PLZ:
10178GPS:
Standort:
Neben dem Eingang der Marienkirche, Karl-Liebknecht-Str. 8, Nähe Alexanderplatz.Größe / Material:
158:52:25 / Kalkstein (?)Geschichte:
Bei einem Besuch im März 2010 mußte festgestellt werden, dass sich das Steinkreuz in einem desolaten Zustand befindet und der Schaft auseinander zu brechen droht. (Rumpf 03/2010)Sage:
Die Sagen, in verschiedenen Versionen, zum Steinkreuz finden Sie hier.Quellen und Literatur:
Am Turmeingang der Marienkirche steht ein Steinkreuz, das ist fast siebenhundert Jahre alt. An dem bemerkt man
vorn fünf Löcher; darin waren früher die Eisenstäbe der "ewigen Lampe" eingelassen, die Tag und Nacht brennen musste. - Über die
Gründe, weshalb das Kreuz gesetzt wurde, wird mancherlei erzählt:
So soll einst ein Baumeister, als die Kirche fast vollendet war, sich mit dem Teufel eingelassen und im Kartenspiel die gesamten
Baugelder verloren haben. Der Teufel gab ihm zwar alles zurück; doch musste der Baumeister dafür versprechen, beim Bau der
Gewölbe einen Fehler zu machen, so dass diese am Einweihungstag über den Gläubigen zusammenbrächen. Denn der Teufel hasste
die frommen Leute.
Der Baumeister dachte aber den Teufel zu betrügen und führte die Gewölbe vorschriftsmäßig auf. Als nun die Einweihungsfeier
vorüber war, lauerte der Teufel an der Tür. Zuletzt kam der Baumeister heraus. Da griff der Teufel zu und drehte ihm den Hals um.
Zum Andenken daran soll das Kreuz errichtet worden sein.
Die meisten aber halten das Kreuz für ein Wahrzeichen aus der Zeit der Markgrafen und sagen, die Berliner hätten es zur
Strafe oder Sühne setzen müssen, weil das Volk den Propst von Bernau erschlagen habe. Das wird schon seine Richtigkeit haben.
Aber was erregte die Berliner so, dass sie sich zu einer so unseligen Tat hinreißen ließen? Darüber berichtet die Sage:
Propst Nikolaus von Bernau soll in Berlin den Zehnten mit großer Härte eingetrieben und sich dadurch verhasst gemacht haben.
Doch heißt es auch, er sei ein Anhänger des Herzogs Rudolf von Sachsen gewesen, der nach Markgraf Waidemars Tod Ansprüche
auf die Mark machte, während die Berliner zu ihrem Landesherrn, dem Markgrafen Ludwig dem Älteren, hielten. Da erschien Propst
Nikolaus in Berlin, ging in die Marienkirche und hielt eine donnernde Rede gegen die Berliner, weil sie den Herzog Rudolf nicht
anerkennen wollten. Dabei nannte er sie "Verblendete" und "Schurken". Es war aber an dem Tag gerade Markt in Berlin, und viele
Menschen hatten sich auf dem Platz bei der Marienkirche eingefunden. Bald pflanzte sich die Rede des Propstes von Mund zu Mund
fort bis zu der Menge draußen auf dem Markt. Die Leute drangen in die Kirche, holten den Propst von der Kanzel, zerrten ihn bis zur
Tür und erschlugen ihn. Dann errichteten sie auf dem Neuen Markt einen Scheiterhaufen und verbrannten die Leiche. Das geschah
wahrscheinlich am 16. August 1325. Es wird auch gesagt, der Propst habe zwar noch Zeit gehabt, in die Propstei zu flüchten, sei
aber von dem wütenden Volkshaufen herausgeholt und auf dem Neuen Markt lebendig verbrannt worden.
Nun wurde der Bann über Berlin ausgesprochen: Es durften keine Glocken geläutet, Brautpaare nicht getraut, Kinder nicht
getauft werden, und kein Priester folgte dem Sarg. Erst zehn Jahre nach dem Mord wurde festgesetzt, dass die Berliner zur Sühne
eine hohe Summe Goldes zahlen, in der Marienkirche einen neuen Altar bauen und an der Stelle des Mordes ein zwei Faden (drei bis
vier Meter) hohes Steinkreuz mit einer ewigen Lampe errichten sollten. Trotzdem lastete der Bann noch weitere zwölf Jahre auf der
Stadt.
Vermutlich ist das Kreuz, obwohl es nicht zwei Faden hoch ist, doch das ursprüngliche und damit das älteste Denkmal Berlins.
Wo es aber zuerst gestanden hat, lässt sich nicht mehr feststellen. Vielleicht stand es mitten auf dem Neuen Markt, vielleicht auch
in der Spandauer Straße. Denn dort wohnte später ein Schmied, der nach der ewigen Lampe der "Lampenschmied" genannt wurde.
1726, heißt es, kam das Kreuz dann an das Westportal der Marienkirche.
(Neumann, Siegfried Armin - Berlin, Sagen und Geschichten, Schwerin 2004, S.12-13)
Die zweitälteste Kirche Berlins ist die Marienkirche, und viele Sagen ranken sich um das alte Gemäuer. Über das Steinkreuz, das links neben dem Hauptportal steht, wissen die Berliner folgendes zu erzählen.
An einem Markttag war viel Volk in Berlin zusammen gekommen, auch um die Messe in der Marienkirche zu hören. Auf der Kanzel stand der Propst Nikolaus von Bernau und beschimpfte die Berliner Bürger, weil sie der Geistlichkeit zu wenig Spenden zukommen ließen, und forderte erhöhte Abgaben für Kirchen und Klöster. Es war für die in der Marienkirche Versammelten keine Freude, seinen Ausführungen zuzuhören. Aber man war ja im Gottesdienst und musste sich ruhig verhalten. Zähneknirschend, aber äußerlich ruhig, hörten sich die Berliner diese Tiraden an. Als das Hochamt zu Ende war, ging ein Großteil der Männer nicht nach Hause, sondern blieb auf dem Platz vor der Kirche, dem Neuen Markt, stehen, um das soeben gehörte zu besprechen. Der Propst von Bernau beging nun einen entscheidenden Fehler: anstatt sich zur Hintertür aus der Kirche fortzustehlen und schleunigst nach Bernau zu fahren, schritt er mitten durch die erregte Menschenmenge vor dem Hauptportal.
Man rief ihn an, sagte ihm böse Wahrheiten ins Gesicht, rüttelte ihn am Ärmel seiner Soutane, begann auf ihn einzuschlagen, und plötzlich hatte man den Propst von Bernau erschlagen, ohne dass jemand hätte sagen können, wie das geschehen war und wer es eigentlich getan hatte. Die erbitterten Berliner trugen Holz zusammen und errichteten einen Scheiterhaufen, auf dem sie die Leiche des Propstes verbrannten. Dafür wurde über die Stadt der päpstliche Bann verhängt, und nur durch die Zahlung großer Geldsummen und die Errichtung eines Sühnekreuzes konnte sich die Stadt davon lösen.
In Wahrheit waren es politische Auseinandersetzungen, die den Propst von Bernau das Leben kosteten.
Anfang des 14. Jahrhunderts saß Johannes XXII. auf dem Päpstlichen Stuhl. Die Streitigkeiten zwischen Ludwig dem Bayern und
Friedrich dem Schönen von Österreich um die deutsche Königskrone hatte er ausgenutzt, um seinen Einfluss auf die Politik wieder
auszudehnen. Er erklärte rundheraus, die Wahl eines deutschen Königs wäre erst dann gültig, wenn er, der Papst, seine Zustimmung
erteilt hätte. Mit diesem Eingriff in althergebrachte Rechte waren weder die Fürsten noch die Bürger der Städte einverstanden. Da
der Papst seine Interessen bei dem Hause Österreich besser aufgehoben glaubte, sprach er Ludwig die Königswürde ab und
verhängte über ihn und alle seine Anhänger Bann und Interdikt. Doch sah er sich in seinen Erwartungen getäuscht: selbst ein Teil der
deutschen Geistlichkeit, die Bischöfe, die die Kurwürde innehatten, und vor allem der Franziskanerorden hielten zu Ludwig. Und es
half wenig, dass der Papst durch die römische Kurie einen regelrechten Prozess gegen Ludwig durchführen ließ. Das Volk sehnte
sich nach Frieden. Das mussten die Abgesandten und Parteigänger des Heiligen Vaters erfahren. In vielen Städten Deutschlands
wurden sie misshandelt und verjagt. In Berlin und Basel nahm im Jahre 1324 der Aufruhr solche Formen an, dass die empörte Menge
die Sachwalter des Papstes – und dazu gehörte der Propst von Bernau – erschlug.
Der Bann, der diesem Totschlag folgte, traf die Berliner Bürger nicht unerwartet. Sie wären ihm als Anhänger Ludwigs sowieso
ausgesetzt gewesen. Doch für die Menschen der damaligen Zeit, deren Leben und Alltag von religiösen Vorstellungen bestimmt wurde,
war das schon eine schlimme Sache. Es durften keine Gottesdienste, keine Kindstaufen, Eheschließungen und christlichen
Begräbnisse mehr durchgeführt werden. Außerdem war der Bann auch geschäftsschädigend. Es gab Kaufleute, die die verfemte
Stadt mieden, in der man, falls einem ein Unfall zustoßen sollte, noch nicht einmal anständig unter die Erde gebracht wurde.
Die Auswirkungen des Bannes waren in Berlin dadurch etwas gemildert, dass die Franziskaner weiter ihres kirchlichen Amtes
walteten, denn sie standen ja in Opposition zum Papst. Über zwanzig Jahre dauerte dieser Zustand. Schließlich zahlten die Berliner
Stadtväter eine große Geldsumme an den Päpstlichen Stuhl, um die Aufhebung des Bannes zu erreichen. Der Propstei von Bernau
musste ein jährlicher ‚Sühnepfennig' gezahlt werden, was gleichfalls eine stattliche Summe war. Der Marienkirche musste der Rat von
Berlin einen neuen Altar stiften und auf dem Neuen Markt, an der Stelle, da man den Propst verbrannt hatte, ein Sühnekreuz errichten.
Das war ein Holzkreuz auf einem hohen Sockel. Tag und Nacht flackerte in einer schmiedeeisernen Vorrichtung die Ewige
Lampe. Bei einem der Stadtbrände wurde es vernichtet und danach durch ein Steinkreuz ersetzt. Später, in protestantischen Zeiten,
dachte man nicht mehr an die alten Geschehnisse. Auf dem Platz vor der Kirche wurde Markttag abgehalten, das Kreuz störte, und
man beschloss es zu versetzen. Beim Transport brach der Sockel entzwei, und so erhielt das Steinkreuz mit dem Rest des Sockels
seinen Platz neben dem Hauptportal der Marienkirche.
Die Geschichte von dem Totschlag an dem Propst von Bernau geriet in Vergessenheit. Doch das Steinkreuz mit dem
abgebrochenen Sockel stand da und war recht auffällig, und da man seine Geschichte nicht mehr kannte, erfand man sich eine.
(Quelle: Berlin-1a)
Links vor dem Turmportal der Berliner Marienkirche, also nahe am ehemaligen Neumarkt steht auf einem pyramidenstumpfförmigen Sockel ein
einfaches Steinkreuz von etwa 1m Höhe. Es handelt sich um das einzige seiner Art auf dem Territorium Berlins und bildet jetzt zusammen mit der Marienkirche als
der Zweitältesten mittelalterlichen Stadtkiche von Berlin denkmalpflegerisch eine Einheit. Sowohl das Kreuz selbst als auch der Sockel zeigen die gleiche grob
gemeißelte Bearbeitung. Auf der Vorderseite des Kreuzes erkennt man trotz Verwitterung noch deutlich fünf Vertiefungen, die in Form der Würfelzahl 5 angeordnet
und in ihrer Bedeutung ungeklärt sind. Es kann vermutet werden, daß das Kreuz ehemals eine Art Tafel trug. Das Berliner Steinkreuz reiht sich in die große Zahl der
noch in unserem Land vorhandenen Denkmälergruppe gleicher Art ein. Sie stehen auf der Liste der unter Schutz gestellten oberirdischen Bodendenkmäler. Bei vielen
Kreuzen kann über den konkreten Anlaß der Errichtung nichts mehr ausgesagt werden. Das Berliner Kreuz verbindet sich allerdings mit einem bekannten Ereignis der
Berliner Geschichte, das sogar internationale Auswirkungen zeigte. Das Denkmal steht in Zusammenhang mit dem Mord an dem Propst Nikolaus von Bernau durch
die Berliner, und der Akt erwies sich in der Folgezeit als von hoher politischer Relevanz. Nach dem Aussterben der Askanier als brandenburgische Landesherrn im Jahre
1319 und dem anschließenden Erbfolgeauseinandersetzungen gelang es dem König des deutschen Reiches Ludwig dem Bayern, seinen Sohn Ludwig auf dem
Reichstag zu Nürnberg im Jahre 1323 zum neuen Landesherrn der Mark Brandenburg einzusetzen (J. SCHULTZE 1961, S.36ff.). In die in dieser Zeit geführten scharfen
Auseinandersetzungen zwischen dem Reich und dem Papst wurde dadurch auch die Mark Brandenburg hineingezogen. Der neue Machtzuwachs für König Ludwig
infolge der Übernahme der Mark Brandenburg mußte dem Papst ein Dorn im Auge sein. Der Papst versuchte deshalb, König Ludwig zu stürzen. Es wurden nun alle
diejenigen Bürger der Mark mit dem Kirchenbann bedroht, die den neuen Landesherrn Ludwig anerkannten. Die Schwesternstädte Berlin und Colin standen auf der
Seite des neuen Landesherrn und damit unter für sie günstigerem Reichsrecht. Als in dieser kritischen Situation sich der Propst von Bernau als Vertreter des
aggressiven Papsttums in Berlin aufhielt, wurde er kurzerhand von den Berlinern erschlagen, auf den Neuen Markt geschleift und dem Scheiterhaufen übergeben
(E. MÜLLER-MERTENS 1987, S.110 f., vgl. L.SCHOTT 1958, S.58 ff.). Die Mordtat hat für Berlin und Colin weitreichende Folgen gehabt. Sie traf der päpstliche
Bannstrahl, was von enormer Wirkung war und auch in Handel und Wandel erhebliche Einbußen brachte. Der Bann lastete 20 Jahre auf der Stadt. 1335 kam zwar ein
Sühnevertrag zwischen dem Brandenburger Bischof und den Bürgern von Berlin und Colin zustande, doch erst 1345 wurde unter harten Bedingungen der päpstliche
Bann gelöst. Die Bußleistung bestand aus der Stiftung eines Altares in der Marienkirche, der Errichtung eines Sühnekreuzes mit einer ewigen Lampe an der Mordstelle
und der Zahlung einer für damalige Verhältnisse hohen Summe von 750 Mark brandenburgischen Silbers. Aus den mittelbar und direkt mit dem Ereignis in Verbindung
stehenden Urkunden ergibt sich, daß die Mordtat wahrscheinlich am 16. August 1324 begangen wurde (D. KURZE 1987, S.159).
In der Berlin-Literatur wurde darüber diskutiert, wo der ursprüngliche Standort des Sühnekreuzes zu suchen ist. Es besteht Einigkeit darüber daß der Standort an der
Marienkirche nicht der ursprüngliche ist. Nach Fidicin (E. FIDICIN 1843, S.63) war das Kreuz ursprünglich an der Spandauer Straße 70, Ecke Papenstraße (heute
Liebknechtstraße), also an der Westseite des Neuen Marktes aufgestellt. Im Jahre 1727 soll es seinen heutigen Standort am Turmeingang der Marienkirche erhalten
haben. Die Nähe der Kirche mag dazu beigetragen haben, daß das Kreuz bis heute erhalten geblieben ist.
Literatur:
FIDICIN, E. 1843: Berlin, historisch und topographisch. Berlin.
KURZE, D. 1987: Die Ermordung des Bernauer Propstes. - In: Berlin im Mittelalter. Bürger, Bauer, Edelmann. Ausstellung Zitadelle Spandau. Berlin, S.159.
MÜLLER-MERTENS, E. 1987: Die Herausbildung des Patriziats und der Zünfte in Berlin und die Erringung bürgerlich-städtischer Autonomie (1253-1324). - In: Geschichte Berlins von den Anfängen bis 1945, S.104-111.
SCHOTT, L. 1958: Das Steinkreuz vor der Marienkirche. - Berliner Heimat, H.4, S.58-63.
SCHULTZE, J. 1961 : Die Mark Brandenburg, Bd.2, Berlin.
(Archäologie und Heimatgeschichte, Heft 4, 1989, 75-76)
Der Meßner von Sankt Marien stand vor dem Altar und putzte den glänzenden Silberleuchter, während seine Tochter mit einem Wischtuch die
Chorstühle bearbeitete.
"Wenn es nur gut abgeht, mein Kind", sagte der Alte seufzend, indem er das blinkende Gerät prüfend gegen das Licht hielt, das in wenigen gedämpften
Sonnenstrahlen durch die hohen, buntgemalten Fenster fiel. "Heute ist der dreizehnte und noch dazu ein Freitag ... das sind schon immer schlechte Vorzeichen für
einen solchen Tag gewesen..."
Das junge Mädchen lachte hell auf. Ein ungewohnter Laut an diesem Platze.
"Seid Ihr am Ende gar abergläubisch geworden, Herr Vater?"
"Das gerade nicht." Der Alte stellte den nun zu seiner Zufriedenheit geputzten Leuchter auf den Altar zurück und steckte eine neue Kerze auf. "Aber man hat
mitunter Ahnungen, die man nicht so einfach überhören sollte. Der Probst weiß sehr gut, daß die Berliner ihm keineswegs wohlgesinnt sind ... und wenn er trotzdem
heute hierherkommen und von dieser Kanzel aus sprechen will..."
"Dann zeugt das doch nur davon, daß er sich vor den Berlinern nicht allzu sehr fürchtet", fiel das Mädchen schlagfertig ein. Doch der Alte schüttelte den grauen
Kopf zu solchen Worten. "Nun ja ... du sprichst, wie du's verstehst", versetzte er mit einem kleinen, nachsichtigen Lächeln, indem er die Kerze anzündete. "In Berlin
pfeifen es die Spatzen von den Dächern, daß Probst Nikolaus sehr innig mit dem Sachsenherzog befreundet ist. Und daß der nichts anderes im Kopf hat, als unsere
Mark den Witteisbachern abtrünnig zu machen, um sie dann in die eigene Tasche stecken zu können, das wissen sie auch. Der Vikarius, der mir vorhin die Botschaft
brachte, daß der Probst heute hier predigen würde ... er hat mir da mancherlei anvertraut, das nicht für jedermanns Ohren gut zu hören wäre. Erst gestern wieder", fügte
er etwas leiser hinzu, "hat der Sachsenherzog dem Probst in einem geheimen Schreiben den Bischofshut versprochen, wenn dieser dafür die Berliner zum Abfall
bewegen würde. Scheint ihm doch viel daran zu liegen, Markgraf von Brandenburg zu werden. Aber da siehst du es wieder einmal ... es sind immer nur die Großen, die
uneins miteinander sind, und wir Kleinen sind bei diesem Spiel dann gut genug, den Kopf hinzuhalten und die Schläge einzustecken."
Der Meßner hätte gern noch manches gute Wort dazu sagen mögen, aber es war inzwischen hohe Zeit geworden, die Glocken zu läuten. So wandte er sich denn
verdrießlich ab und stieg bedächtig die vielstufige Treppe zum Glockenstuhl hinauf. Nein ... der Probst von Bernau war nie der rechte Mann gewesen, sich die Herzen
der Berliner zu erobern. Hart und unerbittlich ging er gegen die Bürger vor, wenn es galt, den der Kirche zustehenden Zehnten einzutreiben. Und wehe dem armen Teufel,
der durch Krankheit oder unverschuldete Not mit seinen Abgaben in Rückstand geraten war! Mitleidlos ließ er ihm das letzte Stück Vieh aus dem Stall holen.
Während nun in der Höhe des Turmes die Glocken ihre metallnen Stimmen erhoben und ihr Geläut weithin über die Häuser und Straßen der Stadt sandten, blickte
der Meßner auf den Neuen Markt hinunter. Es war gerade Markttag. Wie in einem dichtbevölkerten Ameisenhaufen kribbelten die Menschen dort unten durcheinander,
drängten sich zwischen den vielen bunten Buden und Ständen der Bäcker und Krämer, um die Fleischbänke und die Bottiche der Fischweiber. Dem Alten auf dem Turm
war es ein liebgewordenes Bild, auf dem er gern den Blick verweilen ließ. Doch die Ahnung eines kommenden Unheils wollte ihn auch hier oben nicht verlassen. Sie
schien ihm wie ein finster drohender Schatten über dem bunten Menschengewimmel dort unten zu liegen.
Allmählich verebbte das Geläut der Glocken wieder. In der dämmerigen Kirche saßen die Menschen in stummer Erwartung und lauschten den Klängen der Orgel.
Und vom Turm herab sah der Alte jetzt den Wagen des Probstes kommen. Quer über den belebten Marktplatz fuhr er, von sechs berittenen Dienern umgeben, die ihre
Pferde rücksichtslos durch die dichtgedrängte Menge lenkten, so daß sich rasch eine breite Gasse bildete. Ungehindert und ohne Aufenthalt erreichte der Probst das
Kirchenportal, wo er den Wagen verließ, um wenig später die Kanzel zu besteigen.
Die Menschen aber, die andächtig zu ihm aufblickten, mußten bald erleben, daß es dem Probst heute um Dinge ging, die auf einer Kanzel wenig zu suchen hatten.
Mit harten, unduldsamen Worten wandte er sich gegen den vom König mit der Mark belehnten Markgrafen Ludwig und schalt die Berliner, weil sie sich trotz des
päpstlichen Gebotes nicht für Rudolf, den Sachsenherzog, erklären wollten.
Dazwischen führte er heftige Schmähreden wegen des noch ausstehenden Zehnten. Und als darauf lautes Murren und auflehnende Zwischenrufe zu ihm drangen,
verstieg er sich zu haßerfüllten Schimpfereien. In seiner Überheblichkeit nannte er die Berliner ein Volk meineidiger Schufte, auf das er alle Strafen des Himmels
herabflehen werde, wenn es auch fürderhin bei seiner Weigerung bleiben sollte.
Seine herausfordernden Reden, mit denen er die Menschen sonst einzuschüchtern verstand, wirkten jedoch heute wie ein Feuerbrand, den man im Sommer auf ein
trockenes Strohdach schleudert. In wenigen Minuten waren sie über den ganzen Markt verbreitet. Eine lärmende, schreiende Menschenmenge zog sich zusammen und
drang in die Kirche ein. Heftige Gegenreden flogen zur Kanzel hinauf. In dem wilden Tumult verstand niemand mehr das Wort des andern, so daß der unerwünschte
Redner die Kanzel verlassen mußte.
Trotzdem behielt der Probst sein hochmütiges Wesen bei. Es gelang ihm auch, sich durch die zu dichten Haufen geballten Menschen einen Weg zu bahnen und
den Ausgang zu erreichen. Die Ehrfurcht vor der Kirche hielt die Menschen zurück. Doch als er dann draußen seinen Wagen besteigen wollte, warf man ihm von
irgendwoher einen Stock zwischen die Beine, so daß er strauchelte und der Länge nach hinfiel.
Das aber war für die erregte Menge das Zeichen, zum offenen Angriff überzugehen. Vergeblich versuchten die Knechte, ihrem Herrn zu Hilfe zu kommen. Das
empörte Volk schlug sie nieder. Der Probst selbst aber, von kräftigen Fäusten gepackt, wurde auf den Marktplatz hinübergezerrt. Jeder der von ihm Beleidigten hatte
plötzlich eine Waffe zur Hand, einen Stock, eine Kelle, eine Wagendeichsel, und von allen Seiten schlug man auf den Verhaßten ein, so daß er bald kein Lebenszeichen
mehr von sich gab.
Aber auch damit war der lange aufgespeicherte gerechte Zorn noch nicht befriedigt. Aus umgestürzten Buden, Kisten und Brettern hatte man rasch einen
Scheiterhaufen errichtet, auf dem der Erschlagene unter dem beifälligen Geschrei des Marktvolkes verbrannt wurde. Und während auf dem Neuen Markt vor der
Marienkirche die hellen Flammen zum Himmel emporloderten, war der Meßner wieder in den Glockenstuhl hinaufgeeilt und läutete Sturm. Aber für den von der
Volksmenge Gerichteten kam jede Hilfe zu spät.
Die Männer des Rates der Stadt waren äußerst bestürzt, als sie hörten, auf welche Weise das Volk Justiz geübt und sein eigenes Urteil sofort vollstreckt hatte.
Und wenn sie selbst auch nichts damit zu tun hatten, so wußten sie doch genau, daß man nicht das Volk, sondern die Stadt, in erster Linie also die Ratmannen und
ihren Bürgermeister, verantwortlich machen würde. Und das Gefürchtete trat denn auch ein. Vergeblich erklärte sich die Stadt zur Zahlung eines ansehnlichen
Sühnegeldes bereit. Der Bischof von Brandenburg verweigerte die Annahme. Er lehnte auch jede Verhandlung mit den Berlinern ab und verhängte im Namen des
Papstes den Kirchenbann über Berlin und Colin, das heißt, die beiden Schwesterstädte an der Spree wurden mit allen ihren Einwohnern aus der kirchlichen
Gemeinschaft ausgeschlossen. Die Altäre verwaisten, die Glocken schwiegen, die Priester enthielten sich jeder kirchlichen Handlung. Kein Kind wurde mehr getauft,
keine Ehe eingesegnet, die Toten mußten ohne Geleit zur letzten Ruhe gebettet werden. Erst zweiundzwanzig Jahre später nahm Papst Clemens VI. den Bann wieder
von der Stadt. In langwierigen Verhandlungen wurde die Stadt zu erheblichen Geldbußen, zur Stiftung von Altären und zum Kauf von teuren Lösebriefen verurteilt.
Die formelle Beendigung dieses unerquicklichen Zustandes erfolgte am 18. August 1347 in einer besonders feierlich aufgezogenen Versammlung in der alten
Probstei von Bernau. Sämtliche Ratmannen und Bürgermeister von Berlin und Colin erschienen in ihren Staatsgewändern und erklärten sich im Namen der beiden
Städte in aller Öffentlichkeit bereit, dem Probst Gerwin und seinen Nachfolgern jährlich ein Pfund brandenburgisch, also etwa neun Taler in der Währung jener Zeit, zu
bezahlen. Mit diesem Betrag sollten die Kosten einer alljährlich stattfindenden Gedächtnisfeier für den Ermordeten gedeckt werden. Außerdem verpflichteten sie sich,
an der Stelle ihrer Untat späteren Geschlechtern zur Warnung ein steinernes Kreuz mit einer ewigen Lampe aufzustellen.
Der ursprüngliche Standort dieses Kreuzes ist ungewiß. Von den alten Geschichtsschreibern behaupten einige, es hätte auf dem Platz gestanden, den heute die
Grundstücke Spandauer Straße 69/70 einnehmen. Dort hätte nämlich seinerzeit ein Schmied gewohnt, den man der ewigen Lampe wegen den "Lampenschmied"
genannt hätte. "Wahrscheinlicher aber ist wohl jene Lesart, nach der das Sühnekreuz an der Stelle des heutigen Küsterhauses gestanden hat. Dafür spricht insbesondere
der Umstand, daß das Kreuz im Jahre 1721, also in dem Jahre, in dem das Küsterhaus erbaut wurde, auf seinen jetzigen Platz neben dem Hauptportal der
Marienkirche umgesetzt wurde, wo es noch heute zu sehen ist.
Der verwitterte Stein, so bemerkt einer der alten märkischen Chronisten dazu, ist der Stadt viel teurer zu stehen gekommen als die danebenstehende Kirche,
ungeachtet sie die schönste und größte in Berlin ist. Und was die "ewige" Lampe anbelangt, so ist zu bemerken, daß sie eine nur sehr begrenzte Ewigkeit erlebt hat.
Fünf in das Gestein gebohrte Löcher weisen uns jedoch noch heute die Stelle, an der die Lampe einst befestigt war.
Der Volksmund hat dem alten Steinkreuz im Laufe der Jahrhunderte noch manch andere Deutung gegeben. Aber sie alle sind in das Gebiet der Sage zu verweisen.
Da wird von dem Baumeister der Marienkirche erzählt, der ein großer und waghalsiger Spieler gewesen sein soll. Um sich die Mittel zum Spiel zu verschaffen, habe er
einen Pakt mit dem Teufel selbst geschlossen. Dabei habe er diesem versprochen, das neue Kirchengewölbe so zu bauen, daß es bei der Einweihung der Kirche
zusammenstürzen und die Menge der Kirchenbesucher unter sich begraben werde. Hernach soll er jedoch Gewissensbisse bekommen und sein Versprechen nicht
eingehalten haben, wofür ihm der Teufel den Hals umgedreht habe. An der Stelle dieser teuflischen Untat sei dann später das Kreuz errichtet worden. Eine andere Sage
wieder spricht von einem Chorschüler, der sich einmal vorwitzigerweise auf den Turm der Marienkirche hinausgewagt habe und dabei abgestürzt sei. Sein weiter Mantel
habe ihn jedoch wie ein aufgeblähter Fallschirm sanft herabschweben lassen, so daß er mit dem bloßen Schrecken davongekommen sei. Aus Dankbarkeit habe er
später das Kreuz neben der Kirchentür aufrichten lassen.
Stumm steht das verwitterte Steinkreuz neben dem Kirchenportal. Seit mehr als sechshundert Jahren hat es hier Teil am Leben unserer Stadt. Wenn die Steine
plötzlich zu reden begännen, was könnte uns dieses Kreuz alles erzählen ... Vielleicht würde es uns dann sogar sagen, daß es gar kein Sühnekreuz ist und mit der
ganzen Sage nichts zu tun hat? Daß es vielmehr in seiner Jugend nur ein simples Marktkreuz war? Oder eines jener Kreuze, wie man sie vor Zeiten als Zeichen der
Gerichtshoheit auf einer Richtstätte aufstellte? Denn eine solche war ja der neben der Marienkirche gelegene "Neue Markt". War es also nur der Volksmund und seine
Sage, der die Geschichte dieses Kreuzes mit der Kirche verknüpfte?
(Grau, Ernst - Berliner Sagen und Geschichten, 1954, S.13-19)