Das Gnomenkreuz. - A-8750 Judenburg
Nicht weit von Judenburg in Steiermark liegt das Dörfchen Gail, rings von Gebirgen umschlossen.
In diesem Dorfe lebte ein armer Holzhauer, der nichts besaß als eine kleine hölzerne Hütte, die sehr ärmlich
eingerichtet war. Er sehnte sich nach einigen Besitztum, allein er lebte ganz abgeschlossen von der Welt. Eines Tages gieng er in den
Wald, um seine gewöhnliche Tagesarbeit zu verrichten. Auf dem Wege begegnete er einem seiner Nachbarn, welcher sehr reich war.
Bei dem Anblick desselben wurden seine Wünsche noch reger, und ergab sich düstern Gedanken hin. So fortschlendernd irrte er
vom rechten Wege ab und kam in eine wilde unheimliche Gegend. Er sah sich nach dem rechten Wege wieder um, doch der war
entschwunden. Plötzlich vernahm er in seiner Nähe ein Geräusch. Er achtete nicht gleich darauf, weil er meinte, es sei ein Hase
oder ein anderes auggescheuchtes Wild. Da plötzlich zupfte ihn jemand an seinem Rocke, er sah sich um und erschrack nicht
wenig, als er hinter sich ein kleines hässliches Männlein mit struppigem rothem Haare und Barte gewarte. Das Männlein grinste ihn
freundlich an und winkte ihm zu folgen. Der Holzhauer, welcher inzwischen seine Geistesgegenwart wiedergewonnen hatte, folgte
demselben. Das Männlein führte ihn in eine tief Höhle. Diese war von einem Lämpchen, welches von der Decke der Höhle
herunterhieng, matt erleuchtet; im Hintergrunde waren ganze Haufen Geldes aufgeschichtet. Das Männlein wendete sich nun gegen
den Mann und sprach: Fülle die alle Taschen mit diesem Gelde und thue damit was du willst; nur darfst du niemand sagen, auf welche
Weise du in den Besitz desselben gelangt bist. Das Geld wird dir nie ausgehen und du bist von nun an reicher als alle deine
Nachbarn. Verräthst du mich aber, so ist dein Leben in meine Gewalt gegeben. Der Mann, froh auf so leichte Art zu großem
Reichtum zu gelangen, füllte sich die Taschen voll mit dem Golde und versprach dem Männlein mit niemanden von diesem Abenteuer
zu sprechen. Darauf führte in das Männlein wieder hinaus. Draußen angekommen, wollte der Holzhauer sich bei dem Berggeist
bedanken, alleine wie staunte er, als er niemanden sah und der Felsen sich geschlossen hatte, als ob nie ein Eingang da gewesen
wäre. Dieß kümmerte ihn jedoch wenig, er freute sich vielmehr seines Reichtums, und ging in das Gasthaus, um sich einmal gütlich
zu thun. Die Nachbarn staunten, als sie ihn eintreten sahen, und kaum hatte er sich niedergesetzt, so war er auch schon von allen
umringt und freundlich begrüßt. Er dankte ihnen und lud sie ein, mit ihm zu speisen. Das staunen derselben wuchs und sie suchte
ihn betrunken zu machen, in der Absicht, daß er dann wohl manches offenbaren werde. Sie dachten auch ganz richtig; denn der
Holzhauer, welcher noch nie Wein getrunken hatte, war schon, nachdem er einige Gläser hinuntergestürzt hatte, viel redseliger und
endlich plauderte er alles aus . Die Nachbarn, froh, das Geheimnis zu besitzen, verließen ihn nun einer nach dem andern. Der
Holhauer wollte nach Hause, allein in der Trunkenheit fiel er in einen Graben, welcher neben dem Wege war, und blieb lange Zeit
ohne Besinnung liegen. Als er wieder aufwachte, sah er, daß es schon Nacht war. Er kroch nun auf Händen und Füßen fort; da
plötzlich sah er am Ende des Grabens ein Licht; auf dieses gieng er zu. Er kam demselben immer näher; schon war er am Ausgang
des Grabens, da bemerkte er, daß das, was er anfänglich für ein Licht gehalten hatte, ein Feuer war, an welchem das Männlein saß,
so unbeweglich, wie ein Steinbild. Nun wollte er die Flucht ergreifen, sich erinnernd, daß er das Geheimnis verrathen habe, allein
es war zu spät; denn das Männlein stand schon neben ihm, und sah in mit strafendem Blicke an. Es wuchs zu einem Riesen an und
rief dem am ganzen Leib zitternden Holzhauer mit schrecklicher Stimme die Worte zu: "Elender, so misbrauchst du meine Güte,
wohlan, so empfange deinen Lohn." Mit diesen Worten nahm der Gnome denselben, riß ihn in zwei Stücke, und warf dieselben in
das Feuer. Das Männlein verschwand. Des anderen Tages wurde des Holzhauers Abwesenheit bemerkt; man durchsuchte seine
Hütte, aber umsonst, man fand nichts von ihm. Man schickte in den Wald, da fand man wohl das Feuer, alleine von dem Holzhauer
selbst war nur die Asche seines verbrannten Körpers zu sehen. Die Bewohner begruben die Asche an demselben Platze und setzten
zum Andenken an die Begebenheit ein Kreuz auf jene Stelle, das ist noch heutzutage zu sehen und wird von den Bewohnern das
"Gnomenkreuz" genannt. (Mündlich.)
(Vernaleken, Theodor-Alpensagen. Volksüberlieferungen aus der Schweiz, aus Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich. Wien 1858, S.199-202)