Lübeck (I)


rückseitige
Abstützung

Detail Inschrift

Detail rechter Arm

Detail Hostien-
Einzeichnung

Abbildung bei
Bernhard (1986)

Abbildung bei
Gandert (1971)

Abbildung bei
Möller (1942)

Abbildung in den
Bau- und Kunst-
denkmälern
(1928)

Zeichnung bei
Buddin (1906)

PLZ:

GPS:

Standort: In der Nähe des Hauses "Roekstrasse 42".

Größe / Material: 170:108:? / Gotländer Kalkstein

Geschichte: Benennung: "Kleverschusskreuz". Den Namen Kleverschusskreuz verdankt das Wegekreuz einer Sage, die nach der Reformation entstand. Dem Kaufmannsgesellen Hans Klever wurde Mord an seinem Freund vorgeworfen; man hielt ihn im Absalonsturm nahe dem Hüxtertor am Hüxterdamm gefangen. Er beteuerte seine Unschuld und erklärte, der Schuss habe sich versehentlich gelöst. Zum Beweis seiner Zielsicherheit schoss Klever dreimal auf das Kreuz. Dass es sich bei den drei Löchern im rechten Kreuzarm um Einschusslöcher handelt, ist nicht nachgewiesen.
1963 wurde das Kreuz durch ein Auto, das dagegen geschleudert war, beschädigt und brach in zwei Teile. Es wurde restauriert und am 25. Mai 1966 einige Meter von seinem früheren Standort an der westlichen Seite der heutigen Roeckstraße gegenüber der Einmündung zur Krügerstraße in Höhe des Grundstücks 42 zwischen Fahrbahn und Fußweg im Schutze eines Alleebaumes aufgestellt. (Wikipedia)

Das Steinkreuz steht an der früheren Wegegabelung, an der die Landstraße nach Mecklenburg abzweigte. Es diente den Pilgern des 14. und 15. Jahrhunderts als Wegweiser zum Wallfahrtsort Wilsnack in der Priegnitz.
Auf der Rückseite wurde das Kreuz abgestützt. Die eiserne Spange links und der Riss unterhalb des Radkreuzes sind schon auf der Abbildung bei Möller (1942) zu erkennen. Diese Beschädigungen waren also schon vor dem Autounfall vorhanden, möglicherweise ist das Kreuz aber an der Stelle zerbrochen.

   [...] Eine weitere Bedeutung hat das Lübecker Kreuz dadurch erlangt, daß es - vermutlich in den dreißiger Jahren - in einer steinernen Nachbildung, aber mit verfälschter Inschrift und mit der aus der Luft gegriffenen Jahreszahl 1396 bei Havelberg in der Mark aufgestellt wurde. Das falsche Wegekreuz trägt am Querbalken die Jahreszahl und am Stamm die Worte: "to der Wilsnack orate ibi pro nobis". Es steht an der Straße Havelberg-Glöwen, hinter der Brücke am Wegesrand nahe der St. Annen-Kapelle. Da W. Bohm den Standort nicht mitteilt und nur eine Abbildung des falschen Kreuzes bringt (a.a.O., S.109 Abb.78), gab mir Herr Ekkehard Lüders, der amtl. Pfleger für Bodenaltertümer in Karstädt Kr. Westprignitz, diese freundliche Auskunft. Die Richtigstellung ist um so mehr angebracht, als unser verehrter Jubilar ebenfalls ein Opfer dieser Täuschung wurde (Die Mark Brandenburg, Bd.2, 1961, S.181). (Gandert 1971)

   Geht man über die Westgrenze des Fürstentums ins Lübecksche hinein so trifft man kurz vor dem Burgtore der Stadt ein Steinkreuz von hochinteressanter Bedeutung. In alter Zeit ging die Heerstraße von Lübeck, die nach Osten führte, zum Burgtore hinaus und gabelte sich alsbald, nähmlich links zum Wege nach Wismar und rechts über Brandenbaum durchs Fürstentum Ratzeburg hindurch zum Wege nach Wilsnack in der Mark Brandenburg. Wilsnack, das berühmte, war ein Wallfahrtsort des Mittelalters, wegen des dort gezeigten heiligen Blutes. Ungefähr 2 Meilen von Wittenberge gelegen, ist der Ort ursprünglich ein kleines Dörflein gewesen. Da brennt der Feind im Jahre 1383 die Kirche mit fast allen Häusern nieder. Tränenden Auges betritt nach der Feuersbrunst der alte ehrwürdige Prediger die Trümmer seines Heiligtums, und wie er nach den Spuren der heiligen Geräte Umschau hielt, sieht er mit Staunen, daß der Altar fast unversehrt geblieben. Bald ist die Hostienschachtel gefunden, mit heiliger Scheu geöffnet und siehe da! an den drei Hostien kleben die Blutstropfen des Erlösers. Und als das Wunder bekannt geworden, drängen sich alsbald die Scharen der Pilger herzu. Schöner und größer erblüht der Ort aus der Asche seiner Trümmer. Aus aller Herren Ländern strömendie Gläubigen herbei, gewaltig wird der Reichtum der Stadt, bis nach fast zwei Jahrhunderten die Reformation dem Treiben ein Ende macht, indem der evangelische Prediger Ellsfeld anno 1552 die Reliquie verbrennt. Tausende und Abertausende mögen die alte Heerstraße von Lübeck aus gepilgert sein, und ihnen allen war der Stein beim Burgtore ein getreuer Wegweister. Denn zum Wegweiser war er bestimmt. Seine Errichtung geschah im Jahre 1436 auf testamentarische Verfügung des Johann von der Heyde in Lübeck: "Item so will ick, dat man skal setten en Cruce van X Marken uppe de Wegeschydinge alse gheyt to der Wilsnacke, dar sich de Wysmarsche Wech anhevet." (Bruns, "Lübecks Handelsstraßen am Ende des Mittelalters"). Und die Inschrift lautet (in erhabenen Minuskeln):

biddet got vor
den ghewer
des weges na
der wilsnakke

   Im linken Arm des Kreuzes stecken drei Kugeln. Darüber erzählt Deeke in seinen Lübeckschen Geschichten und Sagen:
   Um 1479 sind sind zwei Kaufgesellen, die gute Freunde waren, mit ihren Wagen aus der Mark nach Lübeck zurückgekehrt. Als sie nun auf der Straße nach der Stadt sind, will der eine, Hans Klever, der ein guter Schütz gewesen, die Röhre abschießen, weil man nicht mit geladener Wehre in die Stadt kommen dürfen. Wie er sich aber nicht vorsieht, als gerade sein Gesell aus dem Schlafe aufgefahren, schießt er den tot. Die Herren des Gerichts setzen ihn danach in den Absalomsturm am Hüxtertor; und des Erschossenen Freunde lassen an der Stelle, wo das Unglück geschehn, ein steinernes Kreuz aufrichten. Das hat der Gefangene von dem Turm aus sehen können und häufig Tränen vergossen; und sich erboten, einen wunderbaren Schuß zu tun, seine Unschuld zu beweisen, dafern man ihn seiner Banden entfreien wollte. - Endlich ist es ihm mit Zulassung eines Rats bewilligt: da hat er mit seinem Rohr beim Hüxtertor dann nach dem linken Arm des Kreuzes geziehlt, und dreimal hineingeschossen, dergestalt, daß die Kugeln ein Kleverblatt (Kleeblatt) machten; zum Zeichen, daß er's getan. -
   Soweit die Sage. Man sieht, daß sie geeignet gewesen wäre, über die Entstehungsgeschichte des Steins zu täuschen, wenn nicht eine einwandfreie geschichtliche Urkunde vorläge. (Buddin 1906)

Sage: Erst in nachreformatorischer Zeit bekam der Wegweiser seinen Namen. Der Sage nach gab ein Mann namens "Klever" drei "kleeblattartige" Schüsse auf das Kreuz ab, um damit einmal seine Treffsicherheit zu beweisen und zugleich seine Unschuld am Tod eines Zeitgenossen, den dessen verirrte Kugel beim Entladen getroffen hatte. Unklar bleibt, um welche drei Löcher es sich handelt. (Bernhard 1986)

Quellen und Literatur:
Deeke, Erwin - Sage vom Kleverschuß, in: Lübische Geschichten und Sagen, 1.Aufl., Lübeck 1825, Nr.140
Buddin, Fr. - Mittelalterliche Gedenksteine im Ratzeburgischen, in: Niedersachsen, 11.Jg., Nr.8, 15.1.1906, S.146-148
Das Wegkreuz in der Roeckstraße, in: Die Bau- und Kunstdenkmäler in der Freien und hansestadt Lübeck, Lübeck 1928, Bd.IV, S.617-618
Möller, Theodor - Wilsnackkreuz in der Roeckstraße, Lübeck, in: Sühne- und Erinnerungsmale in Schleswig-Holstein, in: Nordelbingen, Bd.17/18, 1942, S.99-101
Gandert, Otto-Friedrich - Das Heilige Blut von Wilsnack und seine Pilgerzeichen, in: Brandenburgische Jahrhunderte, Hrg.: Gerd Heinrich / Werner Vogel, Berlin 1971, S.87 und Anmerkung 62
Bernhard, Klaus - Kleverschußkreuz, 1436 in: Plastik in Lübeck - Dokumentation der Kunst im öffentlichen Raum (1436-1985), hrg. vom Senat der Hansestadt Lübeck, Amt für Kultur, Lübeck 1986, Nr.1
Wege nach Wilsnack
Kühne, Hartmut - "biddet gott vor den gheuer des wizers na der Wilsnackenn"
Nachlaß Walter Saal, Merseburg (Ordner Mecklenburg)
Wikipedia - Kleverschusskreuz
Recherche von Forschungsgruppe Preußische, Mecklenburgische und Anhaltische Meilensteine e.V.
Ergänzungen und aktuelle Aufnahmen von Ingo Laabs, Kiel (Fotos von Februar 2009) und Karl-Heinz Schröder, Lübeck



"biddet gott vor den gheuer des wizers na der Wilsnackenn"
von Hartmut Kühne

Vor dem Lübecker Burgtor am östlichen Ende der Roeckstraße steht ein aus gotländischem Muschelkalk gefertigtes Kreuz. In der Mitte des Ringkreuz ist noch schwach eine Darstellung des Wilsnacker Pilgerzeichens - drei Kreise (Hostien) auf dem Grund eines gegenständigen Dreiecks - zu erkennen. Drei kleine Löcher am rechten Kreuzarm zeigen an, dass hier ursprünglich ein Zeiger - wahrscheinlich eine hölzerne Hand - angebracht war, die die Richtung nach Wilsnack wies.
Die Inschrift ist stark verwittert und lautete: "biddet gott vor den gheuer des wizers na der Wilsnackenn" (Bittet Gott für den Stifter des Wegweisers nach Wilsnack). Wir sind in der glücklichen Lage, diesen Stifter zu kennen: im Jahr 1436 setzte der Lübecker Bürger Johann von der Heide in seinem Testament fest: "Item so wil ik, dat men scall setten en cruce van 10 marken uppe de wegescheydinghe, also man gheyt to der Wilsnacke, dar syk de Wysmarsche wech anhevet".
An jener Stelle zweigte der Weg nach Wilsnack von der Straße Lübeck - Wismar ab. Wer von Lübeck aus nach Wilsnack reiste - und dies dürfte auch für viele Pilger aus Skandinavien zutreffen - gelangte an jenem Steinkreuz vorbei auf eine Straße, die über Gadebusch, Schwerin und Perleberg nach Wilsnack und von dort über Rathenow nach Brandenburg führte.
(Wege nach Wilsnack)



Wilsnackkreuz in der Roeckstraße, Lübeck
von Theodor Möller

   Schrifttum: Erwin Deeke: Lübische Geschichten und Sagen, 1.Aufl., Lübeck 1825, 5.Aufl., Lübeck 1911. - Jph. Warncke: Das steinerne Kreuz in der Roekstraße. Von Lübecks Türmen, 32.Jahrg. (1922) Nr.19. - Derselbe: Mittelalterliche Pilgerzeichen aus Lübeck und Lauenburg. Nordelbingen VIII, 158-183, - St.(ler) Der Kleverschuß. Heimatblätter Lübeck 1936, Nr.140. - Die Bau- und Kunstdenkmäler der Freien und Hansestadt Lübeck. IV, 617-618.

   Es war ursprünglich ein Wegweiser für Pilger, aber die Volksmeinung hat es zu einem Sühnekreuz gemacht. Die Veranlassung, die zu dieser "Umtaufe" führte, ist gut aufgehellt, und alle diejenigen, die eine ähnliche Umtaufung des Ansveruskreuz für möglich halten, können an diesem Schulbeispiel ersehen, wie die immer rege Volksphantasie arbeitet. Ihr ist "kein Ding unmöglich".
   Das Kreuz steht außerhalb des Burgtores, an der rechten Seite der Roeckstraße, vor dem Hausgrundstück Nr.44, "Gesicht" nach Süden gekehrt. Dort hat es seinen Platz zwischen Straße und Bürgersteig. Es ist ein Radkreuz wie das Ansveruskreuz, dem es stark ähnelt. Seine Größe beträgt 1,95m, die Breite des Kreuzstammes ist 0,52m. Der Querarm misst 1,08m. Material: Gotländer Kalkstein.

Wisnack-Kreuz in Lübeck
Aufnahme: Theodor Möller

   In der Mitte, wo die Arme sich kreuzen, erkennt man drei Kreise mit je einem Kreuz innen und oben. Dieses ist die Nachbildung eines Pilgerzeichens, wie solche, aus Metall gefertigt, an den Gnadenörtern von den Pilgern erworben wurden. In vorliegendem Falle ist es die Darstellung des Wilsnacker Pilgerzeichens. Die drei mit einem Kreuz gekrönten Kreise erinnern an die drei heiligen Hostien, die in Wilsnack an der Priegnitz sich einer hohen Verehrung erfreuten und Scharen von Pilgern anlockten. Der linke Kreuzarm (im Blick rechts) weist drei Vertiefungen auf. Sie rühren wahrscheinlich von drei Bolzen oder Schrauben her, mit denen eine aus Metall oder Holz gefertigte wegweisende Hand befestigt sein mochte. Der Stamm des Kreuzes trägt in Minuskeln ein Inschrift, die heute nur noch zum Teil lesbar ist. Sie lautet nach Joh. Warncke:“ Biddet Gott vor den ghever des wizers (Weisers) na der Wilsnacken“. Damit ist die ursprüngliche Bedeutung des Kreuzes als Wegweiser für die Pilger eindeutig festgestellt. Auch der Geber, für den zu beten die Inschrift auffordert, ist bekannt. Es war der Lübecker Bürger Johann von der Heyde, der in seinem Testament vom Jahre 1436 10 Mark für einauf der Wegscheide, dort, wo der Wilsnackische Weg anhebt, zu errichtendes Kreuz aussetzte (nach Joh. Warncke). Um das Jahr 1436 dürfte auch das Kreuz errichtet worden sein. Ein Jahrhundert mag es noch seine Aufgabe, den Pilgern den Weg nach Wilsnack zu weisen, erfüllt haben, dann, nach Einführung der Reformation, verlor es seine Bedeutung. Nachfolgende Geschlechter wussten bals nichts mehr davon. Die Inschrift freilich, die noch vor 100 Jahren, als Deeke seine Lübischen Geschichten und Sagen veröffentlichte, gut lesbar gewesen sein muß, hätte jedem Wissbegierigen erschöpfende Auskunft geben können. Aber wer mühte sich um die Entzifferung der schwer lesbaren Minuskelschrift? Ein Kreuz - was kann es anderes sein als eine Erinnerung an einen ungewöhnlichen Todesfall! Und die drei geheimnisvollen, an ein Kleeblatt erinnernden Vertiefungen an dem einen Kreuzesarm waren ganz besonders geeignet, die Einbildungskraft anzuregen und in eine bestimmte Richtung zu lenken. Sie heischten geradezu eine Erklärung, und die Sage, die nie um eine solche verlegen ist, gab sie. So entstand die „Sage vom Kleverschuß“, die in der Fassung von Deeke hier mitgeteilt sei:
   "1479. Um diese Zeit sind zwei Kaufgesellen, die gute Freunde waren, mit ihren Wagen aus der Mark nach Lübeck zurückgekehrt. Als sie nun auf der Straße vom Ackerhofe (Marly) nach der Stadt sind, will der eine, Hans Klever, der ein guter Schütz gewesen, die Röhre abschießen, weil man nicht mit geladener Wehre in die Stadt kommen dürfen. Wie er sich aber nicht vorsieht, als gerade sein Gesell aus dem Schlafe aufgefahren, schießt er den tot, was ihm großes Herzeleid gemacht.
   Die Herren des Gerichts setzen ihn danach in den Absalomsturm am Hüxtertor, und des Erschossenen Freunde lassen an der Stelle, wo das Unglück geschehn, ein steinernes Kreuz aufrichten. Das hat der Gefangene von dem Turm aus sehen können und häufig Tränen vergossen, und sich erboten, einen wunderbaren Schuß zu tun, seine Unschuld zu beweisen, sofern man ihn seiner Banden entfreien wollte.
   Endlich ist es ihm mit Zulassung eines Rats bewilligt: da hat er mit seinem Rohr beim Hüxtertor dann nach dem linken Arm des Kreuzes geziehlt, und dreimal hineingeschossen, dergestalt, daß die Kugeln ein Kleverblatt (Kleeblatt) machten; zum Zeichen, daß er's getan.
   Das ist noch vor dem Burgtor unweit der Kienräucherei zu sehen".
(Möller, Theodor - Sühne- und Erinnerungsmale in Schleswig-Holstein, in: Nordelbingen, Bd.17/18, 1942, S.99-101)



Das Wegekreuz in der Roeckstraße.

Das Wegekreuz in der Roeckstraße.

   Vor dem Burgtor steht unweit des östlichen Endes der Roeckstraße, da, wo sich ehemals der Weg in die beiden Heerstraßen nach Wismar und den übrigen Städten der südlichen Ostseeküste und nach der Mark Brandenburg gabelte, dicht neben einer alten Linde ein verwittertes Kalksteinkreuz (Abb.) von 1,97m Höhe über dem Erdboden und 1,075m Breite. Seine abgespaltene obere Hälfte ist mit der unteren durch eine eiserne Klammer verbunden und außerdem durch zwei Ankereisen an den Stamm der Linde befestigt; bei dieser Neuaufstellung ist offenbar die ursprüngliche Richtung des Kreuzes verschoben.
   Seine Bestimmung erhellt aus der am Kreuzesstamm ausgesparten, nur noch schwer zu entziffernden Inschrift:
Die Errichtung dieses Wegweisers nach Wilsnack ist dem Lübecker Bürger Johann von der Heide zu verdanken, der 1436 letztwillig angeordnet hatte: "Item so wil ik, dat men scal setten en cruce van 10 marken uppe de wegescheydinghe, also men gheyt to der Wilsnacke, dar syk de Wysmarsche wech anhevet"1). Diese Wegebezeichnung entsprach einem Zeitbedürfnis, weil damals die Verehrung des "heiligen Blutes" von Wilsnack, dreier Hostien, die beim Brande der dortigen Kirche am 16. August 1383 wunderbarerweise vom Feuer verschont geblieben und je mit einem Blutstropfen gezeichnet wieder aufgefunden sein sollen2), ganze Scharen von Wallfahrern, auch aus den skandinavischen Ländern, in Bewegung setzte.
   Auf der Mitte des oberen Ringkreuzes ist durch drei von zwei Kreuzen überhöhte und durch Ösen miteinander verbundene, je mit einem Kreuze belegte kreisrunde Scheiben das Wilsnacker Pilgerzeichen nachgeahmt3).
   Am Ende des linken Kreuzarmes sind in gleichem Abstände voneinander drei Nietlöcher für den Zeiger4) sichtbar5).

Literatur:
1) J. von Melle, De itineribus Lubecensium sacris (Lübeck 1711), S.125, und Lub. Relig., S.689. Die Urschrift des Testamentes ist nicht erhalten.
2) Zur Entstehung dieses Wunderglaubens vgl. die Zusammenstellung der hierauf bezüglichen Nachrichten in Chroniken der Deutschen Städte (Band 30), Lübeck, Band 4, S.54, Anm.6.
3) Vgl., J. Warncke, Das Wilsnacker Pilgerzeichen auf einem Wegekreuz (Die Denkmalpflege, Jahrg. XI, S.7) und Die Verwendung von Pilgerzeichen als Glockenschmuck (Niedersachsen, Jahrg.18, S.265ff.).
4) Vgl. F. Techen in Zeitschr. d.V.f. lüb. Gesch., II, S.214.
5) Die Sage sieht in diesen Vertiefungen die Einschläge dreier glücklicher Schüsse, die ein Kaufgeselle vom Hüxterdamm aus nach dem Kreuze abgegeben haben soll; E. Deecke, Lüb. Geschichten und Sagen, 3.Aufl., S.190.

(Die Bau- und Kunstdenkmäler in der Freien und Hansestadt Lübeck, Lübeck 1928, Bd.IV, S.617-618)



Lübeck (II)


Blick zum Standort

Detail Inschrift

Abbildung in den
Bau- und Kunst-
denkmälern (1928)

GPS:

Standort: Neben dem Eingang der Kirche am St. Lorenz-Friedhof.

Größe / Material: 290:176:12 / Gotländischer Kalkstein

Geschichte: Das Pestkreuz, das neben dem Eingang der heutigen Kirche steht, gibt Zeugnis von dem damaligen Geschehen. In der Inschrift sind auch vier Vorsteher genannt, die mit der Leitung des Friedhofes und des Pesthauses betraut wurden.
Anlässlich einer großen Pestepedemie im Jahre 1597, der mit ca. 8000 Toten fast ein drittel der Lübecker Bevölkerung zum Opfer fiel, beauftragte der Rat der Stadt vier Bürgervorsteher mit der Gründung und Verwaltung eines Pestfriedhofes außerhalb der Stadt vor dem Holstentor. Am Tag des heiligen Laurentius, dem 10. August, wurde der Friedhof feierlich eingeweiht. Daran sowie an den Bau eines Hauses zur Pflege der Kranken erinnert noch heute das Pestkreuz aus Gotländer Kalkstein.
Der St. Lorenz-Friedhof ist damit der älteste erhaltene Friedhof der Stadt Lübeck und der Namensgeber für die gesamte Vorstadt.
Auch nach dem Bau einer kleinen Kirche wurden hier nur ärmere Leute bestattet. Die angesehenen Bürger der Stadt ließen sich in den Innenstadtkreisen beisetzen. Erst als sich ab 1770/80 im Zuge der Aufklärung moderner Ärzte gegen diese zu höchst unhygienischen Verhältnissen führenden Tradition aussprachen, begannen aufgeklärte Bürger, sich über dieses Privileg betrachteten Bestattungspraktiken hinwegzusetzen.
Als erster ließ der Sohn des Bürgermeisters, Bernhard von Wickede, seine Frau Augusta, geb. Vanselau, auf diesem Armenfriedhof beisetzen und setze ihr ein im klassizistischen Stil gefertigtes Grabmal in Form eines niedrigen Postamentes aus Sandstein (heute ebenso wie einige andere auf dem Vorwerker Friedhof zu finden). Diesem Beispiel folgten weitere bedeutende Bürger der Stadt. Einige der klassizistischen Grabmale aus dieser Zeit sind erhalten. Meist haben sie die Form von Obelisken, Stelen oder Säulen und sind mit aus der Antike stammenden Ewigkeits- und Unsterblichkeitssymbolen geschmückt.
Gegen Ende des 19.Jahrhunderts war der St. Lorenz-Friedhof vollständig belegt und wurde daher um einen Teil des Pesthausgartens erweitert. Er steht seit 1906 unter städtischer Verwaltung und seit 1977 zusammen mit der im Jahre 1900 errichteten Kirche unter Denkmalschutz.
Das Pestkreuz wurde 1990 restauriert. (Kirchengemeinde St. Lorenz Lübeck)

   Der St.-Lorenz-Gottesacker ist im Pestjahr 1597 als Armenkirchhof angelegt worden. In seiner unmittelbaren Nähe sind als Asyle für die von dieser Seuche befallenen 1598/99 ein Pesthof und 1603 ein weiteres kleines Pesthaus errichtet, die zusammen mit dem Friedhof von einer viergliedrigen Vorsteherschaft verwaltet wurden.
   Noch heute steht am Haupteingang zum Fiedhof ein über dem Erdboden 2,90m hohes und bis zu 1,76m breites einfaches Kalksteinkreuz mit der Inschrift:
ANŌ 1597 AVFF DEN
TAGK LAVRENTZIVS
HEBBEN DISSE NACH
FOLGENDE VORSTENDER
VTH HETE DES ERBAREN
RADES DIESEN KARK HOFF ANGEFANGĒ GOTT ZV EHREN
VND DEN ARMEN THOM BESTE. AO 1598 HEBBĒ DE VORSTENDER
DAT HYS BY DEN GARDEN BOWEN LATEN §
HINRICH MEIER
IACOP GRANEKOW HANS GLANDORP HINRICH BILDERBECK.
   In früherer Zeit sah man auf der anderen Seite dieses Kreuzes ein Christusbild. Spuren sind noch erhalten (Anm.1, S.422). (Bau- und Kunstdenkmäler 1928)

Sage:

Quellen und Literatur:
Die Bau- und Kunstdenkmäler der Freien und Hansestadt Lübeck, Bd.IV, Lübeck 1928, S.421-423
Kirchengemeinde St. Lorenz Lübeck
aktuelle Aufnahmen von Ingo Laabs, Kiel (Fotos von Februar 2009)
Ergänzungen von Karl-Heinz Schröder, Lübeck



Lübeck (III)


Oberteil

Detail Gekreuzigter

Rückseite

Abbildung bei
Möller (1942)

Abbildung in den
Bau- und Kunst-
denkmälern
(1928)

GPS:

Standort: Im Innenhof des St. Annen-Museums in Lübeck.

Größe / Material: Gotländer Kalkstein

Geschichte: Benennung: "Padelügger Kreuz".

   Vorhanden ist von demselben nur noch das obere Stück, das im Hofe des St. Annen-Museums in Lübeck aufgehoben ist. Sein ursprünglicher Standort war an der alten Landstraße Lübeck-Hamburg, in der Nähe des Dorfes Padelügge. Dort diente es zuletzt, bis zu seiner Sicherstellung im Museum 1897, als Stegel im Knickwall vor dem Hof Buntekuh, auf dem Fußwege von der Lindenstraße nach Padelügge.
   Im Museum ist es durch einen Zementunterbau ergänzt worden, den man vollständig von Efeu hat überwuchern lassen, so daß aus dem Grün nur der obere Teil hervorragt und jeder Beschauer sich unschwer vorstellen kann, wie dieses Kreuz einst gewirkt haben muß. Material: Gotländer Kalkstein. Die Höhe des noch erhaltenen Stückes beträgt 1,20m. Da die Querarme 2,10m messen, muß es eine Höhe von über 3m gehabt haben. Das obere Stück und die beiden Arme verbreitern sich nach den Enden hin. "In der Ebene, die durch die Überschneidung von Stamm und Armen entsteht, sind kleine Vierecke stehengeblieben. Sie erwecken den Anschein, als sein die Schnittfläche mit einem Quadrat unterlegt. Die vertiefte Innenfläche zeigt einen gut ausgeführten Kruzifixus. Das leicht geneigte Haupt des Gekreuzigten ist mit einem Heiligenschein geziert, der ein Kreuz aus Lilien zeigt. Das Kopfwerk des Kreuzes ist noch mit gotischem Maßwerk geschmückt. Eine Inschrift trägt das vorhandene Bruchstück nicht, sie wird am Fuße des Kreuzes, vielleicht auch an seiner Rückseite angebracht gewesen sein. Der ganzen Art nach muß dieses Kreuz dem ausgehenden 15. Jahrh. angehören." Joh. Warncke (Heimatblätter Lübeck 1925, Nr.12). Vergl. hierzu die Ausführungen von Hugo Rathgens in Nordelbingen III, 118 und Bau- und Kunstdenkmäler Lübecks IV, 621. An letztgenannter Stelle heißt es: "Auf der Rückseite des Kreuzes erkennbare Spuren von Meißelschlägen lassen vermuten, daß hier eine Inschrift getilgt ist." - Ob Sühne- oder Erinnerungsmal ist nicht zu entscheiden. (Möller 1942)

Sage:

Quellen und Literatur:
Möller, Theodor - Sühne- und Erinnerungsmale in Schleswig-Holstein, in: Nordelbingen, Bd.17/18, 1942, S.110-111
Das Steinkreuz vom Wege nach Padelügge., in: Die Bau- und Kunstdenkmäler in der Freien und hansestadt Lübeck, Lübeck 1928, Bd.IV, S.621
recherchiert und bebildert von Ingo Laabs, Kiel (Fotos von März 2009)
Ergänzungen von Karl-Heinz Schröder, Lübeck



Das Steinkreuz vom Wege nach Padelügge.

Steinkreuzes vom Wege nach Padelügge. St.-Annen-Museum.

   Von einem früher vor dem Holstentore aufgestellten, aus Kalkstein gehauenen Wegekreuze des 15. Jahrhunderts ist nur der den ganzen Querarm mit umfassende obere Teil (Abb.) erhalten. Es ist jetzt im inneren Hofe des St.-Annen-Museums aufgerichtet.
   Das Bruchstück ist im Oktober 1897 im Zuge des Fußweges, der damals - d.h. vor der Bahnhofs Verlegung, der neuen Gleiszuführung und der dortigen Vorstadterweiterung - vom südwestlichen Ende der Lindenstraße aus über das Nebenhöfer Feld nach dem Hofe Buntekuh und weiter nach Padelügge führte, ausgegraben, und zwar unmittelbar vor der Lücke eines Knicks, der den Hof Buntekuh stadtseitig begrenzt. Es ragte nur mit seinem oberen Drittel aus dem Erdboden und hat offenbar in dieser Lage als sogenannter Stegel zum Überschreiten des Knicks gedient1). Das erhaltene Stück ist 2,06m breit und über der Bruchstelle 1,23m hoch. Seine drei nach den Enden zu verbreiterten und in den Vierungswinkeln durch rechteckige Ansätze verstärkten Arme werden von einer dreifachen Profilierung umzogen, deren innere Kehle auf dem oberen Arm zu einem mit Maßwerk gezierten Rundbogen entwickelt ist. Auf der Innenfläche ist das Bildnis des gekreuzigten Heilands ausgespart, dessen seitlich geneigtes Haupt von einem mit zentrisch gestellten Lilien geschmückten Nimbus umstrahlt und von einer Schriftrolle mit der Minuskelinschrift inri überhöht wird.
   Auf der Rückseite des Kreuzes erkennbare Spuren von Meißelschlägen lassen vermuten, daß hier eine Inschrift getilgt ist.

Literatur:
1) Vaterstädtische Blätter, Jahrg. 1897, Sp.322 und Sp.343 mit Abbildung der Fundstätte.

(Die Bau- und Kunstdenkmäler in der Freien und hansestadt Lübeck, Lübeck 1928, Bd.IV, S.621)



Lübeck (IV)


Inschrift auf
Sockel vorn

rückseitige Inschrift

Abbildung bei
Bernhard (1986)

GPS:

Standort: "Prahls Wall", auf dem Wall gegenüber der Einmündung der "Wallstraße" in die Mühlenbrücke.

Größe / Material: Sandstein

Geschichte: Das Denkmal erinnert an die Hinrichtung des Jürgen Paul Prahl durch französische Besatzer am 7.Juli 1813.

Sage:

Quellen und Literatur:
Bernhard, Klaus - Prahl-Denkmal, 1820, in: Plastik in Lübeck - Dokumentation der Kunst im öffentlichen Raum (1436-1985), hrg. vom Senat der Hansestadt Lübeck, Amt für Kultur, Lübeck 1986, Nr.5
aktuelle Aufnahmen von Ingo Laabs, Kiel (Fotos von Februar 2009)
Ergänzungen von Karl-Heinz Schröder, Lübeck



Prahl-Denkmal, 1820
von Klaus Bernhard

Steinhauer Georg Peter Remé (St. Medard bei Zweibrücken um 1774-1820 Lübeck)
Architekt Joseph Christian Lillie (Kopenhagen 1760-1827 Lübeck)

Sandstein aus Obernkirchen im Wesergebirge
Zur Erinnerung an die Erschießung Jürgen Paul Prahls
Von Lübecker Ämtern errichtet
Prahls Wall, auf dem Wall gegenüber der Einmündung der Wallstraße in die Mühlenbrücke

Am 7.Juli 1813 wurde der Lübecker Schlachtermeister Jürgen Paul Prahl, der von der französischen Besatzungsmacht beschuldigt worden war, ihr Widerstand geleistet zu haben und der Anstifter sowie Urheber revolutionärer Bewegungen gewesen zu sein, zum Tode verurteilt und erschossen.

In Wahrheit hatte Prahl nur gelacht, als der französische Platzmajor Abadie am Morgen des 5. Juli 1813 französische Soldaten musterte. Es kam daraufhin zu einem Handgemenge zwischen Abadie und Prahl. Zwei Tage später wurde Prahl auf der Bastion Schwansort am Mühlentor erschossen und ursprünglich an der Stelle der Exekution eingescharrt. Seine Witwe konnte aber erwirken, daß die Leiche auf dem St.-Annen-Friedhof, der heute nicht mehr existiert, begraben wurde. Das heute unter hohen Laubbäumen etwas verborgene Denkmal der Ämter stand vor dem Bau des Elbe-Lübeck-Kanals weiter nach Südosten zu, auf der nun rasierten Spitze der Bastion. 1898 wurde es 50m versetzt an seinen jetzigen Ort.

Der Stil des Denkmals ist klassizistisch wie der des Arnim-Denkmals (4) von 1814. Typisch ist die Verwendung des ägyptischen Obelisken als Form und als Schmuck der bebänderte ovale Lorbeerkranz. Die Schlichtheit und die Lage in der Natureinsamkeit erinnert an den damals herrschenden Freundschaftskult und die Empfindsamkeit.

Die Inschriften erinnern in diesem Sinne an den Vorfall:
Vorderseite: Waffengewalt erkohr zum Opfer den friedlichen Bürger.
Hier sank I. P. Prahl den VII Juli MDCCCXIII


Rückseite: Innig danke dem Herrn jeder den Freiheit beglückt.
Der Unschuld allgemeine Achtung
Von vereinten Aemtern errichtet MDCCCXX


Der Anteil Lillies am Denkmal bestand in einer gutachterlichen Funktion, wobei von ihm die Vorschlagszeichnung der Ämter etwas modifiziert worden war, die jedoch so zur Ausführung kam. Den Auftrag dazu erhielt der Steinhauermeister Remé, der damals Ältermann des Maurergewerks war und zugleich Mitglied der Baudeputation. Diese war die zuständige Genehmigungsbehörde, die sich jedoch auf einen zustimmenden Senatsbeschluß stützen konnte. Remé verstarb am 6.Oktober 1820 in Lübeck, wenige Monate nach der feierlichen Einweihung des Denkmals zum 7.Jahrestag am 7.Juli 1820.

1863 fand zum 50jährigen Gedenken eine Feier durch den Gewerkverein statt, wobei in der ersten Jahreshälfte der "Denkstein" vollständig renoviert worden war, da er "theilweise verwittert und durch Unfug entstellt" gewesen ist. Zugleich wurde er abgesichert durch eine "eiserne Befriedigung", ein Gitter, das inzwischen längst wieder verschwunden ist. Wohl schon 1916, als alle Metalle zu Kriegszwecken eingezogen wurden.

Am 7.Juli 1913 fand aus 100jährigem Anlaß eine Gedächtnisfeier statt, zu der der Gewerkverein sämtliche Innungen und gewerblichen Vereine eingeladen hatte.
1963 fand keine solche Feier mehr statt.

Zum Nachlesen:
"Prahl-Denkmal", in: Die Bau- und Kunstdenkmäler der Hansestadt Lübeck, Bd.1, 2.Teil, Lübeck 1974, S.411-413
"Prahl's Denkmal in Lübeck", in: Vaterstädtische Blätter 1913, Nr.40-42 (von Hans Knoke)

(Bernhard, Klaus - Plastik in Lübeck - Dokumentation der Kunst im öffentlichen Raum (1436-1985), hrg. vom Senat der Hansestadt Lübeck, Amt für Kultur, Lübeck 1986, Nr.5)



Lübeck (V)


Detail der
Kreuzigungsszene

die erste
Kreuzwegstation
an der Jakobikirche

Abbildung in den
Kunstdenkmälern
(1928)

GPS:

Standort: Auf dem "Jerusalemsberg" gelegen, Ecke "Jerusalemsberg" / "Konstinstraße".

Größe / Material: Kalkstein aus Gotland/Schweden mit Sandsteinausbesserungen

Geschichte: Kreuzwegstation, 1493 Unbekannter Steinmetz Vermutlich 1680 und 1882 renoviert, Stifterwappen Hinrich Konstin. Der Backsteinbau auf der "Jerusalemsberg" genannten Anhöhe, einer künstlichen Aufschüttung, mit der spätgotischen Kreuzigungsgruppe hat heute Denkmalcharakter. Das große Relief stellt Maria und Johannes dar, wie sie unter dem Gekreuzigten stehen, dessen Blut von vier Engeln mit Kelchen aufgefangen wird. Der Stil ist jener typisch spätgotische "Flatter-, Dreh- und Wirbelstil", der die Gewänder aufgebläht erscheinen läßt und der ab 1480 in Deutschland allgemein üblich war.
Zur Errichtung der Kreuzwegstation kam es, nachdem der Lübecker Ratsherr Hinrich Konstin (gest. 1482) eine Wallfahrt nach Jerusalem gemacht hatte. Einem Gelöbnis zufolge ließ er in Lübeck nach Jerusalemer Vorbild einen Kreuzweg errichten, von dem heute nur noch die erste und die letzte Station erhalten sind. Die erste befindet sich an der Nordseite der Jakobikirche. Das dort angebrachte Kalksteinrelief stellt "Christus vor Pilatus" dar. Die Inschrift besagt, daß hier der Kreuzweg begann:
Hir.beginet.de.crucedracht.xsti
butē.de borchdare.to.Jherusalē.

(Hier beginnt die Kreuztragung Christi
durch das Burgtor nach Jerusalem.)
Der Kreuztrageweg führte zunächst in die Innenstadt, dann über das Burgtor hinaus zum Jerusalemsberg. Alle Kreuzwegstationen dazwischen sind längst verloren gegangen. Heute liegt die letzte Kreuzwegstation idyllisch in einem Eichenhain, der um 1830 angelegt worden ist. (Bernhard1986)

Sage: 1493 ist in dem Eichholz, vor dem Burgtor zu Lübeck, welches Jerusalem hieß, der Berg Golgatha von Herrn Heinrich Constin aufgehöht.
Dieser war ein reicher Kaufherr und allewege sehr angesehen. Aber er war heftig im Jähzorn, und so tat er einst seiner Frau, die er sonst zärtlich geliebt, ein so großes Herzeleid an, daß sie seitdem nimmer genesen wollte und endlich gestorben ist.
Von Stund an hat er keine Ruhe gehabt in seiner Heimat. Er überläßt also sein Haus und seine Güter einem treuen und erfahrenen Diener, gibt seine einzige Tochter einem frommen Kaufgesellen in Nowgorod zum Ehegemahl und zieht selber in das gelobte Land, um Buße zu tun und seiner Seele Frieden zu gewinnen.
Dort hat er gegen die Ungläubigen sich so tapfer erwiesen, daß man ihn zum Jerusalemsritter gemacht. So hat er alle Wege und Stege wohl ausgemessen und sich vorgenommen, wenn Gott ihn wohlbehalten in die Stadt Lübeck zurückführe, den Schädelberg an der Stätte, die Jerusalem vor alters gegenannt ist, aufzurichten.
Seitdem ist er ruhig und friedsam geworden, und es ist ihm seiner Frauen Gestalt im Traum erschienen und hat ihm verheißen, daß Gott wegen seiner innigen Reue ihm gnädig sei.
Da er nun zurückgekehrt, hat er alles fleißig abmessen und aufreißen lassen, und hat sich befunden, daß von der alten Gerichtsstube an der Kanzlei bis an das Jerusalem vor dem Burgtor genau die Zahl der Schritte sei, wie von Pilati Richthaus bis zur Schädelstätte.
Danach sind die Schritte von der Stätte, wo Christus das Kreuz getragen, abgezählt und ein Denkstein in die Mauer der Jakobikirche am Koberge gefügt, wo die Kreuzestracht begonnen.
Desgleichen ist vom ersten Burgtor ab bis nach dem Jerusalem die Länge des Weges gefunden, wo Simon von Kyrene für den Herrn das Kreuz genommen.
Als nun der Berg erhöht und das Bild der Kreuzigung aufgestellt ist und Herr Constin inbrünstig anbetet, siehe, da kommt ein großes Schiff die Trave aufwärts, das führt seine Tochter samt ihrem Eheherrn daher. Die legen ihm ihr Kind, seiner verstorbenen Frauen Ebenbild, in den Arm.
Danach ist er sanft und selig entschlafen.
Als aber nach vielen Jahren durch einen Blitz der Stein der Kreuzigung zerrissen, sind doch die Beine ganz heil und unzerbrochen geblieben, wie zuvor gesagt ist: "Ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen." Dessen haben sich verständige Leuje, die es gesehen, nicht genug verwundern können. (Deeke 1980)

Quellen und Literatur:
Die Bau- und Kunstdenkmäler der Freien und Hansestadt Lübeck, Bd.IV, Lübeck 1928, S.421-423
Bernhard, Klaus - Kreuzwegstation, 1493, in: Plastik in Lübeck - Dokumentation der Kunst im öffentlichen Raum (1436-1985), hrg. vom Senat der Hansestadt Lübeck, Amt für Kultur, Lübeck 1986, Nr.2
Der Leidensweg Christi und der Jerusalemsberg, in: Die Bau- und Kunstdenkmäler der Freien und Hansestadt Lübeck, Bd.IV, Lübeck 1928, S.623-627
Deecke, Ernst - Jerusalemsberg, in: Lübische Geschichten und Sagen, 10.Aufl. 1980, Nr.148
Lubowski, Karin - Das ist Deutschlands ältester Kreuzweg, in: Flensburger Tageblatt vom 3.04.2009, S.4
aktuelle Aufnahmen von Ingo Laabs, Kiel (Fotos von Februar 2009)
Ergänzungen von Karl-Heinz Schröder, Lübeck



Der Leidensweg Christi und der Jerusalemsberg

Das Kalksteinrelief an der Jakobikirche.

Das Denkmal auf dem Jerusalemsberg.

Das Kreuzigungsrelief auf dem Jerusalemsberg.

   Wie Heinrich Rehbein in seiner 1568 begonnenen und bis 1619 reichenden lübschen Chronik berichtet1), ist 1493 auf letztwillige Anordnung des Ratsherrn Heinrich Constin nach genauen Abmessungen, die dieser auf einer Pilgerfahrt nach dem Heiligen Lande genommen haben soll, der Leidensweg Christi nach Golgatha durch Anbringung mehrerer bildlicher Darstellungen in der Stadt und vor dem Burgtor festgelegt. Diese "Kreuztragung" führte von der Nordseite der Jakobikirche aus zunächst südwärts bis mitten in die Stadt zur ursprünglichen Nordfront des Kanzleigebäudes und von da ab wieder nordwärts zu einem rund 850m vor dem jetzigen Burgtor aufgeschütteten Kalvarienhügel, dem "Jerusalemsberg".
   Ein Testament Heinrich Constins, der, seit 1430 der Zirkelgesellschaft angehörend, am 23. März 1467 in den Rat gewählt und am 2'8. Dezember 1482 kinderlos verstorben ist, hat sich nicht erhalten, wohl aber wird die Richtigkeit der obigen Angaben Rehbeins, abgesehen von dem an der Endstation angebrachten Constinschen Wappenschilde, durch die nachstehende Buchung2) aus dem Jahre 1493 bestätigt:

"Item is Sander Oltdorpe unde Lutken Mantel lent anno etc. 93 etc.:
Is 8 stucke houwen stens to der dracht unses heren vor deme Borch-
dore, de holden 18 elen, de ele kostede tho houwende 11 ß, is 12 mr. 6 ß.
Item noch uthgheven vor de vore is 2 mr"

   Es sind also damals städtischerseits (dem Ältermann der Goldschmiede) Sander Oldendorp und (dem Krämer) Ludeke Mantel, vermutlich als Verwaltern des Constinschen Nachlasses, 18 Ellen behauener Feldsteine für die Kreuztragung Christi vor dem Burgtor, wahrscheinlich zu der Fundamentierung der dortigen Stationen, gegen Erstattung der Selbstkosten an Arbeits- und Fuhrlohn überlassen.
   Den Ausgangspunkt des Leidensweges bildete ein außenseitig an der Nordervorhalle der Jakobikirche inmitten einer Backsteinumrahmung mit seitlichen Birnstäben und vorspringender Verdachung angebrachtes, 91cm hohes und 56cm breites Kalksteinrelief (Abb.). Es stellt Christus vor Pilatus und dessen Handwaschung dar; darunter steht:
   Ein weiteres, längst verschwundenes Relief war in dieNordfront des 1483-85 errichteten Kanzleigebäudes eingemauert. Es schilderte, "wie Joseph dem Hern Christo sein nachtregt; unde dieses sagt man für gewiße, daz es die rechte Lenge des Weges zu Jerusalem vom Gerichte an, da Christus verurtheilt zumThote, biß undter daz Thor daselbst, dha Joseph zu dem Hern Christo kommen und ihm tragen helffen"3). Als das Kanzleigebäude 1614/15 seine heutige Ausdehnung bis an die Mengstraße erhielt, ist diese Tafel, wie ein nachträglicher Zusatz Rehbeins4) vermeldet, "numehr Anno 1615 in das neue Gemagk mit eingezoegen wordenen".
   Die dritte Station befand sich eben außerhalb des jetzigen Burgtores, zur linken Hand, "da man den Fußwegk durch das steinern Pförtken gehn wil; über demselbigen stehet auch eine Fugur(!) in Holtz geschnitten, wie das Simon von Cyrenen dem Hern Christo sein Kreutz tragen helffet"3). Diese Darstellung ist bei der gründlichen Umgestaltung der Burgtorbefestigungen in den Jahren 1623 und 16245) untergegangen.
   Die vier übrigen, vor dem Burgtor errichteten Denkmäler, die in der Rehbeinschen Chronik als erstes bis viertes Jerusalem benannt werden, hatten nach Ausweis ihrer dortigen rohen Abbildungen6) die Form eines oben dreistufig abgetreppten gemauerten Gehäuses, das in einer rechteckigen Nische je eine Reliefdarstellung barg. Ihr ungefährer Standort ist überliefert. Denn während die Abmessungen von der Kanzlei bis zur Jakobikirche auf

827

lüb. Ellen

(475,7m)

und von dort bis zum Burgtorpförtchen auf  

665½

  "   "

(382,8m)

angegeben werden, betrug die Entfernung  

von da bis zum "ersten Jerusalem"  

1070

  "   "

(615,5m)

von da bis zum "anderen Jerusalem"  

114½

  "   "

(65,9m)

von da bis zum "dritten Jerusalem"  

148

  "   "

(85,1m)

von da bis zum "vierten Jerusalem"  

105¼

  "   "

(60,5m)




zusammen also  

2930¼

lüb. Ellen

(1685,5m)7)


   Die drei ersten, auch als "dreyer Steinwurff des Herrn Cristi" bezeichneten "steinernen Gebäude" enthielten Darstellungen, wie der Heiland der Legende nach zum ersten, zweiten und dritten Male unter der Last des Kreuzes zusammenbricht8). Die erste, ziemlich lange Wegestrecke endete am Rande eines Eichholzes8), das ehemals einen Teil der nördlichen Hälfte des Burgfeldes bedeckte; vereinzelte mächtige Eichen sind dort noch erhalten. Wenn Jakob von Melle 1713 angibt, es würden "von den dryen ersten Steinen, worauf gehauen, wie Christus unter dem Kreutze niedergefallen, jetziger Zeit nur zween mehr gefunden, davon der eine vor dem Pockenhofe9) auf der Erden liegt und kaum mehr zu erkennen ist, der andere aber stehet noch an dem Fuße des Jerusalems-Berges aufgerichtet"10), so können nach den obigen Abmessungen diese Angaben nur auf die erste und die dritte dieser Stationen bezogen werden; die Trümmer der dortigen Denkmäler sollen im Juli 1798 von der Baubehörde entfernt sein11).
   Der die Endstation bildende Jerusalemsberg hat heute nicht mehr ganz seine ursprüngliche Form. Als nämlich im Sommer 1813 die Franzosen zur besseren Verteidigung Lübecks vor dem früheren äußeren Burgtor Schanzen und Brückenköpfe auf warfen, ist die hierzu nötige Erde dem Jerusalemsberg entnommen12); infolgedessen fällt der Hügel nach Osten hin ziemlich steil ab.
   Das den Hügel krönende, wiederholt ausgebesserte Denkmal, das hierbei an Stelle des früheren Treppengiebels einen wagerechten oberen Abschluß erhalten hat, umschließt ein 3,30m hohes und 1,77m breites Kalksteinrelief. Es stellt in schlichter rechteckiger Umrahmung zwischen Maria und Johannes den gekreuzigten Heiland dar, dessen Blut von vier schwebenden Engeln aufgefangen wird. Vor dem mit Totengebeinen belegten kleinen Hügel, aus dem das Kreuz aufragt, ist der Constinsche Schild (im schlichten Felde eine aus 3 Quaderschichten gebildete schrägrechte Mauer) angebracht. Eine ehemals auf der Umrahmung ringsum befindliche Inschrift, der wahrscheinlich Rehbein seine Nachricht über die Entstehungszeit des Denkmals entnommen hat, ist längst erloschen; zu oberst ist sie durch das Wort RENOVATVM ersetzt, dem sich auf der inneren Fläche die Angabe ANNO 1680 anschließt; dieser ist neuerdings die Jahreszahl 1882 als Zeitpunkt der letzten Wiederherstellung beigefügt. Mehrere, auf der Abbildung deutlich erkennbare, Sandsteineinlagen, insbesondere die untere Partie des Heilands und der Kopf des Johannes, gehören der jüngsten Erneuerung an13).

Anmerkungen:
1) Handschrift der Stadtbibliothek, Heft J, S.515c und 516f.
2) St.-A., Kriegswesen, Altes Kontingent 38, einzige Eintragung auf einem Folioblatt. Auf dem anhängenden Blatte ist von derselben Hand gebucht, was "de utredinghe to der ßee wart" 1492-94 gekostet hat (11.900ƛ 14ß, 9ɚ), was hierauf "van den, de bii deme rutergelde seten", aus dem zur Deckung dieser Unkosten erhobenen Zolle vereinnahmt ist, (9.767ƛ, 11ß) und der somit noch ungedeckte Restbetrag (2.133ƛ, 3ß, 9ɚ). Zur Sache s. Bruns, Hans. Geschichtsbl., Jahrg. 1904/05, S.109ff.
3) Rehbein, S.515c.
4) Das. S.517.
5) Vgl. Brehmer, Die Befestigungswerke Lübecks (Zeitschr. d.V.f.lüb. Gesch. 7) S.410ff.
6) Rehbein, an S.515c angehefteter Zettel.
7) Das. S.517.
8) Das. S.515c.
9) Der Name des Pockenhofes ist in der auf demselben Grundstück belegenen Gastwirtschaft "Pockenhof", Am Jerusalemsberg Nr.1, erhalten.
10) Gründl. Nachricht, I.Aufl. (1713) S.275f.; vgl. 3.Aufl. (1787) S.535.
11) I.Teil der Corollariorum, S.800.
12) Schröder, Lüb. Topographie (Handschrift des Staatsarchivs) I, S.564. Die Erde ist im folgenden Jahre zur Aufschüttung des damals vor dem Burgtor nach der Wakenitz zu neu angelegten "Irrgartens" verwendet.
13) Nach der Abrechnung der Baudeputation für 1882 hat die damalige "Renovierung und Einfriedigung des Denkmals auf dem Jerusalemsberge" 1192M 87ɚ statt der veranschlagen 800M gekostet; St.-A., Finanzwesen 314.

(Die Bau- und Kunstdenkmäler der Freien und Hansestadt Lübeck, Bd.IV, Lübeck 1928, S.623-627)


Sühnekreuze & Mordsteine