Der Kreuzliberg. - CH-5400 Baden
Kleine Reminiscenzen und Gemählde. Zürch 1806.
Auf einer Burg in der Nähe von Baden im Aargau lebte eine Königstochter, welche oft zu einem nah
gelegenen Hügel ging, da im Schatten des Gebüsches zu ruhen. Diesen Berg aber bewohnten innen Geister, und er ward einmal bei
einem furchtbaren Wetter von ihnen verwüstet und zerrissen. Die Königstochter, als sie wieder hinzukam, beschloß, in die geöffnete
Tiefe hinabzusteigen, um sie beschauen zu können. Sie trat, als es Nacht wurde, hinein, wurde aber alsbald von wilden, entsetzlichen
Gestalten ergriffen und über eine große Menge Fässer immer tiefer und weiter in den Abgrund gezogen. Folgenden Tags fand man sie
auf einer Anhöhe in der Nähe des verwüsteten Berges, die Füße in die Erde gewurzelt, die Arme in zwei Baumäste ausgewachsen
und den Leib einem Steine ähnlich. Durch ein Wunderbild, das man aus dem nahen Kloster herbeibrachte, wurde sie aus diesem
furchtbaren Zustande wieder erlöst und zur Burg zurückgeführt. Auf den Gipfel des Bergs setzte man ein Kreuz, und noch jetzt heißt
dieser der Kreuzliberg und die Tiefe mit den Fässern des Teufels Keller.
(Grimm, Brüder [Jacob und Wilhelm] - Deutsche Sagen. [1. Band], Berlin 1816, S.439)