Der Vatermörder. - EST-90503 Haapsalu (Hapsal)
Ein Ritter hatte zwei Söhne, die lange Zeit im Kriege gewesen waren.
Der jüngere Sohn hatte so viel Freude am Kriegshandwerke gefunden, daß er zu Hause keine Ruhe fand und vom Vater eine bedeutende Geldsumme verlangte, um
wieder zurückzukehren. Da dieser ihm die Bitte abschlug und ihm seiner verschwenderischen Lebensweise wegen öfters Vorwürfe machte, ergrimmte der Sohn, verbarg
aber seinen Zorn und blieb einige Zeit im väterlichen Hause. Als aber der Vater auf die Jagd ging, folgte er ihm, und nach kurzem Wortwechsel erschlug er den ehrwürdigen
Greis, dessen Leichnahm er im Walde verscharrte.
Nach vielem Suchen wurde der entstellte Körper gefunden, und der Verdacht fiel auf die Söhne, die zum Schwur in die Kirche zu Hapsal gerufen wurden. Die Hand
auf die Wunde des Erschlagenen gelegt, leisteten Beide den Reinigungseid, und der jüngere fügt hinzu, daß er nicht drißig Schritte vom Altar gehen wolle, wenn er nicht
an diesem Verbrechen unschuldig sei. Obgleich die Wunde bei seiner Berührung auf's Neue anfing zu bluten, blieb er doch bei seiner Aussage und ging aus der Kirche.
Kaum aber hatte er dreißig Schritte vom Altar gethan, als er plötzlich vom Schlag getroffen niedersank und nur noch Zeit hatte, vor dem herbeieilenden Bischof das
Bekenntniß seiner verruchten That abzulegen. Gleich darauf starb er, wurde an derselben Stelle begraben und ein Leichenstein auf das Grab gelegt, der noch jetzt das
Andenken an diese Begebenheit erhält.
(Rußwurm, C. - Sagen aus Hapsal, der Wiek, Ösel und Runö, Reval. 1861, S.33, Nr.24)
Das Grab zu Kidepä. - EST-90401 Kiideva / OT von Ridala (Puise) 2. Variante
3. Variante
Der Kreuzberg. - EST-92201 Kōrgessaare (Hohenholm) Das Kreuz bei Hullo. - EST-91301 Läänemaa (Hullo) Die Brautsteine. - EST-91301 Läänemaa (Hullo) Die Steine bei Kirrefer. - EST-90303 Lihula Vald / OT von Läänemaa (Kirrefer) Odinsholm. - EST-91301 Noarootsi (Odinsholm) Der polnische General. - EST-91001 Räägu / OT von Oru (Hohenheim)
2. Variante
Beim Dorfe Puist unter Kidepä oder Kiideva lag sonst auf einem Felde, welches die Kapellkoppel genannt wird, ein großer
Stein, ein roh behauener Granit, oben mit einer regelmäßig ausgehauenen länglich-viereckigen Vertiefung, in welche ein Kreuz eingesenkt gewesen sein soll.
Später ist der Stein auf den Hof eines Gesindes im Dorfe Puist gebracht worden, woselbst er vor einigen Jahren noch lag.
In jenem Felde, erzählt man, liegt ein alter schwedischer König begraben, dem zum Andenken man das Kreuz aufgerichtet hat.
In Kidepä ist ein steinernes Monument zu sehen. Die Bauern erzählen, daß ein schwedischer König darunter
begraben liege. Als man einmal nachgraben lassen wollte, hatte kein Bauer Lust, sich dazu herzugeben; sie
behaupteten, wer das thue, müsse sterben.
Nicht weit vom Meeresstrande beim Dorfe Puist ist ein runder Hügel, auf welchem ein großer Stein liegt. Unter
diesem Hügel ist ein alter schwedischer König (wanna rootsi Kunningas) beerdigt, und ihm zum Andenken der
Stein hinaufgewälzt worden.
Er soll einen unermeßlichen Schatz mit sich ins Grab haben legen lassen, den man einmal zu heben versuchte,
weshalb man ein Loch oben in den Hügel grub, welches da noch zu sehen ist. Ob man etwas fand, ist nicht
bekannt.
(Rußwurm, C. - Sagen aus Hapsal, der Wiek, Ösel und Runö, Reval. 1861, S.21f, Nr.14.A-C)
In den Tagen der Vorzeit ereignete es sich, daß zwei Hochzeitszüge dagdenscher Bauern, der eine ein ehstnischer, nach der Trauung aus der Kirche Pühhalep, der
andere ein schwedischer, aus Röiks heimkehrend, sich auf dem nicht weiten Waldwege, der beide Kirchen miteinander verbindet, begegneten. Keiner der Züge will
dem andern die Ehre des Vortritts gönnen und ausweichen. Die Bräutigamsdiener (Marschälle, peio-poisid), die, wie es noch jetzt geschieht, beide Züge mit entblößten
Schwertern anführten, schreiten, schon aufgeregt durch die Freude und Stimmung des festlichen Tages, nach kurzen Worten zur bluigen That. Aber der Ausgang ist für
beide Theile traurig und unselig: der eine sieht die Braut, der andere den Bräutigam todt in ihrem Blute hinsinken.
Das entsetzliche bringt Besonnenheit und Frieden unter die Streitenden. An dem Ort des Kampfes selbst werden die Erschlagenen in ein Grab gebettet und jeder
der Anwesenden pflanzt das Zeichen des heiligen Kreuzes auf die Stätte des Jammers.
Und allgemein ward es Sitte, daß, wen immer von Frauen oder Männern sein Weg hier vorüberführte, er aus Stäben oder Reisern ein leichtes Kreuz zusammenfügte
und aufstellte und ein kleines Opfer hinzuthat, was ihn in häuslichen Geschäften Glück bringen soll.
Dieses gab dem Ort den Namen Ristimäggi oder Korsberg, und jetzt erkennt man in dem Tannenwäldchen die Stätte an der kleinen Erhöhung voller Kreuze, deren
manche Kunst hübsch verziert sind. Früher sollen hieselbst auch alte Münzen gefunden worden sein.
(Rußwurm, C. - Sagen aus Hapsal, der Wiek, Ösel und Runö, Reval. 1861, S.52f., Nr.46)
Vor langer Zeit lebte ein junger Bauer in Hullo, der mit einem Mädchen in Sviby verlobt war. Schon war ein Jahr seit ihrer Verlobung verstrichen und der Tag der Hochzeit
näherte sich; da merkte der Bräutigam eine große Veränderung dseiner Braut, die sonst stets liebreich und freundlich gegen ihn gewesen war, jetzt aber ihn mit
Gleichgültigkeit und Verachtung von sich ferne hielt. Bald wurde es ihm klar, daß einer seiner Nachbarn, ein hübscher und lebenslustiger Mann, auf siue unwillkürlich
einen tiefen Eindruck gemacht haben müsse, da sie ihn mit ihren Liebesäußerungen verfolgte. Wuth und Eifersucht erfüllten seine Seele, und mit einem langen Messer
bewaffnet, rannte er an einem Sonntag-Nachmittag den Weg nach Sviby hinunter, wo er sie mit seinem Nebenbuhler freundlich sich unterhalten gesehen hatte. Die Braut
wollte unbefangen an ihm vorübergehen, er aber hielt sie an, warf ihr mit harten Worten ihre Treulosigkeit vor, und da sie sich zu rechtfertigen und den Umgang mit
Jenem gänzlich zu läugnen suchte, stieß er ihr in der Aufwallung des Zorns das Messer ins Herz. Kaum war die That vollbracht, kaum sah er die sonst so sehr Geliebte
bleich werden, Blutströhme vergießen und niedersinken, als heftige Reue sein Herz ergriff; sein Verbrechen stand in blutige Flammenzügen vor ihm, in halbem Wahnsinn
zückte er das Messer gegen seine Brust und sank entseelt zu ihren Füßen nieder. Man fand das unglückliche Paar, begrub es neben dem Wege von Hullo nach Sviby in
Brôengsgård, und setze zum Andenken an diese Begebenheit ein hölzernbes Kreuz dahin, welches nie verfault und beim Erneuern des Zaunes stets
geschont wird; ja man fürchtet sich, dasselbe zu berühren. Nicht selten sieht man an dieser Stelle, wenn man Sonntagsabend im Dunkeln vorbeigeht, unheimliche
Gestalten und hört klagende Töne, doch geschieht keinem Menschen ein Leid.
(Rußwurm, C. - Sagen aus Hapsal, der Wiek, Ösel und Runö, Reval. 1861, S.57f., Nr.52)
Anmerkung:
vormsi.ee zeigt ein Bild zweier Radkreuze
Vor vielen Jahren holte ein Bräutigam aus Paschlep auf Ruckö seine aus Worms gebürtige Braut heim und war schon fast den Sund glücklich passiert, als das Eis
brach und er mit der ganzen Gesellschaft in den Fluthen ertrank.
Braut und Bräutigam, nach Anderen sämtliche Gäste, wurden zu Steinen verwandelt, die man noch jetzt sieht und Hochzeitssteine oder Brautsteine nennt.
Früher lagen sie tiefer in der See, jetzt, da das Wasser niedriger steht, sind sie in der Nähe des Ufers. - Seit diesem unglücklichem Falle heirathete niemals ein
Mädchen oder ein Jüngling aus einer fremden Gemeinde; denn es ist von Gott so bestimmt, daß jedes Kirchspiel für sich bleiben soll.
(Rußwurm, C. - Sagen aus Hapsal, der Wiek, Ösel und Runö, Reval. 1861, S.59, Nr.54)
In der Nähe der Kirche zu Kirrefer bei Leal (Lihula Vald) stehen fünf große Steine, neben welchen man Abends in der Dämmerung Feuerfünkchen
umherhüpfen und flimmern sieht.
Vor langen Jahren, erzählt man, zog des Weges ein Brasutpaar von drei Marschällen [zeremonielle Dienern des Bräutigams - vgl. die Sage: Der Kreuzberg]
begleitet und traf an dieser Stelle einen Zwerg, der sie flehentlich bat, ihm bis zum Dorfe fortzuhelfen, da er bei einem Fall das Bein gebrochen habe. Nach verschiedenen
spöttischen Reden der Schaffer ergriff der Bräutigam de Peitsche und mißhandelte den Zwerg, indem er ihn zum Tanze zwingen wollte. Plötzlich erhob sich ein furchtbares
Unwetter, der Sturm sauste, der Wirbelwind pfiff und als der alte Zwerg seinen Stab schwang, wurder das Brautpaar nebst den drei Marschällen in Sterin verwandelt.
(Rußwurm, C. - Sagen aus Hapsal, der Wiek, Ösel und Runö, Reval. 1861, S.67, Nr.65)
Etwa in der Mitte der felsigen Insel Odinsholm erhebt sich ein niedriger Hügel, auf welchem man in einer geringen Vertiefung der Oberfläche die riesige Gestalt eines
Menschen (Haupt, Brust und Beine) erkennt. Dieser Hügel, sagen die Schweden, ist das Grabmal eines gewaltigen Zauberers Odin, dessen riesige Gestalt noch jetzt zu
ersehen ist an dem eingesunkenen Erdreiche.
Er wurde, da er sich einst bis zu frecher Gotteslästerung vergangen, vom Blitze erschlagen und über ihm dieser Hügel zusammengethürmt. - Etwa fünfzig Schritte
von dem Grabmal zeigt man den Stein, den man den Grabstein Odins nennt, und auf dem die Inschrift des Zauberers Gedächtnis zu erhalten bestimmt sein soll. Die
Buchstaben bestehen aus röthlichen Steinadern.
(Rußwurm, C. - Sagen aus Hapsal, der Wiek, Ösel und Runö, Reval. 1861, S.60., Nr.57)
Anmerkung:
verasir.dk zeigt Bilder vom Odinstein
odensholm.se zeigt ein 2007 bei
Ausgrabungen an der Kapelle freigelegtes Radkreuz
In dem Tannenwäldchen bei Hohenheim liegt ein großer Stein, in welchem ein Kreuz eingehauen ist.
Als der General, der Hapsal sieben Jahre lang belagert hatte, sich zurückzog, wurde er auf dem Wege nach Reval von zwei deutschen Hakenschützen, die sich
der abziehenden Armee nachgeschlichen hatten, belauert und von derselben auf den Tod verwundet. Seine Leute trugen ihn an diesen Stein und versuchten, seine
Wunden zu verbinden, doch vergebens; er starb nach wenigen Stunden, von Blutverlust erschöpft, und wurde neben dem Steine beerdigt, in welchem man zum Andenken
ein Kreuz einhieb, weshalb er jetzt der Stein des Polenkreuzes (Pola risti kiwwi) genannt wird.
Seitdem genießt der Stein einer ganz besonderen Verehrung und erweist sich in Nöthen auf wunderbare Weise hülfreich. Hat ein Unglücklicher Trost und Hilfe
nöthig, so geht er Abends um Sonnenuntergang zu ihm heran, kniet nieder und spricht andächtig und gläubig ein Vaterunser; dann legt er ein Stückchen Brot, ein
Bändchen oder auch nur eine Handvoll Graß oder Blätter auf den Stein. Sind diese Opfer am anderen Morgen verschwunden, so ist es ein Zeichen, daß die Bitte
Erhörung finden werde. - Leidet Jemand an einem äußerlichen Gebrechen, an Flechten, Wunden oder auch einer Lähmung oder Verstauchung, so drückt er das leidende
Glied stillschweigend und einsam gegen den Stein und kann sicherer Hülfe gewärtig sein.
(Rußwurm, C. - Sagen aus Hapsal, der Wiek, Ösel und Runö, Reval. 1861, S.30, Nr.21)
Der Polenfürst
Zur Zeit, als ein König in unserem Lande herschste, - ich glaube, es war der König von Schweden- zog ein polnischer Fürst mit vielen Soldaten durch's Land und
plünderte überall in den Dörfern. Wenn die Bauern nicht gestehen wollten, wohin sie ihr Geld vergraben hatten, ließ er sie binden und und aufs Grausamste peinigen,
um sie zum Bekenntnis zu zwingen. Sie wurden mit Kohlen gebrannt, Andern schnitt man die Haut von den Fingern bis zur Schulter auf und zog sie ihnen in einzelnen
Riemen ab, wie man sie braucht, um den Ochsen das Joch an die Hörner zu binden.
Zwar flüchteten die Einwohner in die dichtesten Wälder und verbargen sivch in Löchern unter der Erde, doch ahmten die Polen die Stimmen der Eingebohrenen nach
und riefen: "Kommt hervor, Gret, Hans, Anno! Die Polen sind fort!" Wer dardurch sich täuschen ließ und zum Vorschein kam, wurde ergriffen und gequält oder gefangen
fortgeführt.
Der Fürst nun fuhr hin und her durch's Land in einem großen Wagen mit vier Pferden bespannt, und daran hing eine Glocke, die einer Kirchenglocke glich, so daß
man schon von weitem ihren dumpfen Ton: klon, klong! Hören konnte und eiligst davor floh. Gekleidet war er in einem großen Mantel, der so, wie man jetzt zuweilen
Silberrubel um den Hals trägt, über und über mit großen Geldmünzen besetzt war, die wie Fischschuppen über einander lagen; auch seine Mütze war auf eine ähnliche
Weise geschmückt, so daß eine auf ihn abgefeuerte Flintenkugel ohne Erfolg zurückprallte. Dahere waren vielfache Versuche, ihn umzubringern, vergeblich, bis es zwei
Schützen, die ihn lange aufgelauert hatten, gelang; ihn mit einer Büchse, aus welcher die Kugel mit leisen Pfiff vorgeht vorn an der Kehle zu treffen, wo der
Mantel etwas offen stand. Der Fürst sank todt nieder, die Schützen bemächtigten siuch seines Mantels und seiner Schätze; dann schnitten sie ihm den Kopf ab und einer
brachte denselben nebst Mantel ihrem Könige, der letzteren noch aufbewahren läßt. - Die Polen begruben ihren Fürsten unter einem großen Steine auf einem Hügel
zwischen Hohenheim und Orenhoff, und hieben ein Kreuz hinein. Noch jetzt wird dieser Stein benutzt, um sich von Flechten und anderen Krankheiten zu befreien, indem
man ein Geldstück dreimal um den Kopf schwingt und es auf den Steine liegen läßt oder mit einem Badequast erst das Kreuz und dann die Krane stelle betupft.
(Rußwurm, C. - Sagen aus Hapsal, der Wiek, Ösel und Runö, Reval. 1861, S.31f., Nr.22)