Im Gegensatz zu den vorgeschichtlichen Schalensteinen, über deren Motiv der Herstellung viel
gerätselt wird, weiß man, daß der mittelalterliche Schalenstein im Zusammenhang mit dem Totenkult eine bedeutende Rolle spielte. Franz Hula, ein Wiener
Privatgelehrter, der sich sein Leben lang mit Totenleuchten, Karnern, Schalensteinen und Friedhofsoculi in Europa beschäftigt hat, schreibt über den Schalenstein: "Nun
zu einem weiteren christlichen Kultgerät, das uns gleichzeitig mit der Totenleuchte und dem Karner entgegentritt. Es ist der mittelalterliche Schalenstein, über dessen
Bestimmung viel herumgerätselt wurde, doch hat bereits Dr. Gg. Hager, der sich mit diesen Steinen als erster in einem eigenen Artikel befaßte und von dem auch
die erste Zusammenstellung des Materials stammt, auf den Zusammenhang dieses Gerätes mit dem Totenkult hingewiesen. Wenn man den noch erhaltenen Bestand
überblickt und prüft, so kann es auch tatsächlich keinen Zweifel darüber geben, daß diese Steine zumindest dort, wo der Aufstellungsort kultische Bedeutung hatte,
also in Kirche und Karner, dem Totenzeremoniell dienten. Wenn man sie auch nicht in die Kategorie der Totenleuchte
selbst einreihen kann, kommen sie als kollektives Totenlicht ihr dem Wesen nach sehr nahe, weshalb wir sie auch in unsere Besprechung aufgenommen haben. Es
waren entweder runde oder mehreckige Steinplatten - in selteneren Fällen auch Halbkugeln - von unterschiedlicher Stärke mit muldenförmigen Vertiefungen, deren
Anzahl zwischen 4 und 12 schwankte, meist jedoch sieben betrug. Sie wurden vor allem am Eingang von Kirchen und Karnern oder auch im Innern derselben entweder
an der Mauer angebracht oder in Nischen versenkt." [...]
(Huber, Axel - Mittelalterliche und neuzeitliche Schalen- oder Lichtsteine in Kärnten, in: Carinthia I, 168.Jg., 1978, S.81)
Mit "lapis olei" beziehungsweise "Oelstein" bezeichnete man einerseits die steinernen Schalen,
die einst als Lichtersteine auf Friedhöfen zu finden waren; sie wurden mit Öl gefüllt und des Nachts angezündet, sind also als eine Abart der Totenleuchte
zu betrachten. Andererseits wurde dieser Ausdruck anscheinend auch für die zur Aufbewahrung des Öles bestimmten Behälter gebraucht. [...]
(Hula, Franz - Die Totenleuchten und Bildstöcke Österreichs. Ein Nachtrag, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Band XXIV, 1965, S.159-174)
[...] Wellersdorf: In der Filialkirche St. Peter und Paul
befindet sich ein Schalenstein, der bis in den ersten Weltkrieg hinein jedes Jahr zwischen Gründonnerstag und der Auferstehung am Karsamstag in Gebrauch war, an
dem heute jedoch keine Öl- oder Rußspuren sichtbar sind (Abb.17). Frau U. Kropfitsch, die als Achtzigjährige
( 20.11.1978) noch immer die Kirche betreute, konnte mir Dochte und die dazugehörigen Halterungen übergeben und die nicht mehr vorhandenen
Schwimmer so genau beschreiben, daß ich nach ihren Angaben, sechs Schwimmer bastelte und dann den Schalenstein wieder in Betrieb nehmen konnte. Eine
Woche nach diesem erfolgreichen Versuch bekam ich ein "Lichtglas" mit Docht und Schwimmer aus St. Michael im Lungau (Abb.18) in die Hände, welches die
Angaben von Frau Kropfitsch auf das beste bestätigten. Aus diesem Grunde seien zum Abschluß noch einige Bemerkungen über die Art der Benützung der
mittelalterlichen Schalensteine erlaubt.
Diese Frage ist noch nicht völlig geklärt. Einesteils wird vermutet, daß diese Steine früher als Lampenständer dienten, anderseits glaubt man,
die Schalen der Steine dienten zum direkten Abbrennen von Öl und Talg mittels eines Dochtes. Meiner Meinung nach sind beide Ansichten richtig, doch hängt es von
der Form der Schalen ab, welche Art der Benützung angewendet wurde. Betrachtet man die Form der Schalen, so lassen sich danach alle Schalensteine in zwei sich
grundsätzlich unterscheidende Gruppen einteilen. Die eine Gruppe hat flache, muldenförmige Schalen, die nur wenige Zentimeter tief sind. Solche Schalen können einer
unten abgerundeten, von G. Hager beschriebenen Lampe keinen Halt geben. Hingegen eignet sich diese Art von Schalen vorzüglich zum Abbrennen von Öl mittels
eines Dochtes. Die andere Gruppe hat tiefe, lochartige Schalen, die bis 9cm tief sein können und fast durchwegs einen oberen Durchmesser von 7cm aufweisen. Diese
Art von Schalensteinen könnte sehr gut als Lampenständer gedient haben. Für ein direktes Abbrennen sind sie höchst ungeeignet, denn je länger die Flamme brennt,
umso tiefer verschwindet sie in der Schale. Dabei wird der Lichtschein immer schwächer und der Rand der Schale verrußt. Verrußungen lassen sich aber bei der Gruppe
der lochartigen Steine nicht feststellen. Eine Ausnahme bildet lediglich der Stein von Maria Höfl, der heute in Ermangelung geeigneter Lampen mit Kerzen und
Staniollichtern bestückt wird. Diese Gruppe der Schalensteine dürfte eine ähnliche Entwicklung durchgemacht haben wie die bekannten Totenleuchten.
An einen Kult gebunden, haben sie eine rasche und einheitliche Verbreitung gefunden, sind jedoch mit Erlöschen des Kultes außer Gebrauch geraten und haben dadurch
keine Weiterentwicklung erfahren.
Ganz anders ist die Gruppe der Schalensteine mit muldenartigen Schalen zu beurteilen. Hier läßt sich eine echte Entwicklung belegen. Ohne
eine direkte Beziehung zu vorgeschichtlichen Schalensteinen herstellen zu wollen, kann man feststellen, daß es die einfachste Art, ein Licht zu machen ist, wenn man
in ein nicht brennbares Material eine Mulde formt, eine brennbare Substanz z.B. Öl hineingibt und anzündet. Steigern läßt sich die Wirkung, wenn man die Oberfläche
der brennbaren Substanz mittels eines Dochtes vergrößert; dieser darf in der brennbaren Substanz nicht untergehen. Ist die Schale nicht zu tief, kann man den Docht
durch eine metallene Vorrichtung in der gewünschten Lage halten, beziehungsweise die Schale derart ausbilden, daß sich der Boden im Zentrum der Schale nach oben
wölbt, wie es die Schalen des Millstätter Steines zeigen. Je flacher die Schale, umso weniger Brennvorrat kann man speichern, um so kürzer ist die Brenndauer der
Flamme. Man kann die Schale aber nicht beliebig tief machen, da einerseits die Saugfähigkeit des Dochtes beschränkt ist und andererseits die Flamme möglichst nahe
an der Oberfläche der zu verbrennenden Substanz brennen soll. Die Hitze der Flamme bewirkt ein verstärktes Verdunsten der Brennsubstanz, und alle Substanzen
lassen sich bekanntlich erst im gasförmigen Zustand verbrennen.
Wie man mit einfachsten Mitteln dieses Problem gelöst hat, kann man am Schalenstein von Weilersdorf ersehen. Man hatte die metallene
Vorrichtung, die den Docht vor dem Versinken in der Brennsubstanz bewahren soll, einfach mit Schwimmern in Form von drei kleinen Holzstücken versehen und damit
erreicht, daß der brennende Docht unabhängig von der Menge der Brennsubstanz immer im optimalen Abstand zu dieser bleibt. Der Schalenstein von Weilersdorf stand
bis in die Zeit des ersten Weltkrieges in Verwendung, und erst die allgemeine drückende Lebensmittelknappheit gegen Ende des Krieges - man verwendete für den
Stein gewöhnliches Speiseöl - ließ eine weitere Verwendung nicht mehr zu. Die einzelnen Schalen sind halbkugelförmig ausgebildet; um eine bessere Leuchtwirkung
zu erzielen und eine maximale Nutzung der Brennsubstanz zu erreichen, befindet sich im Tiefpunkt jeder Schale ein kleiner "Sumpf", aus dem der Docht auch den
letzten Tropfen Öl der Flamme zuführen kann. Die zuletzt in Weilersdorf verwendeten Dochte und Dochthalterungen aus Papier sind bereits industriell gefertigt, was auf
eine weite Verbreitung dieser Art der Lichterzeugung schließen läßt. Ein weiterer Beleg für diese Art des Lichtmachens sowie für die technische Verbesserung der
Grundidee liegt aus St. Michael im Lungau vor. Ein Glas hat die Funktion des Steines übernommen, wobei dieses Glas speziell für diesen Zweck geblasen worden sein
muß, denn am Boden des Glases befindet sich ein ähnlicher "Sumpf" wie am Boden jeder einzelnen Schale des Steines von Weilersdorf. Der Vorteil des "Lichtglases"
liegt klar zutage. Abgesehen davon, daß es handlicher ist, sinkt die Leuchtkraft der Flamme nicht mit dem abnehmenden Ölstand im Glas. Dem Etikett einer ebenfalls
serienmäßig gefertigten Schachtel für die 1cm langen Dochte ist zu entnehmen, daß diese "Lichtgläser" unter der Bezeichnung "Reflex-Nachtlichter" in den Handel
gekommen sind.
Die mit drei Dornen versehenen Dochthalterungen sind ebenfalls maschinell hergestellt und dürften bis vor wenigen Jahren noch im Gebrauch
gestanden sein.
(Huber, Axel - Mittelalterliche und neuzeitliche Schalen- oder Lichtsteine in Kärnten, in: Carinthia I, 168.Jg., 1978, S.87, 93-96