Nachruf: |
FRIEDRICH MÖSSINGER ZUM GEDÄCHTNIS
Mit Friedrich Mößinger, der am 15. September 1969 im Alter von 71 Jahren von uns gegangen ist, hat die Wissenschaft der deutschen
Volkskunde einen schmerzlichen Verlust erlitten. Hatte sich Mößinger auch zeitlebens fast ausschließlich der Forschung in seiner
engeren Heimat, dem Odenwald und seinen Grenzgebieten gewidmet, so wirkte doch sein Schaffen weit darüber hinaus, und immer
wieder begegnet man seinem Namen und den Titeln seiner zahlreichen Veröffentlichungen im deutschen volkskundlichen Schrifttum.
Als Mößinger mit seinem Schaffen begann, waren ihm Anreger und Wegweiser, um nur einige zu nennen, im südwestdeutschen
Raum besonders der Freiburger Elard Hugo Meyer, der Pfälzer Albert Becker und der Heidelberger Eugen Fehrle. Allenthalben im
Bereich der volkskundlichen Arbeit war noch der Geist Wilhelm Heinrich Riehls lebendig, der in der Volkskunde ein Allumfassendes
und im Volk noch die Gemeinschaft schlechthin sah. Die 1920er Jahre war noch die Zeit der nach Ländern und Landschaften
gegliederten Volkskundebücher, wie sie etwa der Verlag Quelle & Meyer als Serie herausgebracht hat, schon aber schob sich mehr
und mehr die Erarbeitung einzelner Sachgebiete in den Vordergrund. Allmählich löste sich die Gliederung nach Räumen auf, sie wurde
ersetzt durch die stammeskundliche, die geschichtliche, die religiöse Volkskunde, durch die Erforschung und Untersuchung der
Sachgüter und der Volkskunst. Diese Vereinzelung im Forschen brachte eine Verengung in der Zielsetzung mit sich und es mußte
kommen, wie es kam. Die Nutznießer der Aufsplitterung wurden die Machthaber der 1930er und 1940er Jahre. Die Volkskunde wurde
aus einer freien zu einer zweckgebundenen Wissenschaft. Sie hatte nun der "völkischen Forschung" zu dienen, und eine ihrer
Hauptaufgaben wurde die Frage nach dem Symbolgehalt aller volkskundlichen Erscheinungen. Was nicht "germanisch" war, durfte
nicht mehr sein. Kein Wunder, daß gerade die Volkskunde 1945 und danach als ein zwiespältiges Unterfangen angesehen und ihr
vielfach der Rang einer eigenständigen Wissenschaft abgesprochen wurde. Bis zum heutigen Tag ist in der volkskundlichen Arbeit
die Unsicherheit in Methodik und Zielsetzung noch nicht gewichen. Betrachtet man vor diesem Hintergrund, der sich zeitlich
weitgehend mit den Schaffensjahren Mößingers deckt, Werken und Wirken des Verstorbenen, so fällt vor allem auf, daß er sich in all
diesen Jahren seiner selbst sicher war und einen geraden Weg gegangen ist. Unermüdlich strebte er zum Ganzen, so oft er sich auch
in Einzelforschung erging. Theoretisieren lag ihm nicht, er sah seine Aufgabe allzeit darin, das Volkstum seiner Heimat als ein
Unteilbares zu begreifen und zu künden.
... Breit gefächert sind die Gebiete der Volks- und Heimatkunde, um deren Erforschung und Offenlegung sich Mößinger in über
vier Jahrzehnten bis kurz vor seinem Tode gewidmet hat. Eine seiner ersten größeren Arbeiten war die Veröffentlichung über die
"Steinkreuze zwischen Rhein, Main und Neckar" (1936), der er abschließend noch 1962 eine Betrachtung der "Bildstöcke im
Odenwald" folgen ließ. In die Sachvolkskunde trat er ausführlich ein mit seinem Buch "Was uns der Odenwald erzählt" (1955), das
ein lückenloses Bild vom Reichtum an volkskünstlerischem Schaffen im Hausbau, im Möbel, im Arbeitsgerät und im Beiwerk zum
Brauchtum im Odenwald schenkt und das bald zur Urkunde werden wird, da der Zeitenwandel den Forschenden auf diesen Gebieten
in kurzer Zeit das Stoffsammeln verwehren wird. Auf zahlreichen Wanderungen erschloß sich Mößinger die Spuren der Vor- und
Frühgeschichte seines Arbeitsgebietes. So kündete er vom Wirken der Römer im Odenwald in einem Buch, das bereits in zweiter
Auflage erschienen ist, und von den geheimnisvollen Steinbildern bei Hirschhorn und Rai-Breitenbach (1950).
Eine weitere gründliche Untersuchung widmete er der Geschichte der Aufbereitung von Erz und der Eisenhütten im Odenwald,
die lange Zeit in der Wirtschaft dieses Gebietes eine große Rolle gespielt haben. Immer wieder mündeten alle diese Arbeiten in sein
Hauptanliegen ein, das Volkstum der Heimat in seinem ganzen Reichtum aufzuzeigen. Es würde zu weit führen, hier noch näher
einzugehen auf die Zahlreichen Aufsätze, die er im Laufe der Jahre in Zeitschriften, vor allem in den Hessischen Blättern für
Volkskunde und in der von Heinrich Winter herausgegebenen "Starkenburg" veröffentlicht hat. ...
Doch nicht nur Wissen und Fleiß, klarer Blick und vollendete Formulierungen kennzeichnen Mößingers Schaffen und Wesen.
Über allem stand ihm die Treue zu seinen Bekannten und Freunden, die Hilfsbereitschaft für alle, die seinen Rat und seine Mitarbeit
suchten. Bis in seine letzten Lebensjahre war um ihn ein Kreis von Mitstrebenden versammelt, die voller Dankbarkeit in ihm den
Meister sahen, und als in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg die Schriftleitung einer deutschsprachigen Wochenschrift in
Paris Mößinger um seine Mitarbeit bat, war er es, der wiederum gern mithalf. Die Zeitschrift hatte es sich zur Aufgabe gestellt, in den
deutschen Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern in Frankreich nicht nur das Verständnis für die andere Umwelt zu wecken und zu
fördern, sie sah ihre Hauptaufgabe darin, in ihnen die Fäden zur Heimat nicht reißen zu lassen, sondern fester zu knüpfen. Und
Mößinger gab sich auch diesem Anruf mit ganzem Herzen hin, und eine Reihe von Aufsätzen hat dankbare Leser in der Ferne
gefunden. ...
(Nachruf von Max Walter in:
Der Odenwald, 16.Jg. H.4, 1969, S.112-115, gekürzt)
|