Das Wunderkreuz im Baume - PL 38-454 Barwinek
Der zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in Ungarn wildwüthende Bürgerkrieg raste vorzüglich in den obern Gespanschaften und hatte in Preßburgs
Umgebungen, bis wohin sich die kaiserlichen Truppen zurückzuziehen genöthiget gewesen, durch längere Zeit sich behauptet. Die Schlacht bei Tyrnau und bald darauf
jene bei Trentsin, von Heister über die Rákotzy'schen
Truppen glänzend erfochten, nöthigte die Letztern, die Gegenden an der Donau und Waag gänzlich
zu verlassen und in den hohen Karpathen an der polnischen Grenze den kleinen Krieg fortzusetzen, denn zu größern Unternehmungen
fehlte fortan - Alles.
Die Ruhe kehrte nun auf den verlassenen Kriegsschauplatz zurück, in ihrem Gefolge Erholung von den ausgestandenen Drangsalen und verdoppelte Betriebsamkeit,
um mannigfaltig erlittenen Schaden zu ersetzen und dem gesunkenen Wohlstand wieder aufzuhelfen. Hierzu gehörte vorzüglich das Wiederaufleben des Handels mit dem benachbarten
Mähren, der zu großem Nachtheil beider Völker während der Unruhen gänzlich darnieder gelegen war; denn die Hauptstraße, auf der feine
Gegenstände aus- und eingeführt wurden und noch werden, über das weiße Gebirge führend, lag mitten zwischen den kriegführenden Partein und ward bald von der einen, bals von
der andern behauptet. Nun sie frei geworden, strömten zahlreiche Kaufleute herbei, ihre lang zurückgehaltenen Waaren auf dem Hauptstapelplatz Tyrnau
zu Markte zu bringen.
Allein eben dies reizte die Beutelust einer Räuberbande, die unter Anführung des furchtbaren Rajnoha, ihr Unwesen
längs der ganzen Kette der weißen Berge trieb. Es war dieser mann - (von dessen Gewandtheit und Riesenstärke die abenteuerlichsten Geschichten im Munde des Volkes sich erhalten haben) -
Reiterkoporal Rákotzy's gewesen und nachdem sein Herr geschlagen und zersprengt worden, flüchtig im Gebirge herumgeirrt. Hier fand er
mehrere Kameraden, die gleiches Geschick hierher geführt, stellte sich an ihre Spitze und führte nunmehr den Krieg auf eigene Rechnung mit der ganzen Menschheit!
Listig, kühn und mit allen Thälern und Schluchten genau bekannt, erhielt er sich mehrere Jahre zum Schrecken aller Bewohner jenes ausgedehnten Gebirgszuges, die aus Furcht vor Brand,
Mord und Plünderung nie seine Verräther wurden.
Einst zog eine zahlreiche Karavane mährischer Kaufleute zur Marktzeit nach Tyrnau, wo Rajnoha's Späher bald erfahren hatten,
sie würden mit wohlversprechenden Beuteln zurückkehren, denn ihre Geschäfte waren glücklich gewesen. Auf der Spitze des Berges Barwinek,
in dichtem Walde erwartete sie die Räuberschar und überfiel sie. Nicht ohne Kampf ließen sie sich plündern; doch endlich erlagen sie der Übermacht und einer der
angesehensten Handelsherren büßte seinen tapferen Widerstand mit dem Leben. An dem Fuße einer mächtigen hundertjährigen Eiche war er gefallen. Den Ort zu
bezeichnen, hefteten die Angehörigen ein Kreuz an den Baum, zugleich den frommen Wanderer zu erinnern, dass er des Ermordeten im Gebet eingedenk seyn möge.
Der Fang, den Rajnoha's Bande gemacht war so überreich ausgefallen, der Wunsch noch ähnliche Beute dadurch in der Bande um so
heißer; die Gelegenheit des nächsten Markttages hierzu günstig winkend. Man berieth sich über die Maßregeln des kommenden Überfalls, und der Ort des verübten
Raubes, als vorzüglich zum Hinterhalt geeignet, ward auch diesmal gewählt. Als die ziemlich zahlreiche Gesellschaft hier lagerte, bemerkte einer der jüngsten Räuber
die Eiche mit dem Kreuz und er bat, man solle doch etwas seitwärts ziehen und nicht im Angesicht des Gekreuzigten, der mit dräuenden Blicken auf sie und ihr
blutiges Vorhaben schaue, die Gewalthandlung vollbringen. Rajnoha, als er das hörte, fuhr ihn hart an, ob der knabenhaften Furcht, die ihm beim Anblick eines
bemalten Blechstückchens da befiele und lachte über die dräuenden Blicke, die einem Manne das Mark in den Knochen können gerinnen machen, der sich doch
für einen ganzen Mann ausgebe, aber im Grunde nur ein Weiberherz habe. Un als sich der beschämte Räuber zur Probe seiner Mannhaftigkeit erbot, erwiederte der
Hauptmann: "Wohlan! bis sich Gelegenheit ergibt, die deinen Muth bewährt, magst du das leichtere, im Grunde ein Kinderspiel, kaum werth der Rede, versuchen.
Geh hin und schlage den Kopf, der dich in Furcht gebracht, dem Bild vom Rumpf, damit es aufhöre, dich und deines Gleichen zu schrecken.“ Erstarrt blickte der
Jüngere auf den grässlichen Meister, aber das ihm Zugemuthete konnte er nicht vollbringen, denn die Erinnerung erster unschuldiger Kindheit tönten laut in seinem
Inneren und lähmten seine verbrecherischen Hände, so oft sie sich erheben wollten.
"Wie - du Memme!" rief Rajnoha im höchsten Grimm, "du zögerst zu thun, was ich dir gebiete, steckst mir auch noch andere an mit
abergläubischer Furcht und Feigheit und wir versäumen zuletzt den herrlichen Fang eines toten Bildes wegen? Schwer sollst du dies büßen. Doch nun sieh her" -
und hoch in die Lüfte erhob der Riese die lang gesielte, in Wurf und Hieb gleich sicher und verderblich geführte Walaska (Streitaxt), mit einem Male das Standbild
niederzustrecken. Da öffnete sich der Baum und umfasste das Kreuz und schirmend beugten sich die schweren Aeste darüber und es entschwand den Blicken
der Räuber. Und es zischte und brauste in der Luft, als wäre der Wald lebendig geworden und ein furchtbarer Sturm, von Erdbeben, Wassergüssen, Donner und
Blitz geleitete, riß Bäume und Menschen zu Boden und schleuderte sie weit fort in Thäler und Abgründe. Und als die Räuber zur Besinnung gekommen, fanden sie
sich alle vereinzelt, zerstreut, in fremder Gegend, wohl weit von dem Ort der Frevels. Und viele von Ihnen verließen das ruchlose Leben, und das Kreuz, umfasst
von der schützenden Rinde, verscheuchte weit allen Frevel aus seiner Nähe und ward ein Zeichen des Heils für alle, die auf dieser Straße wandelten und noch
wandeln, und nie sei es versäumt, es zu begrüßen mit kurzem Gebet oder frommen Gedanken, und wer dabei reinen Herzens ist, der schreitet ruhig weiter auf
dem Wege seines Berufs, unangefochten von den Gefahren des Leibes und der Seele, die dem Frevler Verderben bringen.
(Mednyanszky, Alois Freiherr von - Erzählungen, Sagen und Legenden aus Ungarns Vorzeit, Pesth 1829, S.310-315)