volkstümliche Bezeichnungen von Flurdenkmalen |
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Was bedeuten die sog. Schwedensteine?
von Justizrat R. Alberti, Gera
Schon in meiner Jugend, als ich mit meinem Vater, einem gelehrten Botaniker, die Umgegend von Schleiz
durchwanderte, fielen mir die plumpen Steinkreuze, die damals, in den dreißiger oder vierziger Jahren, in der Nähe der Stadt noch hier und da vorhanden
waren, auf.
Auf meine Fragen wurde mir häufig die Auskunft zu Teil, das seien "Schweden-Kreuze", die von den schwedischen Soldaten
im dreißigjährigen Kriege an denjenigen Stellen aufgestellt worden seien, wo sie Missethäter gerichtet.
Eine weitere Aufklärung über diesen Punkt konnte ich nicht erhalten.
Sie genügte mir natürlich nicht, ich forschte weiter, kam aber in der angedeuteten Richtung zu keinem Ergebnis.
So dürftig auch aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges die Quellen, wie es ja in der natur der Sache liegt, über die Geschichte
unseres Volkes, namentlich über spezielle Verhältnisse, fließen, so hätten sich doch wenigstens hier und da einige Notizen und Andeutungen über den
angeblichen Zweck dieser Kreuze finden müssen. Allein keine Spur.-
Auch später, als im Jahre 1855 Ferdinand Hahn’s "Geschichte der Stadt Gera und
deren Umgebung" erschien und weiter im Jahre 1870 Hofrath G. Brückner, aus Meiningen, eine Volks- und
Landeskunde des Fürstenthumes Reuß j.L. herausgab, konnte ich in beiden, an geschichtlichen Notizen so reichen Sammelwerken nichts über die
merkwürdigen "Schwedenkreuze" finden, obwohl ich kaum annehmen konnte, daß sie jenen beiden Forschern und Sammlern hätten entgangen sein können,
denn ich hatte auch einzelne solche Steinkreuze im Landesteile Gera bzw. an dessen Grenzen aufgefunden.
Nur das im Jahre 1871 erschienene "Sagenbuch des Vogtlandes" von Robert Eisel enthält
einige, wenn auch dürftige Angaben über die Stellen, wo sich früher solche "Schwedensteine" befanden, so auf dem Schenkberge
am Fußwege von Weida nach Mildenfurt und weiter auf einem Felde bei Pötewitz (altenburgischer Westkreis) unterhalb
Köstritz.-
Weiter standen früher in der Nähe des Fürstlichen Kammergutes zu Schleiz unweit vom untersten Hainteich
am Wege von Oberböhmsdorf nach Schleiz rechts und links schräg gegenüber
zwei alte verwitterte, plumpe Steinkreuze von uralter Beschaffenheit.
Sodann fand ich am nördlichen Ende des Dorfes Rusitz,
auf der Höhe über Langenberg, und zwar da, wo sich der Fahrweg nach Roben mit dem aus der weiten Thalmulde von Grossaga nach Langenberg führenden Fußwege
kreuzt, ein ebenfalls uraltes, großes, halb in den Boden versunkenes Steinkreuz, dessen rechter Arm verwittert oder schon vor langer Zeit abgeschlagen war.
Endlich entdeckte ich ein weiteres Steinkreuz am Fahrwege von Tauchlitz nach
Silbitz, preußischen Grenzdörfern an der reußischen
Grenze bei Poklitz, unweit von Langenberg.
Ob noch anderweits in der Gegend von Gera, Langenberg, Schleiz oder im reußischen Oberlande solche Steinkreuze sich vorfinden, habe
ich nicht ermitteln können. Es wäre mir sehr angenehm, wenn mir, wenn es der Fall wäre, darüber, sowie über die Lage, den Standpunkt derselben u.s.w. nähere
Mitteilungen zugingen.
Auch über die zuletzt erwähnten Steinkreuze bei Rusitz und
Silbitz konnte ich irgend etwas Zuverlässiges von den Dorfbewohnern nicht ermitteln.
Aber bei allen diesen Steinen konnte ich feststellen, erstlich, dass sie sämtlich die Kreuzesform hatten, sodann, dass sie an uralte
Fuß- oder Fahrwegen bezw. An Kreuzwegen standen. Eine Inschrift oder die Spur einer solchen befand sich an keinem derselben.
Da gelang mir, als ich die Hoffnung auf die Auflösung dieser Steinrätsel schon halb aufgegeben, hinter dieses Geheimnis zu kommen.
An einem heißen August-Vormittage wanderte ich, von Jena auf den Höhenrücken zwischen
Saale und Ilm heraufkommend, in der flachen Mulde zwischen den Dörfern Großschwabhausen nach Mellingen, wo jetzt die Eisenbahnlinie Gera-Weimar hinläuft.
Kein Baum, kein Strauch gewährten Schatten, über den wogenden Getreidefeldern flimmerte die Luft. Alles war still und einsam, nur
Heimchen zirpten in der Nähe.
Da stand ich mit einem Male auf einem Kreuzpunkte von zwei Trift- oder Flurgrenzwegen - in der dortigen Gegend hatte, wie es der Augenschein
ergab, Flurseparation stattgefunden - vor drei Steinkreuzen, die also bei einander standen:
In der Richtung nach Nord lag etwas tiefer im Grunde das uralte Dorf Leustädt und von dort her kam der
Triftweg herauf.
Ich setzte mich, um auszuruhen, auf eines dieser Steinkreuze, sie waren von hartem, gelblichen Sandstein und noch sehr gut erhalten, aber
ebenfalls ohne Inschrift.
Da kam anscheinend von Leustädt ein Landmann zwischen den Feldern daher, mit dem ich nach Thüringer Art bald in’s Gespräch kam.
Er meinte, ich interessiere mich wohl auch für diese Steinkreuze, wie schon viele Fremde, die da vorüber gekommen.
Als ich dies bejahte, erhielt ich von ihm eine mir sehr interessante Auskunft, die meine Vermutung über den Zweck dieser Steinkreuze zur
Gewissheit machte.
Daß diese Kreuze "Schwedensteine" genannt wurden, war ihm nicht bekannt, er nannte sie vielmehr Wallfahrtssteine, d.h. Merk- und Wahrzeichen
derjenigen Punkte, an welchen sich die Wallfahrer aus den umliegenden Ortschaften zu geordneten Prozessionen gesammelt hätten und nach den Wallfahrtspunkten
gezogen wären.
Dieser Punkt hier bei Leustädt ist ein solcher Versammlungspunkt gewesen; von hier aus seien die Bewohner von Leustädt und den
umliegenden Dörfern zu dem oben hinter der Höhe gelegenen Kloster St. Magdala (Magdalena), einer uralten Wallfahrtskirche, gezogen und nach diesem Punkte
"Magdalenenstätte", bis wohin das Bild der heiligen Magdalena entgegengetragen worden, sei das Dorf Leustädt benannt, wie sich dies aus den kirchlichen Nachrichten
genau nachweisen lasse.
Mit dieser Auskunft waren mir auch die Steinkreuze in unserm Ober- und Unterland erklärt.
Was zunächst die Steinkreuze am Wege von Oberböhmsdorf bei Schleiz anlangt, so
wurden noch bis in die neuere Zeit die Leichen aus jenem Dorfe auf dem Gottesacker der Bergkirche Schleiz beerdigt und zwar von der Geistlichkeit von Schleiz an dem Punkte der
Steinkreuze erwartet, um von da aus unter Gesang der Kurrentschüler durch die Stadt geleitet zu werden, was diesen Zügen die größere Feierlichkeit einer förmlichen
Prozession verlieh.
Auch will ich hierbei erwähnen, dass die Bergkirche bei Schleiz, der "Beata virgo Maria" geweit, im
Mittelalter als ungemein stark besuchte Wallfahrtskirche große Berühmtheit besaß, zu welcher u.A. zur Zeit der Pest in Gera viele hundert Bürger, Männer und Frauen,
um Hilfe und Rettung flehend, gewallfahrt sind.
Aber auch die Steinkreuze bei Rusitz und
Silbitz und Mildenfurt
u.s.w. sind damit erklärt.
Denn auch die Kirche in Langenberg bei der Reichsfeste, den "heiligen 14 Nothelfern" geweiht, ist eine
uralte, von vielen Tausenden von Pilgern besuchte Wallfahrtsstätte gewesen, zu der von allen Richtungen her die Teilnemer zu den Prozessionen sich sammelten. Zwei
dieser Richtungen geben die eben erwähnten Steinkreuze bei Rusitz und
Silbitz an; das Steinkreuz bei Mildenfurt und Cronspitz, zeigt ganz augenscheinlich
und zweifellos auf seinen Zweck hin; bei diesem Steine ordneten sich von Weida und Umgegend aus die Pilgerscharen zu den in alter Zeit so hochberühmten Klöstern
von Mildenfurt (Prämonstratenser) und Cronspitz (Nonnenkloster, Augustinerinnen),
sowie nach der alten Kirche zu Veitsberg, dem St. Vitus geweiht, an welcher sich beinahe unversehrt noch sämtliche
Leidensstationen Christi vorfinden.
Aber auch der weiter oben erwähnte Stein bei Pötewitz (oder Pedelwitz?) lässt sich mit dem
Wallfahrtspunkte Langenberg, von dem es nicht so weit entfernt liegt, erklären.
Ich will mit meinen Erörterungen über die Bedeutung dieser Steinkreuze schließen, denn ich glaube mit Vorstehendem hinreichend dargethan
zu haben, daß die Benennung dieser Wahrzeichen mit "Schwedenstein, Schwedenkreuz" vollständig unrichtig ist, daß diese Steinzeichen bedeutend älter sind, daß sie
weit darüber hinaus und zurück in die katholische Zeit unseres Landes reichen, und daß sie selbstbestimmte Punkte zur Sammlung der Pilgerzüge waren, wie dieses
Alles aus ihrem Standpunkte an meistens noch heute gangbaren Fuß- und Fahrwegen hervorgeht und ihr hohes Alter (sie sind sämtlich, wenn auch meistens aus
"festem" Sandstein, sog. Eisenstein bestehend, doch arg verwittert) beweist.
Daß sie im Volke irrtümlicher Weise "Schwedensteine" genannt werden, lässt sich übrigens daraus erklären, daß der schreckliche
dreißigjährige Krieg, wie so vieles Andere, auch den Zweck dieser Steinzeichen aus dem Gedächtnis unseres schwerheimgesuchten Volkes völlig verwischt hat.
Auch sind die etwaigen schriftlichen Nachweise darüber mit den Kirchen und Klostergebäuden verbrannt und verschwunden, und die nachkommenden Geschlechter,
gleichsam neu erwachend aus dem Schlummer, in den sie versunken, gaben in Erinnerung an die schwedische Soldateska, die wohl ebenso schlimm als die
Kaiserlichen im Lande gehaust und durch ihre Greuelthaten sich ein schreckliches Denkmal in der Erinnerung des Volkes gesetzt haben, diesen Steinen jene Namen.-
Heute noch sind diese Steine von Geschichten und Sagen umsponnen; gespenstische Gestalten in schwarzen oder weißen Gewändern
umwallen sie in den Erzählungen des Volkes, es ist der letzte Schimmer ihrer eigentlichen Bedeutung.
(in: Unser Vogtland, Monatsschrift für Landsleute in der Heimat und Fremde, hrgg. von Gottfried Doehler, Erster Band, 1895, S.268-272)
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