Volksaberglaube & Brauchtum |
Zunächst gedachte er der Bedeutung dieser Stadt und ihrer Umgebung für die vorgeschichtliche Forschung und erwähnte
besonders die Erzeugnisse prähistorischer Töpferei, jene bemalten Gefässe, die nur in einem eng begrenzten Theile unserer Provinz hergestellt wurden. Sodann ging er,
unter Hinweis auf den am Morgen der katholischen Kirche abgestatteten Besuch, auf die an den Mauern dieses Gotteshauses bemerkbaren Näpfchen und Rillen
näher ein. Jene werden auch Rundmarken oder Grübchen, diese Schwedenhiebe genannt. Die Frage, wie diese Vertiefungen entstanden sind und welchen Zwecken
sie gedient haben, hat bereits seit Jahren die Forschung beschäftigt und eine umfangreiche Litteratur in's Leben gerufen. Diese Näpfchen und Rillen werden nur an
solchen Kirchen gefunden, die vor dem 16.Jahrhundert erbaut sind, und zwar vornehmlich auf der West- und der Südseite und gewöhnlich nur an einer Seite des
Hauptportals in gleicher Höhe. Die Bunzlauer Kirche macht allerdings davon eine Ausnahme, denn hier finden sich die Rillen und Gruben an sämmtlichen Seiten, etwa
in Manneshöhe. Eine befriedigende Erklärung dieser Vertiefungen ist bisher noch nicht gegeben worden. Der Vortragende führte nicht weniger als zwölf
Deutungsversuche an. So hat man geglaubt, die Näpfe seien Kugelspuren; doch dem widerspricht die häufig durchaus regelmässige Anordnung derselben. Dann hielt
man sie, ebenfalls durchaus unzutreffend, für Erzeugnisse eines Kinderspiels, des noch heute beliebten "Titschens" mit metallenen Marken, oder für Marken von
Ziegelstreichern; die letzterwähnte Annahme wird schon dadurch hinfällig, dass sich jene Zeichen, wie grade in Bunzlau, auch an Steinmauern finden. Ferner wurden
sie für Marktstandszeichen erklärt, doch kommen sie nicht blos in Städten, sondern auch in Dörfern, die doch keine Marktgerechtigkeit besassen, vor. Auch die
Vermuthung, dass es Erkennungszeichen für Maurer aus fremden Bauhütten des Mittelalters seien, läset sich nicht halten. Ausserdem bat man die Näpfchen mit
dem Aberglauben in Verbindung gebracht. Alles, was mit der Kirche zusammenhängt, ruft in der Volksseele wunderbare Gefühle hervor, als wenn eine übernatürliche
Macht in der Kirche walte. Man hat daher angenommen, dass die Näpfchen gemacht worden seien, um das Fieber in die Kirche zu blasen, oder dass man
Krankheitsträger hineingeklebt habe in das Innere der Kirche, die ein Feind alles Bösen sei, oder endlich, dass man durch diese Vertiefungen die Kinder, die vor der
Taufe gestorben waren, der Kirche "angesagt" habe, um dadurch die Nothtaufe zu ersetzen. In manchen Gegenden werden die Löcher, die durch drehende Bewegungen
des Daumens eingerieben worden sein sollen, dahin gedeutet, dass mit einer Kirchenbusse belastete Personen sie zum Zeugniss der vollzogenen Busse an der
Mauer des Gotteshauses hinterlassen haben. Eine weitere Erklärung nimmt auf die sogenannten Seuchenfeuer Bezug, die zur Vertreibung von Seuchen dienen sollten.
Für diesen Zweck musste das Feuer möglichst rein sein, und deshalb wurde es an der Kirche angerieben, wodurch die Näpfchen entstanden sein sollen. Schliesslich
behauptet man, die Näpfchen hätten zur Befestigung von Lichtern gedient oder sie seien erzeugt worden durch das Anreiben von Feuer für die bei Processionen
gebrauchten Kerzen. Die Rillen sollen durch Wetzen entstanden sein. Wie es alte Volkssitte war, einen neuen Rock zum ersten Male bei einem Gange zur Kirche zu
tragen, so wurden Messer, Sensen u.s.w. das erste Mal an der Kirchenwand oder sonstigen geweihten Gegenständen geschliffen. So stand noch 1650 in Forst i.L.
ein Steinkreuz, das schliesslich zusammenbrach, weil die Leute durch das Wetzen ihrer Werkzeuge den unteren Theil des Stammes durchgeschliffen hatten. Die
Rillen können jedoch nicht auf diese Weise entstanden sein, da sie sich mitten in der Mauer befinden. Der Redner legte an einzelnen, sehr interessanten Beispielen
dar, dass sich diese Näpfe und Rillen fast in allen Gegenden und zwar bis in die frühesten vorgeschichtlichen Zeiten hinein finden. So auf den noch heute Tom Volke
zu heimlichen Opfern benutzten Druiden- oder Elfensteinen Skandinaviens, an der bekannten schwarzen Säule in Cordova, auf den megalitischen Monumenten
Grossbritanniens und in der Bretagne, im Kaukasus, in Indien und in Aegypten, wo die Fellahweiber noch jetzt, um männliche Nachkommenschaft zu erzielen, mit
einem Stein auf der Tempelwand reiben und jenen dann rückwärts über die rechte Schulter werfen. Das Salben der Steine bei Gelübden, das auch gegenwärtig noch
in Schweden vorkommt, wo die Näpfchen mit Fett ausgeschmiert oder mit Bändern und Püppchen gefüllt werden, um die Elfen günstig zu stimmen, wird bereits im
ersten Buch Mosis mehrmals erwähnt. Das Werk von Désor: "Les pierres á écuelles" enthält eine Zusammenstellung der in der Schweiz, in
Deutschland, Skandinavien und England auf Geschiebeblöcken und Felsen entdeckten Näpfchen. Ein besonderes Interesse haben dieselben dadurch gewonnen, dass
kürzlich ein Herr Rivett Carnac sie nicht nur auf Geschieben in Indien bei Nagpore und Chandeshwar in den Gebirgen von Kamaon aufgefunden hat, wo sie Mahadeo
heissen, sondern auch an den Felswänden der erwähnten Gebirge von Kamaon, zwölf englische Meilen von der Militairstation Ranikhaet. Man gelangt dahin durch eine
enge Schlucht, an deren Eingang sich ein Tempel des Mahadeo befindet, bei dem die Pilger, welche zu dem berühmten Heiligthum von Midranath sich begeben, Halt
zu machen pflegen. Etwa 150 Meter vom Tempel entfernt sind die Felswände mit Reihen von Näpfchen bedeckt. Der alte buddhistische Priester wusste über ihre
Entstehung und Bedeutung nichts. Er hielt sie für Werke der Riesen oder der Hirten. Zum Schluss bat Geh. Rath Grempler
die Anwesenden, falls einer von ihnen irgendwo Näpfchen und Rillen entdecke, ihm davon Mittheilung zu machen und auch bei alten Leuten über etwaige Sagen und
Gebräuche, die sich an jene Zeichen knüpfen, Nachfrage zu halten.
(Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur. Enthält den Generalbericht über die Arbeiten und Veränderungen der Gesellschaft im Jahre 1893, S.53-55)