen. Der Volksmund ("Im Laudemann") hat damit auf seine Weise für ein bleibendes Andenken Sorge getragen. (Wenchel 1995)

Quellen und Literatur:
Martin, Charlotte - Ein Mordstein in der Kirche, auf: echo-online.de vom 23.09.2010
Wenchel, Karl - unveröffentlichtes Manuskript vom 27.09.1995
recherchiert und bebildert von Gerdi Röske, Höchst im Odenwald und Karl Wenchel, Messel (Foto von 1995)


Sühnekreuze & Mordsteine