Deutschland Mecklenburg-Vorpommern Kreisfreie Stadt Greifswald

Greifswald


Zustand 2011
Foto: Basler

PLZ: 174XX

GPS: N 54° 5,815', O 13° 23,048'

Standort: Im Inneren der Marienkirche in Greifswald, im Durchgang zwischen Turm und Kirchenschiff.

Größe / Material: 171:89:21 (ohne Sockel) / Gotländischer Kalkstein.

Geschichte: Der Stein, der die Form einer Platte hat, ist in der Kirchenwand eingemauert. Unterhalb der Platte befindet sich ein Sockelstein, mit den Abmessungen Höhe 0,96m, Breite 0,97m, sichtbare Dicke 0,23m.

In der Silvesternacht 1462 erschüttert ein Mord Greifswald und weite Umgebung. Ein Mörder, der Handwerksbursche Klaus Hurmann, schlägt mit seiner Axt im Rathaus Bürgermeister Heinrich Rubenow (1410-1462) den Schädel ein. Rubenow war außerdem Rektor der von ihm gegründeten Universität, die als erste in Pommern 1456 den päpstlichen Segen erhielt. Wenige Tage nach dem Mord erfolgt die Beerdigung von Heinrich Rubenow in der damaligen Kirche des Franziskanerklosters in der Mühlenstraße (heutiges Gelände des Grauen Klosters). Doch der Mörder war nur ein Handlanger der damaligen Oppositionsführer im Rat, Dietrich Lange und Nikolaus von der Osten. Diese hatten, zusammen mit dem Pommernherzog Erich II., ein mörderisches Komplott geschmiedet. Nach dem Mord und der erfolgten Hinrichtung des Mörders kommt es zu einem mittelalterlichen Sühneprozess, in dessen Ergebnis von den Schuldigen jener Sühnestein gestiftet wird, der seit 1792 in der Marienkirche zu Greifswald zu bewundern ist.
Der Stein zeigt folgende drei Ebenen in qualitätsvoller Ritztechnik:
Ganz oben die Darstellung von der Greifswalder Klosterkirche, mit der Inschrift I N R I. Dieses Kloster wurde allerdings im Jahre 1790-1792 abgebrochen, wobei das Grab verloren ging. Der Sühnestein steht seitdem in der St. Marienkirche.
In der zweiten Ebene sieht man in der Mitte den gekreuzigte Christus mit Bildnissen von Rubenows Frau und seinen Hausfrauen sowie dem knienden Verstorbenen.
Zu ihnen spricht Christus die auf dem linken Spruchband verzeichneten Worte (Joh 19, 26f.):
Ecce Mater tua – Mulier ecce filius tuus.
= Siehe, das ist deine Mutter - Weib, siehe, das ist dein Sohn.
Rechts unter dem Kreuz kniend der ermordete Rubenow, auf dem Haupt ein Barett, gekleidet in einen Mantel mit kurzem, hermelin-besetzten Kragen, wie ihn auch die Professoren auf dem Rubenow-Bild in der Nikolaikirche tragen.
Das rechte Spruchband lehnt sich an die Worte Christi vom Kreuz (Lk 23,34) an und lautet in doppelt gereimten Zeilen:
Occisi temere deus alme mei miserere
Ignoscendo meis qui pupugere reis.

Erbarm dich mein O heilger Gott.
Der ich ohn Schuld bin geschlagen todt.
Den Thätern wolstus auch vergebn.
Die mich gebracht han umb das Leben.
Unter dem Kreuz ist Rubenows Wappen, zwischen Weinblättern ein schräger Balken, worauf drei springende Windspiele mit goldenen Halsbändern erscheinen.
Die untere dritte Ebene enthält eine niederdeutsche Inschrift in fünf Zeilen:
Uppe nyen jares aven de des lesten daghes des iars der bord Christi MCDLXII
wart slaghen her Hinrik Rubenow doctor in beiden regte unde borghemeister hyer.

oder (nach Daniel Cramer, 1628):
Der genaue niederdeutsche Wortlaut ist:
Uppe.nye.iaresave[n]de.des.leste[n].daghes.des.iars.der.bord.Xpi[=Christi] m.cd.IXII.
wart.slaghe
[n].her.hinrik.rubenow.doctor.in.beide[n].regte[n] u[n]d[e].borgh[er].meister.hyr.
= Auf Neujahrs abend, am letzten Tage des Jahres der Geburt Christi 1462
ward erschlagen Herr Heinrich Rubenow, Doktor beider Rechte und Bürgermeister hier.
(Anmerkung: Doktor beider Rechte = kirchliches und weltliches Recht). Unterhalb des Sühnesteins befindet sich zusätzlich ein Sockelstein, der folgende Inschrift trägt: BUERGERMEISTER RUBENOW GRUENDER DER UNIVERSITAET GREIFSWALD † 1462 (Fredrich 2006)

In der Stadt Gripswald / Hertzogthumbs Wolgasts (das andere Bardt nennen) wohnete der Zeit eines vortrefflichen alten geschlechts auffrichtiger Mann/ der rechten Doc. und Bürgermeister daselbst. Welcher ob er sich wol mit vielen der Stadt erzeigten wolthaten/ sonderlich aber auch / dz des orts ein hohe Schul/ durch sein befürdern / mit statlichen darauff erlangten privilegien uń ausskunfften/ zu besoldung der Professorn angerichtet worden/ bey männiglich sehr verdinet gemachet:
Anfangs aber hat jn der F. bey dě er zuvor wegen seiner tugend in grossen gnaden gewesen/ angefeindet. Und als solchs seine mit Rathsverwandten in der stadt erfahren/ haben sie es entweder selbst angestifftet/ oder doch auch zŭ wenigsten gutwillig geschehen lassen/ das jn 2 bößwichter, und Mörder in der Rathsstube/ da er sampt einem seiner Collegen saß/ uberfallen und nach wenig worten/ jm den kopff gespalten/ und todt nieder auff die Erde geworffen. Der bey jm auff der banck/ ein frommer und guter mann/ erschrack ob solcher schelmischen that uber die massen sehr. Was wolte oder konte aber einer allein und unbewert/ gegě zween die mit wehr und waffen wol vorsehen? Auch verstundt er damals nicht/ wo solcher mordt herrührte/ aber zweyen von den andere jren mit Ratsverwandten wars unverborgen/ und wusten gar wol das er seiner tugendt halber erwürgt. (Crantz 1462)

Sage: Vor ungefähr 400 Jahren hat in Greifswald ein Bürgermeister gelebt, Namens Doctor Heinrich Rubenow. Demselben hat die Stadt zwar vieles zu verdanken gehabt, indem es besonders seinen Bemühungen gelang, daß die Universität nach Greifswald kam. Er war aber auch von unruhigem und rachsüchtigem Gemüthe, so daß er die Stadt in viele Streitigkeiten verwickelte, und mancherlei Ungemach über sie brachte. Wenn er dann zur Verantwortung gezogen wurde, so wußte er sich immer herauszureden, und er wurde aus einem Angeklagten ein Ankläger. So ließ er noch zuletzt den anderen Bürgermeister, Diedrich von Dörpten, als einen Aufrührer zum Tode verurtheilen und auf offenem Markte hinrichten. Auf solche Weise hatte er sich viele Feinde gemacht, und sein Ende war, daß er im Jahre 1462 auf jämmerliche Weise ermordet wurde. Das sollen die Rathsherren selbst gethan haben. Man sagt auch, daß es in seinem eigenen Hause geschehen sey, und zwar unten auf dem Hausflur, gleich an dem dort befindlichen Hals der Kellertreppe. Denn in diesem Hause, welches in der Baaderstraße liegt, und jetzt von dem Bürgermeister Billroth bewohnt wird, sieht man noch oft des Abends seinen Geist. Er erscheint gewöhnlich mit Peitschenknall. Er sieht sehr bleich aus, und trägt eine große Pelzmütze. Man sieht ihn nur in der Gegend des Kellerhalses, hinter dem er auch wieder verschwindet. (Temme 1840)

Quellen und Literatur:
Albert Crantz, 1462 - nach einer Abschrift von 1601
Temme, J.D.H. - Die Volkssagen von Pommern und Rügen, Berlin 1840, Nr. 283
Schmekel, Ruth - Nun ging ich Greifswald zu, Christians Verlag, Hamburg 1980, Seite 139-143
Schumacher, Hans-Jürgen - Die Nacht der schwarzen Krähe. Die Geschichte des Mordes am Universitätsgründer und Bürgermeister Dr. Heinrich Rubenow anno 1462 zu Greifswald, buch.macher autorenverlag, Mesekenhagen 2004 (Umfang 168 Seiten)
Saal, Walter - Beischlagsteine und ihre Beziehungen zu Grabkreuzen und Sühnezeichen, in: Steinkreuzforschung, Sammelband Nr.4, 1982, S.30-35
Fouquet, Gerhard - Heinrich Rubenow (Greifswald), 2003
Flyer der Marienkirche von Greifswald, 2006
Oberdörfer, E. - Die Ermordung des Unigründers, in: Ostsee Zeitung, Ausgabe Usedom-Peene-Zeitung, Nr.303, 60.Jahrgang, vom 28.12.2012, S.12
recherchiert und bebildert von Wolfgang Fredrich, Sponholz und der Forschungsgruppe Preußische, Mecklenburgische und Anhaltische Meilensteine e.V.
Ergänzungen von Paul Basler, Schwarzenbach/Saale (Foto vom 1.08.2011)


Sühnekreuze & Mordsteine