Beiträge zur Geschichte der Steinkreuze |
Eine Besonderheit des Nord- und Ostseeraums oder richtiger und zusammenfassender des hanseschen Handelsraumes
sind die Beischlagsteine, die in den Hansestädten die Öffnungen der Beischläge zur Straße hin begrenzten. Die Beischläge waren terrassenförmige Hausvorbauten,
die durch Treppen mit der Straße verbunden waren. Auf ihnen wurden, wie auf Plattformen, die Waren abgesetzt, die von hier aus in die Speicher der Obergeschosse
transportiert werden sollten. Die Beischläge wurden sehr oft seitlich von den mit Buden überbauten Kellereingängen flankiert. Soweit diese Überbauten die Beischläge
nicht begrenzten, geschah dies durch gemauerte Geländer. Diese Geländer fanden an den Antritten der Treppen ihren Abschluß durch senkrecht stehende Steinplatten,
die parallel zur Straße ausgerichtet waren. Die mir bekannt gewordenen Beischlagsteine sind sämtlich aus gotländischem Kalk gefertigt und weisen sich damit
offensichtlich als hansesches Handelsgut aus. Lediglich in den Städten Estlands besteht die Möglichkeit der Verwendung einheimischen Kalksteins, der aber dem
gotländischen sehr verwandt ist und der auch im norddeutschen Raum vertreten sein kann, da der Transport estländischer Kalksteinplatten zumindest nach Stralsund
und Rostock sehr wahrscheinlich gemacht werden kann.
Die Ausweitung des Handels und die damit verbundene Verlagerung der Handelswaren in die Speicher der Häfen selbst, machten die
innerstädtischen Speicher überflüssig (zum größten Teil), sodaß die Speichergeschosse zu Wohnzwecken umgebaut wurden. Diese Entwicklung ist besonders um
die Wende des 16. zum 19. Jahrhundert zu beobachten, wobei die Kontinentalsperre und die napoleonischen Kriege sicher verstärkende Wirkung ausübten. Die
Notwendigkeit zur Beschaffung von billigem Wohnraum im Zuge der beginnenden Industrialisierung im 19. Jahrhundert wird dazu ein Weiteres beigetragen haben.
Eine Folge des Wegfalles der innerstädtischen Speicher war auch die Beseitigung der Beischläge in den meisten Handelsstädten. Der Höhenunterschied zwischen der
Straße und der Fußbodenfläche des Hausflures wurde durch eine Anhebung der Straße ausgeglichen, oft im Zuge von Neupflasterungen, zum Teil wurden auch die
Außentreppen in die Häuser hineingezogen. Die dem heutigen Beschauer sich bietenden niedrigen Kellereingänge sind aus dieser Entwicklung heraus zu erklären.
Die Beischlagsteine wurden in der Mehrzahl vernichtet, zum Teil wurden sie auch sekundär weiterverarbeitet und sind z.B. in Tallinn (Reval) mit Neuaufschriften als
Grabsteine von Arbeitsleuten auf den Olai-Kirchhof gekommen .- Die in Gdansk (Danzig) noch 1939 vorhandenen Beischläge wurden zum größten Teil am Ausgang
des letzten Krieges vernichtet und sind erfreulicherweise von der polnischen Denkmalpflege wieder liebevoll in der alten Form restauriert worden. Sie müssen jedoch
als Ausnahme angesehen werden, die meisten Beischlagsteine sind heute nur noch in den Museen zu bewundern, wie z.B. in Greifswald.
Die Urform der Beischlagsteine ist die einer hohen Rechtecktafel. Vermutlich sind die Platten auch in dieser Form aus Gotland exportiert
worden. - Sofern sie weiterverarbeitet gewesen sind, dürften sie den gotländischen Grabsteinen des 13. bis 15. Jh. entsprochen haben, d.h. sie haben eine durch
Ritzzeichnung erfolgte einfache Darstellung von Kreuzen oder Nimbusscheiben auf Stäben und Sockeln getragen. Diese Darstellungen kamen in der ottonisehen Zeit
auf, wurden für die Romantik üblich und retteten sich geringfügig verändert in die Gotik hinüber. Diese Veränderung bestand meist aus dem Übergang von der
Ritz-Zeichnung zur flachen Herausmodellierung des Kreuzes, wobei der Korpus zu Anfang selbst noch eingeritzt blieb. Erscheint in der Anfangszeit am Kreuzsockel
noch verschiedentlich der Lebensbaum als Auferstehungszeichen, so tritt der Korpus in der Gotik als beherrschendes Moment auf. Der tröstliche Auferstehungsgedanke
hat sich zum schmerzlichen Tod für die Menschheit am Kreuzesholz gewandelt, wobei ungeklärt ist, wie weit die Künstler dabei an die Erlösung durch Christi Tod oder
das Hinscheiden des Verstorbenen gedacht haben.
Die Nimbusscheibe der Grabsteine rückte dann in der Weiterentwicklung an das obere Ende der Kalksteintafel und trat zuletzt auch aus ihr
heraus, wobei dieses Heraustreten durch zwei seitliche, gegenständige V-förmige Einschnitte erreicht wurde. Diese Einschnitte trennen von der länglich-rechteckigen
Platte ein Quadrat von der Seitenlange der Plattenbreite ab. Aus diesem Quadrat, das auf der nunmehr verkürzten Rechteckplatte aufsaß, entwickelte sich durch
Brechen der oberen Ecken ein Siebentel-Achteck oder ein nahezu vollständiger Kreis. Da sich Reste von früheren Kreuz-Grabsteinen auch auf den estnischen Inseln
Saaremaa (Ösel) und Muhu (Moon), sowie an der diesen Inseln benachbarten Küste finden, besonders aber an und in den Kirchen, jedoch aus heimischem Gestein
gefertigt sind, dürften die gotländlschen Steinmetze ihre Kunst in den gesamten Hanse-Handelsberelch weitergegeben haben. Bisher konnte noch nicht nachgewiesen
werden, ob gotländische Stelnmetze etwa auch in den Einfuhrorten seßhaft geworden waren und hier die Endbearbeitung selbst vornahmen.
Auf eine Besonderheit sei in diesem Zusammenhang hingewiesen: In Stralsund wurden die Beischlagsteine als Wangelsteine bezeichnet.
In der funktionellen wie künstlerischen Gestaltung der Beischlagsteine knüpfen diese an die Traditionen der hohen Seitenwangen des
kirchlichen Holzgestühls, vor allem des Chorgestühls, an. An Einflüsse durch Gedächtnissteine darf weniger gedacht werden und sofern dieses bejaht werden muß,
so liegt der Einfluß sicher auch viel später. An solche durch Totenbretter darf garnicht gedacht werden, da die Beischlagsteine den Besitzreichtum ihrer Inhaber
dokumentierten, die sich sicher auch nur in Särgen bestatten ließen und nicht etwa auf einfachen Brettern oder gar nur in Leinenumhüllungen.
Die in Schweden, dem baltischen und nordwestdeutschen Raum vorhandenen Radkreuze mit durchbrochenen Stellen zwischen Kreuzarmen
und Radkranz sind entweder sehr früh abgespaltene Weiterentwicklungen oder haben anderen eigenständigen Einflüssen unterlegen. Das fällt vor allem an den Steinen
auf, deren Fußbreite größer ist als die Breite des Kopfes und deren Grundform daher wohl nicht das Rechteck, sondern das Trapez war. Das gilt vor allem für das
baltische Gebiet, obwohl einheimische Forscher in ihnen Nachfolger der Beischlagsteine sehen. Man muß wohl mehr eine Entwicklung aus gemeinsamer Wurzel in
Betracht ziehen, denn das durchbrochene Radkreuz war im Baltikum des 17. Jh. der bevorzugte Grabsteintyp der bäuerlichen Bevölkerung und hielt sich im Gebiet der
Küstenschweden noch bis in den Beginn unseres Jahrhunderts.
Auf den Beischlagsteinen wurden gern neben den Hausmarken oder -zeichen oder -wappen, was für die Endbearbeitung am Aufstellungsort
spricht, Heilige abgebildet. Die Wappen wurden bevorzugt im oberen Rund oder Eck angebracht, Hausmarken dagegen fanden sich auch an ihrem Fuß, sofern man in
diesem Fall nicht Steinmetzzeichen sehen will. Die beliebteste Heiligendarstellung scheint die des Hl. Georg gewesen zu sein. Sie wurde mir aus Hamburg
(Historisches Museum), Rostock und Tallinn bekannt. Auf dem aus der Renaissance-Zeit stammenden Rostocker Beischlagstein steht der Heilige erhaben auf der
unteren Tafel, während das obere Rund von einem Wappen eingenommen wird. In Hamburg ist der Heilige vertieft auf der ganzen Fläche des Steines untergebracht,
die Entstehung des Steines wird auf um 1440 datiert. - Die Wappendarstellungen dürften sich besonders in der Frührenaissance durchgesetzt haben, sie wurden später
zum untrennbaren Teil der Gesamtkonzeption der Beischlagsteine und schließlich in der 2. Hälfte des 17. Jh. zu ihrem Hauptelement.
Nach der Reformation treten verschiedentlich an die Stelle der Heiligendarstellungen Bibelsprüche. - Im Stadtmuseum von Tallinn befindet
sich das Oberteil eines Beischlagsteines mit der Darstellung einer sechsblättrigen Rose, die in ihrer sonstigen Gestaltung stark an die Lutherrose erinnert.
Das "Pomertkreuz" bei Herrnburg (DDR) |
Das Kreuz nach einer Zeichnung in der Zeitschrift „Heimat“ (1891) |
(Steinkreuzforschung, Sammelband Nr.4, 1982, S.30-35)Schrifttum:
Auch einfache Bau- und Flurdenkmäler dürfen nicht unbeachtet vom politischen und wirtschaftlichen Geschehen ihrer Entstehungszeit betrachtet werden.
Auch zwischen verschieden gestaltigen Denkmalen einer Zelt gibt es zu beachtende Verbindungen.
Die Form und das Material der Denk- und Sühnesteine und auch der Grabmäler wird von der sozialen Stellung des Gestorbenen oder Getöteten mitbestimmt. Sicher ist auch die Darstellung des Betenden mit umgeschnallter Geldtasche auf den Mordwangen nicht unabsichtlich erfolgt.
Bei mittelalterlichen Denkmalen ist stets die wörtliche Auslegung einer Bibelstelle der theologischen vorzuziehen.
H. ENDE: Denk- und Sühnesteine in Mecklenburg, in: Deutscher Kulturbund. Bezirksleitung Schwerin. Komnission Natur und Heimiat. Informationen des Bezirksarbeitskreises für Ur- und Frühgeschichte Schwerin. Nr.13, 1973, S.56-67.
C. A. NORDMAN: Eigenes und Fremdes in der mittelalterlichen Kunst Finnlands, in: Aspekte zur Kunstgeschichte von Mittelalter und Neuzeit. Weimar, 1971, S.223-249.
H. ÜPRUS: Tallinns etikukivid. Tallinn 1971.
TH. MÖLLER: Sühne- und Erinnerungsmale in Schleswig-Holstein, in: Nordelbingen 17/18, Hamburg/Lübeck 1942, S.89-169.