Deutschland Niedersachsen Lkr. Goslar

Mechtshausen / OT von Seesen


Blick zum Standort

Abbildung bei
Müller / Baumann
(1988)

PLZ: 38723

GPS: N 51° 54,924', O 10° 5,292'

Standort: Westlich vom Ort am Heberhang, am oberen von drei parallel verlaufenden Wegen, ca. 500m hinter einem alten Steinbruch.

Größe / Material: 105:106:14 / Kalkstein

Geschichte: Benennung: "Kettelkreuz". Stark verwittertes Steinkreuz, abgebrochen und mit mehreren Eisenklammern repariert.

Das stark verwitterte Steinkreuz steht am Hang des Heber bei Mechtshausen. Es ist unterhalb der Querbalken abgebrochen und wurde sowohl 1945 wie erneut 1981 mit Eisenstreben und Zement zusammengeflickt. [...] (Kalthammer (1990)

   Im Heber, einem Vorgebirge des Harzes, steht ein altersgraues, moosbewachsenes Steinkreuz am Rande eines Waldweges. Das Kreuz ist, wie es aus der Ferne scheint, schon fast in die Erde versunken. Doch der Schein trügt, ein Erdaufwurf, entstanden zur besseren Benutzbarkeit eines Holzabfuhrweges und wohl auch, um das Steinkreuz zu sichern, schützt es vor Zerstörungen.
   Um 1900 war das Kreuz bereits fast restlos im lockeren Waldboden verschwunden, nur noch mit dem Kopfende ragte es heraus und wurde daher von Unkundigen für einen Grenzstein angesehen.Nach Aussage von Einwohnern des naheliegenden Dörfchens Mechtshausen soll der Malerpoet Wilhelm Busch, der die letzten Jahre seines Lebens (1832-1908) in diesem stillen und weltabgeschiedenen Ort verbracht hat, den Stein bloßgelegt haben, so daß die Kreuzform wieder sichtbar wurde.
   1924 war das Steinkreuz aus dem Erdboden herausgehoben und an eine Buche gelehnt worden. 1945 war das Kreuz zerbrochen, wurde jedoch mit Eisenstreben wieder zusammengefügt, 1981 mußte es erneut repariert werden.
   Das sogenannte "Kitzelkreuz" oder der "Kitzelkreuzstein" (obwohl es kein Kreuzstein ist), plattdeutsch "Kettelkruiz", am Kitzelkreuzberge nahe am Fast-(First-)wege des Hebers, ist ein lateinisches Steinkreuz aus Kalkstein. Das Kreuz trägt weder eine Jahreszahl noch eine Inschrift. Es ist ein Mord- oder Sühnekreuz.
   Um das Kreuz rankt sich eine Geschichte von Liebe, Blut und Tod, die zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges spielt und sich bis auf den heutigen Tag bei den Einwohnern der umliegenden Dörfer erhalten hat. In Mechtshausen lebte ein Mädchen, das sowohl vom Schäfer des Nachbardorfes wie auch von einem "Pappenheimer", einem kaiserlichen Kürassier unter dem Kommando des Oberst von Pappenheim, dessen Truppe zu der Zeit im Ort lag, begehrt wurde. Eifersucht erhob ihr Haupt. Bei einem Spaziergang mit dem geliebten Mädchen wurde der Schäfer von drei Pappenheimern überfallen und mit Stricken so an einen an einem Abhang stehenden Baum gebunden, daß er mit dem Kopfe nach unten über dem Abhang hing. Während das Mädchen davonlief - die einen sagen, um Hilfe zu holen, die anderen, sie sei mit den Kürassieren im Bunde gewesen - ritzte einer der drei dem Unglücklichen die Fußsohlen auf und streute Salz darauf. Ein anderer holte von einer in der Nähe weidenden Herde eine Ziege herbei, die das Salz, das immer wieder erneuert wurde, von den Fußsohlen des Gefolterten ablecken mußte. Dies rief bei dem Gemarterten einen bis zum Wahnsinn sich steigernden Kitzel hervor. Der Gefesselte schrie und Schaum stand ihm vor dem Munde. Unter unmenschlichen Qualen hauchte er sein junges Leben aus. Man will noch wissen, daß die Pappenheimer am nächsten Tage abgezogen sind, das Mädchen in Untersuchungshaft abgeführt und wegen Mitschuld an dem Mord sogar hingerichtet wurde.
   An der Stelle, an der der Schäfer seinen Tod gefunden haben soll, wurde das Steinkreuz errichtet, das noch heute das "Kitzelkreuz" heißt. - Der Berichterstatter ist der Sache nachgegangen. Die Familiennamen aller Beteiligten - des Schäfers, des Mädchens und des Ziegenhirten - sind um die Zeit des Dreißigjährigen Krieges in den Dörfern am Heber, auch in Mechtshausen, nachweisbar. Se gibt es auch heute noch in dieser Gegend, obwohl sie nicht oft vorkommen. Weiter ließ sich jedoch in alten Akten nichts feststellen.
   Wilhelm Lampe, ein Heimatforscher, der 1978 im Alter von 97 Jahren starb, vertrat jedoch 1935 die Meinung, daß das "aufgewärmte Gereimsel nach dem Simplicissimus" (das Ablecken von Salz durch eine Ziege) nichts mit dem Kitzelkreuz zu tun hat. Seiner Meinung nach spricht Form und Verwitterung des Steins für ein höheres Alter. Er bemerkt jedoch, daß ihm in Mechtshausen erzählt worden sei, daß dort ein Mädchen den Schäfer totgekitzelt habe. Dazu verweist er auf Literaturstellen, welche eine in der Mythologie zu suchende geheimnisvolle Ursache beweisen sollen. So warnt man die Kinder in Ostfriesland mit den Worten: "Hütet euch vor den Kiddelhunden, die euch, sobald ihr ins Korn lauft, zu Tode kitzeln." Ferner: "Wo die hessische Waldfrau und das Schneefräulein in Tirol die Leute zu Tode kitzelt", während "das Zutodekitzeln" eine Naturauffassung des Wirbelwindes ist. [...]
   Es ergibt sich nun die Frage, ob wir, zumindest was das Kitzelkreuz bei Mechtshausen betrifft, der Erzählung aus dem Dreißigjährigen Kriege glauben oder aber der Mythologie den Vorrang lassen wollen.
   Die Methode, jemand durch das Ablecken von Salz von den Füßen durch eine Ziege zu töten, war im 17.Jahrhundert gang und gäbe und ist nicht nur durch den "Simplicissimus" überliefert. Andererseits kann man aber auch die Auffassung von Lampe nicht ignorieren, der 1958 schreibt: "Alle Sagen um diese Kettelkreuze haben gemeinsam, daß da draußen in der Natur plötzlich ein Mensch auf unerklärliche Weise den Tod erleidet, nicht durch Blitz, Unfall oder Überfall. Eine Erklärung gab unsern Altvordern die Vorstellung von Unholden und bösen Geistern, die in Feld und Wald, Wasser und Luft mit im Spiele sein müßten. Selbst die Kirche war nicht abgeneigt, römische und germanische Gottheiten als bösartige Dämonen aufzufassen, deren ehemalige Herrschaft jetzt dem Reich des wahren Gottes weichen müsse. Die Kirche wehrte sich gegen diesen blühenden Aberglauben durch das älteste Schutzzeichen, nämlich das des Kreuzes. Oft verlangte sie und auch die weltlichen Herren die Errichtung eines Mahnmales, damit für den so urplötzlich ohne die kirchlichen Weihen aus dem Leben Geschiedenen von den Vorübergehenden ein stilles Gebet gesprochen werden konnte." (Kalthammer 1990)

Nordwestlich von Mechtshausen führt ein Waldweg (Holzweg) am Hang des Heber durch einen ehemaligen - jetzt mit Bäumen bewachsenen - Steinbruch. Rund 500m hinter dem Steinbruch steht rechts am Wege das Kettelkreuz (Kettelkruize).
Das stark verwitterte Kreuz ist unterhalb der Querbalken abgebrochen und soll 1945 wieder aufgestellt und mit Eisenklammern verbunden worden sein (1972). Die Bedeutung des Namens "Kettel"-Kreuz ist noch nicht geklärt. Das Wort wird abgeleitet von Kettel, Ketel, Kätel = Kessel und ketteln = kitzeln. Die Sagen nehmen auf das Kitzeln Bezug. (Müller / Baumann 1988)

[...] Dem umgefahrenen, arg verwitterten "Kettelkruize" Forstorte gleichen Namens am Heberhange bei Mechtshausen, drohte nach dem Kriege ebenfalls der Untergang, bis es die Gemeinde in Schutz nahm. Vor längerer Zeit hatte der dortige Pastor Rott auf einem Familienabend darüber geredet und nach seinem Fortzuge in einem Gemeindeblatte (1912) darüber geschrieben. Dernach sollte im 30jährigen Kriege ein Mädchen ihren Bräutigam, den Schäfer an die grausame Soldateska verraten haben, die ihn am obigen Platze durch Salzlecken einer Ziege auf die Fußsohlen zu Tode gekitzelt hätte. Auch der "Seesener Beobachter" brachte vor 10 Jahren (13.11.24) das aufgewärmte Gereimsel nach dem "Simplicissimus" noch einmal. Schon die Form und Verwitterung spricht für ein weit höheres Alter. Zum Steuer der Wahrheit sei nach eigener Erkundung beim Gemeindevorsteher Fr. Warnecke festgestellt, daß seine verstorbene Mutter, die die Ueberlieferung weitergegeben, immer nur erzählt hat, daß dort ein Mädchen den Schäfer totgekitzelt habe. (Lampe 1935)

   An das im "Heber" bei Mechtshausen stehende Steinkreuz Nr.118c der Liste knüpft sich nach Blume die Sage, daß Pappenheims Reiter einem Hirten die Fußsohlen mit Salz bestrichen und diese so lange von Ziegen haben belecken lassen, bis der Hirte tot gewesen sei, woher das Kreuz "Kitzelkreuz" genannt wird. (Hoffmann 1935)

Sage: Ein Mädchen hat ihren Bräutigam, einen Schäfer, im Dreißigjährigen Krieg an die Landsknechte verraten. Durch das Salzablecken einer Ziege von den Fußsohlen ist er zu Tode gekitzelt worden. Eine Version verlegt die Tat in das Jahr 1626.
Ein Mädchen habe einen Schäfer zu Tode gekitzelt. (Müller / Baumann 1988)

Quellen und Literatur:
Blume, Hermann - Kreuzsteine in und um Hildesheim, in: Alt-Hildesheim, Heft 13, Braunschweig 1934, S.28
Lampe, Wilhelm - Steinerne Urkunden aus dem Kreise (Osterode), in: Kalender für den Kreis Osterode, 1935, S.62-63
Hoffmann, Adolf - Die mittelalterlichen Steinkreuze, Kreuz- und Denksteine in Niedersachsen, 1935, S.6, 38
Hoppe, H. - Das Kettelkruize von Mechtshausen, in: Aus der Heimat, Beilage zur Hildesheimer Allgemeinen Zeitung vom 3.10.1957
Lampe, Wilhelm - Im Mechtshausener Forst. Eine verkannte steinerne Urkunde, in: Aus der Heimat, Beilage zur Hildesheimer Allgemeinen Zeitung vom 27.02.1958
Blume, Hermann - Denkmalschutz, in: Die Deutschen Landkreise (Handbuch für Verwaltung, Wirtschaft und Kultur), Land Niedersachsen, Bd.21: Der Landkreis Hildesheim-Marienburg, Nr.2, Bremen-Horn 1964, S.366
Blume, Hermann - Sagen und Erzählungen aus dem Hildesheimer Land, Hildesheim 1968, S.151
Werner, W. - Kleine Denkmäler - lohnende Wanderziele, in: Gandersheimer Rundschau, Beilage der Braunschweiger Zeitung vom 16.11.1976
Kalthammer, Wilhelm - Steinkreuze und Kreuzsteine im westlichen Harzgebiet, in: Unser Harz, 20.Jg., Nr.11, Clausthal-Zellerfeld, 15.11.1972, S.210-212
Kleinau, H. - Zur Geschichte des Siedlungsbildes der Stadt Seesen, in: 1000 Jahre Seesen, Seesen 1974
Kalthammer, Wilhelm - Von Steinkreuzen und Kreuzsteinen. Schäfer an Baum gebunden - Ziege kitzelte ihn zu Tode, in: Beobachter, 103.Jg., Nr.9, Seesen 11.01.1978
Müller / Baumann - Kreuzsteine und Steinkreuze in Niedersachsen, Bremen und Hamburg, 1988, Nr.4026.1
Kalthammer, Wilhelm - Kitzelkreuze im Harzvorland, in: Steinkreuze im Harz, in: Steinkreuzforschung, Monographie, Bd.6, 1990, S.22-25
Kalthammer, Wilhelm - Steinkreuze im Harz, in: Steinkreuzforschung, Monographie, Bd.6, 1990, S.40-41
Gerth, Sven - Von Kitzelkreuzen und "dem zu Tode kitzeln", in: Steinkreuzforschung, Sammelband, Nr.34 (NF 19), 2009, S.8-23
recherchiert und bebildert von Hartmut Blaszczyk, Einbeck (Fotos vom 2.04.2010)


Sühnekreuze & Mordsteine