Näpfchen und künstliche Löcher an Steinkreuzen usw.
Wo mehrere Näpfchen vorhanden sind, zeigen sie oft absichtliche Anordnung, so an der vorderen Fläche des Steinkreuzes auf dem Schloßplatz zu Meißen (Ss.)
; 5300m östl. von Griesen, 1000m nordwestlich von Untergrainau (alle Garmisch Obb.)
ist die Loisachbrücke der Straße Garmisch-Griesen; etwa 100m östlich der Brücke, nördlich an der Loisach Kalksteinkreuz mit
Näpfchen ebenfalls an der Vorderseite. Je drei Näpfchen auf der
obern Seite des rechten u. linken Querarmes beim Steinkreuz in Schwabmünchen (Schw.) . Kein
Steinkreuz, sondern Granitstein in Form eines Grenzsteines in Scheibelsgrub (Mitterfels Ndb.) .
Lediglich ein ausgeschabtes Loch:
An der Straße von Scharenstetten (Blaubeuren WT.) nach Temmenhausen (dgl.) Steinkreuz mit einem durch Schabung in der
Flachseite entstandenen Loch, das (also wagrecht) durch die ganze Tiefe des Steins hindurchgeht, im untern Längsbalken. Die
Schabungen zeigen Spuren frischer Tätigkeit, wie auch der Flurschütze bestätigt.
Bei der Kapelle am Klassenharthof (660m nordnordwestlich Straß (Neuulm Schw.) Steinkreuz, um 1543 gesetzt wegen Totschlag
als Sühnekreuz; Löcher 0,09 - 0,18m tief, Stein durchlöchert.
Romanischer Kirchturm zu Pötzmes (Mainburg Ndb.). In Mannshöhe zwischen Quadern härteren Gesteins ein Sandsteinquader
und in diesem ein rund 0,10m tiefes u. 0,05m breites Loch, das durch Schaben u. Bohren entstand (kein Zangenloch).
(Deutsche Gaue, Band 29 von 1928, S.18-19)
[...] Bei Platz (Böhm. Erzgebirge) befindet sich ein Denkstein. Dort sollen sich der Sage nach vor mehr als 150 Jahren zwei
Handwerksburschen gegenseitig erstochen haben. Wenn nun Leute aus dem Gebirge an diesem Stein vorübergehen, so legen sie
ein Steinchen, das sie vom Wege aufgehoben, auf den Denkstein, nehmen es auf dem Rückwege wieder weg und werfen es auf den
Weg. Durch das Hineinlegen und Wegnehmen der Steinchen ist im Denkstein schon eine ziehmliche Aushölung entstanden [...]
(Sieber, Friedrich - Der "Tote Mann" in den beiden Lausitzen und den Nachbarlandschaften, 1930)
[...] Diese künstlich angebrachten Vertiefungen auf Steinkreuzen und anderen Kultmalen - oft ganz durchstoßen oder nur angedeutet - sollen nach alter Tradition
Seelenlöcher darstellen. Nach dem Glauben des Volkes sollte die Seele des Erschlagenen dadurch "frei" werden. Steinkreuze mit Seelenlöchern sind vor allem aus
Norwegen überliefert. In der Schweiz ist ein Seelenloch an einem sog. "Galgenstein" erhalten, durch das nach dem Volksglauben die Seele des Erhängten in den Boden
fuhr.
(Schmeissner, Rainer H. - Schweizer Rechtsdenkmäler, 1980, Steinkreuzforschung Nr.1, S.30)
[...] Wenn man sich vorstellt, daß nicht die Rille, sondern die Handlung, die zu der Rille geführt hat, das Wetzen
also, den Schutz gewährte, dann ist es so, als ob man dadurch hinter sich die Tür zumacht und Dämonen wie Naturgeister aussperrt.
Daß nun diese Artefakte, Rillen und Näpfe, besonders häufig an Kirchen vorkommen, ist nicht verwunderlich. Gerade dort waren Geister und Dämonen
unwillkommen und gerade dort durfte man sie nicht "einschleppen".
Die Schleifrillen waren die kirchlichen "Seuchenmatten" des Mittelalters, und jeder Kirchgänger reinigte sich vor dem Betreten des Sanktuariums.
So mag es vielerorts gewesen sein. Besonders dort, wo sich das heidnische Brauchtum als zäh erwies, war ein Prophylakticum nötig. Es war an Kirchen eine
hygienische Maßnahme, Psychohygiene sozusagen. [...]
In ihrer Funktion erinnern die Schleifrillen an die "Durchkriechsteine", an denen man Sünden und Krankheiten abstreifen konnte. Ein sehr bekannter Durchkriechstein
ist die "Heidenkirche" am Speicher Moosboden vom Kraftwerk Kaprun im Tiroler Pinzgau. Wer durch den Felsspalt kommt, läßt dort angeblich seine Krankheiten zurück.
Damit sind wahrscheinlich nicht Pocken oder Krätze gemeint, sondern die Krankheiten, die "sicher" von der Besessenheit herrühren: man streift und schleift sie ab, wie
man es nach meinem Dafürhalten auch mit Hilfe der Schleifrillen getan hat. [...]
Die volkskundliche Literatur hat es wahrscheinlich gemacht, daß diese seit dem 13.Jh. nachweisbaren Näpfchensteine in einem engen Zusammenhang mit
Totenbräuchen stehen. In diese Näpfchen wurde Öl gegossen, dieses mittels eines Dochtes entzündet und abgebrannt. Derlei Totenlichter hielten an Sonn- und
Feiertagen ... das Andenken an den Verstorbenen wach.
Das trifft natürlich nur auf die dazu geeigneten Steine zu. Die Näpfe an senkrechten Kirchenwänden können diesen Zweck nicht gehabt haben und dürften damit
auch nicht dem Andenken gedient haben.
Wenn wir annehmen, daß es sich auch bei diesen Artefakten um Apotropäen handelt, dann ergibt sich eine einfache Erklärung: Um die Kirchen, besonders um ihre
Ostseite (Chor und Apsis), lagen früher immer die danach "Kirchhof" genannten Friedhöfe. Dort spielte sich nach mittelalterlichen Vorstellungen nachts ein Totentanz
ab, an dem die Verstorbenen ganz allgemein, aber auch als "Wiedergänger" sowie andere Dämonen und Gespenster teilnahmen. Dieses Treiben war an bestimmten
Tagen ganz besonders stark, so um Johannis und Weihnachten, auch zu Allerseelen, wo mitternächtlich vom verstorbenen Pfarrer für die Geister ein Gottesdienst
abgehalten wurde. Außerdem gingen alle Selbstmörder, Meineidige, Wucherer und Geizige um, teils in menschlicher Gestalt, teils als Irrlichter, feurige Hunde, Kröten
und ähnliches.
Mit verschiedenen Apotropäen kann man solche Gespenster vertreiben, auch mit Licht, denn sie sind Wesen der Dunkelheit. Die katholischen Allerseelenlichter
beruhen darauf und sind ein letzter Rest dieser Vorstellungswelt.
(Kögler, Artur - Das Böse und seine Abwhr - Über Rillen- und Näpfchensteine als apotropäische Objekte, in: Archäologie in Sachsen-Anhalt, Heft 2, 2004, S.118-125)