Deutschland Sachsen-Anhalt Saalkreis

Neutz-Lettewitz


Blick zum Standort

Abbildung bei
Fieber / Schmitt
(1994)

Zeichnung bei
Schönermark (1886)

PLZ: 06198

GPS:

Standort:

Größe / Material: 73:38:?

Geschichte: Am Standort befindet sich ein Duplikat des Näpfchensteins. Auf der Erläuterungstafel ist zu lesen:
Der Näpfchenstein von Neutz besteht aus einer 73cm langen und 38cm breiten rechteckigen Steinplatte, auf der 15 schalenförmige Vertiefungen in drei Reihen angeordnet sind. Solche Steine sind seit dem 13.Jh. nachgewiesen und stehen mit dem Totenkult in Verbindung. In die Schälchen wurde nach Art der Lampen Öl gegossen, darin ein Docht eingetaucht und entzündet. Derartige Lichter brannten zum Gedenken an die Toten und deren Seelen, weshalb sie Totenlichter oder Seelenlichter und die Steine Ölsteine, Lichter- oder Leuchtersteine genannt wurden.
Inwieweit sich durch den mittelalterlichen Brauch Rückschlüsse auf die urgeschichtlichen Näpfchensteine ergeben, bleibt unklar. Auch diese spielten eine Rolle im kultischen Leben der Menschen, wie beispielsweise die Verbindung mit Großsteingräbern zu erkennen gibt. In der Vorgeschichte wurden meist Findlinge für die Einarbeitung von schälchenförmigen Vertiefungen verwendet, die auf der natürlichen Steinoberfläche regellos verstreut liegen.
Der Neutzer Näpfchenstein ist mit einer Sage verbunden, die im Neutzer Kirchenbuch geschrieben stand:
Als Bauarbeiter beim Bau der Dorfkirche im Jahre 1305 auf ein brütendes Basiliskenweibchen stießen, tötete das drachenartige Ungeheuer mehrere Arbeiter durch seinen giftigen Atem. Auch der Pfarrer, der das Tier beschwören wollte, erlitt durch den Gifthauch den Tod. Erst einem Krieger gelang es, dem Basilisken einen Spiegel vorzuhalten. In der Annahme, es handele sich um einen fremden Artgenossen, biß dieser in den Spiegel und verletzte sich dabei so schwer, daß das geschwächte Tier anschließend von den herbei eilenden Bauern mit Knüppeln erschlagen werden konnte.
Auf dieses Ereignis bezieht sich eine verwitterte Inschrift in der Südwand des Altarraumes: "basilisci afflatu necatus" (durch den Anhauch eines Basilisken getötet). Zudem soll im Altarraum ein Stein mit dem Bild des Basilisken eingemauert gewesen sein.
Der Sage nach hätten die Eier des Basilisken in den Schälchen des Steines gelegen.

[...] Aufgrund der starken Verwitterung wurde der Näpfchenstein in das Innere der Kirche verbracht. Am Kirchenportal befindet sich jetzt ein detailgetreues Replikat. (Wernhöner / Schwarz 2006)

In einer im Jahre 1986 erschienenen Zusammenstellung der oberirdisch sichtbaren archäologischen Denkmale des Bezirkes Halle wird auch ein Näpfchenstein in Neutz (Saalkreis) erwähnt (Schröter 1986). Dieser Näpfchenstein befindet sich als eine in Fußbodenhöhe senkrecht eingemauerte Sandsteinplatte direkt östlich des Eingangsportales der romanischen Dorfkirche. Die Platte (Länge 73cm; Höhe 38cm) besitzt fünfzehn sehr regelmäßig angeordnete Vertiefungen, die mit Näpfchen bzw. Schälchen (Durchmesser 6-7cm; Tiefe 4-4,5cm) vergleichbar sind und für diesen Stein namengebend wurden.
   Der Neutzer Stein mit seiner volkskundlich relevanten Überlieferung und seiner bis heute unklaren Zweckbestimmung war Anlaß, das Problem der Näpfchen- bzw. Schalensteine aufzugreifen. (Beide Termini werden in der Literatur parallel verwandt.)
   Die bis in die Mitte des 16.Jh. zurückzuverfolgende Überlieferung zum Neutzer Stein besagt, daß beim Bau der Dorfkirche Bauarbeiter auf ein brütendes Basiliskenweibchen, das seine Eier in die fünfzehn Näpfchen gelegt hatte, stießen. Der giftige Atem des Tieres tötete daraufhin die Arbeiter. Erst durch einen Spiegelzauber konnten der Basilisk überwältigt und der Kirchenbau fortgeführt werden (Schönermark 1886 mit Wiedergabe eines Gedichtes vom Ende des 16.Jh.; Schultze-Gallera 1914; Größler 1880/1991). In der Chronik des Saalkreises (Dreyhaupt 1755) heißt es: Die Kirche in Neutz "soll 1305 erbauet, und als man zum Fundament gegraben, ein Basilisc gefunden worden seyn, der 3 Männer getödtet, und 15 Eyer unter sich gehabt, welchen man durch Vorhaltung eines Spiegels getödtet, welcher Fabel zum Andencken der Basilisc mit dem Spiegel und Eyern nebst bey gesetzten lateinischen Versen in der Kirchen in Stein gehauen ist".
   An dieses Ereignis erinnern noch heute die Wetterfahne auf dem Kirchendach und das alte Dorf Siegel. (Freundliche Auskünfte von Herrn Winecke, Neutz, und Herrn Pfarrer Schuster, Wettin.)
   Die Entstehung dieser sagenhaften Überlieferung setzt ohne Zweifel die Existenz des Näpfchensteines voraus. Der als Relief nicht erhaltene Basilisk ist ein Fabelmischwesen aus Hahn und Schlange und bereits im Alten Testament überliefert. Insbesondere in der mittelalterlichen Kunst-Buchmalerei, Elfenbeinschnitzerei und Bauplastik (Gernrode, Paulinzella. Hamersleben) - ist er häufig anzutreffen (Sachs / Badstübner / Neumann 1980; Wehrhahn-Stauch 1990). Bereits in spätromanischer Zeit wurde der Basilisk durch den Drachen weitgehend verdrängt. Nur so wird verständlich, daß der Drache in der volkskundlichen, künstlerischen und religiösen Überlieferung des Spätmittelalters dominiert.
   Die Basiliskentradition in Neutz ist als eine in Mitteldeutschland singulare Erscheinung sehr bemerkenswert. Zur Interpretation der ursprünglichen Funktion und zeitlichen Einordnung dieses Steines muß überregionales Vergleichsmaterial hinzugezogen werden. Zur großen Überraschung fanden sich in der Literatur zahlreiche sorgfältig beschriebene und analysierte gleichartige Steine in Kärnten, Süddeutschland und Schweden (Nilsson 1866; Friedhof-Forschung 1925; Huber 1978; Fähnrich 1991). Die in diesen Regionen erhalten gebliebenen Näpfchensteine sind als rechteckige, quadratische, runde oder halbkreisförmige Steinplatten mit unterschiedlicher Näpfchenanzahl ausgebildet. Die vorliegenden Angaben zu etwa dreißig verschiedenen Steinen schwanken zwischen vier und achtzehn Eintiefungen.
   Die volkskundliche Literatur hat es wahrscheinlich gemacht, daß diese seit dem 13.Jh. nachweisbaren Näpfchensteine in einem engen Zusammenhang mit Totenbräuchen stehen. In diese Näpfchen wurde Öl gegossen, dieses mittels eines Dochtes entzündet und abgebrannt. Derlei Totenlichter hielten an Sonn- und Feiertagen - wovon es im Mittelalter sehr viele gab (insbesondere Allerheiligen, Allerseelen, Sterbetag) - das Andenken an den Verstorbenen wach. Auf diese Weise wurde noch zu Beginn unseres Jahrhunderts in katholischen Landstrichen der Verstorbenen in Kirchen und auf Friedhöfen gedacht. Neben dem Totengedenken wurden diese Lichter auch als Opfer der noch Lebenden für die armen Seelen verstanden.
   Die vielfältigen Bezeichnungen dieser Steine beschreiben ihre eindeutige Funktion und markieren somit den jüngsten Zeitpunkt für ihre Verwendung: Sie heißen in den Quellen Lichterstein, Leuchtstein, Ölstein, Totenlicht, Seelenlicht.
   Die an dieser Stelle nur sehr gedrängt mitgeteilten Vergleichsbeispiele gestatten es, den Neutzer Näpfchenstein als ein mittelalterliches Kultgerät, als "Seelgerät" aus katholischer, vorreformatorischer Zeit anzusprechen. Neutz, in vorreformatori-scher Zeit zum Archidiakonat Halle gehörig, unterstand der geistlichen Verwaltung durch das Erzstift Magdeburg. Die stufenweise Auflösung des halleschen Archidiakonates und die Überführung in den Verwaltungskörper der evangelischen Landeskirche erfolgten in den Jahren zwischen 1528 und 1567. Spätestens in jenem Jahr unterstand Neutz dem evangelischen Offizial des administrierten Erzstiftes Magdeburg (Bönhoff 1914). Die Reformation hatte verständlicherweise tiefgreifende Auswirkungen auf die Liturgie, die Feiertagsgestaltung, die Volksfrömmigkeit und somit auch auf die alltägliche Praxis des "Armeseelen-Gedenkens". Auch die Lichter- und Ölsteine aus katholischer Zeit wurden in den protestantischen Staaten funktionslos, kamen abhanden und wurden schließlich vergessen (Boehlke / Belgrader 1984).
   Der Neutzer Stein ging augenscheinlich nicht verloren. Seine fortdauernde Existenz hatte offensichtlich eine Neu- bzw. Um-Interpretation seiner einstigen Funktion zur Folge. Eine vermutlich in alttestamentlicher und gar antiker Mythologie geschulte Personengruppe, vielleicht evangelische Pastoren, "erfand" die Sage vom brütenden Basiliskenweibchen und seinen fünfzehn, in Näpfchen abgelegten Eiern - eine beinahe typische Gelehrtensage. Eine im Volke wurzelnde Tradition hätte wahrscheinlich den "Drachen" zum Mittelpunkt der Überlieferung gemacht. Soweit heute nachprüfbar, setzt die Neutzer Basiliskenüberlieferung im mittleren 16 Jh. ein - nach der erfolgreichen und dauerhaften Einführung der Reformation im Saalkreis [...] (Fieber / Schmitt 1994)

[...] Aus alle diesen Kunstformen wäre zu schließen, daß die Kirche gegen 1200 erbaut worden ist, dem aber widerspricht eine im Kirchenbuche befindliche Angabe, die, ein Bruchftück eines Gedichtes, welches wohl erst gegen Ende des 16.Jahrhunderts entstandes sein kann, folgende Sage meldet:

          Von der bey Fundation dieser Kirchen
          alhir zu Neuz Anno 1305 gefundenen
          Basilisken zeugen nachfolgende alte
          (wiewohl schlechte) Verse, die vor langen
          Jahren im Neuzischen Kirchenbuche gefunden, also:
Alss man zehlt MCCC und V Jahr
Nach Christi Menschwerdung, (ist ganz wahr)
Am Tag Martins, des heiligen Mann,
That man die Kirche fahen an
Durch frommer Leuthe milden gabn;
Merk auff, wass ich dir nun wil sagn:
Da man will zu dem gründe räumen,
Und jzt legen die Grund - Steinen
Ward gefunden (wunder ist's zu sag'n)
In einem alten g'mäur begrab'n
Mit Nahm'n ein Basilisken Thier,
Ob'n ein'r ganss - unten Schlangen Zier,
Mit seinem adem und gestalt
Drey Männer hat getödtet bald.
Wie man nun die gefunden hat,
Ist keine Müh noch Fleiss gespart
Bey weisen Leuthn zu frag'n um Rath,
Und auch zu forschen früh' und spat;
Lezt ist gefunden im alten Sieg'l
Dass solchen Thiers Todt sey ein Spieg'l,
An welchem er sich getödtet hat,
Wie hier darunten vor ihm staht.
Funffzehen Eyer sind gefund'n
In dem Auffheben, stehn unt'n;
Zum gedächtnüs ist es abgemahlt
Wie du da siehest sein gestalt.

   Was sich von der Darftellung des Basiliskenthieres und feinen Eiern (Eierplätzen) noch erhalten hat, ersieht man aus Fig.316; diese Stücke sind allerdings 1305 gemeißelt, so viel sich erkennen läßt, nicht aber können sie mit der Kirche gleichzeitig sein. Nach von Dreyhaupt's Angabe ist "der Basilisc mit dem Spiegel und Eiern nebst beigesetzten lateinischen Versen in der Kirche in Stein gehauen gewesen". Jetzt liegen die Stücke außen neben der Kirchenthür und vergehen mit der Zeit völlig wie die inhaltsvolle poetische Sage. (Schönermark 1886)

Sage: Die bis in die Mitte des 16.Jh. zurückzuverfolgende Überlieferung zum Neutzer Stein besagt, daß beim Bau der Dorfkirche Bauarbeiter auf ein brütendes Basiliskenweibchen, das seine Eier in die fünfzehn Näpfchen gelegt hatte, stießen. Der giftige Atem des Tieres tötete daraufhin die Arbeiter. Erst durch einen Spiegelzauber konnten der Basilisk überwältigt und der Kirchenbau fortgeführt werden

Quellen und Literatur:
Dreyhaupt, J.Chr.v. - Pagus Neletici et Nudzici, Oder Ausführliche diplomatisch-historische Beschreibung des ... Saal-Creyses ... Zweyter Theil, Halle 1755, S.936
Größler, H. - Sagen der Grafschaft Mansfeld und ihrer nächsten Umgebung, Eisleben 1880, S.258 (Nachdruck Querfurt 1991)
Schönermark, G. - Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Halle und des Saalkreises, 1886, S.546-547
Schultze-Galléra, S. - Wanderungen durch den Saal-Kreis, Zweiter Band, 1914, S.58-59
Schröter, E. - Die geschützten Bodendenkmale des Bezirkes Halle, in: Jahresschrift mitteldt. Vorgeschichte, 1986, Nr.69, S.91
Fieber, Winfried / Schmitt, Reinhard - Der Näpfchenstein, in: Archäologie in Sachsen-Anhalt, Halle 1994, Heft 4, S.16-19, als Nachdruck zugleich: Das Kleindenkmal, wissenschaftliche Schriftenreihe des "Arbeitsgemeinschaft Denkmalforschung e.V.", Jg.22, 1998, Nr.11
Wernhöner, Bode / Schwarz, Ralf - Halle und der Saalkreis, 4.Station, in: Meller, Harald (Hrg.) - Routen der Archäologie, Halle 2006, S.48-50
recherchiert und bebildert von Ute Fuhrmann / Rainer Vogt, Juli 2007


Sühnekreuze & Mordsteine