Deutschland Mecklenburg-Vorpommern Lkr. Nordwestmecklenburg

Sülsdorf


Detail des Reliefs
und der Inschrift

Zeichnung bei
Buddin (1906)

Abbildung bei
Schlie (1901)

PLZ: 23923

GPS: N 53° 53,497', O 10° 52,936'

Standort: Aus Lübeck über Selmsdorf in Richtung Dassow auf der Bundesstraße 105 kommend, biegt man links nach Teschow ab. Nach 200 Metern befindet sich rechts hinter den Altneubauhäusern ein Waldweg, auf dessen rechter Seite gleich der Sühnestein steht.

Größe / Material: 240:57:18 / rötlicher Sandstein

Geschichte: Bei dieser Mordwange handelt es sich vermutlich um eine ältere Erneuerung mit Ergänzung des Betenden (vgl. aktuelles Bild mit der älteren Aufnahme), denn das Original soll aus dem sonst üblichen gotländischen Kalkstein bestanden haben.
Der Stein hat ein hufeisenförmiges Kopfstück. In der Mitte des Steines ist ein reliefartiges Kruzifix. Oben das Spruchband mit I. N. R. I.. Auffallend groß sind die Nägel, welche den Gekreuzigten halten. Das Kreuz steht im Reliefbild auf einer felsenartigen Erhöhung. Zu seinen Füßen kniet eine barhäuptige männliche Figur, welche das Antlitz aufwärtsgerichtet dem Erlöser zukehrt. Am breiten Gürtel trägt sie eine Geldtasche. Ihren zum Gebet erhobenen Händen entsteigt ein Spruchband, in Minuskeln (Kleinbuchstaben): misere mi deus (d.h. "Erbarme dich meiner - Gott"). Am Fuße des Sühnesteines ist die folgende, fünfzeilige Inschrift in erhabenen gotischen Minuskeln:
orate deum p mrquardo bort-
zowen qui o ano dni m ccc xcviii
ipo die cleme


Bittet Gott für Marquard Börtzow
der im Jahre 1398
am Tage des heiligen Clemens starb.

Der Tag des heiligen Clemens ist der 23. November. Die Rückseite des Steines ist glatt. Neben dem Stein steht eine Tafel, mit dem folgendem Wortlaut:

Mittelalterlicher Gedenkstein
Errichtet wurden solche Steinmale vornehmlich für jemanden am Aufstellungsort zu Tode Gekommenden von den Familienangehörigen oder vom durch Schiedsspruch im Rahmen eines Sühnevertrages dazu verpflichteten Totschlägers. Landläufig sind daher auch Bezeichnungen wie Sühnestein oder Mordwange üblich.
Diese Stele mit hufeisenförmigem Kopfstück aus gotländischem Kalkstein wurde an der mittelalterlichen Handelsstraße zwischen Dassow und Lübeck aufgestellt. Gewidmet ist sie Marquard Börzöw, über die Umstände seines Ablebens ist hier wenig bekannt.
Auf der Schauseite befindet sich im Kopfstück ein auf einer Anhöhe stehendes Kruzifix, unter dem eine männliche Gestalt mit einer Geldtasche am Gürtel kniet, wohl die Person, der dieser Stein gewidmet ist. Über den Händen die Gebetsformel "misere mei deus". Die Minuskelinschrift lautet in der Übersetzung:" Bittet Gott für Marquard Börzöw der im Jahre 1398 am Tage des heiligen Clemens (23. November) starb.

Der Sühnestein wurde vor längerer Zeit von seinem eigentlichen Standort, der vermutlichen Mordstelle auf einer Wiese, um 17 Meter in Richtung Bundesstraße versetzt.
Der Geldbeutel scheint auf einen Raubmord an einem Fremden hinzuweisen. Es heißt außerdem, Teschower und Sülsdorfer hätten früher die Pflicht gehabt, den Sühnestein jährlich zu wenden. (Buddin 1906)

   Das Steinkreuz bei Sülsdorf ist in dieser Gegend nicht das einzige seiner Art. Auch im Holsteinischen und Mecklenburgischen sollen sich diese Denkmäler nicht selten finden. Die mir bekannten sind aus schwedischem Kalkstein hergestellt und über 2m hoch. In der Inschrift wird immer eine Jahreszahl um 1400 herum angegeben, und wenn nicht, dann deuten andere Merkmale auf diese Herstellungszeit hin. Auch zeigen alle das Bild des gekreuzigten Heilandes, mit der auch durch die Inschrift kundgegebenen Absicht, die sündenvergebende Kraft des Opfertodes Christi für die schwere Schuld eines Verbrechens herabzuerflehen. Die Inschriften sind meistens sehr schwer zu entziffern. Auch über der Schrift des Sülsdorfer Steines haben kundige Leute lange gesonnen. Da hat vor einigen Jahren der genannte Herr Wienk, ein eifriger Freund volkskundlicher Überlieferung, den Stein sorgfältig reinigen und, nachdem die Inschrift behutsam mit Kohle nachgezogen worden, mittelst eines scharfen Apparates photographieren lassen. So konnte die Schrift endlich genau gelesen werden. Sie lautet:

 Orate, deum p
 marquardo, bor.
 tzowen qui o
 ano. dni. M. CCC.

XCVIII ipo. die cle
---
me
   Im Zusammenhang: Orate deum pro marquardo bortzowen, qui obiit anno domini MCCCXCVIII ipso die clementis.
   Die (übrigens in dem oben genannten Bericht ziemlich einwandfrei wiedergegebene Sage von der Martensmühle hat mit dem Stein kaum einen Zusammenhang. Nach der Selmsdorfer Kirchenchronik ist die Martensmühle erst 1590 "unter Dach genommen", d.h. also doch im Bau vollendet, während der Stein die Jahreszahl 1398 trägt. Merkwürdig ist, daß bei den verschiedenen Varianten der Sage außer geschmolzenem Blei oder glühendem Fett, das dem unglücklichen Sohn von den Eltern in die Ohren (nicht in den Mund) gegossen wurde, auch geschmolzenes Wachs als Mordstoff genannt wird; nachweislich ist in der Gegend im Mittelalter eifrigst Bienenzucht getrieben worden, im Gegensatz zu jetzt, wo man dort auffallend wenig Honig erntet. Daß der Stein "Marterstein" genannt werde, ist durchaus irrig, man heißt ihn Stein "bei der Martensmäehl" oder einfacher Sülsdorfer Kreuz. Alte Leute wollen behaupten, der Stein sähe unter der Erde genauso aus wie oben. Die Teschower und Sülsdorfer hätten früher die Pflicht gehabt, alljährlich abwechselnd den Stein zu wenden, also das unterste zu oberst zu kehren, für welche schwere Arbeit sie durch ein selbstbestimmtes Quantum "Käem und Präem" belohnt worden wären.

Sage: 1. Aus Dassow kommend soll ein Lübecker Kaufmann von zwei Räubern überfallen worden sein. Erst zehn Jahre nach dem Mord hörte ein Mädchen an dieser Stelle den Erinnerungsdialog der beiden Täter und zeigte die Täter an. Die Mörder wurden ergriffen und hingerichtet. - Der Legende nach hatte die Falle zugeschnappt: Mörder kommen immer an den Ort der Tat zurück.
2. Ein Müllerehepaar soll aus Habgier einen Fremden ermordet haben, indem sie ihm Fett in den Mund gossen. Später stellte sich heraus, dass es der eigen Sohn war.
Es scheint sich hierbei um eine Wandersage zu handeln, die selbe Sage berichtet Robert Eiselt in seinem Sagenbuch des Voigtlandes 1871, Nr.902, S.356.

Quellen und Literatur:
Schlie, Prof. Dr. Friedrich - Die Kunst- und Geschichts-Denkmäler des Großherzogthums Mecklenburg-Schwerin, Band IV, Schwerin 1901
Wiegmann, W. - Ein alter Marterstein, in: Niedersachsen, 11.Jg., Nr.4, 15.11.1905, S.73
Buddin, Fr. - Mittelalterliche Gedenksteine im Ratzeburgischen, in: Niedersachsen, 11.Jg., Nr.8, 15.1.1906, S.146-148
Krüger, Georg - Kunst- und Geschichts-Denkmäler des Freistaates Mecklenburg-Strelitz, Bd. 1.4., Schwerin 1994, S.325
Schmied, Hartmut - Die schwarzen Führer / Mecklenburg-Vorpommern, Eulen Verlag, Freiberg i.Br., 2001, S.159-160
Nachlaß Walter Saal, Merseburg (Ordner Mecklenburg)
recherchiert und bebildert von: Forschungsgruppe Preußische, Mecklenburgische und Anhaltische Meilensteine e.V.
Ergänzungen von Karl-Heinz Schröder, Lübeck



Ein alter Marterstein
von W. Wiegmann

   Östlich von Lübeck liegt das zum Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz gehörige Fürstentum Schönberg. Hier führt auf der Mitte der Landstraße von Lübeck nach Dassow bei der Sülsdorfer Schmiede ein Weg nördlich ab durch tiefe Täler und über steile Höhen nach dem weltverlassenen Dörfchen Teschow, das in einem tiefen Talkessel an der Pötenitzer Wiek (Bucht) gelegen ist. Ganz nahe diesem Wege, etwa fünf Minuten von der erwähnten Schmiede entfernt, steht in einem Talgrunde eine behauener Granitstein von sechs bis acht Fuß Höhe. Auf der Breitseite des Steines ist als Relief ein gut gearbeitete Kruzifix gemeißelt. An dem Fuße des Kruzifixes kniet ein Pilger mit aufgehobenen Armen in flehender Haltung und umgehängter Wandertasche. Auf einem sich windenden Reliefbande steht in erhabener Mönchsschrift: Bittet Gott für Marquard Bortzow, welcher starb im Jahre des Herrn 1398 am Tage des heiligen Clemens (23. Nov.). Die umwohnende Bevölkerung, niedersächsischen Stammes, nennt den Stein "Mattensstein" (Martens), und folgende Geschichte ist in aller Munde:
   Vor mehr als hundert Jahren floß durch jene Talsohle ein breiter Fluß, von dem als Rest noch heute ein geringer Wasserlauf vorhanden ist. An der Stelle, wo der Stein sich befindet, stand eine Wassermühle, und wirklich ist noch jetzt der Wasserfreilauf in der Bodengestaltung zu erkennen. Der Besitzer der Mühle hieß dazumal Martens. Der Müller und seine Frau standen in dem üblen Ruf, verschiedentlich Mordtaten an übernachtenden Reisenden begangen zu haben. Der einzige Sohn trennte sich dieserwegen von den Eltern und ging in die weite Welt. Nach vielen Jahren trieb ihn das Heimweh zurück, auch wollte er sich überzeugen, ob seine Eltern noch in dem bösen Rufe ständen. Spät am Abend kehrte er unerkannt als Fremder ein, verrät aber, daß er eine ansehnliche Barschaft mit sich führe. Erst am Morgen will er sich den Eltern zu erkennen geben. Seine Ermordung wird beschlossen. Als er in einer abseits gelegenen Kammer eingeschlafen ist, bereitet die Müllerfrau kochendes Speckfett und gießt es dem ahnungslosen Schläfer in den geöffneten Mund. Bei der Hinwegschaffung des Leichnams erkennt die Mutter an einem ihr bekannten Mal, daß sie ihren eigenen Sohn ermordet hat. Diese Mordtat ist die letzte der habgierigen Müllerleute gewesen. Beide endeten unter dem Beil des Henkers. So spricht das Volk.
Nienstädt

W. Wiegmann

(Niedersachsen, 11.Jg., Nr.4, 15.11.1905, S.73)
Anmerkung: Der Aufsatz von Fr. Buddin (Mittelalterliche Gedenksteine im Ratzeburgischen, 1906) geht auf den Text von Wiegemann ausführlich ein.


Sühnekreuze & Mordsteine