Deutschland Thüringen Lkr. Saalfeld-Rudolstadt

Weitersdorf / OT von Teichweiden


Blick zum Standort

die Rückseite

Abbildung bei
Störzner (1988)

Zeichnung bei
Bergner (1905)

PLZ: 07407

GPS: N 50° 45.663', O 11° 21.132'

Standort: Am nördlichen Ortsrand bei der romanischen Kapelle.

Größe / Material: 250:101:25-28 / Sandstein

Geschichte: Gotische Kreuzform mit 10cm stark abgefasten Kanten. Nasenbesetzt. Eingefügt in einen (originalen) Sockelstein. Mächtig. Höhe mit Sockel 250; Höhe ab Sockeloberkante 200; Breite Sockel etwa 85; Stärke Sockel etwa 65cm.
O-Seite, auf dem Längsbalken 6-12cm plastisch herausgearbeitet: Menschliche Gestalt im Halbrelief, auf einer Konsole stehend (Länge mit Konsole 127cm). Am Schaft zweifach zementiert und geklammert (um 1960). Stärkere oberflächige Verwitterung. (Störzner 1988)

[...] Das größte Steinkreuz des Kreisgebietes steht an einem Kreuzweg neben der kleinen romanischen Kapelle des partiell wüsten Dorfes Wyberstal, des heutigen, zur Gemeinde Teichweiden gehörenden Ortsteils Weitersdorf. Gut 2,50 Meter ragt es über der Erde auf. Seine Ansichtsseite besitzt als plastischen Schmuck eine fast lebensgroße Gestalt, wohl eines Bischofs und möglicherweise die des Patrons der Kaufleute, Nikolaus. Es dürfte sich deshalb weniger um ein Sühnekreuz, eher um einen Bildstock handeln. Nach der Sage wurde hier ein Mönch begraben. Den Kreuzesarmen, die übrigens beide mit gotischen Nasen besetzt sind, sagten früher die Landleute besondere Kräfte nach: vorübergehende Faulpelze wurden von ihnen geohrfeigt. In der älteren Literatur wurde die das Sandsteinkreuz (nicht Kalkstein) schmückende Gestalt irrigerweise als Christusfigur gedeutet. (Deubler / Künstler / Ost 1976)

Wenig südlich von Kochberg findet man auf schmalem Pfad die verstreuten Gehöfte von Weitersdorf. Hier muß im 12. Jahrhundert ein bedeutender kultureller Mittelpunkt gewesen sein, ein Ausgangspunkt der christlichen Zivilisation auf der Saale-Ilmplatte.
Die Bedeutung einer kleinen Missionskirche wurde hier wieder entdeckt, die sich fast unberührt über acht Jahrhunderte erhalten hat. Nur Emporen wurden im 17. Jahrhundert eingezogen, sonst ist sie ein Schulbeispiel romanischer Baukunst. Die ursprüngliche Anlage des Chorbogens, der unmittelbar in die Apsis übergeht, ist noch erhalten. Nach Westen öffnet sich das Chor-Quadrat durch den ebenfalls halbkreisförmig geschlossenen Triumphbogen, Beide Bögen sitzen auf markanten Kämpfergesimsen auf. Das um nur ein weniges breitere Langhaus betritt man von einem südlich gelegenen, romanischen Eingangstor, das noch echte Eisenbeschläge zeigt. Besonders schön ist der Vierpaß, der neben dem kleinen romanischen Fensterchen im Südosten die Halbkreisapsis erhellt. Seit langer Zeit schon dient die Anlage jedoch nicht mehr ihrem ursprünglichen Zweck.
Vor der Kirche steht als weiterer Zeuge für die Bedeutsamkeit dieser Gegend ein Wegekreuz aus dem 15. Jahrhundert, das wohl zur Markierung wichtiger Straßenzüge bestimmt war. Das verwitterte Sandsteinkreuz zeigt an seiner nach Osten gekehrten Fläche eine männliche Figur, die auf einem von einer umgekehrten Pyramide gebildeten Konsol steht. Sie galt bisher als Darstellung des heiligen Nikolaus, des Patrons der Reisenden. Man hielt den Umhang, der die Arme verdeckt, für eine Kasel und schloß daher auf eine Bischofsgestalt. Nach neuester Forschung deutet man aber die Kopfbedeckung als Krone und will damit beweisen, daß es sich um eine sogenannte Christkönigsfigur handelt. Bis zur Hochgotik wurde Christus oft als König in Priesterkleidung am Kreuz dargestellt. Als Leidender tritt er uns erst nach der Zeit des Franz von Assisi entgegen. Durch den schönen, waldreichen Haselgrund geht die Fahrt jetzt talabwärts […] (Baudenkmäler aus Jenas Umgebung 1954)

Sage: 1. Es geht die Sage, ein Mönch liege hier begraben, dies Kreuz sei ein Mönchskreuz; wer des Nachts dahin gehe, liefe Gefahr, geohrfeigt zu werden. Einer, der das Kreuz umgefahren, hätte die Hand im Gesicht gespürt. (Danz 1884).

2. Die Arme des Steinkreuzes sollen vorübergehenden Faulpelzen Ohrfeigen austeilen. (Deubler 1970)

3. In Weitersdorf lebte einmal eine Botenfrau mit ihren Kindern; wie viele es waren, habe ich vergessen; aber ein Junge war darunter, der war, wie man so sagt, zum Essen zu faul. Alles Schelten half nichts. Es ging bei ihm: "Komm ich heute nicht, so komm ich morgen!" Selbst zur Widerrede war er zu faul, und seine Mutter hatte viel Sorge mit ihm. Nun steht in Weitersdorf eine kleine Kapelle und dicht daneben ein Steinkreuz. Wer früher dort vorbei kam, kriegte mit Sicherheit eine derbe Ohrfeige, dass er über Stock und Stein rannte. Das wusste die Botenfrau, dachte bei sich, das Kreuz könnte ihren Faulen wenigstens einmal auf den Trab bringen und schickte ihn eines Abends hinaus. "Ich habe", sagte sie, "beim Jäten mein Kopftuch am Steinkreuz liegen gelassen. Geh hin und hol mirs!"
Der Faule stand auf, setzte sachte ein Bein vors andere und ging ganz gemächlich in die Nacht hinaus. Er stieß gerade auf das Kreuz zu und fing an zu überlegen: "Gehst du nun rechts vorbei oder links?" Da holte das Kreuz aus und hieb ihn eine herunter, daß die hellen Funken ihm vor den Augen tanzten und der Kopf brummte wie eine Baßgeige. Verdutzt war der Faule schon, nahm deshalb noch lange nicht die Hände aus den Taschen und dachte nicht die Spur daran, auch etwas schneller zu gehen. Er sah sich nur sachte um: da saß eine Erdkröte vor ihm.
"Junger Mann", sagte sie, "ich freue mich, daß du kommst und mich heiraten willst!"
Der Faule war zu träge, um zu wiedersprechen; erblickte die Kröte nur groß an.
"Komm mit mir", fuhr die Kröte fort.
Unangenehm war ihn die Kröte schon; da sie aber auf ihren kurzen und schwachen Hinterbeinen vorausging, langsam wie er es gewöhnt war, gratschte er hinterdrein. Mit einem Mal gings plumps – , er saß in einem tiefen Loch, und rund um ihn auf dem Boden hockten lauter Kröten, große und kleine. Sie hatten alle Blätter vor sich und Nacktschnecken drauf, die sie verzehrten.
"Du siehst, wir sind schon beim Hochzeitsmahle. Ich will mich neben dich setzen!"
Wieder war der junge Mann zu faul, zu wiedersprechen. Er ließ es geschehen; nur für die Nacktschnecken dankte er, ob aus Faulheit oder Ekel, wer weiß es.
"Nun will ich dir den Hochzeitskuß geben", sagte die Kröte. Der Faule wehrte sich nicht. Wie aber die Kröte aber seinen Mund berührte, da verwandelte sie sich in ein bildschönes Mädchen mit lichtbraunen Augen, in denen alle Sternenlichter vom Himmel flammten. So schön war sie, daß er seine Faulheit vergaß unter der heißen Liebe, die in seinem Herzen emporbrannte. Er fasste das Mädchen um und wirbelte mit ihm durch das Erdloch so schnell und so fröhlich, wie er sich sein Lebtag noch nicht bewegt hatte. Inzwischen waren auch die anderen Kröten zu Mädchen geworden. Mit jeder tanzte unser fauler, und seine junge Frau stand dabei und heftete Augen voll Liebe und Zärtlichkeit auf ihn. Als er schließlich außer Atem wieder vor ihr stand, sagte sie:
"Du lieber, du hast uns erlöst, weil du nicht widersprochen hast. Nun wollen wir bei deiner Mutter das Hochzeitsfest weiter feiern!" Damit fasste sie ihren Mann um den Hals, sprang mit ihm ins Dorf, und die Schar der Mädchen tollte hinterdrein.
Bei der Botenfrau gabs ein Fest, das hätten wir alle gern mitgemacht, so lustig gings dabei zu. Der Flinkste von allen aber war der Bräutigam.
Seit die Mädchen erlöst sind, hat das Kreuz nie wieder um sich geschlagen. Wers nicht glaubt mags ausprobieren!

Quellen und Literatur:
Danz, F. - Mitteilungen über Steinkreuze, speziell über 6 alte solche Denkmäler aus alter Zeit in der Umgegend von Rudolstadt, in: Schwarzburg-Rudolstädtische Landeszeitung, 30. März 1884, Beilage
Bergner, Dr. Heinrich - Handbuch der kirchlichen Kunstaltertümer in Deutschland, Leipzig 1905, S.366
Baudenkmäler aus Jenas Umgebung, Zeugen unserer Vergangenheit, hrg. von der Volkshochschule Jena-Stadt, 1954, S.17-18
Deubler, H. - Die Wüstungen im Kreis Rudolstadt, in: Rudolstädter Heimathefte 1, 1955, S.22.32, Heft 2, S.52-64, Heft 3, S.87-92
Köber, Heinz - Die alten Steinkreuze und Sühnesteine Thüringens, 1960, S.60, Nr.379
Deubler, H. - Waldlandsagen. Alte Erzählungen, Sage und Mär aus dem Kreis Rudolstadt und angrenzenden Gegenden, Jena 1970, S.12-13
Deubler / Künstler / Ost - Steinerne Flurdenkmale in Ostthüringen, 1976, S.76
Schnabel, Berthold - Die Steinkreuze in Rheinhessen, 1980, S.109, mit Abb.4
Störzner / Möbes - Steinkreuze in Thüringen: Katalog der Bezirke Gera und Suhl, 1988, Nr.107 (Gera)
Ergänzungen von Manfred Beck, Wutha-Farnroda
aktuelle Aufnahmen von Ulrich Baltes, Suhl (Fotos von März 2008)


Sühnekreuze & Mordsteine