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Über Pflug- oder Ackerreuten und Rindenschäler auf Steinkreuzen und Kreuzsteinen
von Sven Gerth, Pfaffroda

Eine weit verbreitete Einzeichnung auf mittelalterlichen Sühne- und Totengedenkmalen ist die Pflugreute. Über dieses bäuerliche Gerät und dessen Verwendung können heute nur noch wenige berichten. Zu schnell geraten in unserer kurzlebigen Zeit alte Geräte in Vergessenheit, denen durch fortschreitende Industrialisierung die Verwendung genommen wurde.

Abb.1

Dennoch war die Reute über viele Jahrhunderte ein wichtiges, den Bauernstand als Attribut und Erkennungszeichen vertretendes Werkzeug und Hilfsmittel. Seine Entwicklung aus einem einfachen Stock zu einem ergonomisch geformten, speziellen Hilfswerkzeug ging konform mit der Entwicklung der Pflüge voran.
Auf einem Handwerkerwappen eines Nürnberger Zeugschmieds, welches auf einer Grabplatte von 1582 zu finden ist (Abb.1)1), erkennen wir die Reute neben einem Pflugsech und einem Spatenblatt.
Jakob und Wilhelm Grimm beschreiben die Reute in ihrem Wörterbuch2) folgendermaßen: PFLUGREUTE, f. oder ackerreute, ein eisenbeschlagener stab zum säubern des pflugs, namentlich des pflugbrettes von der daran sich hängenden erde, vgl. pflugscharre, -stecke, -stock.

Dass die Einzeichnungen der Reute auf Steinkreuzen und Kreuzsteinen nicht nur als Attribut für einen durch Unfall oder Krankheit umgekommenen Landmann stehen, sondern in vielen Fällen auch als Mord- oder Totschlagswaffe zu bewerten sind, resultiert nicht nur aus den sagenhaften Überlieferungen. Danach stirbt vielfach der Sohn oder Knecht des Bauern an den Folgen von Verletzungen, weil diesem im Jähzorn die Reute aus nichtigem Anlass nachgeworfen wurde oder damit nach ihm geschlagen wurde.

Abb.2: Zwei Pflug- oder Ackerreuten. Die kleinere stammt aus der Zeit um 1900, die andere aus dem 1.Drittel des 20.Jahrhunderts.

Foto: W. Müller, Elze
Die aus solchen Auseinandersetzungen resultierenden Verletzungen waren erheblich und konnten durchaus tödlich sein. So lesen wir in einem eindrucksvollen Bericht von Dr. Krügelstein, Ohrdruff aus dem Jahre 18453):

Bei der Untersuchung dieses Verletzten fand ich […] im Nacken eine, einen guten Zoll lange querlaufende Wunde, die sowohl durch den Schlag mit dem Eisen einer Pflugreute (dem Instrumente, mit welchem beim Pflügen die an dem Pflugschaare hängende Erde von demselben abgestossen wird), als auch durch einen Schnitt verursacht worden sein konnte, die gequetschten Wundränder aber sprachen mehr dafür, dass sie mit einem so stumpfen Werkzeuge, wie der Pflugreute, und nicht mit dem Messer gemacht worden war […]

Auch wenn dieser Bericht aus der Mitte des 19.Jahrhunderts stammt, so zeigt er uns doch, dass die Reute schnell zur Hand war, wenn auf dem Feld Auseinandersetzungen stattfanden.

Bei den bis hierher besprochenen Pflug- oder Ackerreuten handelt es sich ausschließlich um die Form mit abgewinkelter Handhabe (Abb.2). Einige Darstellungen dieser, der Verwendung am Pflug angepassten Ausführung, zeigen uns die Abb.3-5 an Hand dreier bayerischer Denkmale. Bei dem Steinkreuz in Neuhaus (Abb.5) ist der Griff zum Boden zu.

Abb.3 (li.): Kreuzstein in Stadtsteinach, Lkr. Kulmbach; Foto: P. Basler, Schwarzenbach/Saale
Abb.4 (m): Steinkreuz in Buch, Lkr. Bamberg; Foto: W. Müller, Elze
Abb.5 (re): Steinkreuz in Neuhaus, Lkr. Neustadt a.d. Waldnaab; Foto: P. Basler, Schwarzenbach/Saale


Alle diese Einzeichnungen zeigen das Werkzeug in nahezu identischer Darstellung, mit gekrümmter Handhabe und dreieckigem Eisen am anderen Ende. Der abgeknickte Stiel war für die Verwendung sehr wichtig. Die Pflugschar wurde ja während des Pflügens gereinigt. Man konnte durch das abgeknickte Ende, wie bei der Krümme des Spazierstockes, mehr Druck ausüben und so die festgesetzte Erde besser vom Pflugmesser entfernen. Wie die Abb.2 deutlich zeigt, wurde für die Herstellung der Stiele der Pflug- oder Ackerreuten nach einem jungen Baumstamm mit kräftigem Seitenaustrieb Ausschau gehalten und diese natürliche Wuchsform bei der Herstellung ausgenutzt.

Mit der Bezeichnung Reute werden in der Steinkreuz-Literatur aber auch Einzeichnungen umschrieben, die mit der Pflug- oder Ackerreute, wie sie oben beschrieben wurde, nichts zu tun haben. Betrachten wir uns dazu die Abbildungen 6-8.

Abb.6 (li.): Kreuzstein in Eilensen, Lkr. Northeim; Foto aus: Müller / Baumann: Kreuzsteine und Steinkreuze in Niedersachsen, Bremen und Hamburg, 1988, S.206
Abb.7 (m): Kreuzstein in Hermannrode, Werra-Meißner-Kreis; Foto aus: Saalfeld: Kleindenkmäler im Werra-Meißner-Kreis, Schriften des Werratalvereins Witzenhausen, Heft 28, 1995, S.202
Abb.8 (re): Steinkreuz in Lösten, Lkr. Hof; Foto aus: Bucka / Heland: Die Steinkreuze und Kreuzsteine im Landkreis Hof und in der Stadt Hof, 1986, S.26


Die hier abgebildeten Werkzeuge unterscheiden sich von den Pflug- oder Ackerreuten durch einen gänzlich anderen Stiel. Dieser ist hier geradlinig auslaufend bzw. endend in einem Querholz, ähnlich den Spatenstielen. Hier sollten offensichtlich nicht die Ackerreuten der pflügenden Bauern gezeigt werden. Bei diesen Werkzeugen handelt es sich vielmehr um Baum- oder Rindenschäler. Das Argument der regionalen Eigenheit kann hier nicht gelten, denn das Steinkreuz in Lösten, wie auch der Kreuzstein in Steinbach und das Steinkreuz in Buch finden wir in Oberfranken. Beide Formen der Einzeichnung existieren also nebeneinander und schließen sich nicht gegenseitig aus.

Die Deutung der Einzeichnungen mit geradem Stiel als Rindenschäler (wie wir sie heute in fast unveränderter Form auch noch kennen) macht durchaus Sinn, denn im Mittelalter waren die Baumschäler eine eigene Berufsgruppe. Nehmen wir wieder das Wörterbuch der Brüder Grimm zu Hilfe, so finden wir folgenden Eintrag4): RINDENSCHÄLER, m. bei der forstcultur ein mit dem abschälen der rinde von den gefällten bäumen beschäftigter mann.
Ludwig Uhland beschreibt 1836 diesen Berufsstand eher beiläufig5):

[…] Der Name seines Vaters Borkar, der Rindenschäler, bezeichnet zunächst ein ländliches Geschäft, dessen besonders als eine Arbeit der Thräle [Knechte] gedacht wird, die Beischaffung der Baumrinde und des Reisichs, und dann wohl in ausgedehnterem Sinne das Ausreuten des Waldes; damit arbeitet Borkar dem Sohne vor, welcher den Boden urbar macht […].

Wir würden heute von Forstarbeitern oder Waldbauern sprechen. Besonders interessant erscheint aber die Verwendung des Begriffes "ausreuten". Das lässt vermuten, dass im älteren Sprachgebrauch auch die Werkzeuge der Waldarbeiter als Reuten bezeichnet wurden und hier ein gemeinsamer Ursprung mit den Pflug- oder Ackerreuten zu suchen ist.

Abb.9: Die Schäleisen stammen aus dem 1. Viertel des 20. Jahrhunderts. Sie wurden von dem Dorfschmied in Capellenhagen (Niedersachsen) angefertigt. Die Stiele waren nach dem 2.Weltkrieg erneuert worden. Besitzerin ist Frau Christa Esse in Capellenhagen. Größe der Schäleisen: das Große Eisen: H=18cm, B=13cm; das kleine Eisen: H=14,5cm, B=10cm. Stiellänge des großen Schäleisens: etwa 160cm.

Foto: W. Müller, Elze
Als eigenständige Berufsgruppe waren die Rindenschäler also nicht nur für die Rodung neuen Ackerlandes zuständig, sondern lieferten auch begehrte Waren wie Reisig und Rinde. Das Entfernen der Rinde an gefällten Bäumen geschah aus mehreren Gründen. Einerseits verhinderte es den Schädlingsbefall bzw. schwächte ihn ab. Rinden wurden aber auch in bäuerlicher Wirtschaft benötigt, man denke nur an den Ahornboden im nördlichen Karwendel, dessen Bewirtschaftung in früherer Zeit zum Ziel hatte, den Bauern Rindeneinstreu für die Stallungen im Winter zu liefern. Aber auch die Gerber benötigten schon im Mittelalter große Mengen an Rinden und Blättern zur Herstellung ihrer Gerblohe.

Abb.10: Kreuzstein in Eggolsheim,

Foto: E. Sauer, Strullendorf

Es ist nicht auszuschließen, dass sich die Arbeitsbereiche der Bauern und Rindenschäler überschnitten und in einigen Gebieten wohl auch vermischten. Es erscheint aber wichtig, das berufstypische Werkzeug dieser beiden Berufsgruppen, auch wenn es einen gemeinsamen Ursprung hat und im Sprachgebrauch für beides der Begriff Reute verwendet wird, so doch die unterschiedliche Verwendung und deren Darstellung auf Steinkreuzen und Kreuzsteinen differenziert zu betrachten und zu bewerten.

Abschließend sei noch der Kreuzstein von Eggolsheim (Lkr. Forchheim) vorgestellt, der ein erhabenes, tatzenförmiges Kreuz auf Bogensockel als dominierendes Attribut zeigt. Links davon einen Rindenschäler, rechts eine nach unten gerichtete Axt als zweites Werkzeug-Attribut.
Auch bei diesem Beispiel wird in der Fachliteratur immer noch die Bezeichnung Pflugreute verwendet. Es ist aber das zweite Attribut als Bestätigung des ersten zu verstehen, so dass hier zweifelsfrei von einem Kreuzstein zu sprechen ist, welcher einem Baumschäler oder Waldbauern gesetzt wurde.

Literatur:
1) Grabplatten und Handwerkerplatten, in: Deutsche Gaue, Jahrgang 6, Kaufbeuren 1904/05, S.53-65 (Abb.1)
2) Grimm, Jakob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1889, Band 13, Spalte 1783
3) Krügelstein, Dr.: Ueber die Schätzung der, durch die verletzenden Werkzeuge hervorgebrachten Wirkungen und deren Würdigung als äussere Veranlassung zur Lebensgefahr und Tödtlichkeit, in: Magazin für die Staatsarzneikunde, Vierter Band, Leipzig 1845, S.254
4) Grimm, Jakob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1893, Band 14, Spalte 967
5) Uhland, Ludwig: Der Mythus von Thor, Stuttgart und Augsburg 1836, S.208

(Pomniki dawnego prawa, Band 1, Mai 2008, S.25-29)

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