Das steinerne Kreuz bei Wolfstein in Niederbayern - 94078 Freyung
Die fortgesetzten jenseits der Donau sich hinanstufenden Äste des böhmischen Gebirges bilden den Bayerischen
Wald. Sie sind Urgebirge, zeigen Spuren früherer Vulkane und wechseln mit Granit, Quarz, Glimmer und Eisenstein ab. Auf den
höchsten unfruchtbaren Berggipfeln liegt der Schnee einen grossen Theil des Sommers. noch vor einem Menschenalter hatte der
Bayerische Wald grosse von der dünnen Bevölkerung unbenützte Strecken. Da lagen durcheinander Bäume seltener Grösse, durch
Sturm, oder Alter gebrochen. Dem Unkundigen schienen sie stark genug, um darüber seinen Weg fortsetzen zu können, aber sie
waren nur noch Larve; der Fuss brach durch und die Rinde überragte den Mann. An einigen unzulänglichen Stellen stehen jetzt noch
grosse Bäume, welche vielleicht eines natürlichen Todtes sterben, wenn sie nicht früher das Feuer der Glashütten, oder die Axt der
Holzhändler erreicht. Wird dieser herrliche Wald der unersättlichen Industrie unserer Zeit entgehen? Oder wird er kommenden
Geschlechtern seine kahlen Häupter zeigen, über welche kalte Winde wehen, an jenen die Unbill ihrer Vorfahren zu rächen?
In der Mitte des Bayerischen Waldes, an der Böhmer Strasse, nächst Freiung, liegt der Wolfsstein, oder Wolfstein. Auf diesem
steht das Schloss Wolfstein, Sitz des Landgerichtes und Rentamtes. Lage und Gestalt dieses zwar nicht hohen, aber ringsum steilen
Felsenberges lassen frühere Auszeichnungen des Ortes erkennen. Ringsum Wald; am Fusse des Wolfsteins ein Bach klarsten
Wassers, welches aus einem engen dicht mit Bäumen bewachsenen Thale fliesst. An der Strasse ein steinernes Kreuz. Die ehemalige
gewölbte Schlosskapelle befindet sich im ersten Stock (über eine Stiege) und wird von den jetzigen Bewohnern als Zimmer benützt.
Der Schlosskaplan konnte von den schwersten Sünden absolviren. Das vernahm ein fremder Ritter und wollte die Kapelle
zerstören. Er ritt auf weissem Schimmel die Treppe hinauf. Der Schimmel bäumte und überstürzte sich, und der Ritter brach sich
den Hals. Er wurde an der Stelle begraben, wo das steinerne Kreuz steht. Oft erscheint er Nachts in schwarzer Gestalt und huckelt
sich dem Wanderer auf.
(Panzer, Friedrich - Bayerische Sagen und Bräuche. Beitrag zur Deutschen Mythologie. 2. Band, München 1855, S.177-178)