Deutschland Hessen Werra-Meißner-Kreis

Lüderbach (I)


Blick zum Standort

PLZ: 37296

GPS:

Standort: Südlich des Kirchberges am Feldweg nach Ifta.

Größe / Material: 75:60:16-21 / Kalkstein

Geschichte: Wird hier "Leprakreuz" genannt.

Sage: Zwei Versionen werden erzählt:
1. Positionsmarkierung, bei der die Leprakranken nach ihrer Rückkehr von den Kreuzzügen (1096 - 1270) mit Nahrung und Kleidung versorgt wurden.
2. Es soll ein Grenzmal gewesen sein, bis zu welchem die Einwohner von Ifta gehen durften, um während einer Pestepidemie den Kranken in Lüderbach Speisen zu bringen.

Quellen und Literatur:
Riebeling, Heinrich - Steinkreuze und Kreuzsteine in Hessen, 1977, Nr.4926.3



Lüderbach (II)


die Pyramide der
Fam. Cappellan,
Erwähnung bei Seib

GPS:

Standort: Wir beginnen unsere Tour zum ca. 800m entfernten Jägerstein an der Lüderbacher Kirche und begeben uns zunächst 50m in westlicher Richtung um dann mit dem Feldweg in den Talgrund nach Norden abzubiegen. Nach der Überquerung des Seegelbaches biegt am Waldrand des Eichenberges ein nach links führender Feldweg ab, hier ist auch ein eher unauffälliges Schildchen "Jägerstein" an einem Baum angebracht.
Wir erreichen nach etwa 100m einen ersten Forstweg, welcher den Wanderweg X5 in sich aufnimmt, dieser Weg ist zu ignorieren, wir bleiben am Waldrand und gehen in westlicher Richtung.
Nach weiteren 150m biegt ein zweiter Forstweg nach rechts ab und führt wieder in den Wald.
Durch den Heimatverein Lüderbach wurde von dort (Waldrand) ein Pfad zum Jägerstein angelegt und mit grauen und blauen Punkten im Abstand von 10 bis 20m an Bäumen markiert, an steilen Stellen wurden Treppenstufen gesetzt. Vom Waldrand aufsteigend finden wir den Stein nach etwa 200m Anstieg am Rande der Hochfläche bei 345m NN in einer kleinen Lichtung (hier auch eine Informationstafel vom Heimatverein) .

Größe / Material:

Geschichte: Der "Jägerstein trägt folgende Inschrift:
ANNO. 1714
DIE. MAY. 30. CHRI:
STOPHERUS. GUN:
CKEL. VENATOR. D:
CHRISTIANI. LUDOVICI
DE: CAPELLAN. SE. IP:
SUM. JACULTUS.
EST:
Die Inschrift berichtet vom Freitod des Jägers Christoph Gunckel.

Sage:

Quellen und Literatur:
Seib, Gerhard - Der Jägerstein bei Lüderbach, in: Das Werraland, Heft 3, 16.Jg., September 1964, S.48-49
recherchiert und bebildert von Manfred Beck, Wutha-Farnroda



Der Jägerstein bei Lüderbach
von Gerhard Seib

Der dicht an der Zonengrenze gelegene kleine Ort Lüderbach ist in volkskundlicher und heimatgeschichtlicher Hinsicht eine der interessantesten Gemeinden des Kreises Eschwege. Die Siedlung als Haufendorf, teils in Tal-, teils in Hanglage, hat sich infolge geringer Bautätigkeit und weniger eingreifender Bauveränderungen während der vergangenen Jahrzehnte im wesentlichen ihr Bild, wie es in den letzten zwei- bis dreihundert Jahren geformt wurde, bewahrt. Wenn auch die Bauernhäuser als Fachwerkbauten im Vergleich mit Bauten der Werratal- und selbst der Netrataldörfer sehr bescheiden und im großen und ganzen jünger als die Häuser jener Dörfer sind - es sind nur noch zwei bis drei Häuser aus der Zeit vor 1700 erhalten -, so hat sich uns der Gesamtcharakter der Siedlung des 18. Jahrhunderts in derartiger Ursprünglichkeit erhalten wie in kaum einem zweiten Dorf des Kreisgebietes.1)

Zwei Bauwerke in diesem Ort sind es, die besondere Aufmerksamkeit verdienen: die Kirche2) mit dem bemerkenswerten Beweinungsaltar aus dem frühen 16. Jahrhundert und einigen sehenswerten Grabsteinen des 17. und 18. Jahrhunderts und das 1560 erbaute und später mehrfach umgebaute Schloß der Herrn von Capellan.

Das alles soll uns aber heute nicht interessieren. Wir wollen uns vielmehr einem Flurdenkmal in der Gemarkung des Ortes zuwenden, das bisher noch nirgendwo in der Literatur zum Gegenstand der Betrachtung genommen ist, dessen Erwähnung selbst in den Heimat- und Wanderführern fehlt, das nur einige Lüderbacher und Rittmannshäuser kennen. Warum wir uns gerade heute damit beschäftigen, wird aus den folgenden Zeilen ersichtlich werden. Zuvor sei aber noch darauf hingewiesen, daß dieses Flurdenkmal nicht das einzige in der Lüderbacher Gemarkung ist. Einige hundert Meter unterhalb des Kirchberges mit dem 1776 erbauten Mausoleum des Herrn von Capellan und seiner Schwester3) steht linker Hand des asphaltierten Feldweges an einer Böschung ein aus einheimischem Muschelkalk gehauenes Steinkreuz, vermutlich ein spätmittelalterliches Sühnekreuz, also ein "Totschlagzeichen", ein Vertreter einer Denkmälergattung, die uns in gleicher Art noch in sechs weiteren Exemplaren im Kreisgebiet erhalten ist.

Nun aber zu unserem Betrachtungsobjekt!
Etwa zehn Minuten vom Dorf entfernt steht in etwa 345 Meter Höhe am Hang des Großen Eichenberges im Fichtenmischwald - ganz unauffällig im Dunkel des Waldes - ein 81cm hoher Stein, leicht nach rückwärts geneigt, aus feinkörnigem roten Sandstein (s. Foto).
Über schmalem rechteckigem Sockel erhebt sich beidseitig in gedrungenem S-Kontur eine 16cm starke Stele, die oben mit einem Flachgiebel abschließt. In die Vorderseite eingeschrieben und leicht zurückgesetzt ist ein ovaler Schriftspiegel mit folgender achtzeiliger Inschrift in lateinischen Kapitalbuchstaben:
ANNO. 1714
DIE. MAY. 30. CHRI:
STOPHERUS. GUN:
CKEL. VENATOR. D:
CHRISTIANI. LUDOVICI
DE: CAPELLAN. SE. IP:
SUM. JACULTUS.
EST:
Das heißt übersetzt:
Am 30. Mai 1714 hat sich Christoph Gunckel, der Jäger des Herrn Christian Ludwig von Capellan, erschossen.

Über diesen merkwürdigen Selbstmord berichtet uns Rudolphus Both4), der damalige Pfarrer von Lüderbach, im Kirchenbuch5) in der sechsten Eintragung vom Jahr 1714:

"d. 6t. Juniy ward auf eingeholten fürstl: Consistorial-Befehl Christoph Gunckel Hochadel. Capellischer Jäger des Abends in aller Stille ohne Klang und Gesang, abseits hinder der Kirche nach dem Zaun begraben, weiln er den 31t. May in dem Eichenberge erschoßen gefunden worden unter dem Kinn hinein, u. oben zum Kopf wieder heraus: jedoch niemand wißen können, ob er es mit fleiß gethann, oder durch den morbum epilepticum, darann er schuldichen laboriret, gestürtzed, das Gewehr unversehens loß gedrückt habe, p."


Diesem Eintrag zufolge ist der Selbstmord nicht so klar, wie auf dem Stein berichtet wird. Dennoch ist für die Zeit sehr bezeichnend, daß man dem Jäger keine normale Totenehre erwiesen hat, sondern ihn wie die Selbstmörder, Gehängten und ungetauft Verstorbenen an der Kirchhofsmauer begraben hat.6)

Doch wenden wir uns noch einmal dem Denkmal selbst zu:
Die Oberfläche des völlig schmucklosen Steines ist in sehr kunstvoller Weise durch den Wechsel verschiedenartiger Scharrierung belebt; so ist der Sockel längs scharriert, während beim Ansatz der S-förmigen Seitenkonturen ein schmales, querscharriertes Band ansetzt, das den Seitenkontur bis in die Giebelspitze begleitet. Dieser Begleiter ist wirkungsvoll durch eine Kerblinie von dem Mittelfeld abgesetzt, das vom Schriftspiegel beherrscht wird. Die Rückseite des Steines ist einheitlich wie auch die Schmalseiten querscharriert, mit Ausnahme des Sockels, der wie vorn längsscharriert ist. Das Giebelfeld des Steines nimmt zum Teil ein sieben Zentimeter hohes, in den Stein geschlagenes Zeichen ein, das ein lateinisches Kreuz auf flachem Giebel mit Querstrich an der rechten Schräge und kleinem Bogen, der unter der Kreuzvierung beginnt und nach rechts läuft, zeigt. Dieses Zeichen können wir einwandfrei als Meisterzeichen des Steinmetzen, der diesen Stein gearbeitet hat, ansprechen.
Leider fand sich bisher noch kein gleiches Zeichen, so daß wir über den Verfertiger des Denkmals einstweilen nichts aussagen können.

Was den Erhaltungszustand unseres Denkmals angeht, so ist der gut; nennenswerte Beschädigungen können wir nur am Giebel feststellen.
Hier fallen besonders drei Wetzmulden auf, die vom Messer-, Axt- oder Bartenwetzen der Waldarbeiter herrühren. Dieser Beschädigung darf man nicht völlig verständnislos begegnen, wenn man bedenkt, daß sich der feinkörnige Sandstein vorzüglich als Schleifmaterial eignet und Sandstein ohnehin in der Muschelkalklandschaft des Ringgaus etwas sehr Seltenes ist. Ähnliche Wetzspuren finden wir des öfteren an Architekturteilen aus Sandstein, besonders an Portalen öffentlicher Profan- und Sakralbauten. An verschiedenen unteren Partien des Steines zeigen sich zusätzlich leider geringe Verwitterungsspuren.

Warum wir uns heute so ausführlich mit diesem Jägerstein, wie dieses Denkmal von den Lüderbachern und Rittmannshäusern genannt wird, beschäftigt haben, liegt an der Tatsache, daß es sich hier um ein einzigartiges Flurdenkmal unserer Heimat handelt. Es setzt als solches eine jahrhundertealte Tradition der Steinsetzung am Orte eines besonderen Geschehens, zum Beispiel eines Unfalls oder eines Mordes fort. Als später Vertreter dieser Denkmälergruppe hat es nicht mehr die in unserem Gebiet bis ins 16. Jahrhundert übliche Form eines Kreuzes, sondern ist dem Zeitcharakter entsprechend als Stele mit barock bewegtem Kontur an den Schmalseiten gegeben.

Wer das Denkmal in Auftrag gegeben und im Wald hat aufrichten lassen, ist uns leider nicht bekannt; vielleicht war es der Herr von Capellan selbst. Daß noch im 19. Jahrhundert und selbst in unserem Jahrhundert zuweilen Flurdenkmale errichtet wurden, dafür möchte ich noch kurz zwei Beispiele anführen.

Über Wehrda bei Marburg steht an einem Holzabfuhrweg, nur wenige hundert Schritte oberhalb des Behring-Mausoleums, ein pfeilerartiges Denkmal mit zweifach gestuftem Sockel, das für Konrad Dittmar von Wehrda, der am 3. Januar 1879 durch Selbstentladung des Gewehrs eines Jagdgenossen plötzlich starb, wie uns die Inschrift lehrt, errichtet wurde.

Als Beispiel für ein Flurdenkmal aus dem 20. Jahrhundert möchte ich an den Gedenkstein für den am 24. Dezember 1913 von einem Wilderer erschossenen Förster Knoche im Kaufunger Wald erinnern.

Die Nennung dieser beiden späten Flurdenkmale ist ziemlich willkürlich, es könnte ebenso eine ganze Reihe anderer Beispiele an anderen Orten genannt werden.

Wenn es dem Verfasser gelungen ist, mit diesen Zeilen einmal den Blick auf kleine Seltenheiten unserer engeren Heimat zu lenken, die für sich genommen ein Stück Heimatgeschichte darstellen, darüber hinaus sich aber in eine lange Reihe von Gliedern einer in ganz Europa verbreiteten Denkmälergruppe einreihen lassen, die als Zeugen einer bis in unsere frühe Vorzeit reichenden Vorstellungswelt angesehen werden müssen, welche zu schützen und zu pflegen wir als wichtige Aufgabe betrachten müssen, so kann darin die Absicht als erfüllt angesehen werden.

In diesem Sinne sollte der Heimatfreund, der nunmehr einen Ausflug in das so interessante und landschaftlich so reizvoll gelegene Lüderbach unternimmt, sich einmal Zeit nehmen, den Jägerstein, jenes 250jährige Flurdenkmal unserer Heimat, aufzusuchen. Ein Besuch, nicht zuletzt des schönen Waldes wegen, lohnt sich auf jeden Fall.6)

Anmerkungen:
1) Einen kurzen Bericht über Lüderbach bringt J. C. Krummel: "Notizen über das Kirchdorf Lüderbach". In: "Hessischer Gebirgsbote" NF der Mtsschr. "Touristische Mitteilungen" Jg.28 1920 Nr. 3/4 S.9/10.
2) S. Dieter Großmann: Die Kirche von Lüderbach und ihr Altar. In: "Das Werraland" 8. Jg. 1956 H.1, S.4/9.
3) Auch dieses Denkmal könnte man in der weiteren Begriffssetzung als Flurdenkmal bezeichnen.
4) * 17.10.1664 in Solz bei Bebra, von 1704 bis 1744 Pfarrer in Lüderbach.
5) 1. Kirchenbuch der Gemeinde Lüderbach, unbetitelt, Vollpgmt. d.Zt. 8° - evangl. Pfarramt Netra - hier findet sich der Originaleintrag. Abschrift des bereits starke Gebrauchsspuren aufweisenden Kirchenbuches von Pfarrer Böhling in: "Aufgebots-Buch für die Gemeinde Lüderbach seit dem Jahre 1832" - Hlbldb. d.Zt. Quer-8°-Blatt 16 ff unter: "Kyrchenbuch u. Verzeichnis derer, so im Herrn seelig entschlafen"; leider ist die Abschrift nicht buchstabengetreu; im Anschluß an den Eintrag über den Vorfall Zusatz von Böhling: Erwähnung des Gedenksteins im Eichenberg mit Angabe der Inschrift.
6) Allerdings sind die Dinge nicht ganz so einfach wie von mir skizziert: Die Frage, wo Selbstmörder beerdigt werden sollten, ist im Hessischen Kirchenrecht festgelegt: S.C.W. Ledderhose: Versuch einer Anleitung zum Hessen-Casselischen Kirchenrecht, Cassel 1785. § 467 S.423/424. Den Selbstmördern wurde wie den mit dem Schwert Hingerichteten und den "ewig mit Staupenschlägen des Landes verwiesenen" ein "unehrliches viehisches Begräbnis" (sepultura inhonesta asinina: Eselsbegräbnis) gegeben; sie wurden normalerweise außerhalb des Totenhofes beerdigt, nur mit "landesherrlicher Dispensation" konnte eine Beerdigung auf dem Friedhof erfolgen.
S. dazu auch C. W. Ledderhose: Kurhessisches Kirchenrecht, neu bearbeitet von Ch. H. Pfeiffer, Marburg 1821 § 285 bis § 288 (S.255/261). Hier werden bereits der Selbstmordursache entsprechend unterschiedliche Begräbnisarten vorgeschrieben.
S. auch G. L. Büff: Kurhessisches Kirchenrecht, Cassel 1861 § 213 S.509. Daß auch Im übrigen Deutschland die Selbstmörder im, allgemeinen nicht auf dem Friedhof beerdigt wurden, dazu: H. Derwein: Geschichte des Christlichen Friedhofs in Deutschland; Frankfurt 1931, S.34. Hier der Hinweis, daß Selbstmördern meist ein "Eselsbegräbnis", nach dem Spruch Jeremias 22, 19: "Er soll wie ein Esel begraben werden, zerschleift und hinausgeworfen vor die Tore Jerusalems", bereitet wurde.
7) Vorliegender Aufsatz wurde am 28. Mai konzipiert; er erschien in etwas gekürzter und leicht abgewandelter Form ohne Anmerkungen in der "Werra-Rundschau" vom Sonnabend, dem 30. Mai. S.5, als "Jägerstein bei Lüderbach - ein Flurdenkmal".

(Das Werraland, Heft 3, 16.Jg., September 1964, S.48-49)


Sühnekreuze & Mordsteine