Volksaberglaube & Brauchtum


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Das Achtzehende Capitel/ von der Armenseul/irem Ursprung/wie die von den Sachsen vor einen Gott verehret/von Carolo Magno zerbrochen/ und wie endtlich die Seul/in den Thum zu Hildesheim kommen sey
Von Johann Letzner

"So baldt haben die heidnischen Sachsen/ das Bildnis sich zum Gott eingebildet/ und das es würde der Armen seul/ trost und schutz sein. So ist auch dahin auß allen umbliegenden Landen ein grosser Zulauff wurden/ und die so dahin kommen/ haben dem Götzen/ bald Silber und Gold geopffert. Man hat endtlich uber diesem Götzen eine[n] sunderlichen Tempel gebawet/ und auch heidnische Priester dabey verordenet.
Es hat aber mit dem Bildnis der Armenseul/ die gestalt auff einer gantz schönen und zierlichen Marmolseul/ hat ein Bildtnis eines geharnischeten Kreigesmannes/ gestanden/ in mannigerley art Rosen und Blumen/ der hat ein Schwerdt an seiner Seite hangend/ und einen Hanen auff seinem Haupt fürend.
In der rechten Hand aber füret er eine Fahne/ darin eine Rose gestanden/ unnd in der linckern Hand eine Wage. Auff der blossen Brust einen gemaleten Beren/ darunter ein Schild mit einem Lawen/ uber dem Lawen im Schilde/ eine Wage/ unnd unter dem Lawen eine Rose.
Dieses ist das Bildnis der Armenseul/ welchs in Monte Martis zu Marsburg oder Eresburg/ jtzt Stadt Berge genandt/ auff der Marmol Seul gestanden/ dem Arminio zu Ehren gesetzt/ aber von den heidnischen Sachsen zum Gott gemachet wurden.
Erstlich aber/ das dieses Bilde gewapnet un[d] mit Harnisch angethan gewesen /bedeut/das man dasselbe Bilde vor einen Gott des Kreiges gehalten/ daher auch derselbe orth da es gestanden Marßburg genandt wurden/ dann Mars ist ein Planet des Kreiges/ worauß die Heiden einen Gott gemachet/ und denselben umb Sieg und Glück angeruffen."
"Als nun Carolus Magnus Anno Christi 772. Indict 10. Die Sachsen bey Osenburgk erlegt und geschlagen/ hat er diesen Götzen zerbrochen unnd hernider geworffen.
Und weil er vermerckt/ das sie die Seul ja so heilig achteten als das Bild/ hat er bey nachtschlaffender zeit/ und in aller geheim/ die Seul biß an die Weser führen und bringen lassen/ und an den ort da jtzund das Keiserliche frey stifft Corbei stehet begraben lassen. Der Meinung wann sie ersten den leuten auß den augen keme/ würde sie auch dem Hertzen bald entfallen.
Nach Caroli Magnus absterben aber/ unnd als sein Sohn Lodowicus Pius/ Römischer Keyser wurden/ das Closter Corbei unnd das Stifft Hildesheim gestifftet/ und die Seul zu Corbei ungefehrlich gefunden würden/ hat sie Lodowicus Pius/ damit dadurch die Sachsen deß orts nicht widerumb mochten erreget werden/ gen Hildesheim in das newe Stifft führen und bringen lassen/ wie Conradus Fontanus monachus schreibt.
Nun kündt gleichwol dieses so heimlich nich verrichtet werden/ die Westvalen würden dessen gewahr/ versammelten sich/ unnd wurden der sachsen miteinander einig/ der Armenseul zu folgen/ unnd die wider uber die Weser zu bringen.
Nun sind sie gantz grimmiglich und ernstlich/ dem Wagen biß in die Graffschaft Wintzenburgk gefolget/ und an dem ort da jetzundt das Dorff Armenseul stehet/ an den Wagen komen/ denselben mit ernst angeffallen/ der meinung/ der Seul worauff ihr Gott gestanden/ mechtig zu werden.
Da gegen die andern/ so bey den Wagen verordenet sich tapffer gewehret/ und manhafftig vor die Seul gestritten/ also das daselbst in so geringem Scharmützel/ umb eines todten steins wille[n] acht man von beiden theilen todt liggende blieben sindt.
Die Keiserschen aber haben den Platz behalten/ und die Marmelseul zu Hildesheim in den Thum bracht. Man hat aber zum Gedechtnis den ort/ da das Scharmützel gehalten/ Armenseul genandt/ auch dahin etzliche Leichstein gesetzt und auffgericht/ so ist auch nach zeiten ein Claus mit einer Capell dahin gebawet/ die man gleichfals Armenseul genandt hat.
Endtlich ist dabey ein Dorff wurden/ dabey die Junckern von Stockheim erstlich von den Graffen von der Wintzenburgk/ darnach vom Bischoff zu Hildesheim etzliche Güter in Lehnschafft gehabt/ unnd noch jtzundt von den Fürsten von Brunschwig in Lehnschafft haben....
Man soll zu Corbei/ bey der Armenseul/ sonst noch einen Stein gefunden haben/ darauff folgend Schrifft gestanden.
Dux ego gentis Saxonum, Victoriam certam polliceor me venerantibus.
Das ist/
Ich bin der Sachsen führer/ sage zu gewissen Sieg/ denen die mich ehren.
Als man nun die fürbemelte Armen unnd Marmolseul gen Hildesheim bracht/ hat man die vor den hohen Chor/ hinder dem Altar Omnium sanctorum mit folgender Schrifft auffgericht.
Sic fructus vestri vestro sint Gloria patri
Ne dam nent tenebrae quod fecerit actio vitae luncta fides operi, sit (fit?) Lux super addita luci.
Es werden auff dieser viel bemelten Seul/ zu gewissen zeiten im Jahr/ etzliche Lichter/ wie es anfenglich verordnet gebrennet.
So wird auch noch alle Jahr/ daselbst zu Hildesheim/ Sonabends nach Laetare/ vielbemelter Armen Seul (weil sie vielleicht am selben tage dahin mag komen sein) eine Memoria auff dem kleinen Thumhoffe/ folgender gestalt gehalten.
Am selben tage (wie jtzt vermeldet) kömpt dahin ein Bawresman/ sonderlich dazu deputirt und bestellet/ unnd bringet mit sich zwey Höltzer/ jglichs eines Klaffters lang daneben zwey zugesitzte Höltzer/ in form und gestalt eines kiegels zugericht.
Die beiden grossen Höltzer aber/ setzt er gegen einander in die Erden/ unnd die kleinen gespitzeten Höltzer oder Kiegel darauff. Baldt unnd in der eil/ versammeln sich dahin allerley Buben und jung ‚Gesindlein/ werffen mit steinen und Stocken/ damit die zugespitzten Höltzer oder Kiegel (wodurch die Heidnischen oder Teufflischen Götzen gemeinet unnd verstanden) herab geworffen werden/ Baldt sind andere da/ denen dieses Spiel so wol gesellig ist/ und setzen die gespitzten Höltzer wieder auff/ unnd so fort/ Wie dann auch die Sachsen ihre abgeschaffete und nidergeworffene Götzen/ vielmals wieder auffgerichtet.
Also wird daselbst alle Jahr auff benandten tag/ der Armen Seul gedechtnis gehalten."
(Letzner, Johann - Historia Caroli Magni. Hildesheim, Hantzsch 1602)
Anmerkung: In Niedersachsen gibt es einen Ort der Irmenseul heißt. Dem Bericht von 1602 nach, weil der Transport mit der Irminsäul (von Corvey nach Hildesheim) dort langgekommen ist. Die alten Sachsen hätten hier versucht, die Säule, die Karl der Große gestürzt hatte, zurück zu bekommen, und ein Scharmützel deswegen veranstaltet.

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