Beiträge zur Geschichte der Steinkreuze


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Martelkreuze (Sühnesteine) in Dithmarschen
Von C. Rolfs, Hoyer

   Wer im südlichen, katholischen Gegenden eine Fußwanderung macht, trifft nicht selten auf Kreuze am Wege, sog. Martelkreuze, die zur Erinnerung an einen Unglücksfall oder an einen Totschlag an dieser Stelle errichtet sind. Im letzten Krieg haben unsere Soldaten auf ihren Märschen manche derartige Kreuze in Frankreich gesehen. In der Denkmalpflege, Jahrg. 1912, Nr.1, sind in einem Aufsatz über alte Grabkreuze an der Mosel auch "Wegekreuze" aufgeführt, und es ist die Bemerkung hinzugefügt: "Diese Wegkreuze sind jedenfalls sehr beachtenswert."
   Auch in Dithmarschen hat es in alter Zeit solche Wegekreuze gegeben. Einzelne sind noch bis auf den heutigen Tag erhalten. So steht in der Nähe von Schalkholz an der Landstraße nach Tellingstedt ein reichlich ein Meter hoher Granitstein, der die nahezu ganz verwitterte Inschrift trägt: Carsten Groth ist geschaten … Ao 80. Oben sieht man Wappen (?) und Hausmarke, unten ein großes Kreuz. Die Sage erzählt, dass zwei Brüder einst dasselbe Mädchen geliebt, und daß der eine den andern an dieser Stelle erschossen habe. Der Stein wird im Volksmunde "Klaas-Steen" genannt, vielleicht nach dem Vornamen dessen, der hier seinen Bruder Carsten erschossen hat.
   Auch in der Hennstedter Gemeinde, an einem Wall zwischen Hennstedt und Pferdekrug, findet sich noch heute ein solcher Stein, dessen Inschrift aber nicht mehr zu entziffern ist. Nach der Sage soll auch hier der eine Bruder den andern aus demselben Grunde getötet haben.
   Viel bekannter ist aber der jetzt auf dem Lundener Kirchhof befindliche Gedenkstein, der an die Ermordung des bekannten Achtundvierzigers Peter Svin erinnert; es sind eigentlich zwei Steine, die an ihn erinnern; der eine Stein ist offenbar der eigentliche Grabstein, denn auf demselben steht die Inschrift: "Ao Christi 1537 am Tage Marie Hemelvart den XV August is hir Peter Sviin begraven worden." Der andere Stein wird aber, da man doch nicht zwei Steine auf einem und demselben Grabe anbringt, ursprünglich anderswo gestanden haben, und zwar da, wo Peter Svin ermordet worden, und wo jetzt noch ein roher Granitblock - ohne Inschrift - daran erinnert. Dieser 2m hohe und 0,56m breite Sandstein zeigt in einem Bogenfeld das Bild des Gekreuzigten, darunter die Jahreszahl 1537 und die Darstellung der Ermordung; man sieht Peter Svin am Boden liegen und den barfüßigen, mit weiten Hosen bekleideten Mörder auf ihm knien und mit einem Dolch oder Messer zum Todesstoß ausholen. Das Pferd des Ermordeten steht daneben. Darunter befindet sich das Svin’sche Wappen und eine Hausmarke. Die Minuskelinschrift am Kopfende des Steines lautet: "Anno 1537 am avent Marie Hemelvart is hir erbarmlik to dode ghebrocht de hochlobliche Peter Sviin, olt … Jar." Die Inschrift auf der Rückseite des Steines ist jetzt auch entziffert worden:

"Och hir is ungitlick (?) vormordet de erbar Peter Svin,
Deme Got de Here gnedich wil sin.
He is dyssem Lande so ratlick truwe gewesen,
Alse bi velen Heren, Steden, Landen uterlesen.
De vriheit dysses Landes so vri bewart.
Darumme liff un levent nicht gespart.
Dar nu gut ditmersche is, de beruwet sick
Disses Mordes, dat is ghewes!"


Sühnestein bei der Kirche zu Heide

   Ein vierter Stein, der hier in Betracht kommt, ist vor einigen Jahren bei der Kirche in Heide ausgegraben und liegt nun dicht an dem südlich der Kirche vorbeiführenden Fußsteig (s. Abb.). Auf diesem sind zwei Männer abgebildet mit Hut und Federbusch und weiteren Kniehosen, von denen der eine dem andern den Dolch in die Brust stößt. Auf dem Steinliest man - soweit es bisher hat entziffert werden können - in gotischen Minuskeln die folgende Inschrift: De den Doth geleden heft, het mit Namen Rode Martens Frens, de eme den Doth gedan heft, het Johs. Offen Frens, is olt gewesen … 25 Jar – in LXvii Jahre …. Die hier genannten gehören zu den angesehensten Familien in Dithmarschen. Rode Marten, dessen Sohn getötet wurde, wohnte in Rickelshof bei Heide, sein Name findet sich in der Liste der von den Dithmarschern 1559 gestellten Geißeln. Nach dem Wappen auf dem Stein - zwei gekreuzte Anker - gehörte Rode Marten zu dem einflussreichen Geschlecht der Woldersmannen.
   Eine kurze, bisher wohl kaum beachtete Bemerkung bei Neocorus (II, 273) wird durch die Inschrift dieses Steines verständlicher. Danach ist es mit Rode Martens Sohn ähnlich ergangen, wie mit Claus Vagt in Wesselburen. Unter der Überschrift "Wunderliche Straffe" berichtet nämlich Neocorus: Claweß Vaget up den Wehren erstak den Maler, de de Kerke tho Weßlingburen malede, in den luchtern Arm und starff; hernha steket Hinrichs Carstens Hinrich ehn ock in densulven Arm, derwegen Claß Vagt solche rechtverdige Straff erkendt des mottwilligen Dotschlags, unnd gesecht: ick hebbe minen Deel wech, ock solches sinen Bichtvader gebichtet unnd gesecht, he offt unnd veel mal Gott gebeden, ock mankt Korn van sinem Volke gegan, dat Got ehn hir thor Werlt unnd nicht ewigen straffde. Simile Rode Martens Sone." In dem alten Heider Kirchenbuch findet sich eine Vereinbarung zwischen den 24 Männern in Heide und Rode Martens Erben über ein gemauertes Familienbegräbnis auf dem Heider Kirchhof. Dieselbe lautet:

   Tho Wetende sy hiermit Idermänniglich, nachdemme seeligen Rode Martens Eruenn vnd Sohns Kinder Inn Affsteruen eres seligen Grothvadern eine Begreffnus vp den Kerckhaue thor Heide vpmuhren lathen, wor Iegenn sich de Gemenheitt thor Heide etlicher mathenn gesettet vnd solliches nicht gestaden willen, auerst entlich tho gudtlicher Handlung vnd pillich Affdracht gestellet; So hebben sich derowegen ermeldete Rode Martens Sohns Kinder mit dee XXiiij Männern1) vnd den Thogeordenten van den Dorperen2) vorglicket vnd vortragen, also datt se de erffenn sollicher vpgemuhreden Begreffnus halber der Kercken eins vor alle geuen scholenn vnd wollen Einhundert vnd vofftig Marck I. vnd de hinderstelligenn vofftig Marck, wann de Grothe Moder, Rode Martenns Catrine3), mit Dode vorfallen werdt, allewege an barem Gelde ohne einigen fernern Vortoch, Kinder vnd Schadenn, worjegenn se ermeldete Rode Martens Sohns Kind vnd ere eruen solliche Begreffnus erffen na erffenn mit eren Doden gebrucken, ock na Nottorst, so witt vnd brett de itzige Begreffnus iß, desulue buwen vnd to beteren scholen vnnd mogen vnnd achall enen den gedachten erffenn nichtsoweniger allewege de andern gemenen Begreffnussen naberglick buthenn dem gemuhreden Graffe gegonnet vnd nicht geweigert werden vnd iß disser Vordrach demnach vp beider Parths Begehren thor ewigen Gedechtniß In ditt Kercken Bock getekent worden.

Actum den XI Monats Dag May Anno 1590.
Joh. Rassche4), Notarius
manu propria

   Die Familie des Mörders gehörte ebenfalls zu den angesehenen Familien in Dithmarschen. Sein Vater, Johann Offe5), war einer der ersten Kirchenspielsvögte in Hennstedt. Sein Name findet sich neben Carsten Junge, dem Vater des Kanzlers Nicolaus Junge aus Schlichting, unter einer Bauernschaftsbeliebung des Kirchenspiels. Im Jahre 1595 hat er nebst den Ältesten die der Hennstädter Kirche gehörenden Länderein in Tielenhemme6) an Max Spreet und Konsorten für 3200ʥ verkauft. Glücklicherweise wurde dieser kauf auf Antrag des Kiurchenbaumeisters Claus Fehring und des Diakonus Paul Brüggmann von der Gottorfer Regierung wieder rückgängig gemacht. Die Hennstedter Kirche hat aus dem Tielenhemmer Marschland jetzt so viel Einnahme, daß sie vor kurzem in der Presse als eine der reichsten Kirchen bezeichnet werden konnte. Neocorus, der offenbar nicht gut auf den Kirchenspielsvogt zu sprechen war, erzählt, wie er sich im Jahre 1599 mit einer sehr alten, schwer kranken Frau aus Delve verheiratete, um auf solche Weise in den besitz ihres nicht unbedeutenden Vermögens zu gelangen. Er berichtet darüber in folgender Weise: den 31. Martii (1599) leth sick Johan Offe, Carspelvagt tho Henstedt, ein sehr oldes affgelevedes Wiff im Krankenbedde thom Delve geven. Dar mochte men sehn, wat nicht auri sacra fames ded, den de schone Gestalt des Wives konde ehn nicht wol bewegen; tho deme lag se fast dodtkrank, efft nun schone nha Landeßgebruk de Ehe nicht 2 mal von der Cantzel affgekundet, dennoch leth he sick deßulve novo exemplo geven vnnd verehlichen im Krankenbedde, up dat he alß ein Ehman de Giffte deß halven Gudes im Testamente geneten mocht, so sick ungefehr up 1500ʥ erstreckte; averst Gott gaff, it bleff beleven vnnd he moste dato le Wiff nehmen. Neoc. II, 359.
   Der Kirchenspielsvogt muß aber zur Zeit dieser Eheschließung auch selbst schon ziemlich alt gewesen sein, da er zur Zeit des Mordes schon erwachsene Kinder aus erster Ehe hatte.
   Herr Oberregierungsrat Prall in Schleswig hat mich vor Jahren auf diesen Stein, der damals ausgegraben worden und der auch wegen der Trachten der beiden darauf abgebildeten Männer von Interesse ist, aufmerksam gemacht, und Herr Zeichenlehrer Skurla an der Oberrealschule in Heide hat die Freundlichkeit gehabt, mir eine Zeichnung des Steines zu übersenden und mir bei der Entzifferung der Inschrift behilflich zu sein.
   Was die Trachten betrifft, so dürfte es von Interesse sein, was Herr Dr. Stierling, Altona, der beste Kenner dithmarsischer Trachten, dem ein Abzug der beigegebenen Abbildung vorgelegt worden, darüber urteilt: Die beiden Männer tragen das alte formlose Wams und die langen weiten Fischerhosen, wie sie an unserer ganzen Westküste von Urzeiten her üblich waren. Zur Zeit des Neocorus ging man zur spanischen Mode über, behielt jedoch, wie er ausdrücklich hervorhebt, vielfach die alten langen weiten Beinkleider bei. Neocorus sagt (S.129 des Heider Neudrucks): "Averst doch beholden se noch vor sick ehre lange Büxen edder lange Hasen, alß de ehnen am geradesten, am gadelichesten unde am lichtflödigsten sin, datt se in Sommerßtiden keiner Nedderhasen darbi bedarven."

Anmerkungen:
1) Diese "Vierundzwanziger" bildeten das weitere Kollegium, während die "Vierzehner", die schon 1538 erwähnt werden, und die in dem oben erwähnten alten Kirchenbuch von 1575 auch die "Ältesten" genannt werden, das engere Kollegium bildeten.
2) Die 4 Bauernschaften: Wesseln, Rüsdorf, Lohe und Rickelshof, die mit der Bauerschaft Heide - daher de "Vifburn" in alten Urkunden, Neocorus (I, 245) nennt nur die 4 ersten - an der Gründung der Kirche in Heide beteiligt waren; cf. Das Vikarien-, Zeiten- und Memorienregister der Kirche zu Heide vom Jahre 1538, Schriften des Vereins für Schleswig-Hilst. Kirchengeschichte Band II, 289f.
3) Rode Martens Witwe Catrine, die Mutter des Ermordeten, lebte also damals (1590) noch. Rode Martens Name kommt noch in dem Visitationsprotokoll vom 21. Mai 1584 vor: De Bumeister schollen den Armen alle Sondage in der Karken de Almosen samlen. Rode Marten will den Büdel (Klingbeutel) betalen. Schriften des Vereins für Schleswig-Holst. Kirchengeschichte Band V, 292.
4) Hans oder Johanes Rasch war Landschreiber in Heide bis 1616. Er ist am 5. Mai 1621 gestorben. Neoc. II, 298, 303, 343, 348 u. 498. Bolten, Geschichte Dithm. IV, 508f.
5) Das Geschlecht, zu dem Johann Offe gehörte, führte nach Neoc. I, 236 "eenen Eckenbom, darunter 2 blawe angebundene Winden" im Wappen.
6) Die Kirche in Hennstedt besaß in Tielenhemme gut 160 Demat. Der Tielenhemmer Koog wurde 1623 eingedeicht.

(Nordelbingen I, S.161-162)

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