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Der Wandelstein. - A-6263 Fügen
   Auch an Steinwundern mangelt es nicht in der Sagenpoesie Tirols.
   Nur ½ Stunde von Fügen im Zillerthale, am Eingange in den Benkerwald rechts, einem Thälchen entlang, liegt ein Stein von einem Schuh im Geviert, auf der Erd-Oberfläche mit einem eingegrabenen Kreuz. Dieser macht viel von sich reden, denn er soll, sobald man ihn aus dem Boden lupft und wo anders hinlegt, in kurzer Zeit von selbst wieder auf den gleichen Ort zurückwandern.
   Warum er wandert, weiß niemand anzugeben, doch warum er da liegt, das weiß jedes Kind in der Gegend. Zu Ende des vorigen Jahrhunderts haben zwei Schnitterinnen von Fügen auf dem Höfl Wieseck am Pankrazberg im Tagwerk gearbeitet. Der Bauer wollte die von der Witterung begünstigte Schnittzeit gut benützen und versprach derjenigen eine "Besserung" (etwas besseren Lohn), welche sich mehr als gewöhnlich anstrenge. Die Dirnen arbeiteten auf das hin beide wacker darauf los; aber am Samstag Feierabend gab der Bauer doch nur der einen ein Laib, der andern aber zwei Laibe Brot als Besserung.
   Am Heimwege gen Fügen, dort wo jetzt der Stein liegt, kamen die Schnitterinnen wegen des Brotlaibes in Streit, der so heftig wurde, daß sie mit den Sicheln auf einander losfuhren, und einander stark zerhackten. Das fließende Blut schürte ihren Zorn zu Flammen an, und was unglaublich scheint, aber völlig wahr ist, beide sanken nach hartem Kampfe erschöpft zu Boden und verbluteten.
   Man vergrub sie an derselben Stelle, und legte den gekreuzten Stein darauf, damit ihnen die Erde nicht schwer werde, doch niemand geht nächtlicher Weile gerne dort vorbei. Von der wunderbaren Eigenschaft des Wandelsteines haben sich viele überzeugt.
(Alpenburg, Johann Nepomuk Ritter v. - Mythen und Sagen Tirols. Zürich 1857, S.412-413)

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