Beiträge zur Geschichte der Steinkreuze |
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Mittelalterliche Wangelsteine
von Baurat Weisstein
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Abb. 1. Aus Lüneburg |
In dem Provinzialmuseum in Stralsund wird eine kleinere Anzahl (etwa 12) mittelalterlicher Steindenkmäler
aufbewahrt, welche als "Wangelsteine" bezeichnet werden. Unter diesem Namen werden Steine verstanden, welche den seitlichen
Abschluß einer Bank bilden nach Art der allgemein bekannten Chorgestühlwangen. Das Wort "Wangelstein" ist wahrscheinlich nur in
Stralsund üblich, alle anderen Orten hört man hierfür den Namen "Wangenstein", wie überhaupt das Wort "Wange" als Bezeichnung
für seitlichen Abschluß, z. B. als Treppenwange bekannt ist. Diese Steine, welche mit eingemeißelten bildlichen Darstellungen, wie
Wappen, Inschriften und dergl. geschmückt sind, verdanken einer besonderen baulichen Anlage ihre Entstehung und eine nähere
Untersuchung um so mehr, als die wenigen jetzt noch an Ort und Stelle erhaltenen Denkmäler bald wohl auch gleich den übrigen dem
modernen Streben, die Straßen von beengenden Einbauten zu befreien, zum Opfer fallen werden. Wie bereits oben angedeutet, ist
der Wangelstein mit einer steinernen Sitzbank verbunden, welche in baulichem Zusammenhang mit dem Hause neben dem
Haupteingang, und zwar rechtwinklig zur Front in die Straße hineinspringend angeordnet ist.
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Abb. 2. Aus Lüneburg |
Abb. 3. Aus Lüneburg |
Diese Bänke finden sich sowohl an einer, als auch auf beiden Seiten des Haustores und geben dem Hause einen äußerst wohnlichen,
behaglichen Charakter. Diese Anlage ist wohl verwandt, aber nicht gleich mit dein, was man jetzt "Beischlag" nennt und wovon noch
Beispiele in Danzig (1906 d.Bl., S.32), Königsberg, Elbing und einigen anderen Orten erhalten sind; während gewöhnlich der
Beischlag eine gegen das Straßenpflaster erhöhte Plattform bildet, auf welcher zuweilen seitliche Bänke angeordnet sind, ist der
Wangelstein mit seiner Bank in gleicher Höhe mit der Straße bzw. der untersten Türschwelle. Allerdings wird auch in einigen Orten,
wie Lübeck, Lüneburg, Hamburg, der Wangelstein "Beischlag" genannt, so erklärt auch Richey in dem "Idioticon Hamburgense" das
Wort "bislang" als "eine steinerne untermauerte Bank zu beiden Seiten der Haustür, welche Bänke in Hamburg etlicher Orten beinahe
sechs Fuß in die Gasse hineingehen".
In dem Wörterbuch der deutschen Sprache von Campe steht zu die Erklärung "eine Erhöhung von einigen Stufen vor den
Häusern, auf welcher man in dieselben eingehet. In Bremen werden alle steinernen Sitze vor den Häusern so genannt."
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Abb. 4. Aus Lüneburg (s.Abb.1.) |
Diese Anlage der Wangelsteine, welche hauptsächlich dem Ende des 15. und dem größten Teil des 16. Jahrhunderts, also der
Blütezeit der handeltreibenden Städte entstammt, findet sich örtlich vorwiegend in den nördlichen deutschen Gebieten (Pommern,
Mecklenburg, Lübeck, Hannover): die namentlich in den sächsischen Ländern übliche Bildung der Portalanlagen mit seitlichen
Sitznischen in den Werksteingewänden kommt hier nur ausnahmsweise vor, über letztere ist bereits in einem Aufsatz von K. Schäfer,
Zentralbl. d. Bauverw. 1885, S. 201 näheres veröffentlicht.
Die Wangelsteine bestehen meistens aus 15 bis 25cm starken, 0,50 bis 1m
breiten Platten von sehr verschiedener Höhe: sie sind aus Sandstein, vielfach auch aus Gotländer Kalkstein. Nach Mitteilung von
Professor Lindström in Stockholm "ist das treffliche Kalksteinmaterial Gotlands von Ausländern viel benutzt worden: die
Urkundenbücher und die Schifffahrtsregister geben davon Zeugnis. Nach dem Rechnungsbuche der Stadt Rostock erhielten im
Jahre 1283 Gotländer Schiffer bezahlt für "lapides", auch in dem lübschen Schifffahrtsregister vom Jahre 1386 werden öfters
Schiffe genannt, welche von Gottland nach Lübeck mit Steinen segelten.
Allen Wangelsteinen im 15. und 16. Jahrhundert ist eine fast gleiche Umrißform gemeinsam, der untere langgestreckte
rechteckige Teil ist oben durch einen scheibenartigen Abschluß bekrönt; bei reicherer Ausführung ist der Rand noch mit
rosettenförmigen Ansätzen verziert. Erst in der späteren Renaissancezeit wird der, Abschluß durch bogenförmige Gesimse oder
durch irgend, eine andere Endbekrönung gebildet.
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Abb. 5. Wangelstein. Stralsund, Heilgeist-Str. 49, Ecke Mauer-Str. |
Abb. 6. Greifswald, Lange Straße |
Abb. 7. Aus Rostock |
Abb. 8. Aus Stralsund |
Eine von den wenigen Anlagen, die sich ganz erhalten haben, ist in Abb. 1 dargestellt, sie findet sich in
Lüneburg: in Abb. 4 ist Tor mit Bank und Wangelstein besonders abgebildet. Abb. 2 (ebenfalls aus Lüneburg) zeigt die Anlage in
etwas veränderter Anordnung: der Wangelstein, geschmückt mit Hausmarke und Monogramm des Besitzers, steht in der Flucht des
Vorbaues. Eine reichere Ausstattung mit zwei Wangelsteinen, ebenfalls aus Lüneburg, gibt Abb. 3 wieder, die Steine, deren untere
Teile durch aufgeschütteten Boden verdeckt sind, sind mit religiösen Darstellungen und Wappen geziert. In dem Provinzialmuseum in
Stralsund befinden sich die Steine, Abb. 9, 10 und 11. Der erste Stein (Abb. 9) trägt die Jahreszahl 1552, Hausmarke und den
Namen "Witte"; Abb. 10 aus dem Jahre 1576 zeigt nur Hausmarke und die Anfangsbuchstaben H P: Abb. 11 enthält den Namen
Thomas Role, die Hausmarke und Abbildungen von Gebäcken.
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Abb. 9.
Abb. 10. Abb. 11. |
Das auf der linken Seite dargestellte Gebilde ist nach Höfler, Ostergebäcke, ein "dreieckiger Schönroggen": eine Form, welche nur
auf Mecklenburg, Hamburg, Stralsund, Rostock, Ruppin. Lübeck usw. beschränkt ist. Einen Wangelstein aus Stralsund mit
Wappenschild in gotischen Formen zeigt Abb. 5: dieser Stein ist einer von den wenigen, welche oben geradlinig abgeschlossen sind.
Ein Stein aus Greifswald, Abb. 6, zeigt eine Frauenfigur, auf einem Totenkopf stehend, in der einen Hand ein Stundenglas, in der
anderen ein Spruchhand haltend. Wie bereits oben erwähnt, verändert sich in der späteren Zeit der Renaissance die Form der
Wangelsteine wesentlich. Die in Abb. 13 abgebildete Anlage ans Hameln zeigt reich gegliederte Steine, geziert mit Hermen, kleinen
Figuren und Gehängen. Aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts stammen die beiden Steine aus Husum, Abb. 14 und 15; die
Wangelsteine sind in reichster Weise mit Zierrat und sinnbildlichen Darstellungen geschmückt. Allmählich hören die plattenartigen
Steine ganz auf und die Bänke werden durch figürliche Bildwerke abgeschlossen, ein schönes Beispiel hierfür ist in Schwerin
vorhanden, wo, wie Abb. 12 zeigt, Löwenfiguren die beiden zur Seite der Haustür befindlichen Bänke begrenzen.
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Abb. 12. Aus Schwerin |
Hieran anknüpfend sei noch auf eine Art von Steinen hingewiesen, die der Form nach den beschriebenen
Denkmälern sehr ähnlich sind und auch den Namen "Wange" führen, aber trotzdem eine andere Zweckbestimmung haben. Es haben
sich unter dieser Bezeichnung Steine erhalten, die meistens religiöse Darstellungen tragen und als Denksteine für irgend ein
wichtiges Ereignis errichte sind. Besonders häufig findet man die Steine als Sühnesteine, so zeigt Abb. 7 eine "Wange", die sich in
Rostock erhalten hat. Der Stein ist an einem Gebäude ungefähr 1m über Straßenpflaster eingemauert und zeigt eine vor einem
Kruzifix knieende männliche Figur. Nach der geschichtlichen Überlieferung mußte die Stadt Rostock diesen Stein zur Sühne für
den in einem Straßentumult im Jahre 1487 lebensgefährlich verwundeten Dompropst Thomas Rode
errichten; die hierauf bezügliche Inschrift lautet mit den erforderlichen Ergänzungen nach "Etwas von gelehrten Rostocker Sachen
1742": Anno Dni MCCCC in deme VII unde LXXX tene jare au deme daghe Felicis p ... Wart Er Thomas Rode van deine leven to
deme dode gebracht. de[me Got gnedich un barmhertich sy]. In dem Spruchband stehen die Worte: Misere mei Deus.
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Abb. 13. Aus Hameln |
Abb. 14. Aus Husum |
Abb. 15. Aus Husum |
Ein ähnlicher
Stein ist vor einigen Jahren bei einem Umbau in Stralsund gefunden worden: der Stein, der in Abb. 8 dargestellt ist, hattlange Jahre
mit der Bildseite nach unten als Türschwelle gedient; er ist jetzt auf dem Hofe des Hauses Schillerstraße 16 in einer Mauernische
befestigt und dadurch der weiteren Zerstörung entzogen. Das obere, für Wangensteine charakteristische kreisförmige Teil zeigt
einen Christuskopf, der untere Teil wird von einer männlichen Figur mit Buch und Schwert (Paulus?) eingenommen. – Das Studium
der Inschriften dieser Wangelsteine bietet für die Ortsgeschichte ein reiches Material. Immer mehr und mehr verschwinden diese
reizvolle Anlage, in nicht allzu ferner Zeit wird wohl kein einziger Wangelstein mehr an Ort und Stelle erhalten sein.
(Weisstein, in: "Die Denkmalpflege", Nr. 6, IX. Jahrgang, 1907, S.41-43)
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