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Baden-Baden
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PLZ: 7653X

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Standort: In der Stiftskirche am Altar.

Größe / Material: Vogesensandstein

Geschichte: Der ursprüngliche Standort des Kruzifixes war auf dem ehemaligen Friedhof hinter der Spitalkirche. Erst 1967 wurde es in der Stiftskirche aufgestellt.
Das 1467 aus einem Stück Vogesensandstein gehauene Werk galt seinerzeit als Vorbild für eine neue Kruzifixgestaltung. Während noch bis ins 14. Jahrhundert der bewegte Typus mit abgewinkelten Beinen und ausschwingendem Körper vorherrschte, hat von Leyden einen neuen Typus geschaffen. Der Corpus wurde nun erstmal streng paralell zum Kreuz in hängender, entspannter Haltung dargestellt. Der abgemagerte Körper wurde anatomisch sehr genau und differenziert ausgearbeitet, er strahlt Ruhe und Entspanntheit aus. Besonders sensibel wurde der etwas nach rechts vorne geneigte Kopf gestaltet. Das Gesicht strahlt trotz der Ermattung eine feierliche Erhabenheit nach dem überstandenem Leid aus.
Der Auftraggeber und Stifter dieses Kunstwerks war Hans Ulrich der Scherer, Leibarzt des Markgrafen Karl I. und Pächter der Baden-Badener Bäder. Niclaus Gerhaert von Leyden schuf dieses bedeutende Kruzifix in einer Straßburger Werkstatt, wo er von 1463 bis 1467 wirkte. (Wolfgang Peter)

Niclaus von Leyden, Niederländisch-deutscher Bildhauer; Geburtsdatum unbekannt; erste Bezeugung 1462; gestorben 1473.
Niclaus von Leyden darf aufgrund einer neuartigen Formgebung, eines spannungsvollen, raumgreifenden und kraftvollen Stiles und vor allem aufgrund der realistischen Figurenauffassung zu den innovativsten Bildhauern der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nördlich der Alpen gezählt werden. Sein künstlerischer Ursprung wird in der burgundischen Skulptur (Claus Sluter) gesucht. mehr

Sage:

Quellen und Literatur:
Schnezler, August (Hrg.) - Das Kreuz auf dem Friedhofe, in: Badisches Sagenbuch. Eine Sammlung der schönsten Sagen, Geschichten, Märchen und Legenden des badischen Landes, aus Schrifturkunden, dem Munde des Volkes und der Dichter, Zweite Abtheilung: Von der Ortenau bis zum Mainthal, Karlsruhe, Creuzbauer und Hasper. 1846, S.195f.
Peter, Wolfgang - Die Stiftskirche, Baden-Baden
bautz.de
foto-baden-baden-de
Braun, Hermann - Das Sühnekreuz auf dem ehemaligen Friedhof zu Baden-Baden, 1925
Mallebrein, Franz - Das Friedhofskreuz zu Baden, 1925



Das Sühnekreuz
auf dem ehemaligen Friedhof zu Baden-Baden

Nach einer alten Volkssage erzählt
von Hermann Braun

Gewiß ist mancher der vielen in Baden-Baden teils zur Kur teils der schönen Natur halber weilenden Gäste bei seinen Spaziergängen auch schon in den nordöstlichen Teil der Stadt gelangt, woselbst die herrlichen Luisenanlagen, die Seufzer-Allee und daran anschließend das Steinwäldchen lockend zur Erholung einladen.
   Besonders die Luisen-Anlagen mit ihren von alten Bäumen überschatteten Bänken, den frischen Rasen und Blumenbeeten werden sehr gerne besucht und nur das alte Kreuz, der Oelberg und die Kapelle lassen erraten, daß da, wo jetzt lachende Kinder sich tummeln, noch vor wenigen Jahrzehnten eine Stätte des Schmerzes und der Trauer, ein Friedhof war. Mancher Seufzer ist hier verklungen, manches Glück wurde hier begraben; aber manche tiefbetrübte Seele hat hier auch wieder Trost gefunden vor dem Bilde des gekreuzigten Heilandes, das in der vorderen Hälfte der Anlage steht!
   Dieses Kruzifix, dessen Christusfigur von vollendeter Schönheit und samt den riesigen Kreuze aus einem Stück Sandstein gehauen ist, hat weit über die Stadt Baden hinaus Beachtung und Verehrung gefunden, nicht allein seiner Schönheit halber, sondern auch wegen der mit ihm verknüpften Sage, die der nachfolgenden Erzählung zu Grunde liegt, und die dem Kreuze den Namen das "Sühnekreuz" gegeben hat. Auf der Rückseite trägt das Kreuz am Fuße den Namen "Nikolaus von Leyen" (jedenfalls "Leyden", Stadt in den Niederlanden) und die Jahreszahl 1462.
   Im Jahre 1461 wars, als ein jugendlicher Wanderer in unser schon damals wegen ihrer Heilquellen weit über die heimatlichen Gaue berühmte Bäderstadt einzog.
   Wie er das Tor durchschritt und aufmerksam die Architektur desselben betrachtete, hätte ein aufmerksamer Beobachter sofort gesehen, daß er etwas von der Baukunst verstand; als er gar das Auge prüfend auf den auf der Innenseite des Tores angebrachten, prachtvoll in Stein gehauenen markgräflichen Wappen ruhen ließ und im Weitergehen wie Beifall nickend das Haupt senkte und hob, hätte jeder leicht erkennen können, daß der junge Mann zu seinem Berufe die Bildhauerei gewählt habe. Und diese Annahme war richtig.
   Nikolaus Lerch, ein geborener Holländer (aus der Stadt Leyden), war nach Baden gekommen, um bei dem erst seit kurzem hier ansässigen Bildhauer Daniel Huber als Geselle einzutreten. Huber, schon ziemlich bei Jahren, erhielt vom Markgraf Karl I., (vermählt seit 1447 mit der Schwester Kaiser Friedrich III., die den bezeichnenden Beinamen die "schöne Katharina von Oesterreich" trug,) den ehrenvollen Auftrag, das "untere" (jetzt neue) Schloß zu renovieren und mit Bildwerken etc. zu schmücken, ein Auftrag, welcher unsern Meister, der sehr tüchtiges in seinem Fach leistete, nötigte, einen Gesellen zu suchen.
   Diesen fand er in der Person des Nikolaus Lerch von Leyden und bald stellte es sich heraus, daß der Geselle den Meister in Kunstleistungen bei weitem übertraf. Aber es lag nicht in Meister Hubers Natur, deswegen auf seinen Gehilfen neidisch zu sein, kannte er doch dessen Geburtsstadt, wo ihrer beider Kunst in höchster Blüte stand.
   Auch der Landesherr freute sich bei seinen häufigen Besuchen in des Bildhauers Werkstätte an den Arbeiten des jungen Künstlers, umsomehr, als er selbst in der Holzbildhauerei bewandert war und schon manches Kunstwerk geschnitzt hatte.
   Huber, dessen Frau vor einigen Jahren gestorben war, lebte zusammen mit seiner zwanzig Jahre alten Tochter Maria, einem Ideal von Schönheit und Gemüt. wer einmal in das Madonnenanlitz mit den großen dunklen Augen gesehen hatte, konnte den Anblick nicht mehr vergessen und wenn Maria nach vollbrachter Arbeit mit ihrer glockenreinen Stimme ein Lied zum Preise Gottes sang, ging jedem Zuhörer das Herz auf, als vernehme er himmlische Töne.
   War es da ein Wunder zu nennen, wenn Nikolaus Lerch, eine für alles Schöne außerordentlich empfängliche Künstlernatur, sofort in heißer Liebe zu der lieblichen Meisterstochter entbrannte! Tag und Nacht umschwebte ihn das Bild der Geliebten und öfters mußte er sich ernsthaft zusammennehmen, um nicht jedem der von ihm modellierten Gesichter die Züge des geliebten Mädchens zu geben.
   Meister Huber erkannte sehr wohl den Seelenzustand seines Gehilfen. Einesteils war es ihm gar nicht unangenehm, solches zu sehen; denn wie leicht müßte es Lerch mit seinen Fähigkeiten gelingen, ein eigenes Geschäft zu gründen. Dem Meister wäre es am liebsten gewesen, er hätte sich diese tüchtige Kraft erhalten und seine Bildhauerei wäre dann bei Zeiten auf den künftigen Schwiegersohn übergegangen. Andererseits aber war er ein viel zu guter Vater, um seine Tochter zu einem Schritte zu zwingen, der ihr vielleicht im Herzen zuwider war und sie für ihr ganzes Leben, das er so sonnig wie nur möglich wissen wollte, unglücklich gemacht hätte.
   Was nun Maria selbst betrifft, so ging sie jeder Annäherung des jungen Künstlers aus dem Wege; sie behandelte ihn zwar niemals schroff, aber doch so kühl, daß dieser merken konnte, daß seine heiße Liebe in ihrem Herzen nicht die geringste Erwiderung gefunden habe. Und weil Nikolaus sich zu erklären suchte, wie solches kam, setzte sich bei ihm der Gedanke fest, daß Maria hinter des Vaters Rücken einen anderen liebte. Und diesen unbekannten "Anderen" zu suchen und damit die Gewißheit einer noch möglichen Aussicht oder der Hoffnungslosigkeit der ihn fast verzehrenden Leidenschaft zu erhalten, war jetzt sein Hauptbestreben.
Aufnahme von 1910

   Wenn daher der kunstsinnige Markgraf mit seiner vornehmen Umgebung in Meister Hubers Atelier erschien, um die in Vorbereitung befindlichen Arbeiten zu besichtigen, so vermutete Nikolaus in einem Herrn aus dessen Begleitung seinen Nebenbuhler. Da der leutselige Landesherr sich sehr gerne mit den beiden Künstlern unterhielt und deshalb öfters längere Zeit verweilte, konnte während dessen einer der Hofherren wohl genügend Zeit haben, mit der Tochter des Meisters ein Liebesverhältnis anzuknüpfen. So kam es auch, daß während der Meister von dem Besuche sehr geehrt und befriedigt war, der Geselle, trotz der Anerkennung, welche er oft aus so hohem Munde erhielt, von Unruhe fast verzehrt wurde; denn er war immer von dem eifersüchtigen Gefühle verfolgt, daß, während er hier Lob ernte, sein Nebenbuhler die Zeit benützte, um mit Maria Liebesworte und Küsse auszutauschen.
   Und Nikolaus hatte sich nur in dem Punkte, daß er den Verehrer seiner angebeteten Maria unter den "feinen" Herren suchte, getäuscht. Im übrigen hatte er richtig vermutet: denn ein inniges Herzensbündnis war zwischen Maria und dem marktgräflichen Förster Volderaner in aller Stille aufgekeimt. Dieser, ein stattlicher unerschrockener Jäger, hatte die liebliche Meisterstochter bei der Fronleichnamsprozession zum ersten Male gesehen und fühlte sich sofort zu dem engelsschönen Mädchen hingezogen. Er nahm jede Gelegenheit wahr, Maria unauffällig kleine Höflichkeiten zu erweisen, und als er bemerkte, daß sie ihm mehr als gleichgültig dankte, nahm er sich nach Jägerart frischen Mut und gestand ihr auf dem Heimwege von der Kirche seine Liebe. Viele Worte und Phrasen zu machen war nicht seine Sache; aber das, was er sprach genügte, um aus den beiden ein glückliches, wenn auch heimlich versprochenes Paar werden zu lassen. Und heimlich mußte der Liebesbund auf Wunsch Marias bleiben; denn sie kannte das heißblütige Temparament des Holländers zu gut, um nicht im Falle einer Entdeckung das Schlimmste für ihren geliebten Hans fürchten zu müssen. Dieser fügte sich, wenn auch mit Widerstreben, den Bitten des geliebten Mädchens; ihm wäre eine offene und ehrliche Werbung bei Meister Huber am liebsten gewesen, so daß er bald in den Besitz der Frau gelangt wäre, um die ihn außer Nikolaus Lerch noch viele andere beneidet hätten.
   Allabendlich trafen sie sich hierauf zu einer Zeit, da Meister und Geselle noch in der Werkstätte arbeiteten, bei der nahen Quelle im Walde, wo Maria das Trinkwasser zu holen pflegte und sein seliges Viertelstündchen verbrachten sie da mit den Versicherungen unwandelbarer Liebe und Treue, welche sie durch manchen gegebenen und wieder empfangenen Kuß besiegelten.
   Und dann eilte Maria leichten Fußes nach Hause, denn bis der Vater mit seinem Gehilfen aus der Werkstatt kam, mußte sie wieder daheim sein, damit nicht durch ihre Abwesenheit die Zusammenkunft mit dem Geliebten entdeckt würde.
   So standen die Dinge als im Frühjahre des Jahres 1462 größere weltgeschichtliche Ereignisse eintraten und finstere Wolken am sonnigen Himmel der Liebe für die beiden aufzogen.
   In der Pfalz hatte, nachdem der zur Zeit regierende Kurfürst Ludwig II. gestorben war, dessen Bruder der "Pfälzer Fritz" unberechtigter Weise die Regierung an sich gerissen und ohne Erlaubnis des Kaisers und des Papstes sich den Titel "Kurfürst" zugelegt.
   Zu diesem Schritte war er nicht berechtigt, weil er nur der Vormund seines erst einjährigen Neffen Philipp war und bis zu dessen Mündigkeitserklärung die Pfalz nur zu verwalten, nicht aber zu regieren hatte. Zur Strafe für dieses unerlaubte Vorgehen wurde er vom Kaiser in Acht und vom Papste in Bann erklärt.
   Ein gegen ihn aufgebotenes Heer ward aber von Friedrich geschlagen, so daß es notwendig wurde, ein bei weitem größeres Aufgebot zum zweiten Male gegen ihn ins Feld zu führen.
   Vergebens suchte der Markgraf von Baden zwischen den streitenden Partein zu vermitteln, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden. Er wurde selbst durch den auf sein Recht pochenden Kaiser gezwungen, zu rüsten und mit den Württembergern, sowie den Heeren der Bischöfe von Metz, Trier und Speyer gegen den Pfälzer Fritz zu kämpfen.
   Zu diesem Schritte konnte er sich aber erst entschließen, als Friedrich von der Pfalz im Winter des Jahres 1462 in sein Land einfiel und einige Dörfer niederbrannte. Alsbald begannen gewaltige Rüstungen und Markgraf Karl übernahm den Oberbefehl über sein Heer, das vor allen Dingen dem Pfälzer den feindlichen Einfall vergelten sollte.
   Daß bei den Aufgebotenen auch der Förster Hans Volderaner sich befand, diente unserer sich um ihn ängstigenden Maria gerade nicht zum Troste. Während Hans in dem bevorstehenden Feldzuge nur das Mittel wähnte, seine Pläne bezüglich der Heirat vielleicht noch eher verwirklicht zu sehen, wurde Maria von bangen Ahnungen gequält, und manche Nacht verbrachte sie schlaflos in Sorge um des Geliebten Leben und ihrer beider Zukunft.
   Wenn sie dann des Morgens mit bleichem Gesichte und traurigen Augen das Frühstück in die Werkstatt brachte, so fand sie der Geselle Nikolaus noch schöner und begehrenswerter, während er andererseits seinen Verdacht bestätigt fand, und das blasse Aussehen Marias mit dem bevorstehenden Abschiede ihres Geliebten, den er zwar nicht kannte, aber bis in den Tod haßte, nicht mit Unrecht in Verbindung setzte.
   Hans und Maria hatten sich in den letzten Tagen vor dem Ausmarsch regelmäßig getroffen. Er sah voll freudiger Zuversicht dem Kampfe entgegen; Maria dagegen wurde von Tag zu Tag ängstlicher und es gelang ihr nicht, die bange Ahnung von sich abzuschütteln, daß es ihr nur noch wenige Tage gegönnt sei, an des teuern Geliebten Brust zu ruhen und zärtliche Liebesworte mit ihm auszutauschen.
   So kam der letzte Abend vor dem Abzug der Truppen, ein Tag in der Mitte des Monats Juni, heran. Für diesen Abend hatten sich die Liebenden eine Stunde früher bestellt.
   Es begann bereits zu dunkeln, als Meister Huber und Nikolaus Feierabend machten und nach der Stube gingen, um das Abendbrot einzunehmen.
   Zu ihrer größten Verwunderung war dieses, was noch nie geschehen war, noch nicht aufgetragen und Maria nirgends zu finden. Lerchs Eifersucht loderte sofort empor und der Meister mußte ihm recht geben, wenn er behauptete, daß hier etwas Außergewöhnliches vorgefallen sein müsse. Während Lerch aber in seinen Mutmaßungen nur an einen Nebenbuhler oder an ein geheimes Stelldichein dachte, befürchtete der Meister einen Unfall und willigte gerne ein, als der Geselle sich erbot, die Vermißte zu suchen.
   Der fehlende Wasserbehälter wies ihm den Weg und schleichend näherte er sich dem Brunnen im Walde, um Maria zu überraschen, zugleich aber auch den Auserkorenen ihres Herzens kennen zu lernen, ein Gedanke, der ihm das Blut in den Kopf trieb, während die Faust unwillkürlich nach dem im Gürtel steckenden Dolch fuhr.
   Hans und Maria, die in ihrem Trennungsschmerze das Untergehen der Sonne nicht bemerkt hatten, und daher sehr erschraken, als von der nahen Stiftskirche das Abendläuten herüberklang, umarmten sich eben zum letzten Abschiede, als Lerch von beiden unbemerkt beim Brunnen eintraf.
   "Tröste Dich, mein Lieb", fragte eben Hans, den der Lauscher mit Inngrimm erkannte, "der liebe Gott wird Dich nicht verlassen, in keiner Not und Gefahr. Und wenn ich dann mit meinem Herrn aus dem Kriege zurückkomme, soll mich nichts hindern, dich als mein geliebtes Weib heimzuführen und nichts soll uns mehr trennen!" Und innig schloß er die Weinende zum letzten Male in seine Arme, ein Anblick, der den lauernden Nikolaus die Sinne raubte. Ohne zu wissen was er tat, zog er den Dolch und stürzte sich auf den verhaßten Nebenbuhler. Maria, die bei seinem plötzlichen Erscheinen zu Tode erschrak, warf sich schützend zwischen den Rasenden und den Geliebten und zwar gerade in dem Augenblick, als jener zum Stoß ausholte. Und so traf sie die Mordwaffe, die auf ihren geliebten Hans gezückt war. Zu Tode getroffen sank sie vor den Augen des wie erstarrt stehenden Försters zur Erde; die Lippen hauchten nur noch den Namen des Geliebten, um für immer zu schweigen.
   Aber schon in der folgenden Sekunde lag Lerch von Hans überwältigt auf der Erde und wahrlich, viel hätte nicht gefehlt, so hätte er den Mörder erwürgt. Er mäßigte sich jedoch und als auf sein Rufen Leute, allen voran Meister Huber, mit Fackeln erschienen, übergab er ihnen den Schuldigen. Dann nahm er wortlos die tote Geliebte in die Arme und trug sie in ihr väterliches Haus, wo er den Meister in Eile über das Vorgefallene aufklärte.
   Des Meisters Schmerz war unbeschreiblich, dennoch konnte er den Mörder nicht verdammen; weil er wußte, daß sein zu heftiges Temperament ihn fortgerissen und ihm den Dolch in die Faust gedrückt hatte. Und als er eben sah, wie man den Gesellen gebrochen und weinend zum Gefängnisse abführte, fühlte er trotz der furchtbaren Tat, fast Mitleid mit ihm.
   Nicht wenig betrübte es auch den Markgrafen, als ihm in der Frühe des anderen Tages der schreckliche Vorgang erzählt wurde und sein erster Gang galt dem Meister, um ihn in seinem tiefen Schmerze zu trösten.
   Huber war eben von einem Besuche des Mörders im Gefängnisse zurückgekommen, wo er Nikolaus von tiefster Reue erfüllt vorgefunden hatte. Er hatte den Meister gebeten, bei dem Markgrafen für ihn zu bitten, – nicht um sein Leben, – denn dieses war nach den damaligen Gesetzen verwirkt, sondern nur um Aufschub der Vollstreckung der Todesstrafe.
   Er wollte im Gefängnisse für die von ihm Geliebte und Ermordete ein Grabdenkmal anfertigen. Das Werk sollte seiner gequälten Seele wieder Frieden uns Ruhe geben und als Sühne für die vollbrachte Tat gelten. Hierauf erklärte er sich gerne bereit, den Tod als gerechte Strafe für seine frevelhafte Tat zu leiden.
Aufnahme um 1900

   Meister Huber hatte ihm Fürbitte beim Fürsten einlegen zu wollen zugesagt und er brauchte nicht viel zu reden, um von dem gütigen Herrscher der über die warmen Worte, die Huber für den Mörder seines Kindes einlegte, tief gerührt war, das Versprechen zu erhalten, daß er den Gefangenen die nötige Erlaubnis gewähren wolle.
   Auch Hans Volderaner besuchte den Meister noch einmal, um ihn angesichts der toten Geliebten offen und ehrlich, wie es seine Art war, die Geschichte seiner unglücklichen Liebe zu erzählen und von ihm und der Geliebten zum letzten Male Abschied zu nehmen, ehe er den Tot in der Schlacht suchen ging, da ihm das Leben ohne Maria wertlos schien.
   Der Markgraf erließ sofort den Befehl, daß dem unglücklichen Künstler im Gefängnis die Ketten abgenommen würden und er mit dem nötigen Material und Werkzeug ausgerüstet werde, um das gelobte Sühnewerk beginnen zu können.
   Am Nachmittag desselben Tages verließ der Markgraf die Stadt, um mit seinen vor den Toren lagernden Truppen den Rachezug in die Pfalz anzutreten.
   Und wie sahen die dort vorher in üppiger Pracht stehenden Felder nach dem Durchmarsch des Heeres aus! Ueberall herrschte die größte Verwüstung, und um dieselbe noch wirkungsvoller zu machen, banden die Reiter den Pferden große Tannenäste an den Schweif und jagten sie über die Kornfelder, daß ja kein Halm stehen blieb, kein Körnlein Brot geben konnte. Während dem zogen Fußtruppen sengend und brennend von Ortschaft zu Ortschaft und verwüsteten alles, daß kein Stein auf dem anderen blieb. Kein Wunder, daß die Pfälzer Bauern, als ihr Landesfürst sie nach Seckenheim rief, wo er die verbündeten Truppen zu erwarten gedachte, in hellen Haufen zu dem Heere ihres Herrn eilten und die für die Ernte geschmiedeten und geschärften Sensen waren in ihren Händen eine ebenso gefährliche Waffe, wie die Schwerter und Spieße der Gegner. Obgleich Friedrichs eigentliches Heer nur halb so stark wie das der Verbündeten war, erhoffte er den Sieg und errang ihn auch. Die feindlichen Truppen mit ihren Führern mußten sich ergeben.
   In der Mitte des Schlachtfeldes kämpfte zwar noch der Markgraf von Baden, welchem bei dem plötzlichen Erscheinen der bauern Hans Volderaner mit einem Häuflein Getreuer den Rücken zu decken suchte. Aber der Tapfern wurden immer weniger, und als nun gar Volderaner, der wie ein Löwe focht, und dessen Schwert die Zahl der Bauern um einige Dutzend verringert hatte, von einem feindlichen Lanzenstoß durchbohrt mit dem Namen der unvergeßlichen Geliebten auf den Lippen tot zur Erde sank, war auch des Markgrafen Schicksal entschieden. Er wäre vielleicht von den wütenden Bauern gleich den meisten seiner Umgebung niedergemacht worden, wenn nicht der herbeieilende Kurfürst von der Pfalz ihn erkannt und persönlich gefangen genommen hätte.
   Die gefangenen Führer mußten als Buße nahezu zwei Millionen Lösegelder zahlen und wurden bis zur Beibringung derselben im Schlosse zu Heidelberg und Mannheim in Haft gehalten. Nachdem das Lösegeld auch für den Markgrafen entrichtet war, kehrte er kurz vor Allerheiligen nach Baden zurück, woselbst ihn sein Volk jubelnd begrüßte.
   Schon am Tage nach seiner Ankunft sprach er bei Meister Daniel vor, dem er in anerkennenden Worten von dem mutigen Kämpfen Hans Volderaners und seinem Heldentode erzählte.
   Und der Vater Mariens weinte dem Tapfern heiße Tränen nach, bei dem Gedanken, was seine Maria und Hans wohl für ein prächtiges Paar geworden wären, wenn nicht die eifersüchtige Liebe Lerchs die furchtbare Katastrophe herbeigeführt hätte. Dann berichtete der Meister dem Landesherrn von dem Grabdenkmal, das sein früherer Gehilfe während dessen Abwesenheit im Gefängnis gemeißelt habe und wärmer hätte ein Vater nicht von dem Werke seines Sohnes sprechen können, als Huber es von dem Mörder seines Kindes tat. "Größeres und Erhabeneres", schloß er, "ist noch von keinem Menschen geleistet worden, und ich bitte Euch inständig, Gnade für Recht ergehen zu lassen und dem großen Künstler, der in unseliger Verblendung gehandelt hat, das Leben und dadurch der Welt noch mehr Kunstwerke zu schenken. Es wäre eine Sünde, wenn man so viel Können vernichten würde. Gnade für Nikolaus Lerch!"
   Der edle Fürst versprach dem bittenden Meister zu tun, was nur möglich sei, und als er sich nach dem Schlosse begab, kam es ihm nicht aus dem Sinne, daß es doch eine hohe Liebe zur Kunst sein müsse, die den Vater so voll Mitleid für den Mörder seiner Tochter bitten ließ.
   Gern hätte er die erbarmungsvolle Bitte gleich erfüllt, aber er hatte noch einige Bedenken und beschloß bis zur Enthüllung des Grabdenkmals zu warten, die auf den Allerheiligentag erfolgen sollte.
   Die Vorarbeiten waren schon erledigt und am genannten Tage war schon lange Zeit vor bestimmter Stunde der Platz besetzt mit Einwohnern, die den unglücklichen Mörder und das von ihm geschaffene Werk sehen wollten.
Nachmittags um 3 Uhr wurde Lerch von den Schergen vorgeführt und gleich darauf erschienen auch der Markgraf mit seinem Gefolge. Auf das von ihm gegebene Zeichen fiel die das Denkmal bergende Hülle. Ein Ausruf des Erstaunens und der Bewunderung ging durch die ganze Versammlung. Es war wirklich ein Kunstwerk, dieses Kruzifix mit der herrlichen Christusfigur, welchem der Künstler seine eigenen Gesichtszüge gegeben hatte. Rechts und links befanden sich die Figuren der leidenden Mutter Gottes Maria und des tröstenden Jüngers Johannes, die den Gesichtsausdruck der ermordeten Maria und ihres geliebten Hans trugen. Angesichts dieser von der Sonne golden umflossenen, herrlichen Gestalten, fiel Meister Huber seinem Landesherrn zu Füßen und bat ihn laut um Gnade für den jungen Künstler. Das Volk ringsumher fiel in den Ruf "Gnade für den Mörder" ein und nun befahl der Markgraf, Lerch die Fesseln abzunehmen, indem er sprach: "Nicht allein Dein Meister, der gewiß am wenigsten für Dich zu bitten brauchte, bat für Dich, sondern auch das Volk und 'Volkes Stimme' ist 'Gottes Stimme'. Du sollst frei sein um Deiner Kunst und Deiner tiefen Reue willen. Möge Dir auch Gott gnädig sein. Amen." Und "Amen" sprach das Volk und Meister Daniel gab dem Gesellen zum Zeichen seiner Versöhnung die Hand, welche dieser mit Tränen in den Augen ergriff. Dann fiel der Begnadigte dem gütigen Fürsten zu Füßen, indem er den Dank für das ihm geschenkte leben stammelte. Der edle Markgraf hob ihn liebevoll auf und als er bald darauf den Platz verließ, brach das Volk in nicht endenwollende Hochrufe aus, die sich auf dem ganzen Wege bis zum Schlosse fortpflanzten.
   Lerch hat später als Künstler noch manches Große geschaffen und sehr viele seiner Werke außer dem "Sühnekreuz" sind bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben, aber keines hat dieses übertroffen in edler Auffassung und Feinheit der Ausführung. Die beiden Statuen Maria und der Jünger Johannes, sind mit der Zeit leider verwittert und mußten entfernt werden; aber die Christusfigur strahlt noch in der alten Schönheit, als wäre sie gegen alle Unbilden der Witterung gefeit. Wenn wir heute vor dem Werke des unglücklichen Nikolaus von Leyden stehen und in das milde Anlitz des Heilandes sehen, dann überkommt uns die ergreifende Erinnerung an das so jäh unterbrochene Liebesglück Mariens, deren Leib unter diesem Kreuze ruht, während Hans Volderaners Gebeine in ein Massengrab gelegt wurden. Die Erde hatte der Liebenden sehnlichsten Wunsch nicht erfüllt; dafür wurden sie im Jenseits bald vereint, wo keine Eifersucht ihre Liebe bedroht und kein Schatten ihr Glück trübt.
(Braun, Hermann - Das Sühnekreuz auf dem ehemaligen Friedhof zu Baden-Baden, 1925)



Das Friedhofskreuz zu Baden
von Franz Mallebrein

Zu Baden auf dem Kirchhof
Da steht ein steinern Bild:
Vom Kreuze neigt der Heiland
Das Haupt verzeihend mild.

Schon manchem in der Trübsal
Gab Trost es und Vertrau'n,
Doch keinem wie dem Meister,
Der es in Stein gehau'n.

Ihm hatte hinterlassen
Sein Weib ein Töchterlein:
Es war das Bild der Mutter
Im ersten Morgenschein.

Ihr galt von nun sein Schaffen
Sie war sein Traum bei Nacht;
Sein einziges und alles
Hat er in ihr bewacht.

Und als aufging der Morgen
Zu lichten Tages Höhn:
Wie war sie da erblühet
Zur Jungfrau reich und schön!

Da schlich in Freundes Maske
Der böse Feind sich ein
Und brach mit wilder Gierde
Die Blüt` so duftig, rein.

Dem Vater schwand das Sinnen
Im grenzenlosen Schmerz;
Den spitzen Meißel stieß er
Dem Räuber jäh ins Herz.

Es war geschehen. – Die Häscher
Erfüllten ihre Pflicht
Und banden ihn und führten
Ihn vor das Butgericht.

Dann hat im Doser Torhaus
Er, weinend Tag und Nacht,
An Ketten festgeschmiedet
Gar lange Zeit verbracht,

Indes die Tochter ferne
Verging in Schmach und Scham,
Bis endlich sie, erlösend,
Der Himmel zu sich nahm.

Nachdem das Todesurteil
War über ihn gefällt,
Da hat an seine Richter
Die Bitte er gestellt:

Daß sie ihm Zeit noch gönnen,
Zu hau'n ein steinern Bild:
Wie der Erlöser blicket
Vom Kreuz verzeihend mild.

Was hätten ihm die Richter
Nicht willig dies gewährt,
Da sie ja volle Gnade
So gerne ihm beschert!

Zurück in seiner Zelle,
Begann von nun an dort
Ein Zeichnen und ein Meißeln,
Ein Schaffen fort und fort.

Nicht gönnt er sich mehr Ruhe;
Ja tief noch in der nacht
Er oft zum Bilde schleichet,
Betastend es bewacht.

Und als des Heilands Züge
Verklärte mehr und mehr
Der Strahl der ew'gen Liebe,
So sanft und doch so hehr;

Und ihm auf einmal wurde,
Als lebte es im Stein,
Und kündet' ihm Gott selber
Ein gnädig mild Verzeih'n;

Wie war des Meisters Seele
So innerst tief beglückt!
Wie fühlt` er allem ird'schen
Verschulden sich entrückt!

Das Bild – es war vollendet;
Ein jeder wollt' es sehn
Und mußt schmerzergriffen
Vor Werk und Meister stehn.

Der Markgraf selber eilte
Herbei: "O Glück und Heil!
Daß mir dies Bild zu schauen
Noch zeitig ward zu teil.

Nicht sterben sollst – nein leben
Bei mir, – doch wär's ein Lohn,
Da du im Himmel selber
Geschauet Gottes Sohn!"

Der Meister aber sagte:
"Mein Leben ist dahin;
Ich bin bereit zu sterben,
Denn Gott hat mir verzieh'n.

Um eine Gnad' nur fleh' ich:
Daß ich 'ne Ruhstatt' find'
Un dieses Kreuzes Fuße
Für mich und für mein Kind."

Und als am andern Tage
Aufstieg das Morgenrot,
Da kniet' die Händ' gefaltet
Vor'm Bild der Meister – tot.

Dort auf dem alten Kirchhof
Erhebt sich Grab und Bild:
Noch heut' wird frommen Beten
Die Träne dort gestillt.

(Braun, Hermann - Das Sühnekreuz auf dem ehemaligen Friedhof zu Baden-Baden, 1925)


Sühnekreuze & Mordsteine