Deutschland Baden-Württemberg Rems-Murr-Kreis

Großheppach / OT von Weinstadt


Original, Draufsicht

Original, Detail der
Beil-Einzeichnung

Nachbildung am
Fundort in den
Großheppacher
Weinbergen

Abbildung bei
Losch (1981)

PLZ: 71384

GPS: N 48° 49,384', O 9° 24,146'

Standort: Im Garten des Grundstücks "Gundelbacher Straße 11".

Größe / Material: 52:80:22 / Schilfsandstein

Geschichte: Nach Auskunft Herr Gastl. sen. am 12.09.2007:
Das Gebäude "Zügernbergstraße 20" (N 48° 49,155', O 9° 23,370'), ehemaliges Amtshaus, war im Besitz der Familie Eiber und wurde an Herrn Christoph Gastl verkauft. Herr Karl Eiber hat mit seinem Sohn Hermann das Kreuz 1922 in den Weinbergen geborgen und es diente als Steingewinnung für eine Mauer in der Zügernbergstraße. Als die Mauer abgerissen wurde, fand das Kreuz als Stütze für einen Fensterladen beim Kellerabgang Verwendung. Auf Frage an die Tochter von Karl Eiber, Frau Rosemarie Eisenbraun, wo sich das Kreuz befindet bekam er zur Antwort "das ist gut und sicher verwart".
Nach Anfrage an Frau Rosemarie Eisenbraun, die Auskunft:
Das Original steht bei Ihrem Bruder Hermann Eiber, "Gundelbacher Straße 11", im Garten.
Eine Kopie des Kreuzes seht in den Weinbergen (N 48° 49,601', O 9° 23,852') ungefähr beim alten Standpunkt. (Nitschke 2008)

Auf dem Gehweg am ehemaligen Amtshaus, Zügernbergstraße 20. Bis zur Straßenverbreiterung war das Kreuz in die Gartenmauer unterhalb des Hauses eingerügt. Form: Ausgeglichen, Querbalkenlänge etwas betont. Zeichen: Axt in der Kreuzmitte, Blatt nach unten (Unterseite geschwungen). Stiel nach rechts.Inschrift: Über der Axt am Beginn des Kopfbalkens: ANNO DO[M]; Jahreszahl [15] 75 in zwei Zifferngruppen auf dem Querbalken, getrennt durch die Axt. - Es wird vermutet, daß es sich um ein Grabkreuz handle. (Losch 1981)

Sage: 1. Das Steinkreuz soll an der ehemaligen Gerichtsstätte gestanden haben. (Forster 1982)
2. Bei Heppach stehen drei steinerne Kreuze. Dort soll drei Tage einst ein furchtbares Gewitter gestanden sein. Eine Klosterfrau sei vom Blitz erschlagen worden, sie habe voraus gesagt, dass dies ihr Schicksal sein werde. (Birlinger 1874)

Quellen und Literatur:
Birlinger, Anton - Aus Schwaben. Sagen, Legendenden, Aberglauben, Sitten, Rechtsbräuche, Orsneckerein, Lieder, Kinderreime, Neue Sammlung. Band I. Wiesbaden 1874, S.288, Nr.313/4
Losch, Bernhard - Sühne und Gedenken. Steinkreuze in Baden-Württemberg, Stuttgart 1981
Hobbyforscher Wolf Dieter Forster entdeckte in Großheppach ein Totschlag-Sühnekreuz, in: Waiblinger Kreiszeitung vom 17.04.1982
Ein steinernes Kreuz - Mahnmal und Zeuge einer blutigen Tat, in: Waiblinger Kreiszeitung vom 06.02.1984
recherchiert und bebildert von Karl-Heinz Nitschke, Mögglingen (Fotos von November 2007)



Bestandteil einstiger Rechtssprechung
Hobbyforscher Wolf Dieter Forster entdeckte
in Großheppach ein Totschlag-Sühnekreuz


Der Endersbacher Heimatforscher schlägt vor, das "historische Kleindenkmal" wieder in den Weinbergen aufzustellen

WEINSTADT. Der Endersbacher Heimatforscher Wolf Dieter Forster stieß eher zufällig drauf. Bei der Besichtigung eines alten Kellers entdeckte er in Großheppach einTotschlagsühnekreuz aus dem Jahr 1575 Ursprünglich in den Weinbergen aufgestellt, zeugte der Stein von einem Totschlag. Das Kreuz war Bestandteil der damaligen Rechtsprechung, die von Totschlägern neben dem Aufstellen solcher Sühnekrenze auch Buße gegenüber den Verwandten des Opfers sowie der weltlichen und kirchlichen Obrigkeit verlangte. Einzelheiten über den Großheppacher Stein und die Totschlagsühnekreuze im allgemeinen schildert Forster nachfolgend:

"In Großheppach standen noch vor 100 Jahren mehrere Steinkreuze, so in den Kreuzäckern. In der Pfahlbühlstraße beim Wolfshof und in den Weinbergen im Gießübel. Sie verschwanden spätestens in der Mitte der Zwanzigerjahre dieses Jahrhunderts spurlos bis auf eines, vermutlich weil der ehemalige religiös oder abergläubisch motivierte Schutz allmählich verloren ging.
   Vom Kreuz beim Wolfshof ist überliefert, daß ein Messer eingeritzt war und dort einmal eine Frau erstochen worden sei. A. Birlinger berichtet 1874: "Bei Heppach stehen drei steinerne Kreuze. Dort soll drei Tage ein furchtbares Gewitter gestanden sein. Eine Klosterfrau sei vom Blitz da erschlagen worden. Sie habe vorausgesagt, daß dies ihr Schicksal sein werde."
   Das einzige noch vorhandene Steinkreuz war bis zur Verbreiterung der Zügernbergstraße in die Gartenmauer unterhalb des Hauses Nr.20 eingefügt. Sein ursprünglicher Standort befand sich jedoch bis 1922 in den Großheppacher Weinbergen in der Flur Gießübel neben dem bei der Flurbereinigung 1966 beseitigten gemeindeeigenen Weinbergschutzhäusle, dem "Gießübelhäusle". Der Gießübel liegt an markanter Aussichtsstelle an einem alten Wegeknotenpunkt auf der Höhe inmitten der Weinberge. Dort befand sich einst eine Gerichtsstätte.
   Das Steinkreuz vom Gießübel ist aus feinkörnigem Schilfsandstein gearbeitet und war nach "Landesbrauch" aus einem Stück. Leider ist es beschädigt, es fehlt der Schaft. In der Kreuzmitte sind eine Axt, die Inschrift Anno Dom. und die Jahreszahl (15) 75 eingemeißelt, die Vorzahl (15) ist beschädigt. Über die Bedeutung dieses einzig noch erhaltenen Steinkreuzes ist in Großheppach nichts mehr bekannt. Doch auf Grund erhaltener Urkunden und die Art des Kreuzes kann seine historische Bedeutung belegt werden. Das Beil und die Jahreszahl weisen auf eine Bluttat hin. Es handelt sich folglich um ein Kreuz das Sühne und Gedenken symbolisiert. Es ist ein Totengedenkzeichen, das auf einen Totschlag im 16.Jh. hinweist, also ein Totschlag-Sühnekreuz.
   Die Aufstellung solcher Kreuze war Bestandteil des mittelalterlichen Totschlag-Sühne-Rechts und ein Brauch, der vom 12. bis 17.Jh. gepflegt wurde. Die Totschlagsühne erreichte im 15. / 16.Jh. eine außerordentliche Entfaltung und zählte zu den alltäglichen Rechtsgeschäften. Sie beinhaltet den Totschlag, nicht den heimtückischen Mord. Ihr Ziel war die Friedensstiftung zwischen den betroffenen Familien, um dem Faustrecht bzw. der Blutrache und damit der privaten Vergeltung von Unrecht Einhalt zu gebieten. Zur Verhinderung endloser Familienfehden mit ihren unübersehbaren Folgen wurde deshalb im Falle eines Totschlages unter Mitwirkung der weltlichen und kirchlichen Obrigkeit mit den Betroffenen ein Totschlagsühnevertrag ausgehandelt. In Württemberg war die Totschlagsühne noch in der neugefassten Landesordnung von 1621 zugelassen. Die Reformation durch Aufhebung der kirchlichen Bestandteile und die Einführung des römischen Rechts brachte die Auflösung des Sühnerechts zugunsten der obrigkeitlichen Gerichtsbarkeit.
   Der Sühnevertrag umfasste kirchliche Auflagen, Schadenersatz an Hinterbliebene (Wergeld), Abgaben an die Obrigkeit und Absicherung des Vertrages durch Zeugen oder Bürgen. Die überlieferten Sühneverträge beschreiben den ganzen Aufwand. Es wurden öffentliche Seelenmessen mit großem Gefolge und Bußprozessionen abgehalten, der Täter war in besonderer Aufmachung und das Gefolge mit Kerzenillumination ausgestattet. Der Zweck dieser theatralischen frommen Vorgänge war, die Schuld des Täters zu büßen und für das Seelenheil des Getöteten zu sorgen. Die Prozession führte von der Kirche zum Grab des Getöteten, wo der Täter demütig Abbitte zu leisten hatte. Besondere Opfergänge, Wachsspenden, Jahrtagsstiftungen, mehrere Wallfahrten und die Errichtung eines Sühnedenkmals gehörten mit dazu.
   Am Beispiel eines Totschlages bei Endersbach im Jahre 1472, wo der Sohn eines Bauern aus Schanbach von fünf andern erschlagen wurde, wird die Bedeutung des Totschlagsühnevertrags deutlich. Zwischen dem Vater des Getöteten und den Übeltätern kam folgender Vertrag zustande: "Der Vater erhalte 12 Gulden, jeder Täter muß 25 brennende Wachskerzen um die Kirche tragen, wo der erschlagene ruht. Am Wege wo die Tat geschehen ist, muß ein Kreuz von Stein gesetzt werden und die Büßenden müssen drei Wallfahrten nach Rom, Aachen und Einsiedeln tun. Ein solcher Sühnestein musste 5-6 Schuh (1 Schuh ca. 30cm) über der Erde hervorragen und aus einem Stein gefertigt sein." Der Grundgedanke des Rechtsbrauchs der Totschlagsühne war die ausgleichende Versöhnung zwischen Täter und Hinterbliebenen.
   Das Großheppacher Steinkreuz ist zwar ein unscheinbarer jedoch bedeutender Zeuge seiner Zeit und dokumentiert eine wichtige Phase der Rechts- und Sozialgeschichte unseres Heimatraumes. Eine Neuaufstellung dieses historischen Kleindenkmals an der alten Stelle über den Weinbergen Großheppachs im Rahmen der kommunalen Heimatpflege wäre darüber hinaus eine Bereicherung unserer Kulturlandschaft."
(Waiblinger Kreiszeitung vom 17.04.1982)



Jetzt steht es wieder in den Großheppacher Weinbergen
Ein steinernes Kreuz - Mahnmal
und Zeuge einer blutigen Tat


"Totschlag-Sühnekreuze" standen überall im Land / Sie sollten die Blutrache verhindern

Jetzt steht es wieder am alten Platz: Die nachfertigung des “Sühnekreuzes” in den Großheppacher Weinbergen, das Karl Eiber (Bild) als 13jähriger Bub entdeckt hatte.

Bild: Fahrner
WEINSTADT-GROSSHEPPACH (eis). Gut sechzig Jahre ist es her. "Dort, dort unten im Gras", sagt Karl Eiber und deutet auf den abschüssigen Hang am Rand der Großheppacher Weinberge, "da saß der Stein". Ein Sandstein, auf den ersten Blick nichts besonderes. Karl Eiber, damals ein 13jähriger Bub, hatte aber Gefallen an dem behauenen Steinblock mit der seltsamen Zeichnung auf der Vorderseite. Er nahm das Stück mit heim - ein Glücksfall für alle Historiker und Heimatgeschichtler, wie sich heute herausstellt. Karl Eiber entdeckte einen der wenigen noch verbliebenen "Totschlag-Sühnesteine" aus dem Mittelalter, den steinernen Zeuge der Bluttat, die sich im Jahr 1575 an dieser Stelle ereignete.

Wer der Tote ist und wie sein Mörder hieß ist bis heute ungeklärt. Einzig die Tatwaffe ist deutlich auf dem Stein abgebildet: ein Beil. Dazu die Jahreszahl: 1575. Keine nähere Erläuterung, kein erklärendes Wort. Für die Menschen des Mittelalters aber genug Information, um zu verstehen, was hier geschehen war - lesen konnten ja viele ohnehin nicht.
   "Im zwölften bis sechzehnten Jahrhundert waren Sühnekreuze bei uns Sitte", sagt Wolf-Dieter Forster, SPD-Stadtrat und Heimatgeschichtler. Wenn es Streit und Zwietracht zwischen den Dorfbewohnern gab, wenn diese Zwietracht schließlich darin gipfelte, daß der eine den anderen nachts mit der Axt in der Hand auflauerte und seinen Widersacher erschlug, dann war das oft der Auftakt für ein blutiges Gemetzel im Ort - die Blutrache. Die Familie des Erschlagenen rächte sich für die Tat, indem sie ein Mitglied aus der Familie des Totschlägers umbrachte, gemäß dem biblischen Motto: "Auge um Auge, Zahn um Zahn".
   So wurden bisweilen ganze Dörfer ausgerottet. Um siesem Treiben ein Ende zu machen, führten Kirche und Fürsten im 12.Jahrhundert die "Sühnekreuze" ein. Als Buße für seine Tat wurde dem Täter die Anfertigung eines steinernen Kreuzes, geschlagen aus einem Stück, auferlegt. Darüberhinaus mußte er eine Art Schmerzensgeld (Wergeld) an die Hinterbliebenen zahlen, an öffentlichen Seelenmessen und Bußprozessionen teilnehmen.
   So war's im ganzen Lande üblich. "Als der Sohn eines Bauern in Schanbach bei Endersbach 1472 von fünf anderen erschlagen wurde", berichtet das Heimatbuch für Stuttgart und Umgebung, "kam zwischen dem Vater des Getöteten und den Übeltätern folgender Vertrag zustande: Der Vater erhält zwölf Gulden, jeder Mörder muß 23 brennende Wachskerzen um die Kirche tragen, wo der Erschlagene ruht. Am Wege, wo die Tat geschehen ist, muß ein Kreuz von Stein gesetzt werden, und die Büßenden müssen drei Wallfahrten nach Rom, Aachen und Einsiedeln tun".
   Ein Vertrag, der offensichtlich funktionierte. "Durch die Sühnekreuze ist die Blutrache weniger geworden", weiß Wolf-Dieter Forster.
   In Großheppach standen nach Aussagen Forsters vor 100 Jahren noch mehrere dieser Steinkreuze, in den Kreuzäckern etwa, in der Pfahlbühlstraße beim Wolfshof (hier soll eine Frau erstochen worden sein) und im "Gießhübeln".
   Gießhübel, das bedeutet so viel wie "üble Stelle". Der Name rührt her von der Gerichtsstätte, die hier einmal gewesen sein soll. Im Gießhübel fand Karl Eiber auch den oberen Teil des Sühnekreuzes. Vater und Sohn waren damals dabei, Steine für den Bau eines Gartenhäusels zusammenzutragen, als der 13jährige das seltene Stück entdeckte. "Des isch en schöner Schdoi", lobte er und nahm ihn drum mit nach Hause - dort baute er ihn in die Gartenmauer rein. Als die Mauer später abgerissen wurde, wäre das Stück um ein Haar vom Bagger zertrümmert worden. Eine Ecke war bereits weggeschlagen, als Karl Eiber "seinen" Stein rettete. Fortan diente der Sühnestein als Verschluß für das Kellertürchen. Und dort stand er auch, Jahrzehnte lang, bis eines Tages Wolf-Dieter Forster an dem haus in der Zügernbergstraße in Großheppach vorbeiging.
   "Schlag mi's Blechle", staunte der. "Des isch joh a Sühnekreuz". Dann dauerte es noch drei Jahre, es gab Gespräche und Verhandlungen, und seit ein paar Tagen ist es soweit, das Sühnekreuz steht wieder an der alten Stelle, im "Gießhübel". Nicht das Original zwar, sondern ein Abguß für 2400 Mark und 40 Pfennig, finanziert von der Stadt Weinstadt und der Kreissparkasse. Das Original bleibt in der Zügernbergstraße.
   Wolf-Dieter Forster freit's und die Fußgänger schaudert's ein bißchen beim Gedenken an die Bluttat anno 1575 - hoch über Großheppach, des nachts, an der "üblen Stelle"...
(Waiblinger Kreiszeitung vom 06.02.1984)


Sühnekreuze & Mordsteine