Steinegger (1979) |
PLZ:
CH-6431GPS:
N 47° 01,310', O 8° 39,357'Standort:
Gegenüber dem Ital-Reding-Haus.Größe / Material:
170:95:26 / MalmkalkGeschichte:
Der Sühnestein / Denkstein trägt folgene, eingemeißelte Inschrift:ALL HIER DEN 6. DAG JENNER IST HERR GESANNTEN UND KASTENVOGT WOLF DIETHERICH REDING VON BIBEREGG UNVERSECHNAM JAEMMERLICH ERSTOCHEN WORDEN. GODT GNAD SEINER SELL |
Sage:
Im Volksmund heisst es, hier habe sich ein Brudermord abgespielt. Noch Jahre später hätte das Kopfsteinpflaster vom Blut nicht reingewaschen werden können.Quellen und Literatur:
Zurzeit erlebt die in der Schweiz noch in den Kinderschuhen steckende Steinkreuzforschung einen Aufschwung. Animiert durch diese
Entwicklung, befasse ich mich in der vorliegenden Arbeit mit der Erforschung eines für das Gebiet der Innerschweiz seltenen Rechtsaltertums, eines Sühnekreuzes.
Das steinerne Denkmal mit Inschrift steht in Schwyz an der Rickenbachstrasse im Schatten des berühmten Ital-Reding-Hauses.
In einem ersten Teil stelle ich die Vorgeschichte dar, die zur Erstellung des Sühnekreuzes führte, nicht ohne kurz auf einige Eigenarten des
Schwyzerischen Rechts in bezug auf das mit dem hier behandelten Sühnekreuz in einem grösseren Zusammenhang stehende Institut der Blutrache hinzuweisen. Der
zweite Abschnitt ist ganz dem Sühnekreuz und seiner rechtsarchäologischen Verarbeitung im Sinne von Karl von Amira und Claudius von Schwerin1) gewidmet.
Der Totschlag vom 6. Januar 1698
In der Nacht vom 6. auf den 7. Januar 1698 geschah in Schwyz Unfassbares. Wolf Dietrich Reding von Biberegg, Sohn von Pannerherr Heinrich Friedrich Fridolin
Reding (1624-1698) und der Anna Regina geb. Reding (1632-1684), wurde gegenüber dem Ital-Reding-Haus in der Nähe seines Wohnhauses "Feldli" erstochen. Die
Empörung in Schwyz über diese grauenvolle Begebenheit war gross, denn Wolf Dietrich, Spross der damals dominierenden Familie Reding, war erst 46 Jahre alt und
Vater von acht zum Teil noch unmündigen Kindern. Er hatte zwar keine herausragende politische Stellung inne, war aber doch als Landesfürsprech, Richter, Kastenvogt
und Tagsatzungsgesandter wohlbekannt.
Zehn Tage nach der Tat trat der schwyzerische Malefizrat als zuständiges Gericht zusammen, nachdem nach alter Sitte der flüchtige Täter vom
Weibel dreimal in drei nach verschiedenen Himmelsrichtungen weisenden Strassen ausgerufen und aufgefordert worden war, sich dem Gericht zu stellen.
Dem Gericht eröffnete alsdann Landschreiber Schorno mit der Beschreibung der Begleitumstände, dass sein Sohn, Hauptmann Franz Anton
Schorno, die Tat begangen habe. Dieser - ein Nachbar Redings - war geflohen, um sich den gerichtlichen und gesellschaftlichen Folgen, mit denen er rechnen musste,
zu entziehen.
Das Protokoll der Gerichtsverhandlung mit Datum vom 16. Januar 16982) schreibt, dass
Landschreiber Schorno freiwillig und "allerdemütigst" die
Tat seines Sohnes dem Gericht gestanden habe, um nicht Unschuldige in Verdacht zu bringen. Für den Täter sei sowohl von geistlicher als auch von weltlicher Seite
Fürbitte geleistet worden. Weil nicht genügend Zeichen für eine Feindschaft zwischen den beiden bestanden hätten, so dass man diese "unglückselige und leidige
Begegnung für eine Unvorsätzlichkeit" halten dürfe, wolle man den Täter auch mit Rücksicht auf seinen Ehrendienst als Obervogt von Iberg im Toggenburg mit einem
milderen Urteil bestrafen und seinen Vater, Landschreiber Schorno, als Garant für die Verhütung von weiteren Unfällen akzeptieren. Man sei daher zu folgendem Urteil
gekommen:
Franz Anton Schorno wird auf fünf Jahre des Landes verwiesen.
Sollte er innert dieser Frist das Land trotzdem betreten, so steht es den Verwandten des Getöteten frei, an Schorno Blutrache zu üben.
Wenn Schorno nach Ablauf der 5 Jahre das Land wieder zu betreten wünscht, so muss er zuerst die Bewilligung des Malefizrates und der Verwandten des Erdolchten einholen.
Schorno hat eine Busse von 1000 Gulden zu bezahlen und an die Kinder des Entleibten eine Entschädigung von 500 Kronen zu entrichten.3)
Leider kann nicht ausgemacht werden, was Schorno und Reding am Abend des 6. Januars unternommen haben. Der 6. Januar, Dreikönigsfest, ist
in Schwyz ein Tag mit grosser Tradition und volkskundlicher Bedeutung und zugleich erster Fasnachtstag. Dies lässt die Vermutung aufkommen, dass Schorno und
Reding sich den Freuden und Gefahren des Alkohols hingegeben hatten, so dass Schorno die Tat möglicherweise in verminderter Zurechnungsfähigkeit vollführte. Da die
Belege einzig erwähnen, dass Schorno und Reding nie irgendwelche Zwistigkeiten miteinander ausgetragen haben, muss angenommen werden, dass der Streit, der zu
diesem tragischen Ende führte, im Verlaufe des Abends oder sogar erst auf dem gemeinsamen Heimweg ausgebrochen ist.
Als rechtsgeschichtliche Einblendung einige klärende Worte zur Erteilung der Blutracheberechtigung in Punkt 2 des Urteilspruchs: Im
Ratsprotokoll wird sie folgendermassen umschrieben:
"Wurde aber Schorno demme endtgegen unser Landt undt eigen Pottmässigkeit beträtten undt Imme von den Herren Reding ein Schaden
widerfahren wurd oldt solte, solle der beschedigte den Schaden an im Selbsten (tragen), undt die Schedigenden es wol verandtwohrtet haben."2)
Die auch in Anbetracht des damaligen geschwungenen Schreibstils doch umständliche Formulierung ist ein Indiz dafür, dass die Richter im
ausgehenden 17. Jahrhundert die Blutrachepflicht bzw. -berechtigung nur mehr selten und erst nach gewissenhafter Abwägung sämtlicher Argumente erteilten. Eher
strebten sie eine Versöhnung an, um unnötiges Blutvergiessen zu vermeiden.
Hier handelt es sich um eine ausgesprochen späte Anwendungsform der Blutrache. Bereits Karl der Grosse hatte neun Jahrhunderte früher
gefordert, dass die Blutrache der Sühnung mit Geld (compositio) weichen solle: "Compositionem solvere et faidam per sacramentum pacificare".4)
Doch das schwyzerische Recht übernahm dieses Postulat nur partiell, zog doch das Gericht eine Geldsühnung als Alternative oder anstelle der Blutrache nur bei einem
ehrlichen, offenen und zornmütigen Totschlag in Betracht. Bei Mord fand weiterhin das Talionsprinzip Anwendung, wonach begangenes Unrecht nur durch eine der Tat
entsprechende körperliche Einwirkung auf den Täter beglichen werden konnte.5)
Allerdings bestanden schon seit alters gesetzliche Bestimmungen, um die durch Richterspruch erlassene Blutrachepflicht zu lindern. Die
"liebliche Richtung"6) war ein Akt der gegenseitigen Versöhnung, in der die geschädigte Familie löblich versprach, trotz
gerichtlicher Berechtigung durch den sog. Gewaltsbrief auf die Vollstreckung der Blutrache zu verzichten. Eine Zuwiderhandlung gegen dieses Versprechen wurde mit
besonderer Strenge bestraft. Oft kam diese Versöhnung bereits vor dem gerichtlichen Urteil zustande. Das Gericht, das gemäss Landbuch bei Vergehen und Verbrechen
immer angerufen werden musste, fällte dann das Urteil im wesentlichen nach den Richtlinien der familieninternen Versöhnung, wobei der Täter meistens noch zusätzlich
durch staatliche Zwangsmassnahmen bestraft wurde (wie Busszahlungen, Strafwallfahrten nach Einsiedeln7) u.a.).
Eine andere Form der Linderung finden wir im Institut der Freistätten8) vor. Freistätten
sind Asyle, wo der fliehende Täter Unterschlupf finden konnte und vor der Blutrache geschützt war. Solche Freistätten waren vor allem geweihte Orte (Kirchen,
Klöster9)) und besonders bestimmte Orte (Wegruhestätten, Freitische und -bänke in Gasthäusern10)).
Mit dem Einmarsch der Franzosen im Jahre 1798 wurde diese "Rechtswohltat" jäh abgeschafft.
Eine weitere Forderung Karls des Grossen, schwere Delikte von Amtes wegen durch den Staat zu verfolgen, wurde in der "Hals- und peinlichen
Gerichtsordnung" Karls V. von 1532 (Carolina) zum Gesetz erhoben11). Doch im schwyzerischen Rechtsgebiet, wo die Carolina
erst im 17. Jahrhundert fallweise subsidiäre Geltung erlangte12), galt noch lange das Prinzip der Popularklage: Jeder Landmann,
der staatliche Beamte sogar bei seinem Eide, hatte die Pflicht, Verbrechen und Vergehen umgehend der Obrigkeit anzuzeigen13).
Bei einem Blutrachefall führte meistens die Ehefrau, Mutter, Tochter oder Schwester des Getöteten die Klage, weil bei einer Klageerhebung durch einen nahen männlichen
Verwandten des Getöteten dieser sein persönliches Recht auf die Vollstreckung der Blutrache verwirkt hätte.14)
Um auf den Fall zurückzukommen: Das durch den Mordfall getrübte Verhältnis zwischen den Familien Reding und Schorno dauerte mehr als
6 Jahre. Mitte 1705 erreichten einige in Schwyz mit der Volksmission beschäftigte Jesuitenpatres dank persönlichem Engagement und Verhandlungsgeschick, dass die
beiden Familien sich zur Versöhnung bereiterklärten. Am 8. August desselben Jahres verkündete das Gericht, dass sie sich "allerseits in bester Güetigkeit, Freundschaft
und zuekünftiger gueter Verständniss verglichen und versöhnet"15) haben. Am 27. August Hess der zweifache Landrat
(Malefizrat) verlauten, dass auch er mit grosser Freude und Genugtuung von der Verständigung der Familien Kenntnis genommen habe: Schorno dürfe wieder ins Land
zurückkehren, unter der Bedingung, dass noch zwei Söhne von Wolf Dietrich Reding, die in fremden Kriegsdiensten weilten, ihre Zustimmung dazu geben. Im weitern soll
jedermann, der mit dieser Versöhnung nicht einverstanden sei und öffentlich darüber schimpfe, bestraft werden.16)
Das Sühnekreuz
Die Geschichte und das Geheimnis um diesen Totschlag von 1698 wären schon längst in der Vergessenheit versunken, wenn nicht ein schlichtes steinernes
Denkmal am Tatort Zeugnis für den unglücklichen Tod von Wolf Dietrich Reding ablegen würde.
Der aus einem Malmkalkbrocken aus dem südlichen Bergsturzgebiet der Mythen bearbeitete Stein hat folgende Masse:
Höhe: | 170 cm |
Breite: | 95 cm |
Dicke: | oben 26 cm, nach unten leicht zunehmend |
Durchmesser: | 185 cm |
Gewicht: | ca. 1 t |
(Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde 4, Zürich 1982, S.69-78)Literatur und Anmerkungen:
1) Karl von Amira / Claudius von Schwerin, Rechtsarchäologie. Gegenstände, Formen und Symbole germanischen Rechts. Teil I: Einführung in die Rechtsarchäologie, Berlin-Dahlem 1943, S.127ff.
2) Staatsarchiv Schwyz, Ratsprotokoll Nr.10 fol.238 vom 16. Januar 1698.
3) Es muss sich hier um eine beachtliche Summe gehandelt haben, kostete doch im Jahre 1698 eine Kuh 35 Gulden (Albin Marty, Die Viehwirtschaft der Urschweiz und Luzerns, 1500-1798, Diss. Zürich 1951, S.78). Eine Krone entspricht etwas mehr als drei Gulden.
4) Carl Deschwanden, Die Überreste des Fehderechts in den Rechtsquellen des Nidwaldner Partikularrechts, in: Geschichtsfreund 9/1853, S.77.
5) Martin Kothing, Die Blutrache nach schwyzerischen Rechtsquellen, in: Geschichtsfreund 12/1856, S.141.
6) Martin Kothing, a.a.O., S.150f.
7) Louis Carlen, Straf- und Sühnewallfahrten nach Einsiedeln, in: Geschichtsfreund 125/1972, S.246ff.
8) Martin Kothing, a.a.O., S.151.
9) Martin Ochsner, Das Stift Einsiedeln als Freistätte, in: Geschichtsfreund 57/1902, S.275ff.
10) Martin Kothing, a.a.O., S.151: Solche Freitische sollen im Adler in Brunnen, im ehemaligen Stadlerischen Wirtshaus in Rothenfhurm und auf der Treib am Vierwaldstättersee bestanden haben.
11) J.J. Blumer, Staats- und Rechtsgeschichte der Schweizerischen Demokratien, St. Gallen 1850, S.156. Schwere Delikte waren: Mord, Raub und Brandstiftung.
12) Franz Rickenbacher, Das Strafrecht des alten Landes Schwyz, Diss. Leipzig 1902, S.127ff.: "Die Karolina als Auxiliarrecht".
13) Martin Kothing, Das Landbuch von Schwyz in amtlich beglaubigtem Text, Zürich und Frauenfeld 1850, S.66: "Der Recht eynung um Todtschleg".
14) Staatsarchiv Schwyz, sog. Hochgerichtsform.
15) Staatsarchiv Schwyz, Ratsprotokoll Nr.12 fol.210 vom 8. August 1705.
16) Staatsarchiv Schwyz, Ratsprotokoll Nr.12 fol.215 vom 27. August 1705. In der Folg kehrte Franz Anton Schorno nach Schwyz zurück, wo er im Jahre 1730 als Ehrenmann starb.
17) Witold Maisei, Gegenstand und Systematik der Rechtsarchäologie, in: Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde, Band I, Zürich 1978, S.5.
18) siehe Anmerkung 15.
19) Hans Steinegger, Schwyzer Sagen, Schwyz 1979, Band I, S. 17.
20) Heinrich Riebeling, Steinkreuze und Kreuzsteine in Hessen, Dossenheim/Heidelberg 1977, S.22.
21) Karl von Amira / Claudius von Schwerin, a.a.O., schreiben auf S.29 zu "Sühnekreuze": "Die Form von Steinkreuzen können auch Erinnerungszeichen haben. Sachlich sind sie völlig verschieden, und es kann nicht davon gesprochen werden, dass die Sühnekreuze in Erinnerungszeichen übergingen. Eine Frage für sich ist die Herkunft der Steinkreuze überhaupt." Witold Maisei, a.a.O., S.6f.
22) E. Styger, Die Militärmusterung zu Lachen vom 9. Oktober 1729 und das steinerne Kreuz auf dem Rieth ob Lachen, in: Mitteilungen des Historischen Vereins des Kantons Schwyz, Einsiedeln 1889, S.130ff.
23) Rainer H. Schmeissner, Schweizer Rechtsdenkmäler. Steinkreuze-Kreuzsteine-Grenzsteine. Ein Beitrag zur Flurdenkmalforschung in der Schweiz, dargestellt an Beispielen aus der Zentral-, West-, Ost- und Nordschweiz. Regensburg 1980, S.25.
24) Rainer H. Schmeissner, a.a.O., S.33f.
25) Heinrich Riebeling, a.a.O., S.15. Siehe auch Anmerkung 21.