Rechtsbräuche


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§. 14
5) Der Stein. Lästerstein. Klapperstein. Krötenstein. Schandstein. Pagstein.
Meierstein. Rabenstein. Staffelstein. Steingericht Staffelgericht.

Von Heinrich Zoepfl

   Als ein Recht des Dinghofherrn wird in den Weisthümern häufig in Verbindung mit dem Stock auch das Recht aufgeführt, einen Stein zu haben: jedoch findet sich dies nur bei den grösseren Dinghöfen, und unverkennbar ist damit eine höhere, d.h. weitergehende gerichtsherrliche Befugniss angedeutet, als in dem blossen Rechte, einen Stock zu haben, begriffen ist. Es sind nun aber zwei Klassen der Steine zu unterscheiden.

1) Der Lästerstein, Klapperstein, Krötenstein, Schandstein oder Pagstein, und
2) der Staffelstein, Meierstein, Malstein oder Rabenstein1).

Wo das Wort Stein in den Urkunden allein erscheint, mag es an sich als zweifelhaft erscheinen, ob die eine oder die andere Art von Steinen gemeint ist: vergleicht man aber die elsässischen Weisthümer mit einander, so kann wohl kein Zweifel darüber bleiben, dass in diesen durchgehends die zweite Klasse von Steinen, nämlich die Staffel-, Meier- oder Rabensteine gemeint sind, welche mit einer höheren Art von Gerichtsbarkeit zusammenhängen; selbstverständlich begriff aber dies auch das Recht, Steine der ersten Art, sog. Lastersteine u. dergl. zu haben, in sich.
   Der Lästerstein war ein schwerer Stein, welcher von den Personen, namentlich Frauenspersonen, welche sich Verläumdungen, Schmähungen und dergleichen ehrenrührige Schwätzereien erlaubt hatten, zur Strafe bei der öffentlichen Ausstellung am Pranger oder bei dem Herumführen um die Kirche oder durch die Strossen der Stadt oder des Ortes an einer Kette um den Hals getragen werden musste2), woraus sich auch seine Bezeichnung als Laster- oder Lästerstein3), Schandstein4) und Pagstein5) erklärt. Krötenstein ist wohl eine von dem Volkswitze aufgebrachte Bezeichnung, da man noch eine verläumderische Weibsperson als eine "giftige Kröte" zu bezeichnen pflegt. Der Lästerstein diente also demselben Zwecke, zu welchem man sich anderwärts der sog. Flasche, Butelsflasche (Flasche des Büttels, Gerichtsdieners) Fidel, Geige oder Pfeife bediente6).
   Obschon der Lästerstein im Elsass sehr üblich war7), so ist doch von ihm in den Dinghofsrechten nicht die Rede, sondern der Stein, welcher in diesen Rechtsquellen regelmässig in unmittelbarer Verbindung mit dem Stock erwähnt wird8), hat eine ganz andere Bedeutung. Diese hat schon Scherz (Glossar v. StaffelStein) annähernd richtig dahin angegeben: "locus in famis, per gradus aliquot elevatus, quo rei numellati exponuntur ludibrio populi: signum jurisdictionie criminalis". Demnach wäre der Stein ein erhöhter Ort, von Steinen aufgemauert, eine Art von Pranger oder Schrayat9), wo der Schandpfahl errichtet ist, an welchem die Verbrecher öffentlich ausgestellt zu werden pflegten. Es ist auch gewiss richtig, dass der Stein zu diesem Zweke dienen konnte und auch häufig gedient hat: allein es war dies nicht die einzige Bestimmung desselben, sondern er diente hauptsächlich als Platz für die öffentliche Hinrichtung zum Tode verurtheilter Verbrecher, sei es durch Köpfen oder Hängen, und somit war der Stein allerdings ein Anzeichen, dass dem Gutsherrn auch die Criminalgerichtsbarkeit - ein Blutbann - wenigstens in gewissen Fällen zustand, also ein Zeichen einer höheren Berechtigung und Gerichtsbarkeit, welche keineswegs allen Gutsherrn zukam.

   In gleichem Sinne gebraucht man noch heut zu Tage das Wort Rabenstein10), woran schon in der Lex salica die malbeigische Glosse "rabanal, rabanchal"11) anklingt. Dass unter dem Stein in den elsassischen Dinghofrechten eben dieser Rabenstein zu verstehen ist, ergibt sich als unzweifelhaft aus den Beziehungen, unter welchen er genannt wird. So z.B. sagt das Weisthum von Artolzheim v.J. 132012):
"und sol der hof stoc und stein han."
   Nachdem nun weitläufig erwähnt ist, wie ein eingegangener Dieb vorerst in den Stock gesetzt werden soll, bis der Vogt kommt, über ihn Gericht zu halten, so folgt hierauf die Bestimmung: dass der Abt "zwei holzer" und der Vogt "eines" zum Galgen geben soll, der also hier je im einzelnen Fall auf dem Stein aufgerichtet wird, und der Büttel soll das Seil dazu geben13). Nach dem Weisthum von Berse (saec. XIII) stehet der Stock (trun-cus, cyppus) super lapidem in cymeterio, et cum per eententiam damnati fuerint, praesentabuntur advocato pnniendi ferro vel aliis tonnentie, truncationem capitis vel suspensionem". Dass der Stein mitunter auf dem Kirchhofe errichtet wurde, hatte sicher seinen Grund nicht darin, dass sonach die Beerdigung der Hingerichteten leichter hätte vor sich gehen können, da man diesen regelmässig kein ehrliches und christliches Begräbniss gestattete; sondern der Grund hiervon ist darin zu suchen, dass die Kirchhöfe häufig auch zu den Gemeinde- und Gerichtsversammlungen benützt wurden14), wie sich dies hinsichtlich der Gemeindeversammlungen noch in vielen kleinen Gemeinden in Süddeutschland und in der Schweiz bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Dieser Gerichtsstein heißet daher auch "lapis sanguinis"14), und stand mitunter unmittelbar vor dem Gerichtshause oder der Amtswohnung des Richters15). An solche Blutsteine ist daher auch regelmässig zu denken, wenn, wie sehr häufig in Urkunden geschieht, die Abhaltung von Volks- Gerichts- oder Gemeindeversammlungen "bei dem Steine" ("ad lapidem") eines gewissen Ortes erwähnt wird. So z.B. sagt eine Urkunde v. 125516):

"acta sunt haec in plebiscito ad lapidem longum iuxta Buchelde"

   Eine andere Urkunde von 125517) verweiset auf das Gericht bei dem Steine unter einer Linde:

"Cum dominus comes ... apud lapidem in Naive, subtilia18)
apud Bermaringen . .. et apud lapidem apud Ringingen
celebiabit provincialia judicia".


   Auch in England bestand dieselbe Sitte. So z.B. berichtet eine Urkunde c.a. 103819):

"daet an sciregemot saet aet Aegelnodes stan be Cnutes daege"
d.h. dass ein Shyren-Gericht sass bei Aegelnod's Stein zu Zeiten des K. Kanut.

   Der Stein auf den Dinghöfen heisst auch der Meierstein, weil hier der Meier das Gericht oder Ding mit den Hübnern abhält. Hier worden auch die neuen Meier, und, wenn es nach der Verfassung des Dinghofe Schöffen gab, auch die neuen Schöffen vereidigt. Dies beschreibt z.B. das Weisthum von Hengweiler von 1584 c.220):

"Wann auch ein untermeier oder schöff von tode ablenge, soll ein dinkhofherr einen andern aus gemeinen hubern an des verstorbenen statt erwehlen. Der den also erwelt würde, derselbige sol dem stab gehorsam sein und altem brauch nach in beisein des untermeiers und aller schöffen bei dem meierstein einen leiblichen eid zu gott und allen seinen heiligen schweren, den dinghof bei seinen rechten und gerechtigkeiten hand zu haben" etc.

Staffelsteine heissen diese Gerichts- oder Blutsteine darum, weil sie einige Stufen oder Staffeln über der Fläche erhaben gebaut sind. Staflus, Staphlus, Stapplus, bezeichnet übrigens ursprünglich jede Art von hölzernem Gerüste oder Gebäude21) daher noch das Gerüste, worauf die Schiffe erbaut werden, Stappel heisst; schon sehr früh aber heisst so jedes Haus, wobei auch Holzwerk verwendet wird, und daher spricht auch schon die Lex Ripuaria XXXIII.l; LXXV.LXVII.5 vom "stapplus regis", in dem Sinne von palatium.
   In dem Weisthum von Ebersheimmünster v.J. 1320 werden sogar zwei Staffelsteine neben dem Stock erwähnt22): eine besondere Bedeutung dieser Sonderbarkeit ist aber nicht ersichtlich: möglich ist, dass der eine als Pranger, der andere als Richtstätte benutzt wurde.
   Eine Gerichtsbarkeit, welche den Gerichtsherrn berechtigt, einen Stein oder Staffelstein zu haben, d.h. über das Blut zu richten, heisst daher ein Steingericht, welches Wort sich z.B. in der ebersheimer Dinghofserneuerung v. 1612 §21 findet, oder auch ein Staffelgericht, wie z.B. das Gericht zu Weissenburg hiess23). Die Erklärung dieses Wortes bei Scherz, Glossar, voc. Staffelgericht, als "judicium, apud quod provocatio judicium graduale reddit" d.h. wobei stufenweiser Instanzenzug stattfindet, ist daher nicht richtig. Es handelt sich hier nicht um eine stufenweise Berufung, sondern um die stufenartige Erhöhung des Richtplatzes. Uebrigens ist dabei immerhin möglich, dass sich ein oder das andere Staffelgericht zu einem Oberhof ausgebildet und somit den Charakter eines Pfalz-oder Salgerichtes im engeren Sinne (staplus regis sive domini) angenommen hatte, und daher von anderen Dinghöfen Berufungen dahin gelangen konnten24).
   Gleichbedeutend mit dem Rechte, einen Stein, Steingericht oder Staffelgericht zu haben, ist das Recht einen Galgen zu haben, welcher auch mitunter anstatt des Steines erwähnt wird, z.B. in dem "Weisthum von Marlei v.J. 133825). Eben so verlieh K. Friedrich m.i.J. 1450 den Herren von Bibra auf ihrem Gute zu Walbach die peinliche Gerichtsbarkeit mit der Formel: "das Kecht, ein Halsgericht, Stock und Galgen aufzurichten"26), was um so weniger befremden kann, als, wie oben gezeigt wurde, das Recht einen Stein zu haben, das Recht einen Galgen zu haben, in sich, schloss27). Mitunter wird auch in gleichem Sinne kurzweg das Recht eine Gerichtsstätte oder Richtstätte aufzurichten, erwähnt, so z.B. in dem Weisthum von Molkirch, v.J. 154828).

Anmerkungen:
1) Nach der hier gemachten und begründeten Unterscheidung ist zu modificiren, was ich in meiner deutschen Rechtsgeschichte, 3. Aufl. 1858. p.441. Note 41 über das Steingericht angeführt habe.
2) 2) Vergl J. Grimm, Rechtsalterthümer p, 720. - A. Stöber, im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit, 1857. Nr.3. p.86 flg.; Nr.4. p.119; Nr.5. p.155; J. Zahn , ebendas., 1858. Nr.4. p.86; Michelet , origines du droit fruncais p.384 flg. ("porter la pierre") .
3) Laster: bezeichnet sowohl jede Uebelthat überhaupt, vergl. den regensburger Landfrieden K. Rudolph's I. a.1281. c.6 u. 7., bei Pertz, Legg. II. pag.427, als auch insbesondere jede üble Nachrede, in welchem letzteren Sinne sich noch die Worte "Lästern, Lästerung" erhalten haben.
4) Schänden: wird jetzt noch provinziell (fränkisch) für schimpfen oder schelten gebraucht.
5) Pagstein: Mühldorfer Stadtrecht (saec. XIII.) im Auszug mitgetheilt v. Gengler, im Anzeiger f. Kunde der deutschen Vorzeit, 1858. Nr.9. p.297) c.25: "Wie man den pagstain tragen soll". "Pagen mit Worten" (ebendas.) bedeutet lästern, schimpfen oder schelten. Gengler hat ebendas. auch das Vorkommen des Pagsteintaragens in Oesterreich nachgewiesen.
6) Vergl. die Notiz Über die doppelte Geige in Rothwiel, unten Nr.XVI.
7) Vergl. die in. Note 2 angeführten Schriften.
8) Z.B. Weisth, v. Ebersheim-Münster z. 1320, bei J.Grimm, Weisth. I. p 669. "zwa der abt hat ... stock und stein in den dorferen". - Weisth. v. Grussenheim, a.1320, ebendas. L 673; u.s.w. 9) Schrai, Schraiat (= Schrägen) heisst das von Balken und Brettern errichtete Gerüste, das als Pranger dient; auch der Schandpfahl selbst Vergl. Passauer Stadtr. a.1300 in Monum. Boic. Bd.28. Abth.II. p.512. "(einen bei der schraiat anschlagen". - Mühldorfer Stadtrecht (saec. XIII) im Anzeiger f. Kunde der deutschen Vorzeit, 1858 Nr.10, c.64. "(den died) an die schray binden mit schlagen".
10) So stehet noch ein solcher Rabenstein mit diesem Namen auf einem freien Platze vor der Stadt Bamberg; eben so auf einer Anhöhe vor Würzburg.
11) Lex. Sal. Herold. XLIV. 10. "Siquis capnt de homine, quod inimici sui in pa lum miserunt (d.h. auf den Pfahl, an die Schreiat gesteckt haben), sine voluntate alierius deposuerit. (MALB. rabanal). - Rabanal scheint verdorben aus rab-banchal zu sein; banchal, ist Bank, = staplus; ein gezimmertes Gerüste. - In anderer (sehr gesuchter) Weise sucht dieses Wort zu erklären: J. Grimm, über die malberg. Glosse, bei Merkel, Lex Salica, Vorrede p. LII.
12) Bei J. Grimm, Weisth. I.p.698. lin.36 flg.
13) Ebendas. I. p.694. lin.1 flg.
14) Vergl. S.W. Oetter, Erläuterung einer merkwürdigen Urkunde v.J. 1290. Schwabach, 1761. p.13 flg.
15) Urk. a. 1252. Mon. Boica Bd.XXIX. Abth.II. Kr.XLIL "ante cujus consulis palatium lapis sanguinig iacet".
16) Urk. T. 1255, in Gudenus, cod. diplom. Tom. IV, p.886.
17) Urk. a. 1255, bei v. Senckenberg, select. jur. et histor. Bd. n.p.264.
18) tilia. Das Halten des Gerichtes unter einer Linde wird sehr häufig, besonders in süddeutschen Urkunden erwähnt. So z.B.: richtet der Hofmann unter der Linde zu Zellenwillre über Todachlag: vergl. die Freiheit des Schiffgrabens, im Elsass, bei J. Grimm, Weisth.I. 691. lin.25; den Dinghof zu Mölkirch soll man "besitzen" unter der Linde; ebendas. L 695; eben so du Vogtding zu Hornau und Kelchheim; ebendas. I. 562. lin.41; 563. lin.37. u.s.w. - An anderen Orten hielt man das Gericht unter Eichen oder Tannen; Beispiele siehe bei Oetter, a.a.O. (Note 14) p.S.14.
19) J. Kemble, Cod. dipl. sevi saxon. Bd. IV. p.54. Nr.755.
20) J. Grimm, Weisth.I. 745. 746.21)
21) Vergl. Du Cange, v. Staplus.
22) J. Grimm, Weisth.I. 667. lin.36. "und sol dirre (dieser) hof haben zweine staffelsteine unde einen stock".
23) Vergl. Ueber die Jurisdiction des Staffelgerichtes zu Weißsenburg: Ch.G. Buder, Symmicta observation. Jenae, 1756. p.117 u. flg.
24) Vergl. oben §11. Note 52 u. flg.
25) J. Grimm, Weisth.I. 726. lin.34.
26) Urk. a. 1450, bei v. Schultes, histor. Schriften Abth.II. p.384-386. Nr.LVI. und hier unten Beilage G. zur Erörterung Nr.X.
27) Siehe die in Note 12 und 13 angefahrten Weisthümer von Artolzheim und Berse.
28) Molkirch: J. Grimm, Weisth.I. 695, lin.12. "der aker zu gerüte, da sol die gerichtstat uf stan".

(Auszug aus: Zoepfl, Heinrich - Alterthümer des deutschen Reichs und Rechts. (Erster Band), Leipzig & Heidelberg 1860, S.58-63)

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