Deutschland Nordrhein-Westfalen Lkr. Borken

Unterortwick / OT von Wüllen


Blick auf die
Anlage

Detailaufnahme der
Doppelspirale

Abbildung bei
Brockpähler (1963)

PLZ: 48683

GPS: N 52° 4,699', O 6° 58,451'

Standort: 30m südlich der Kreuzung Ottensteiner Weg - Ralffeisenstraße, hier Hinweisschilder.

Größe / Material: 300 (einschl. Sockel):137:40 (mit Korpus) / Sandstein

Geschichte: In einer Waldlichtung, mit Nachbildungen (aus Beton) des "Gogerichts": großer Gerichtstisch mit eingraviertem großen Schwert und 4 Sitzen, beschrieben auf davorllegender Steintafel:
Als Wahrzeichen des Gerichts
"Toon Steenern Crüce"
wurde dieses Kreuz an alter
Stätte wiedererrichtet vom
Altertumsverein Ahaus 1909.
Das Nachgebildete Steinkreuz (das Original befindet sich im Landesmuseum Münster) auf einem Sockel 50:80:80cm, fast ohne Beschädigungen, fast ohne Verwitterungen. Am Zugangsweg: Sitzbank, und weiße Schrifttafel mit Aufschrift:
Gogericht "Toon Steenern Krüze" vermutlich altsächsische Thingstätte und Volksgericht. Hier an der Kreuzung der alten Heerwege Münster - Vreden und Munster - Deventer lag seit der Zeit der Christianisierung "Up den velde twisschen Ahaus, Wüllen und Wesshem tom negsten by dem staenden Steinen Cruitz" das Frei- und Femegericht, seit 1123 Lehen der Dynasten von Ahaus. Nach Verfall der Feme blieb die Stätte Herrschaftsgericht der Edelherren von Ahaus und Ottenstein.
1406 und 1408 gelangte die Gerichsstätte mit den Stadtgerichten Ahaus und Ottenstein in den Besitz des Fürstbischofs Münster und »von Hoya«. Seit 1570 Gogericht über die Kirchspiele Wüllen, Ottenstein und Älstätte. Das Fürstbischöfliche Gogericht bestand bis 1850, als in Ahaus das preußische Stadt- und Landgericht an seine Stelle trat. Das Original-Wahrzeichen des nach ihm benannten Gogerichts, ein Steinkreuz (12. Jahrhundert), befindet sich seit 1908 im Landesmuseum Münster.

Sage:

Quellen und Literatur:
recherchiert und bebildert von Benno Lux, Lünne
Brockpähler, Wilhelm - Steinkreuze in Westfalen, 1963, S.14-17
Brockpähler, Wilhelm - Wüllen, Bauerschaft Unterortwick



Wüllen, Bauerschaft Unterortwick

Rest des "Steinernen Kreuzes" von Wüllen-Unterortwick, Landesmuseum Münster

Das Landesmuseum in Münster besitzt den unteren Teil eines romanischen Kreuzes aus dem 12. Jahrhundert mit roh aus dem Stein herausgearbeitetem flachen Christusrelief ähnlich dem berühmten "Herrgott von Bentheim". Der ursprüngliche Standort war in der Bauerschaft Unterortwick der Gemeinde Wüllen, Kreis Ahaus, 350m nördlich vom Kreuzungspunkt der Hauptwege Ahaus - Ottenstein und Wüllen - Wessum (Meßtischblatt 3907 Ottenstein, Planquadrat 5772/2666 bei Höhe 47,1). Der Rest des Kreuzes lag zuletzt umgefallen an dieser Stelle, kam 1836 auf den Hof Lölver, von dort nach dem Gut Sonderhaus bei Ahaus (Besitzer Freiherr von Schorlemer-Alst) und von dort 1908 ins Landesmuseum Münster. Am ursprünglichen Standort wurde 1909 ein neues steinernes Kreuz nach dem Vorbild des Bentheimer "Herrgotts" errichtet. Der Kreuzstumpf ist aus Bentheimer Sandstein gearbeitet und 139cm hoch. Die Seiten des Schaftes messen in mittlerer Höhe 36x36cm; er ruht auf einem Würfelkapitell als Basis, ist im unteren Teil säulenförmig und geht allmählich in einen vierkantigen Pfahl über. Der Körper des Gekreuzigten ist von den Füßen bis zu den Hüften erhalten. Er ist mit einem bis über die Knie reichenden Schurz bekleidet und mit einem Strick gegürtet, dessen Enden lang herabhängen. Die Füße stehen auf einer gabelförmigen Stütze. An den beiden Seiten des Steins ist je eine Doppelspirale eingemeißelt. An vielen Stellen sind Wetz- oder Schabespuren sichtbar.
In seinem Buche "Der Herrgott von Bentheim" beschäftigt sich Krumbein eingehend auch mit dem "Kreuz von Barle", wie er es irrtümlich nennt. Aufgrund komplizierter Berechnungen kommt er zu dem Ergebnis, daß der fehlende, obere Teil des Denkmals aus Holz gewesen sein müsse. Nur eine solche, die Kopflastigkeit herabmindernde Lösung habe die Standfestigkeit des schweren Monumentes gewährleistet. Die drei Löcher am oberen Rande des Steins seien die Ansatzstellen für die Dübel, mit denen das Holzkreuz an dem steinernen Schaft befestigt gewesen sei. Diese Annahme muß stärksten Bedenken begegnen. Außer dem "Herrgott von Bentheim" gibt es noch weitere vergleichbare romanische Großplastiken, die ganz aus Stein gehauen sind, wie den "tausendjährigen Christus" in der Vorhalle des Domes zu Merseburg.
Die Entstehung des Kreuzes verlegt Krumbein "in die älteste romanische Stilperiode, deren Beginn in Norddeutschland um 1050 n. Chr. anzusetzen ist". Es sei damit eine Vorstufe des einige Jahrzehnte jüngeren Bentheimer Herrgotts und gehöre mit diesem der bedeutenden Bentheimer Bauhütte an, die durch Mönche des in der Grafschaft Bentheim begüterten Benediktinerklosters Werden schon im 11. und 12. Jahrhundert betrieben wurde.
Krumbein deutet beide Kreuze als Gerichtswahrzeichen, als "Hoheitszeichen des irdischen christlichen Gerichts". Dargestellt sei auf ihnen nicht der gekreuzigte Heiland, sondern "der lebende höchste Richter Christus". Mit den in den Stein eingemeißelten germanischen Heilszeichen, der Doppelspirale als Sonnensymbol und der gabelförmigen Fußstütze als Abbild der geknickten Irminsul, sei, ähnlich wie bei der Kreuzabnahme auf den Externsteinen, der Sieg Christi über das Heidentum symbolisiert.

Der "Herrgott von Bentheim"

Zu abweichenden Ergebnissen kommt Hermann Hagels in einem Aufsatz über die Anfänge der Bentheimer Sandsteinplastik im 12. und 13. Jahrhundert 1). Er lehnt den Zusammenhang der Bentheimer Werkstätten mit Werden ab und verlegt die Entstehung des Herrgotts von Bentheim, so wie es bisher wohl allgemein geschehen ist, in die Zeit um 1200, die des Wüllener steinernen Kreuzes in etwas frühere Zeit. Vor allem aber zeigt er, wie vor ihm schon Johannes Stracke 2), die starke Verwandtschaft der beiden Denkmäler mit ostfriesischen romanischen Grabplatten, und er kommt zu dem Schluß, daß alle diese, stark auf dem Volkhaften beruhenden und nicht der hohen Kunst zuzurechnenden Denkmäler Erzeugnisse einer Bentheimer Werkstatt oder Werkstattgruppe der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts seien, die "einen einmal angenommenen Typ immer wieder variierte". Auf den bei Hagels und Stracke abgebildeten Grabplatten - es ist auch der romanische Grabstein von Borghorst, Kreis Steinfurt, darunter - erscheint, wie auf dem Wüllener steinernen Kreuz, sehr oft als Schmuck die Spirale oder Doppelspirale. Sie ist, wie auch Krumbein annimmt, ein symbolhaftes Ornament aus vorchristlicher Zeit, spielt aber nicht nur in der germanischen Kunst der Bronzezeit eine große Rolle, sondern kommt - um nur zwei Beispiele zu nennen - bereits in der Jungsteinzeit auf bandkeramischen Gefäßen des Donauraumes und als beherrschendes Schmuckmotiv sogar in der Kunst der Maori auf Neuseeland vor 3). In der romanischen Plastik ist die Spirale, wie schon die Abbildungen bei Hagels zeigen, zum Teil mit Rankenmustern kombiniert, sehr häufig und wohl als reines schmükkendes Ornament aufzufassen.
Man wird also Krumbein nicht bis in alle Einzelheiten folgen können 4). Sicher ist, daß die beiden Reliefs in die Reihe der romanischen Kruzifixdarstellungen gehören, die aus dem Geiste der Zeit des endgültig gefestigten Christentums Christus als König und Herrscher darstellen und seinen Triumph über den heidnischen Götterglauben, der gewöhnlich durch Dämonen und Tiergestalten (Kreuzabnahme der Externsteine), vielleicht aber auch durch altüberlieferte magische Zeichen 5) symbolisiert wird.
Das Wüllener Kreuz war das Wahrzeichen des nach ihm benannten Gogerichts "Zum Steinernen Kreuz", zu dem die Kirchspiele Wüllen, Wessum, Alstätte und die Ahauser Bauerschaft Ammeln gehörten. Dieses Gericht war ursprünglich Eigentum der Edelherren von Ahaus, die es 1406 an den Fürstbischof von Münster abtreten mußten. Es bestand bis 1803. Nach einer bei Philippi wiedergegebenen Beschreibung von 1571 tagte dieses Gericht zur Abhaltung der "Goedinge", also der großen ordentlichen Gerichtssitzungen, dreimal im Jahre "up den velde twisschen Ahuiss, Wullen, Wesshem torn negsten by dem staenden steinen cruitz", und zur Behandlung von bürgerlichen und anderen kleineren Sachen nach dem Gefallen des Richters in Ahaus oder den Dörfern Wessum oder Wullen. - Wegen des Alters dieser Gerichtsstätte und ihrer zentralen Lage im Mittelpunkt der alten Herrschaft Ahaus und der Urpfarre Wessum, von der - unmittelbar oder mittelbar - Wullen, Ahaus und Alstätte abgepfarrt worden sind, vermutet man hier eine alte Kultstätte, deren Tradition das Gericht mit seinem "steinen cruitz" weitergeführt hätte. Wenn bisher auch kein Versuch gemacht worden ist, diese Annahme zu beweisen, so spricht doch manches dafür: Der Platz liegt an der Kreuzung zweier ehemals bedeutender Wege. Der von Süden nach Norden führende ist der alte "Demter" oder Deventer Hellweg, der von Gescher kommt und über Wessum - Alstätte nach Holland läuft. Bis zur Abpfarrung, die erst im 13. Jahrhundert erfolgte, war er gleichzeitig Kirchweg von Wullen zur Urpfarre Wessum. Einen Kilometer südöstlich vom Kreuz sind beim heutigen Wüllener Kalkwerk 1959 an diesem Wege römische Scherben gefunden worden. - In der Nähe des Kreuzes muß der Demter Weg zwei weitere alte Straßen geschnitten haben: Schöppingen - Ahaus - Ottenstein - Vreden und Epe - Wessum - Stadtlohn.
Das Kreuz steht in der Flur "Flor", dem Quellgebiet der beiden Flörbäche, die in die Ahauser Aa fließen; etwas weiter südlich entspringt ein dritter Bach, der Sticktebach. Die Voraussetzungen dafür, daß hier ein alter Versammlungsplatz gewesen ist, sind also gegeben. (Vgl. die Kartenskizze)

Lageplan des Gerichts zum steinernen Kreuze zwischen Wessum und Wüllen
Nach dem Urkataster von 1827 im Katasteramt Ahaus, Wege aus der Teilung der Wüllener Mark 1840.
Der Gerichtsplatz lag im Heidegebiet der Wüllen-Wessumer Mark am Demeter oder Deventer Hellweg inmitten des Quellgebietes der Flörbäche. Das jetzt verschwundene Haus Steveding war zu verschiedenen Zeiten im Besitz des jeweiligen Richters. Stickte, Flör und Schüttenfeld sind Teile der Mark.

Literatur:
Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Kreis Ahaus, bearb. v. A. Ludorf f, Münster 1900, S.3, Anm. 6 und S.99.
Burkhard Meier, Das Landesmuseum der Provinz Westfalen in Münster, Band I, Die Skulpturen, Berlin 1914, Nr. 7/Taf. II, u. S.14.
F. Tenhagen, Gesammelte Abhandlungen zur Vredener Geschichte, Coesfeld 1939, S.165.
Aus alter Zeit, Beil, zum Ahauser Kreisblatt, Jg.l, 1903, Nr.9; Jg.7, 1909, Nr.7, Nr.9.
Carl Krumbein, Der Herrgott von Bentheim. Veröff. d. Nieders. Amtes für Landesplanung und Statistik, zugleich Bd. 46 d. Schriftenreihe "Das Bentheimer Land", Bremen-Horn 1956, S.31-39 u. 44-47.
F. Philippi, Landrechte des Münsterlandes, Münster 1907, S.154f. - Vollständiger Wortlaut des Berichts im Staatsarchiv Münster, Manuskr. des Alt. Ver. 147.
Die Angaben über die Örtlichkeit machte Kreisheimatpfleger Lehrer Schulze-Spüntrup, Ahaus.

1) Hermann Hagels, Die Anfänge der Bentheimer Sandsteinplastik im 12. und 13. Jahrhundert, in: Jahrb. des Heimatvereins der Grafschaft Bentheim, 1958, S.23ff.
2) Johannes Stracke, Romanische Bildnisgrabsteine in Ostfriesland, in: Jahrb. der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden, 1954, S.88.
3) Kleine Kunstgeschichte der Vorzeit und der Naturvölker, hrsg. von Hans Weigert, Bd. I, Stuttgart 1956, besonders S.67, 91, 96, 289f, 322.
4) Von den Rezensenten des Krumbein'schen Werkes (Niedersachsen 1956 H. 4, o.N.; Niedersächsischer Landesdienst 13.8.1956, o.N.; Theologie u. Glaube, Paderborn 1959 H. l, A. Fuchs) äußert sich Herrn. Borchers (Osnabrücker Mitteilungen Bd. 68, 1959) sehr kritisch gegenüber der Methode des Verfassers, das Denkmal mit Hilfe einer "ausgeklügelten Zahlenarithmetik zu definieren, zu deuten, zu datieren". Die Entstehung des Herrgotts von Bentheim verlegt er in die Zeit um 1200.
5) G. Wagner S.29.

(Brockpähler, Wilhelm - Steinkreuze in Westfalen, 1963, S.14-17)


Sühnekreuze & Mordsteine