Als Irrlichter (im wissenschaftlichen Sinn) bezeichnet die Meteorologie kleine vom Boden aufsteigende, meist schnell
wieder erlöschende, manchmal aber auch mehrere Sekunden lang stehende, mit schwacher bläulicher oder gelblich-rötlicher Flamme
brennende Lichterscheinungen, die sich vor allem im Spätherbst (wenn der Fäuzlnisprozeß in der Natur seinen Höhepunkt erreicht hat)
in stillen Nächten in sumpfigen und moorigen Gegenden zeigen. Die unerklärliche und beunruhigende Erscheinung solcher
Irrlichter, daneben auch die huschenden Flämmchen des Elmsfeuers, phosphoreszierendes Holz, fliegende Johanniswürmchen
(Glühwürmchen), vieleicht auch die seltene Erscheinung des Kugelblitzes haben zusammengewirkt, um den Glauben an die Irrlichter
(im Aberglaubensinne) zu erzeugen, der, dem Altertum unbekannt und erst seit dem 16.Jh. deutlich bezeugt, heute wohl durch ganz
Europa verbreitet ist.
Die Irrlichter sind Seelen ungetauft verstorbener Kinder, bisweilen auch die Seelen derer, welche Grenzsteine
verrückt, Land abgepflügt, oder Geld vergraben (Schatzlichter, Schatzwächter) oder ein anderes Unrecht begangen haben, oder
derer, welche im Freien eines gewaltsamen oder plötzlichen Todes starben. Sie führen den Wanderer irre, springen ihm auf den
Rücken, leuchten ihm aber auch bisweilen, wenn man ihnen Geld gibt dienstfertig nach Hause. Wer sie aber neckt oder durch
Pfeifen höhnt oder schimpft, wird irregeführt oder geohrfeigt, oder sie kratzen ihm die Augen aus. Sie verschwinden, wenn man
ihnen ein Messer oder Schlüssel hinwirft, oder wenn man flucht, während Beten sie herbeizieht. Fängt man eins, so ist es bei
Lichte besehen ein Knochen oder ein Totenkopf.
(Hoffmann-Krayer / Bächtold-Stäubli - Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, 1931/32, Band IV, Sp. 779-782)
In der südlichen Altmark nennt man die Irrlichter dickepóten;
wenn man betet, sobald man sie sieht, so zeiht man sie herbei; flucht man aber, so weichen sie. Derselbe Name Dickepót oder auch
Huckepót in Westerhausen bei Halberstadt.
In Cremmlingen, Klein-Scheppenstedt am Elm, in Stapel in der nördlichen Altmark, sowie in Göttingischen nennt man sie
tückbolde und sagt, es seien Leute, welche die Grenzsteine verrückt haben.
Im Havellande und auch in vielenandern Gegenden, z.B. im Magdeburgischen, nennt man sie gewöhnlich lüchtemännekens,
früher zeigten sie sich besonders oft im großen Havelbruch und führten dort die Leute irre; wenn man sie aber hat haben wollen, so hat man Ninove, Ninove
rufen müssen, dann sind sie erschienen.
Irrlichter verführen die Menschen, sind aber auch dienstreich; namentlich wer einen großen Leuchter hat, der kann ruhig bis spät in die
Nacht im Bierhause bleiben, denn kommt er heraus, so steht schon der große Leuchter vor der Thür und leuchtet ihm nach Hause. Görlitz.
An manchen Orten heißen sie auch Landmeßer, man sieht sie entweder in ganz feuriger Gestalt, oder mit ihrer glühenden Meßstange
hin- und herlaufen. Es sind Leute, die Land abgeschworen, oder falsch gemeßen, oder Grenzsteine verrückt haben. Ein solcher läßt sich z.B. bei der Hecklinger
Ziegelei, unweit Hannover, und bei Seesen am Harz sehen. Zu Ueffeln in Westfalen nennt man sie Schnåtgänger.
Häufig hört man, daß es die Seelen ungetaufter Kinder seien, die nun im Grabe keine Ruhe haben und zwischen Himmel und Erde
schweben müssen; auf der Egge bei Minden nennt man sie auch lôpende fürs und wilde fürs.
(Kuhn, Adalbert / Schwartz, Wilhelm - Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche aus Mecklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen,
Thüringen, Braunschweig, Hanover, Oldenburg und Westfalen, 1848, S.425-426)
[...] Mit dieser Meinung vom Ursprung der Kobolde hängt es weiterhin zusammen, daß
man sie oft in feuriger Gestalt erblickt haben will. Nach altdeutschem Volksglauben war ja die Seele ein Licht oder Feuer, das in der menschlichen Brust glomm
und noch aus den Gräbern der Verstorbenen hervorzuflackern vermochte. Man berichtete Beispielsweise, aus dem Grabe Kaiser Heinrichs des Voglers hätten
Flammen geschlagen. Ferner glaubte man noch bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein, in der Allerseelennacht ständen alle Verstorbenen wieder auf und wandelten
als kleine Lichter auf dem Friedhof umher. Hierhin gehört es auch, daß man in vielen Gegenden annahm, die Irrlichter wären die Seelen von Menschen, die im
Grabe keine Ruhe fänden und auf der Erde in feuriger Gestalt umherirren müßten.
Nun nennt man in der Mark die Irrlichter geradezu "Tuckbolde" oder "Kobolde". Und jetzt verstehen wir es, weshalb man die Kobolde so
oft rotgekleidet findet und die darum auch "rote Jungen" nennt. Sie sind das personifizierte Feuer. [...]
(Gath, Goswin Peter - Das Naturgeisterbuch. Gestalten und Sagen, 1941, S.42)
Die Irrlichter, Irrwische, Heerwische, Dickepoten, Tückbolde,
Lüchtemännekens (N-dtl.), Brünnlinge u. Bründlinge (Schwz.), Hexenfackeln, feurige Mannen, Wiesenhüpfer, Zeusler, Zünsler,
Zündler etc., sind die Seelen der ungetauft gestorbenen Kinder (Ostpr., Brand., Meckl., Schl., Lauf., Bö.), bisweilen auch die Seelen derer, welche Grenzsteine verrückt,
Land abgepflügt (Nied.sa., Wstf., S-dtl., Old.), oder Geld vergraben oder ein anderes Unrecht begangen haben (Hess., S-dtl., Schwz., Bö.), oder derer, welche im Freien
eines gewaltsamen oder plötzlichen Todes starben (Obpf.). Sie hausen in Sümpfen u. auf feuchten Wiesen, führen den Wanderer irre (allg.), springen ihm auf den Rücken,
leuchten ihm aber auch bisweilen, wenn man ihnen Geld giebt (Lauf.) dienstfertig nachhause (Brand., Lauf., Bö., Vgtl.). Wer sie aber neckt oder durch Pfeifen höhnt
oder schimpft, wird irregeführt oder geohrfeigt (Obpf., Bö., Vgtl.), oder sie kratzen ihm die Augen aus, treten u. zerkratzen ihn (Bö.). Sie verschwinden, wenn man ihnen
ein Messer oder einen Schlüssel hinwirft (Schl., Meckl.), oder wenn man flucht, während Beten sie herbeizieht (Brand.) u. so erzürnt, daß sie den Menschen töten
(Bö.). Wer sie beobachten will, muß sich in einen mit geweihter Kreide gezogenen Kreis stellen. Sie kommen zwar ans Fenster, aber nicht in die Häuser (Thür.).
Sie sind die Seelen ungetaufter Kinder, so locken sie besonders ihre an ihnen verschuldeten Eltern (Bö.); man kann sie erlösen, wenn man die Kinderleiche unter die
Dachtraufe der Kirche begräbt; der während eines Taufsegens herunterfallende Regen gilt als ihre Taufe (18.Jahrh.). Man schützt sich gegen sie, wenn man Schwefel
oder Schwefelhölzchen bei sich trägt u. ihnen zu geben verspricht (Bö.), oder wenn man ein Hemd verkehrt anzieht (Bö.). Von ungetauften Kindern heißt es vereinzelt
auch, die Mutter Gottes hole sie ab u. trage sie bei sich (Bö.), da könnte ein mythisches Element zu Grunde liegen; sonst sind sie in der wilden Jagd oder werden Kobolde.
(Wuttke, Dr. Adolf - Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart, Berlin 1900, S.478, Nr.762)