Sage vom Kleverschuß - 23539 Lübeck
1479. Um diese Zeit sind zwei Kaufgesellen, die gute Freunde waren, mit ihren Wagen aus der Mark nach Lübeck zurückgekehrt. Als sie
nun auf der Straße vom Ackerhofe (Marly) nach der Stadt sind, will der eine, Hans Klever, der ein guter Schütz gewesen, die Röhre abschießen, weil man nicht mit
geladener Wehre in die Stadt kommen dürfen. Wie er sich aber nicht vorsieht, als gerade sein Gesell aus dem Schlafe aufgefahren, schießt er den tot, was ihm großes
Herzeleid gemacht.
Die Herren des Gerichts setzen ihn danach in den Absalomsturm am Hüxtertor, und des Erschossenen Freunde lassen an der Stelle, wo das
Unglück geschehn, ein steinernes Kreuz aufrichten. Das hat der Gefangene von dem Turm aus sehen können und häufig Tränen vergossen, und sich erboten, einen
wunderbaren Schuß zu tun, seine Unschuld zu beweisen, sofern man ihn seiner Banden entfreien wollte.
Endlich ist es ihm mit Zulassung eines Rats bewilligt: da hat er mit seinem Rohr beim Hüxtertor dann nach dem linken Arm des Kreuzes
geziehlt, und dreimal hineingeschossen, dergestalt, daß die Kugeln ein Kleverblatt (Kleeblatt) machten; zum Zeichen, daß er's getan.
Das ist noch vor dem Burgtor unweit der Kienräucherei zu sehen".
(Deeke, Erwin - Lübische Geschichten und Sagen, 1.Aufl., Lübeck 1825, Nr.140)
Jerusalemsberg - 23539 Lübeck
1493 ist in dem Eichholz, vor dem Burgtor zu Lübeck, welches Jerusalem hieß, der Berg Golgatha von Herrn Heinrich Constin aufgehöht.
Dieser war ein reicher Kaufherr und allewege sehr angesehen. Aber er war heftig im Jähzorn, und so tat er einst seiner Frau, die er sonst
zärtlich geliebt, ein so großes Herzeleid an, daß sie seitdem nimmer genesen wollte und endlich gestorben ist.
Von Stund an hat er keine Ruhe gehabt in seiner Heimat. Er überläßt also sein Haus und seine Güter einem treuen und erfahrenen Diener,
gibt seine einzige Tochter einem frommen Kaufgesellen in Nowgorod zum Ehegemahl und zieht selber in das gelobte Land, um Buße zu tun und seiner Seele Frieden
zu gewinnen.
Dort hat er gegen die Ungläubigen sich so tapfer erwiesen, daß man ihn zum Jerusalemsritter gemacht. So hat er alle Wege und Stege wohl
ausgemessen und sich vorgenommen, wenn Gott ihn wohlbehalten in die Stadt Lübeck zurückführe, den Schädelberg an der Stätte, die Jerusalem vor alters gegenannt
ist, aufzurichten.
Seitdem ist er ruhig und friedsam geworden, und es ist ihm seiner Frauen Gestalt im Traum erschienen und hat ihm verheißen, daß Gott wegen seiner innigen
Reue ihm gnädig sei.
Da er nun zurückgekehrt, hat er alles fleißig abmessen und aufreißen lassen, und hat sich befunden, daß von der alten Gerichtsstube an der
Kanzlei bis an das Jerusalem vor dem Burgtor genau die Zahl der Schritte sei, wie von Pilati Richthaus bis zur Schädelstätte.
Danach sind die Schritte von der Stätte, wo Christus das Kreuz getragen, abgezählt und ein Denkstein in die Mauer der Jakobikirche am
Koberge gefügt, wo die Kreuzestracht begonnen.
Desgleichen ist vom ersten Burgtor ab bis nach dem Jerusalem die Länge des Weges gefunden, wo Simon von Kyrene für den Herrn das
Kreuz genommen.
Als nun der Berg erhöht und das Bild der Kreuzigung aufgestellt ist und Herr Constin inbrünstig anbetet, siehe, da kommt ein großes Schiff
die Trave aufwärts, das führt seine Tochter samt ihrem Eheherrn daher. Die legen ihm ihr Kind, seiner verstorbenen Frauen Ebenbild, in den Arm.
Danach ist er sanft und selig entschlafen.
Als aber nach vielen Jahren durch einen Blitz der Stein der Kreuzigung zerrissen, sind doch die Beine ganz heil und un-zerbrochen geblieben,
wie zuvor gesagt ist: „Ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen." Dessen haben sich verständige Leuje, die es gesehen, nicht genug verwundern können.
(Deeke, Erwin - Lübische Geschichten und Sagen, 10.Aufl. 1980, Nr.148, S.146-147)