Schweiz Schwyz Bezirk Schwyz

Schwyz


Abbildung bei
Steinegger (1979)

PLZ: CH-6431

GPS: N 47° 01,310', O 8° 39,357'

Standort: Gegenüber dem Ital-Reding-Haus.

Größe / Material: 170:95:26 / Malmkalk

Geschichte: Der Sühnestein / Denkstein trägt folgene, eingemeißelte Inschrift:
ANNO 1698
ALL HIER
DEN 6. DAG JENNER
IST HERR GESANNTEN
UND KASTENVOGT
WOLF DIETHERICH
REDING VON BIBEREGG
UNVERSECHNAM
JAEMMERLICH ERSTOCHEN
WORDEN. GODT GNAD
SEINER SELL
Anlässlich von Strassenverbreiterungen wurde der Stein unwesentlich versetzt. Als 1962 eine Strassenmauer errichtet werden musste, wurde er in den Mauerbau integriert. Er ist seither etwas unscheinbar und leicht zu übersehen.

Sage: Im Volksmund heisst es, hier habe sich ein Brudermord abgespielt. Noch Jahre später hätte das Kopfsteinpflaster vom Blut nicht reingewaschen werden können.
Es wird aber auch erzählt, an der Stelle, wo heute das Sühnekreuz steht, sei es nach der Mordtat von Greifensee zu einem Racheakt gekommen. Ein Reding soll die treibende Kraft gewesen sein, dass die ganze Besatzung bis auf einige alte Männer und Knaben erbarmungslos enthauptet wurde. Der Vater oder Bruder eines unschuldig Ermordeten sei nach Schwyz gekommen, um an Reding Rache zu üben. Der Fremde habe ihm aufgelauert und ihn vor seinem eigenen Haus ermordet. (Steinegger)

Quellen und Literatur:
Steinegger, Hans - Schwyzer Sagen, Schwyz 1979, Band I, S.17
von Weber, Franz-Xaver - Ein Sühnekreuz in Schwyz, in: Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde 4, Zürich 1982, S.69-78.
recherchiert und bebildert von Daniel Reichmuth
Ergänzungen von Ursula Jagodic-Lusti, Zürich



Ein Sühnekreuz in Schwyz
von Franz-Xaver von Weber

Zurzeit erlebt die in der Schweiz noch in den Kinderschuhen steckende Steinkreuzforschung einen Aufschwung. Animiert durch diese Entwicklung, befasse ich mich in der vorliegenden Arbeit mit der Erforschung eines für das Gebiet der Innerschweiz seltenen Rechtsaltertums, eines Sühnekreuzes.
   Das steinerne Denkmal mit Inschrift steht in Schwyz an der Rickenbachstrasse im Schatten des berühmten Ital-Reding-Hauses.
   In einem ersten Teil stelle ich die Vorgeschichte dar, die zur Erstellung des Sühnekreuzes führte, nicht ohne kurz auf einige Eigenarten des Schwyzerischen Rechts in bezug auf das mit dem hier behandelten Sühnekreuz in einem grösseren Zusammenhang stehende Institut der Blutrache hinzuweisen. Der zweite Abschnitt ist ganz dem Sühnekreuz und seiner rechtsarchäologischen Verarbeitung im Sinne von Karl von Amira und Claudius von Schwerin1) gewidmet.

Der Totschlag vom 6. Januar 1698

In der Nacht vom 6. auf den 7. Januar 1698 geschah in Schwyz Unfassbares. Wolf Dietrich Reding von Biberegg, Sohn von Pannerherr Heinrich Friedrich Fridolin Reding (1624-1698) und der Anna Regina geb. Reding (1632-1684), wurde gegenüber dem Ital-Reding-Haus in der Nähe seines Wohnhauses "Feldli" erstochen. Die Empörung in Schwyz über diese grauenvolle Begebenheit war gross, denn Wolf Dietrich, Spross der damals dominierenden Familie Reding, war erst 46 Jahre alt und Vater von acht zum Teil noch unmündigen Kindern. Er hatte zwar keine herausragende politische Stellung inne, war aber doch als Landesfürsprech, Richter, Kastenvogt und Tagsatzungsgesandter wohlbekannt.
   Zehn Tage nach der Tat trat der schwyzerische Malefizrat als zuständiges Gericht zusammen, nachdem nach alter Sitte der flüchtige Täter vom Weibel dreimal in drei nach verschiedenen Himmelsrichtungen weisenden Strassen ausgerufen und aufgefordert worden war, sich dem Gericht zu stellen.
   Dem Gericht eröffnete alsdann Landschreiber Schorno mit der Beschreibung der Begleitumstände, dass sein Sohn, Hauptmann Franz Anton Schorno, die Tat begangen habe. Dieser - ein Nachbar Redings - war geflohen, um sich den gerichtlichen und gesellschaftlichen Folgen, mit denen er rechnen musste, zu entziehen.
   Das Protokoll der Gerichtsverhandlung mit Datum vom 16. Januar 16982) schreibt, dass Landschreiber Schorno freiwillig und "allerdemütigst" die Tat seines Sohnes dem Gericht gestanden habe, um nicht Unschuldige in Verdacht zu bringen. Für den Täter sei sowohl von geistlicher als auch von weltlicher Seite Fürbitte geleistet worden. Weil nicht genügend Zeichen für eine Feindschaft zwischen den beiden bestanden hätten, so dass man diese "unglückselige und leidige Begegnung für eine Unvorsätzlichkeit" halten dürfe, wolle man den Täter auch mit Rücksicht auf seinen Ehrendienst als Obervogt von Iberg im Toggenburg mit einem milderen Urteil bestrafen und seinen Vater, Landschreiber Schorno, als Garant für die Verhütung von weiteren Unfällen akzeptieren. Man sei daher zu folgendem Urteil gekommen:

  1. Franz Anton Schorno wird auf fünf Jahre des Landes verwiesen.

  2. Sollte er innert dieser Frist das Land trotzdem betreten, so steht es den Verwandten des Getöteten frei, an Schorno Blutrache zu üben.

  3. Wenn Schorno nach Ablauf der 5 Jahre das Land wieder zu betreten wünscht, so muss er zuerst die Bewilligung des Malefizrates und der Verwandten des Erdolchten einholen.

  4. Schorno hat eine Busse von 1000 Gulden zu bezahlen und an die Kinder des Entleibten eine Entschädigung von 500 Kronen zu entrichten.3)

   Leider kann nicht ausgemacht werden, was Schorno und Reding am Abend des 6. Januars unternommen haben. Der 6. Januar, Dreikönigsfest, ist in Schwyz ein Tag mit grosser Tradition und volkskundlicher Bedeutung und zugleich erster Fasnachtstag. Dies lässt die Vermutung aufkommen, dass Schorno und Reding sich den Freuden und Gefahren des Alkohols hingegeben hatten, so dass Schorno die Tat möglicherweise in verminderter Zurechnungsfähigkeit vollführte. Da die Belege einzig erwähnen, dass Schorno und Reding nie irgendwelche Zwistigkeiten miteinander ausgetragen haben, muss angenommen werden, dass der Streit, der zu diesem tragischen Ende führte, im Verlaufe des Abends oder sogar erst auf dem gemeinsamen Heimweg ausgebrochen ist.

   Als rechtsgeschichtliche Einblendung einige klärende Worte zur Erteilung der Blutracheberechtigung in Punkt 2 des Urteilspruchs: Im Ratsprotokoll wird sie folgendermassen umschrieben:
   "Wurde aber Schorno demme endtgegen unser Landt undt eigen Pottmässigkeit beträtten undt Imme von den Herren Reding ein Schaden widerfahren wurd oldt solte, solle der beschedigte den Schaden an im Selbsten (tragen), undt die Schedigenden es wol verandtwohrtet haben."2)
   Die auch in Anbetracht des damaligen geschwungenen Schreibstils doch umständliche Formulierung ist ein Indiz dafür, dass die Richter im ausgehenden 17. Jahrhundert die Blutrachepflicht bzw. -berechtigung nur mehr selten und erst nach gewissenhafter Abwägung sämtlicher Argumente erteilten. Eher strebten sie eine Versöhnung an, um unnötiges Blutvergiessen zu vermeiden.
   Hier handelt es sich um eine ausgesprochen späte Anwendungsform der Blutrache. Bereits Karl der Grosse hatte neun Jahrhunderte früher gefordert, dass die Blutrache der Sühnung mit Geld (compositio) weichen solle: "Compositionem solvere et faidam per sacramentum pacificare".4) Doch das schwyzerische Recht übernahm dieses Postulat nur partiell, zog doch das Gericht eine Geldsühnung als Alternative oder anstelle der Blutrache nur bei einem ehrlichen, offenen und zornmütigen Totschlag in Betracht. Bei Mord fand weiterhin das Talionsprinzip Anwendung, wonach begangenes Unrecht nur durch eine der Tat entsprechende körperliche Einwirkung auf den Täter beglichen werden konnte.5)
   Allerdings bestanden schon seit alters gesetzliche Bestimmungen, um die durch Richterspruch erlassene Blutrachepflicht zu lindern. Die "liebliche Richtung"6) war ein Akt der gegenseitigen Versöhnung, in der die geschädigte Familie löblich versprach, trotz gerichtlicher Berechtigung durch den sog. Gewaltsbrief auf die Vollstreckung der Blutrache zu verzichten. Eine Zuwiderhandlung gegen dieses Versprechen wurde mit besonderer Strenge bestraft. Oft kam diese Versöhnung bereits vor dem gerichtlichen Urteil zustande. Das Gericht, das gemäss Landbuch bei Vergehen und Verbrechen immer angerufen werden musste, fällte dann das Urteil im wesentlichen nach den Richtlinien der familieninternen Versöhnung, wobei der Täter meistens noch zusätzlich durch staatliche Zwangsmassnahmen bestraft wurde (wie Busszahlungen, Strafwallfahrten nach Einsiedeln7) u.a.).
   Eine andere Form der Linderung finden wir im Institut der Freistätten8) vor. Freistätten sind Asyle, wo der fliehende Täter Unterschlupf finden konnte und vor der Blutrache geschützt war. Solche Freistätten waren vor allem geweihte Orte (Kirchen, Klöster9)) und besonders bestimmte Orte (Wegruhestätten, Freitische und -bänke in Gasthäusern10)). Mit dem Einmarsch der Franzosen im Jahre 1798 wurde diese "Rechtswohltat" jäh abgeschafft.
   Eine weitere Forderung Karls des Grossen, schwere Delikte von Amtes wegen durch den Staat zu verfolgen, wurde in der "Hals- und peinlichen Gerichtsordnung" Karls V. von 1532 (Carolina) zum Gesetz erhoben11). Doch im schwyzerischen Rechtsgebiet, wo die Carolina erst im 17. Jahrhundert fallweise subsidiäre Geltung erlangte12), galt noch lange das Prinzip der Popularklage: Jeder Landmann, der staatliche Beamte sogar bei seinem Eide, hatte die Pflicht, Verbrechen und Vergehen umgehend der Obrigkeit anzuzeigen13). Bei einem Blutrachefall führte meistens die Ehefrau, Mutter, Tochter oder Schwester des Getöteten die Klage, weil bei einer Klageerhebung durch einen nahen männlichen Verwandten des Getöteten dieser sein persönliches Recht auf die Vollstreckung der Blutrache verwirkt hätte.14)
   Um auf den Fall zurückzukommen: Das durch den Mordfall getrübte Verhältnis zwischen den Familien Reding und Schorno dauerte mehr als 6 Jahre. Mitte 1705 erreichten einige in Schwyz mit der Volksmission beschäftigte Jesuitenpatres dank persönlichem Engagement und Verhandlungsgeschick, dass die beiden Familien sich zur Versöhnung bereiterklärten. Am 8. August desselben Jahres verkündete das Gericht, dass sie sich "allerseits in bester Güetigkeit, Freundschaft und zuekünftiger gueter Verständniss verglichen und versöhnet"15) haben. Am 27. August Hess der zweifache Landrat (Malefizrat) verlauten, dass auch er mit grosser Freude und Genugtuung von der Verständigung der Familien Kenntnis genommen habe: Schorno dürfe wieder ins Land zurückkehren, unter der Bedingung, dass noch zwei Söhne von Wolf Dietrich Reding, die in fremden Kriegsdiensten weilten, ihre Zustimmung dazu geben. Im weitern soll jedermann, der mit dieser Versöhnung nicht einverstanden sei und öffentlich darüber schimpfe, bestraft werden.16)

Das Sühnekreuz

Die Geschichte und das Geheimnis um diesen Totschlag von 1698 wären schon längst in der Vergessenheit versunken, wenn nicht ein schlichtes steinernes Denkmal am Tatort Zeugnis für den unglücklichen Tod von Wolf Dietrich Reding ablegen würde.
   Der aus einem Malmkalkbrocken aus dem südlichen Bergsturzgebiet der Mythen bearbeitete Stein hat folgende Masse:
Höhe: 170 cm
Breite: 95 cm
Dicke: oben 26 cm, nach unten leicht zunehmend
Durchmesser: 185 cm
Gewicht: ca. 1 t
   Wer ihn bearbeitet hat, ist nicht bekannt. Die einfachen, unregelmässigen Schriftzeichen weisen darauf hin, dass nicht ein berühmter Steinmetz, deren es in damaliger Zeit in der Innerschweiz einige gab, sondern eher ein unbekannter Handwerker an der Arbeit war. Trotz der Massigkeit in der Gestalt und der Schlichtheit in der Bearbeitung hinterlässt er einen gewissen künstlerischen Eindruck, sind doch die Treffelenden des erhabenen Kreuzes sorgfältig herausgearbeitet.
   Leider wurde der Stein durch einen schleudernden Lastwagen im Jahre 1962 schwer beschädigt. Nachdem man sich trotz anderslautender Stimmen entschliessen konnte, den Stein wieder aufzustellen, wurden die Schwerstbeschädigten Stellen so gut wie möglich restauriert. Doch sind die Spuren des Unfalls wie auch die der Wetter- und Umwelteinflüsse während knapp dreier Jahrhunderte nicht mehr vollständig wegzuwischen.
   Die für ungeübte Augen nicht auf den ersten Blick zu entziffernde Inschrift gibt lediglich Auskunft über den Verstorbenen, dessen politische Stellung, den Todestag und die Todesursache: "ANNO 1698 ALLHIER DEN 6. DAG JENNER IST HERR GESANTEN UND KASTENVOGT WOLF DIETHERICH REDING VON BIBEREGG UNVERSECHEN JAMMERLICH ERSTOCHEN WORDEN. GODT GNAD SEINER SELL."
   Da weder die Inschrift noch das Kreuz noch der Stein als ganzer klare Rückschlüsse auf Funktion und Urheberschaft zulassen, wird dieser Stein als "stummes" Denkmal bezeichnet.17) So kann z.B. das Kreuzzeichen als Sinnbild für zweierlei verstanden werden: Einerseits für die Versöhnung unter den zerstrittenen Familien, anderseits für den ungebrochenen Glauben an die Auferstehung des hier Getöteten, der die Sterbesakramente nicht empfangen konnte (vgl. Inschrift: UNVERSECHEN). Dies wurde in damaliger Zeit, stärker als heute, als schwerwiegender und bedauernswerter Nachteil für das Seelenheil des Verstorbenen empfunden (vgl. Inschrift: JAMMERLICH).
   Die Entstehungsgeschichte basiert teilweise auf Vermutungen. Im Jahre 1705 versöhnten sich - wie bereits erwähnt - die Familien Reding und Schorno, nachdem sie sich gemäss Ratsprotokoll "verglichen"18) hatten. Was Inhalt dieses Vergleichs war, kann leider nicht mehr festgestellt werden. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Familie Schorno als Gegenleistung zur Vernichtung aller fallbezogenen Dokumente, die sich im Besitz der Familie Reding befanden (z.B. Gewaltsbrief), und als Dank für die Versöhnungsbereitschaft ein Sühnekreuz stiftete. Einen bedeutenden Hinweis für die Richtigkeit dieser Annahme liefert uns vor allem die Tatsache, dass im bekanntermassen reichhaltigen Familienarchiv der Reding kein einziges Dokument mehr von der Tat oder von einem getrübten Verhältnis mit der Familie Schorno zu finden ist. Ja nicht einmal gründliche Forscher der Familiengeschichte der Reding (J.D. Reding, Kubli, Kyd und andere) erwähnen etwas mehr als das nüchtern Faktische. Diese Meinung entspricht im grossen und ganzen auch dem, was die mündliche Überlieferung seit Jahrhunderten berichtet.
   Die Vereinbarung über die Erstellung des Sühnekreuzes kam demnach im Jahre 1705 zustande. Wann der Stein effektiv aufgestellt wurde, kann nicht genau nachgewiesen werden. Doch darf man aus dem Vergleich der Inschrift mit der Schreibweise von amtlichen Schriftstücken aus der gleichen Zeit ohne weiteres annehmen, dass er bald nach dem wahrscheinlich mündlichen Abschluss des Sühnevertrages errichtet wurde.
   Der Grobstandort ist seit Errichtung derselbe: an der Nordseite des Ital-Reding-Hauses, ungefähr auf der Höhe des Haupteingangs. Früher führte dort ein Fussweg vorbei - eine Sage erzählt, dass am Tatort, wo später das Sühnekreuz errichtet wurde, das Kopfsteinpflaster noch Jahre später nicht vom Blut des Getöteten hätte gereinigt werden können19) -, heute ist es die von Autos befahrene Rickenbachstrasse.
   Anlässlich von Strassenverbreiterungen wurde der Stein unwesentlich versetzt. Als 1962 eine Strassenmauer errichtet werden musste, wurde er in den Mauerbau integriert. Er ist seither etwas unscheinbar und leicht zu übersehen.
   Charakteristische Eigenschaften dieses steinernen Denkmals sind die aufrechtstehende, oben abgerundete Steinplatte, das erhabene Kreuz und die eingemeisselte Inschrift. Diese Art wird in der rechtsarchäologischen Terminologie als "Kreuzstein" bezeichnet.20)
   Hier muss folgendes festgehalten werden: Auf Friedhöfen begegnet man oft solchen Kreuzsteinen und andern Arten von Steinkreuzen. Doch gehören Grabsteine nicht in das Gebiet der Rechtsarchäologie, da sie als blosse Erinnerungszeichen praktisch keine Rückschlüsse auf rechtüche Handlungen, Formen oder Begebenheiten zulassen, vor allem dann nicht, wenn die Ersteller Familienangehörige des Verstorbenen sind, deren Absicht es einzig ist, dem Verstorbenen ein Andenken zu setzen.21)
   Dass es sich hier um ein Sühnekreuzstein handelt, den der Täter oder seine Familie gestiftet haben, zeigt ein ähnlich gearteter Fall, der sich nur 31 Jahre später in der Umgebung von Lachen am Zürichsee im Kanton Schwyz - also im gleichen Rechtsgebiet - ereignete22): Anlässlich der militärischen Landesmusterung vom 9. Oktober 1729 löste sich während des Exerzierens aus dem Gewehr von Ammann Johann Peter Bruhin aus Wangen ein Schuss, der den Landeshauptmann Wolf Dietrich Reding schwer verwundete. Im Sterben reichte er Bruhin die Hand und verzieh ihm seine Unvorsichtigkeit. Das Gericht sprach folgende Strafe über Bruhin aus: 1. Busse, 2. Wallfahrt nach Einsiedeln, 3. Tragung der Gerichtskosten und 4. Erstellung eines Steinkreuzes an der Stelle, wo das Unglück geschehen war.
   Die Tatsache, dass die Getöteten in beiden Fällen den gleichen Namen hatten, musste zu Verwechslungen führen. So hat z.B. R.H. Schmeissner in seinem Buch "Schweizer Rechtsdenkmäler. Steinkreuze, Kreuzsteine, Grenzsteine" das Sühnekreuz von Schwyz mit dem Ereignis von Lachen in Verbindung gebracht.23) Um auf die Problematik hinzuweisen, schreibt Schmeissner: "Nicht verschwiegen werden sollte allerdings die Diskrepanz in der Datumsüberlieferung dieses Sühnekreuzsteines ... Sie differiert um ganze 31 Jahre (!), während die Person (Reding) in beiden Fällen (Stein und Urkunde) übereinstimmt".24)
   Ausser der entfernten Verwandtschaftsbeziehung zwischen den beiden Getöteten haben die beiden Ereignisse nichts miteinander zu tun.
   Die Erstellung dieser beiden Sühnekreuze in Schwyz und Lachen - das zweite wurde Mitte letzten Jahrhunderts beseitigt und ist seither nicht mehr auffindbar - ist Zeichen dafür, dass im schwyzerischen Rechtsgebiet auch im 18. Jahrhundert noch begangenes Unrecht mit einer Versöhnung von Mensch zu Mensch oder von Familie zu Familie beglichen werden konnte. Diese Versöhnung bildete im wesentlichen den Kernpunkt des gerichtlichen Urteils. Dies ist darauf zurückzuführen, dass hier in den konservativen Bergkantonen der Innerschweiz das Offizialverfahren erst später Einzug gehalten hat, als in denjenigen Gebieten, in denen die Carolina ab dem Jahre 1532 volle Geltung erlangte.
   Heinrich Riebeling schreibt, dass mit dem Inkrafttreten der Carolina das Ende der Sühneverträge und Sühnekreuze gekommen sei: "Spätere Kreuze sind ausnahmslos Denksteine" und nicht mehr von rechtsarchäologischem Interesse.25)
   Der Kreuzstein von Schwyz ist daher von besonderer Bedeutung und Seltenheit, weil die Blütezeit der Sühneverträge und Steinkreuze im deutschen Raum bereits im 16. Jahrhundert beendet war und ein grosser Teil der damals erstellten Sühnekreuze im Laufe der Zeit zerstört oder sonstwie untergegangen ist. Da ein Grossteil von diesen auch literarisch nicht erfasst und erforscht wurde, ist uns ihr Schicksal nicht (mehr) bekannt.
   Im Gebiet der Schweiz sind vor allem im Verlauf der letzten hundert Jahre viele Steinkreuze und Flurdenkmäler aufgrund von Überbauungen und Verstrassungen von der Bildfläche verschwunden, wie das Beispiel von Lachen zeigt.
   Leider wurde bis anhin in der Schweiz keine Inventarisation der Steinkreuze und Kreuzsteine vorgenommen, wie sie z.B. Heinrich Riebeling in vorbildlicher Weise für das Gebiet von Hessen (BRD) erstellt hat. Die kürzlich erschienene, obenerwähnte Arbeit von R.H. Schmeissner kann und darf nach Aussagen des Autors nicht als Inventar oder Teilinventar verstanden werden. So ist man beim heutigen Stand der Steinkreuzforschung in der Schweiz noch auf Einzelbeschreibungen angewiesen, die später mosaiksteinartig zusammengefügt einen Gesamtüberblick erlauben.

Literatur und Anmerkungen:
1) Karl von Amira / Claudius von Schwerin, Rechtsarchäologie. Gegenstände, Formen und Symbole germanischen Rechts. Teil I: Einführung in die Rechtsarchäologie, Berlin-Dahlem 1943, S.127ff.
2) Staatsarchiv Schwyz, Ratsprotokoll Nr.10 fol.238 vom 16. Januar 1698.
3) Es muss sich hier um eine beachtliche Summe gehandelt haben, kostete doch im Jahre 1698 eine Kuh 35 Gulden (Albin Marty, Die Viehwirtschaft der Urschweiz und Luzerns, 1500-1798, Diss. Zürich 1951, S.78). Eine Krone entspricht etwas mehr als drei Gulden.
4) Carl Deschwanden, Die Überreste des Fehderechts in den Rechtsquellen des Nidwaldner Partikularrechts, in: Geschichtsfreund 9/1853, S.77.
5) Martin Kothing, Die Blutrache nach schwyzerischen Rechtsquellen, in: Geschichtsfreund 12/1856, S.141.
6) Martin Kothing, a.a.O., S.150f.
7) Louis Carlen, Straf- und Sühnewallfahrten nach Einsiedeln, in: Geschichtsfreund 125/1972, S.246ff.
8) Martin Kothing, a.a.O., S.151.
9) Martin Ochsner, Das Stift Einsiedeln als Freistätte, in: Geschichtsfreund 57/1902, S.275ff.
10) Martin Kothing, a.a.O., S.151: Solche Freitische sollen im Adler in Brunnen, im ehemaligen Stadlerischen Wirtshaus in Rothenfhurm und auf der Treib am Vierwaldstättersee bestanden haben.
11) J.J. Blumer, Staats- und Rechtsgeschichte der Schweizerischen Demokratien, St. Gallen 1850, S.156. Schwere Delikte waren: Mord, Raub und Brandstiftung.
12) Franz Rickenbacher, Das Strafrecht des alten Landes Schwyz, Diss. Leipzig 1902, S.127ff.: "Die Karolina als Auxiliarrecht".
13) Martin Kothing, Das Landbuch von Schwyz in amtlich beglaubigtem Text, Zürich und Frauenfeld 1850, S.66: "Der Recht eynung um Todtschleg".
14) Staatsarchiv Schwyz, sog. Hochgerichtsform.
15) Staatsarchiv Schwyz, Ratsprotokoll Nr.12 fol.210 vom 8. August 1705.
16) Staatsarchiv Schwyz, Ratsprotokoll Nr.12 fol.215 vom 27. August 1705. In der Folg kehrte Franz Anton Schorno nach Schwyz zurück, wo er im Jahre 1730 als Ehrenmann starb.
17) Witold Maisei, Gegenstand und Systematik der Rechtsarchäologie, in: Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde, Band I, Zürich 1978, S.5.
18) siehe Anmerkung 15.
19) Hans Steinegger, Schwyzer Sagen, Schwyz 1979, Band I, S. 17.
20) Heinrich Riebeling, Steinkreuze und Kreuzsteine in Hessen, Dossenheim/Heidelberg 1977, S.22.
21) Karl von Amira / Claudius von Schwerin, a.a.O., schreiben auf S.29 zu "Sühnekreuze": "Die Form von Steinkreuzen können auch Erinnerungszeichen haben. Sachlich sind sie völlig verschieden, und es kann nicht davon gesprochen werden, dass die Sühnekreuze in Erinnerungszeichen übergingen. Eine Frage für sich ist die Herkunft der Steinkreuze überhaupt." Witold Maisei, a.a.O., S.6f.
22) E. Styger, Die Militärmusterung zu Lachen vom 9. Oktober 1729 und das steinerne Kreuz auf dem Rieth ob Lachen, in: Mitteilungen des Historischen Vereins des Kantons Schwyz, Einsiedeln 1889, S.130ff.
23) Rainer H. Schmeissner, Schweizer Rechtsdenkmäler. Steinkreuze-Kreuzsteine-Grenzsteine. Ein Beitrag zur Flurdenkmalforschung in der Schweiz, dargestellt an Beispielen aus der Zentral-, West-, Ost- und Nordschweiz. Regensburg 1980, S.25.
24) Rainer H. Schmeissner, a.a.O., S.33f.
25) Heinrich Riebeling, a.a.O., S.15. Siehe auch Anmerkung 21.

(Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde 4, Zürich 1982, S.69-78)


Sühnekreuze & Mordsteine