Beiträge zur Geschichte der Steinkreuze |
Ueber den Aberglauben und Hokuspokus, welcher in früheren Jahren mit den alten Flurdenkmälern und
Steinkreuzen getrieben wurde, dürfte im allgemeinen so gut wie nichts bekannt sein, und doch bietet sich hier dem Volkskundler ein
reiches Feld der Betätigung. Meine Ausführungen werden nicht imstande sein, den ganzen Bestand restlos zu erfassen, nur ein
Hinweis auf den aufgespeicherten Reichtum soll hier gegeben werden.
Es ist ja hinlänglich bekannt, daß jede Art von Zauberei und sonstiger abergläubischer anderer Handlungen immer gerne unter
erschwerenden Umständen auszuführen gewesen sind, schon zu dem Zweck, damit ja nicht so leicht solch ein vermeintliches
Kunststück gelinge. Entweder nahm man hierzu große öffentliche Plätze, an welchen man "ungesehen" etwas vollbringen musste, oder
man nahm die Furcht des Einzelnen als erschwerendes Moment oder aber, man nahm Sachen, welche eine hohe kultische Bedeutung
hatten, wie etwa Hostien, oder das Kreuz.
Das Kreuz und sein Zeichen an sich selbst waren ja im Mittelalter am meisten in Gebrauch zu abergläubischen Handlungen. Ihm
am nächsten kam dann wohl der Kreis. Dem Kreuz wurde vor allem seine übernatürliche Kraft gegen alles Böse zur Hauptstütze in
solchen Dingen, aber auch seine Heilkraft duldete keinen Widerspruch. Wir wissen ja alle noch selbst mehr oder weniger, daß das
Brot mit einem Kreuz gesegnet "viel länger reicht" oder, das das C † M † B † an der Stubentür den Bösen abhält, und anderes mehr.
Dies alles mag uns aber heute nicht beschäftigen, sondern nur die Steinkreuze für sich allein.
Warum ging wohl so großer Aberglaube gerade um die Steinkreuze? Nach meiner Ansicht nur deshalb, weil diese Stine schon
von jeher mit dem Geister- und Totenkult zusammenhingen, und alles was Angst einflößte - und dies waren in hervorragendem Maße
die Toten - war zur Zauberei am besten geeignet. Die "Friedhofsangst" zu überwinden, war das beste Mittel zu allen Zeiten, eine Sache
gut hinausgehen zu lassen. Da fällt mir eben ein, daß man im Beyerischen Wald die Totenbretter doch sicher mit am allermeisten
schätzt und ehrt, aber nicht einmal diese unheimlichen, armseligen Dinge hatten Ruhe vor der allumfassenden Volksmedizin und
vermeintlichen Zauberei, denn wenn dahinten im Wald ein Bauer von irgendeiner Kuhhaut die Haare lösen wollte auf leichte Art, dann
nahm er ein Totenbrett dazu. Eine alte Formel des 15. Jahrhunderts empfiehlt:
"Willtu ain laug machen darvon ain haur abgaut, so nem die totten bretter und brenn die aschen".
Wenn man also schon vor diesen Dingen nicht halt machte, wie vielmehr dann vor den viel harmloseren Steinkreuzen. Ist doch ein
solcher Stein schon von "Kindsbeinen" an dazu da, um mit der Geisterwelt in Verbindung zu stehen, denn hier haben wir den letzten
Rest eines uralten Glaubens, nach welchem ein eines gewaltsamen Todes Gestorbener noch ganz besonders auf die Hinterbliebenen
wirken und ihnen sogar schaden kann. Deshalb erhielten diese Art ums Leben Gekommenen einen besonderen Toten- und Heroenkult.
Hat nämlich der Ermordete sein Recht nicht bekommen, d.h., ist, was germanische Anschauung verlangte, die Blutrache nicht
ausgeführt worden, so irrt der Geist des Erschlagenen ruhelos und zürnend umher. Nur durch einen Seelenkult - abgeschwächt durch
ein Sühnekreuz oder ein Opfer - kann sein Groll beschwichtigt werden. Gelegentlich herrscht heute noch der Brauch, an einem
solchen Kreuz einen Zweig niederzulegen, manchmal auch einen Stein, das heißt man dann "der Hex ein Opfer bringen".
Die Zerstörung eines Kreuzes kam noch vor Grabschändung, denn Abbrechen oder Zerstören eines Steinkreuzes brachte den Tod.
An solch einen "Fall" erinnert noch heute das abgebrochene Steinkreuz von Tennenlohe (siehe die Abb.), dieses Kreuz wurde im
Jahre 1900 von einem Bauern abgebrochen, der sich dann einbildete, daran sterben zu müssen, im selben Jahre wurde er auch
ernstlich krank und starb.
Wenn also jemand soviel Mut oder Verzweiflung aufbrachte, mit den Substanzen einen Kreuzes seinen Zauber auszuführen, so
mußte dies schon ein ganz robuster, vor nichts zurückschreckender Mensch sein. Freilich, im Wandel der Zeit verblaßte das
ursprünglich Grausige von den Steinkreuzen ganz bedeutend, sonst könnte es nicht sein, dass Steinkreuze in der Volksmedizin
Gebrauch gefunden hätten.
So wird z.B. bei Zahnschmerzen empfohlen, in ein Steinkreuz zu beißen; dabei wird sich dann so mancher seinen letzten hohlen
Zahl ausgebissen haben.
Des öfteren kann man auch an den Kreuzen kleine, kreisrunde Löcher bemerken, oft in einer ganz erklecklichen Anzahl
beisammen. Hier hat man "heilbringenden" Staub ausgekratzt, der für alles mögliche gut war. Besonders für die Pest.
Bei inneren Krankheiten verschiedener Art war ein Stück Steinkreuz gut, das in mitternächtlicher Stunde abgeschlagen werden,
unbeschrieen nach Hause gebracht und dem Kranken aufs Herz gelegt werden mußte.
War einer bezaubert worden (geisteskrank, verliebt), so war auch hiezu das Steinkreuz ein Allheilmittel, denn: "So einer
bezaubert wurde, der gehe zu einem Creuz auf dem Felde, da einer erschlagen worden, gehe 3 mal links herum in den Drei höchsten
Nahmen, dann schlag ein Stück vom Creuz, wirf dasselbe in ein fließend Wasser und sprich:
damit mir alle Zauberey und Unglück hinwegfließe und müsse bestahn der mir solches angethan". |
treibs Gwitter von danna, treibs nei in Wold, daß kan Schadn net nut für die vieln Leut". |
Literatur: "Oberpfalz" 1908 Heft 10, 1916 Heft 5 u. 6.(Quelle: L. Wittmann, in: Das Steinkreuz 2, 1934, Heft 2, S.2-6)
"Fränkische Monatshefte" 1925, S. 437-438.
Hofmann / Krayser: "Handwörterbuch des Aberglaubens", Berlin 1928, Bd. 1, S.1903, 1018.
Pfister: "Schwäbische Volksbräuche, Feste und Sagen", Augsburg 1924.
K. Bartsch: "Sagen, Märchen und Gebräuche aus Mecklenburg", Wien 1879/80, 2 Bände.
Hartland: "Perseus", London, Bd. 2, S. 166, 1894/96.
Dr. Fr. Losch: "Segens-, Heil- und Bannsprüche", Berlin.
Korrespondenzblatt d. Ges. Ver. d. Deutsch. Gesch.- u. Altertumsvereine 1918, Nr. 3/4, S.77.
Fritz Stremel: Manuskripte 1931.
C. Frank: Deutsche Gaue, Bd. 10, Kaufbeuren und meine persönlichen Aufzeichnungen.
Im März-April-Heft 1924 von "Volk und Scholle" findet sich eine Mitteilung "Wie Bildstöcke verschwanden". Ein
Bildstock, der vor König i.O. stand, wurde auf Anordnung des Grafen Magnus von Erbach ausgegraben, in kleine Stücke zerschlagen
und in die Mümling geschüttet, weil er gehört hat, was die Untertanen zu König "vor hochsträfliche Abgötterei und schändlichen
Mißbrach des allerheiligsten Namens Gottes mit und bey dem steinern Bildstock, so vor dem Dorfe an der Straße stehe, treiben, indem
sie in der Opinion und Permasion stehen, wann ihnen Pferde oder Vieh krank werden und sie dieselbe um berürten Bildstock im
Namen der heiligen Dreifaltigkeit herumführen und dann ein Stücklein von demselben herabschlagen, klein verstoßen und es dem
kranken Vieh eingeben, daß es demselben wieder zur Gesundheit helfe." Der Vorgang spielte sich im Jahre 1608 ab.
Von demselben Aberglauben meldet uns ein anderer Vorgang, der in Oberhessen spielt. In einem Protokoll über die Besichtigung
der Landesgrenzsteine zwischen dem hochfürstlichen Hessischen und dem Hochgräflich Ortenbergischen Haus vom 24. Juli
17881) findet sich ein Eintrag über die mißbräuchliche Benutzung eines Dreiherrensteins.
Der Eintrag lautet: "An dem Schwarzwald ohnfern Glashütten und Steinberg wurde der abgeschlagen gewesene und blos mit seiner
Wurzel noch gestandene mit Hessen-Darmstadt, Stolberg-Gedern und Stolberg-Ortenberg gemeinschaftliche Dreiherrenstein in
Gegenwart meiner des Beamten zu Nidda (es war der Amtmann Hofmann), der Herren Oberförster Hof und und Neidhard von
Zwiefalten und Rudingshain, sodann des Herrn Förster Schmidten zu Burkhardts, des Fürstlichen Schulteisen Repp und Vorstände
zu Glashütten, wie nicht weniger in Gegenwart der Herrn Amtsraths Heinrichs und Herrn Oberförster Kratz von Gedern, wie auch
mehrbesagten Herrn Cabinets-Secretaire Ruhlmanns und Herrn Förster Bussen von Hirzenhain, von den geschworenen
Landmessern, deren von Seiten jeder Herrschaft zugegen waren, neu gesetzt, zugleich aber auch verordnet, daß, weil dieser Stein
in einem Menschenalter schon dreimal renoviert werden müssen /: welches daher kommt, weil abergläubische Menschen in der Meinung stehen, die
Dreiherrensteine wirkten bei Viehkrankheiten, wodurch dieselben verschlagen und mißhandelt werden :/ eine dauerhafte und
wohlverwahrte Einfassung von Eichenholz um denselben gemacht werden soll."
Das Eichenholz stellte Gedern; in den Holzwert und den Arbeitslohn, der 3 fl. betrug, teilten sich die 3 Parteien. - Der fragliche
Dreimärker - ein dreiseitig behauener Stein - steht heute unversehrt am Zusammenstoß der Gemarkungen: Burkhards und Glashütten
(Hessisch), Gedern (Stolberg-Gedern) und Steinberg (Stolbereg-Ortenberg), macht aber einen ganz neuen Eindruck. Zweifellos ist er
seit 1788 wieder erneuert worden, während sich die gewöhnlichen alten Landesgrenzsteine in großer Zahl über 300 Jahre unversehrt
erhalten haben. Auffallend ist es, daß auch andere Dreiherrensteine, so einer zwischen den Gemarkungen Ober-Moos, Bermuthshain
und Lichenroth (Riedesel-Hessen und Isenburg) am Königsborn und ein anderer zwischen Hartmannshain, Volkartshein und
Volzberg (Hessen, Stolberg und Isenburg) um dieselbe Zeit ebenfalls erneuert werden mußten. Der Aberglaube der heilkräftigen
Wirkung des Steinmehls eines Dreiherrensteins bei Viehkrankheiten scheint also noch um die Wende des 18. Jahrhunderts im
Vogelsberg verbreitet gewesen sein. Den Dreiherrensteinen wurde demnach von der Bevölkerung eine ganz besondere Bedeutung
beigelegt, sie galten als heilige Steine.2)
Wer sich für alte Wappensteine interessiert, dem sei ein Gang empfohlen auf der alten Lißberger Straße, die am Friedhof
vorüber über das Höchst zieht und sich in der Gemarkung Glashütten mit der alten rechtsseitigen Nidderstraße vereinigt. Der Weg
führt zu unserem Dreimärker.
Darmstadt | K. Th. Ch. Müller. |
(Volk und Scholle, 4. Jg. 1926, H. 12, S.380)Literatur:
1) Akten des Staatsarchivs zu Darmstadt, Abt. XIII, 1. Conv. 32.
2) Vgl. J. Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer, 4. Afl. II, 75.
An der Neudorfer Steige, in der Gemarkung Amorbach-Neudorf, steht der Torso eines Bildstocks, von dem
die Volkskundlerin Gotthilde Güterbock (1906 -1992) schreibt: Dieser war noch vor 30 Jahren so weit erhalten, daß Max
Walter (1888-1971) seine Widmungsinschrift aufnehmen konnte. Heute ist er nur noch ein Stummel. Ganzen Generationen von
Schneeberger Kindern mußte er durch Abgabe von Steinstaub das Zahnen erleichtern und überdies noch bei zunehmendem Monde
zu nächtlicher Stunde jungen Mädchen Warzen von den Händen vertreiben.1)
Dem Aufsatz war eine lebhafte Diskussion über die Bedeutung von Wetzrillen an sakralen und profanen Steinmalen
vorausgegangen, die ein Leser der Zeitschrift "Der Odenwald" mit einem Bild von derartigen Rillen am Wormser Dom ausgelöst hatte.2)
Zahlreiche Hinweise, die auf diese Veröffentlichung eingingen, beurteilten die Rillen und Näpfchen recht unterschiedlich. Ein
bekannter Genealoge und Heraldiker aus Darmstadt schrieb: Die Waffenträger pflegten vor dem Auszug zum Kampf ihre Schwerter
und Hellebarden dort zu wetzen, um ihnen Erfolg und glückliche Heimkehr zu sichern.3)
Diese Erklärungstheorie war damals weit verbreitet. Andere Forscher hatten jedoch für die Rillen, die sie vorwiegend an den
Brauttüren der Kirchen sehen wollten, eine andere Erklärung: Bei der Eheschließung zog der Bräutigam sein Schwert und wischte
es an den Stein als Weiheakt für unverbrüchliche Ehetreue. Als Quelle verwies man dabei auf den Ruodlieb, ein Ritterepos aus
dem 11. Jahrhundert, das bruchstückhaft im Kloster Tegernsee erhalten ist und in dem von diesem Brauch berichtet wird.4)
Auch wurde die Ansicht vertreten, Kinder hätten dort ihre Schulgriffel oder Bauern ihre Sensen und Sicheln geschärft.
Allerdings bleibt festzuhalten, daß sich die Wetzrillen nicht nur an Sakralgebäuden, sondern auch an Burgtoren, Rathäusern
und Flurdenkmälern finden. Diese Feststellung schließt wohl die Waffenweihe und das Eheschwert als Ursache für diese
Erscheinungen aus. Auch werden die Schulkinder ihre Griffel wohl kaum an dem einsam stehenden Flurdenkmal abgezogen haben,
ganz abgesehen davon, daß die bisher bekannten Wetzmarken rein technisch weder durch diese Schreibgeräte noch durch das
Abziehen von Sensen und Sicheln entstanden sein können.
Zahlreiche schriftliche Quellen und mündliche Überlieferungen geben die Möglichkeit, die Rillen anders zu erklären. 1608
schreibt Graf Friedrich Magnus von Erbach (1575-1618) an seinen Amtmann Scherfer von Scherfenstein (1564-1625):
Was unsere Underthanen zu Künich [König] vor hochsträfliche Abgötterey und schändlichen misbrauch des allerheiligsten Namen Gottes mit und bey deme steinern Bildstock, so vor dem Dorff an der Straß stehet, treiben, in deme sie in der opinion und persuasion [Meinung und Überzeugung] stehen, wann ihnen Pferde oder Vieh krank werden, und sie dieselbige im Namen der heiligen Dreyfaltigkeit umb berührten Bildstock herumb füren und dann ein stücklein von demselben herabschlagen, klein zerstoßen und es dem kranken Viehe eingeben, das es demselben wird zu gesundheit helffe und solle solcher misbrauch und teufliche persuasion schon lange gewehrtet haben, wiewol unser ganz unwissend!5)
Um diesen, offenbar recht alten, Brauch ein für alle Mal zu unterbinden, ordnete der Graf an, die ganze
Gemeinde müsse den Bildstock ausgraben, in kleine Stücke zerschlagen und diese in die Mümling schütten. Die Anweisung wurde
offensichtlich befolgt, heute erinnert nur noch der Sockelstein an das alte Mal. Dies ist der älteste Beleg für die Verwendung von
Steinmehl bei der Heilung von Viehkrankheiten im Odenwald.
Nicht nur bei Viehkrankheiten griff man auf das Steinmehl zurück. Wie eingangs von dem Warzenstein bei Neudorf geschildert,
sind auch menschliche Beschwerden bis in die jüngste Zeit mit Steinmehl behandelt worden. In einem Brauchbuch aus Groß-Umstadt
heißt es:
Für die Kinder vir die Krenf [Zahnkrämpfe] wen sie sich erst mahl haben. Da mist ihr an drei Krentz Stain gehen one Berufen und dirf auch nimant söhen [also ohne auf dem Weg mit jemand zu sprechen und dabei beobachtet zu werden]. Und mist ihr an jetem Krentzstain ein Eck abschlachen. Und mist in uhnblaicht Duch [ungebleichtes Tuch] nehe und daß muß auch drai Eckich sain. Und mist zum Schnaiter kehen und ein Rohtes Schalaksläbchen um Kotes wille Forten [um Gottes willen fordern]. Und da mist ihr daß Duch und die drai Stainichen in daß rote Läbchen neben. Und mist es ihm [dem Kind] an hengen, daß Du ich Dier zur Buse im Namen des Faters des Sohnes und des heiliges Kaistes.6)
Die fehlerhafte Wiedergabe zeigt, daß das Rezept von ungeübten Personen abgeschrieben wurde. Der Brauch soll aber manchem Kinde das Zahnen erleichtert haben. Noch vor kurzem hat man in der Landschaft Dreieich den Kindern vor dem Zahnen Säckchen mit Steinmehl umgehängt, das von einem Dreimärker bei Offenthal abgeschabt wurde.7) Ein weiterer Beleg findet sich im Gronauer Kirchenbuch:
Anno 1696, den 3ten Januar, des Abends gegen 3 Uhr, starb Hans Georg Klein, von Sintzem [Sinsheim] bürtig, kühehirt allhier, wurde begraben den 5.ejusdem, Aetatis [Alter] 50 Jahr.
Etwas später hat der evangelische Pfarrer folgenden Zusatz nachgestellt:
Dieser soll, wie nach seinem Tode erst offenbar wurde, in der neuen Neujahrsnacht von dem sogenannten weißen oder großen Markstein an dem Müntzeberg auf der Höhe, an dem Weg, den man nach Bensheim geht, ein Stück ohne Zweifel zu bösen Künsten und in des Teufels Namen haben holen wollen, deswegen er von demselben derogestalt angegriffen und noch vor seiner Haustür, da er hineintreten wollen, geschlagen und gedrickt worden, daß er ohne Wissen des Pfarrers den dritten Tag darauf verstorben.8)
Ein interessanter Hinweis nicht nur für die Volksmedizin, sondern auch für den Teufelsglauben in jener Zeit.
Der Isenburgische Kammerdirektor Karl Theodor Christian Müller veröffentlichte 1926 einen Beleg, der einen Dreiherrenstein
an der Landesgrenze von Hessen-Darmstadt, Stolberg-Gedern und Stolberg-Ortenberg betraf. Bei einem Grenzgang im Jahre 1788
stellte man fest, daß der genannte Dreimärker so stark beschädigt war, daß er erneuert werden mußte. Im Grenzgangsprotokoll heißt
es:
Welches dahero kommt, weil abergläubische Menschen in der Meinung stehen, die Dreiherrensteine wirkten bei Viehkrankheiten, wodurch diesselben verschlagen und mißhandelt werden. Weil dieser Stein seit Menschengedenken schon zum dritten Mal erneuert werden mußte, umgab man ihn nun mit einem Holzzaun.9)
Überliefert ist, daß professionelle Braucher Steinmehl mit Dachsfett mischten und diese Salbe als Wunderarznei für Mensch und Tier offerierten. Gewonnen wurde das Steinmehl durch Schaben, Kratzen oder Reiben mit Hilfe eines härteren Steins oder eines Metallgegenstandes.
Der Bildstock nahe der Grenze zwischen Neudorf und Schneeberg heißt im Volksmund Warzenstein, wohl deshalb, weil er
vorwiegend Warzen beseitigen sollte. Noch heute wissen ältere Leute, daß man früher in den Neumondnächten zum Warzenstein
ging, dort Steinstückchen abrieb, mit denen man die Warzen vertreiben wollte, wobei der Spruch "Warzenstenle ich reib Dich;
Warz, ich vertreib Dich. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes" zum Besprechen der Warzen gebraucht
wurde. Unser Gewährsmann, Herr Bauer aus Schneeberg, der uns freundlicherweise zu dem schwer zu findenden Stein führte,
erinnert sich, daß sein Onkel auf diese Weise eine große Warze losgeworden ist. Dazu findet sich im Arzneibuch des
Schwarzenburgischen Leibarztes und Paracelsusschülers Andreas Tenzel von 1615 folgendes Rezept: Die Krähenaugen und
Leichdornen [Hühneraugen] auch Warzen kuriert man, indem man sie etliche mal mit Wasser wäscht, so auf dem Leichstein
steht,10) dasselbe Mittel hat schon Jacob Grimm bei der Aufzählung
abergläubischer Bräuche in seiner Deutschen Mythologie genannt. Das Neudorfer Beispiel zeigt, daß nicht nur Grabsteine
Gegenstand dieses Brauchs waren, sondern auch Flurdenkmale, und daß außer dem auf den Steinen stehenden Tau- und
Regenwasser auch Steinstaub selbst verwendet wurde. Dieser Brauch war offensichtlich weit verbreitet, auch in anderen
Landschaften heißen Flurdenkmale Warzenstein.
Anmerkungen:
Warzen treten bei jungen Leuten vorwiegend im Gesicht und an den Händen auf, was natürlich sehr lästig ist. Deshalb wurde
kein Mittel gescheut, um sie baldigst loszuwerden, auch wenn magischer Volksglaube wie das Brauchen in der Nacht, bei neuem
Mond, unbeschrieen und die Verwendung abstruser Zauberformeln Bestandteil der Kur waren. Auch aus dem Odenwald sind
Sprüche zum Besprechen der Warzen überliefert. In einem Brauchbuch aus Unter-Ostern von 1807 steht, der mit Warzen
Behaftete solle während einer Beerdigung, ohne mit jemand zu sprechen, zu einem Bach gehen, die Hand ins fließende Wasser
halten und dreimal sagen: Dem Toten läutets ins Grab, ich wasche meine Warzen ab.11)
Die gleiche Formel ist aus Neudenau an der Jagst überliefert. Dies ist eine Form des Hinwegbefehlens der Krankheit, die
nach Meinung mancher Forscher zu den ältesten Krankheitssegen gehört. Sie stammt jedenfalls aus einer Zeit, in der es noch
keine ausgebildeten Ärzte gab. Die Medizin ist älter als die Mediziner, heißt es. Interessanterweise haben sich gerade bei der
Warzenbekämpfung Mittel der Volksmedizin besonders lange erhalten. Dies ist auf die Bedeutung der Suggestivbehandlung bei
diesem Übel zurückzuführen, wie sogar der Gesundheits-Brockhaus (1952) feststellen muß. Die jetzt so beliebte indische Yogalehre
kennt auch heute noch Formeln zum Besprechen von Warzen.
(Quelle: "gelurt" - Odenwälder Jahrbuch für Kultur und Geschichte 1996, Erbach 1995, S.9-12)
1) Gotthilde Güterbock: Wetzkerben und Näpfchensteine. In: Der Odenwald, 3. Jg. (1956), H. l.
2) Heinrich Diehl: Kerben am Wormser Dom. In: Der Odenwald, 2. Jg. (1955), H. 2.
3) Der Odenwald. 2. Jg. (1955), H. 3.
4) Herbert Meyer: Die Eheschließung im Ruodlieb und das Eheschwert. In: Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschichte - Germ. Abteilung -, Bd. 52 (1932), S. 276 f.
5) Heinz Bormuth: Südhessische Belege zur Verwendung von Steinmehl in der Volksmedizin. In: Steinkreuzforschung - Studien zur deutschen und internationalen Flurdenkmalforschung - . Regensburg 1982, Sammelbd. Nr. 5, S. 17 f.
In diesem Aufsatz habe ich die Anweisung eines Frankfurter Arzneibuches von 1605 wiedergegeben, in der mit Hilfe von gepulvertem Beinbrechstein, Sandstein auch Beinheilstein, einem sandigen Stein, der im Gerauer Land, in Darmstadt und an der Bergstraße im Sand in großer Menge gefunden wird, Brüche kuriert werden. Bei kritischer Überprüfung der Quelle wird man in diesem Sandstein eine Pflanze, den Knöllchensteinbrech, sehen müssen, die schon im Lorscher Arzneibuch von 795 als wichtige Heilpflanze genannt wird.
6) Georg Volk: Der Odenwald und seine Nachbargebiete. Stuttgart, 1900, S. 196.
7) Karl Nahrgang: Die inschriftlosen Steinkreuze in der Landschaft Dreieich und den angrenzenden Randgebieten. In: Schriften des Dreieichmuseums, H. l (1932), S. 7.
8) s. Anm. 5, S. 17.
9) K(arl) Th(eodor) Ch(ristian) Müller: Heilige Steine und Viehkrankheiten. In: Volk und Scholle, 4. Jg. (1926), S. 380.
10) Andreae Tenzelli: Medicinisch-Philosophisch-Sympathetische Schriften. Freiburg 1753 (Experimenta 1615), S. 255. Bei Jacob Grimm (Deutsche Mythologie, Bd. III, S. 255) als Mittel gegen Sommersprossen genannt.
11) Karl Schwinn: Ein Brauchbuch aus Unter-Ostern. In: Der Odenwald, 24. Jg. (1977), H. 4 und Peter Assion: Neudenauer Überlieferung von Josefine Weihrauch und Heiner Heimberger. Neudenau 1979, S. 124.