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Beutha (I - III)
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Beutha I Beutha II Beutha III

Zustand 2004
Foto: Gerth

Abbildung bei
Kuhfahl (1928)

Der Räuber
Nicol List

Standort der drei
Denksteine auf einer
Kupferstichkarte von
Matth. Seutter
(um1750)

Standort der drei
Denksteine auf einer
Kupferstichkarte von
Reilly (um1790)

PLZ: 09366

GPS: N 50° 39,740', O 12° 43,337'

Standort: An der Innenseite der Friedhofsmauer.

Geschichte: Die beiden Steinkreuze sind jetzt anders angeordnet: Die Steinplatte ist an den rechten Rand versetzt worden.

Benennungen: Alle drei Steine zusammen "Nicol-List-Steine", auch "Nickel-List-Steine" oder "List-Steine".
Die Inschriften der Steine berichten - übereinstimmend mit Quellen - vom Leben und von der Hinrichtung des berüchtigten Räubers Nicol List (1654-1699) sowie vom gewaltsamen Tod zweier seiner Opfer 1696.
Bis 1930 war der Standort an der Dorfstraße vor Haus 58b, wo früher Lists Haus gestanden haben soll; dann bis 1945 in der Toreinfahrt zum Friedhof. 1954 ließ Pfarrer Oelsner die Steine bei der Instandsetzung der Friedhofsmauer in der Nische aufstellen und mit Eisenklammern befestigen.
Ungünstiger Standort: Die Steine sind Witterungseinflüssen zu stark ausgesetzt. Rückversetzung in die Toreinfahrt zum Friedhof mit dem Rat der Gemeinde Beutha vereinbart. (Wendt 1979)

   Die metergroße Schieferplatte und die 2 Sandsteinkreuze künden durch beiderseits angebrachte Inschriften aus dem Jahre 1699 vom ruchlosen Leben und der Hinrichtung des berüchtigten Räubers Nicol List, sowie vom gewaltsamen Tode zweier seiner Opfer. Das Schriftwerk ist heute leider auf allen sechs Flächen bis zur Unleserlichkeit verwittert und beschädigt. Glücklicherweise findet sich der Wortlaut samt dem Testament und der Lebensbeschreibung jenes verbrecherischen Dorfgenossen im Abschnitt Beutha von Sachsens Kirchengalerie vollständig erhalten. Der Verfasser Pastor Neubert zu Beutha, hat neben den 3 Denksteinen auch die Akten des Amtes Hartenstein als Quelle benutzt. Da die Kreuze, ebenso wie die Geschehnisse, bisher in der Forschung weitestgehend unbeachtet geblieben sind, sei der Hauptabschnitt des kulturgeschichtlich interessanten Berichtes wiedergegeben:
   Nachdem der Unterachtsproceß wider Nicol List gänzlich absolviret, dieser auch zu Celle wegen seiner begangenen und gestandenen bösen Thaten justificiret und sein in der Beutha gehabtes Haus gänzlich demoliret worden, sind auf die Stelle, wo das Haus gestanden, 3 Steine gesetzt worden.
   Der 1ste, nehmlich der mittelste (rechteckige Steinplatte), hat folgende Aufschrift:
a) Auf der vorderen Seite: An diesem Orte hat gewohnt, der weltbekannte Dieb, Kirchenräuber und Mörder Nicol List, von Waldenburg bürtig, welcher in der Johannisnacht 1696 von einer aus dem Amte Hartenstein nach ihm geschickten Folge den einen Landschöppen, Christoph Kneuffler, und Gottfried Eckhardt, einen Bürger und Fleischer aus Hartenstein, jämmerlich erschossen und darauf die Flucht ergriffen. Auf der gnädigen Herrschaft zu Hartenstein Befehl ist das hier gestandene Listische Haus gänzlich niedergerissen und wider den flüchtigen Mörder mit der Acht verfahren worden.
b) Auf der hinteren Seite: Nachdem nun Nicol List den 9. November 1697 wegen der beiden hier begangenen Mordthaten zu Hartenstein in die Acht erklärt worden, ist er den 29. Juli 1698 wegen anderer Uebelthaten zu Greiz im Voigtlande gefänglich eingekommen und von da nach Hof geführt, hiernächst aber, ob ihm gleich daselbst schon ein scharfes Todesurteil gesprochen gewesen, dennoch, weil er zu Lüneburg die kostbare güldene Tafel berauben helfen, erst nach Celle gebracht, aber er wegen bekannter vieler wichtiger Diebstähle, Neue Kirchenräube und dieser zwei Mordthaten den 23. Mai 1699 seinen Lohn empfangen, da er von unten auf mit acht Schlägen zerschmettert, ihm noch lebend der Kopf mit dem Beil abgehauen, selbiger auf einen hohen Pfahl genagelt, der todte Körper aber auf einem Scheiterhaufen zu Pulver verbrannt worden.
   Der 2te Stein, zur rechten Hand, in Form eines Kreuzes, hat folgende Aufschrift:
a) Auf der einen Seite: Christoph Kneuffler, Land- und Gerichtsschöppe zu Hartenstein, ist allhier in der Johannisnacht 1696 von Nicol Listen mit einer ins Gevierte gespaltenen Kugel erschossen und den nächsten Sonntag darauf zu Hartenstein ehrlich begraben.
b) Auf der anderen Seite: Dieser ehrliche Mann ist 50 Jahr und 27 Wochen alt gewesen, hat eine betrübte Witwe und Vier Kinder, nehmlich 3 Söhne ind 1 Tochter, hinterlassen.
   Der 3te Stein zur Linken (Kreuz), führt folgende Aufschrift:
a) Auf der einen Seite: Gottfried Eckhardt, Bürger und Hoffleischer zu Hartenstein ist allhier in der Johannisnacht 1696 von Nicol Listen mit zwei metallenen Kugeln erschossen und den nächsten Sonntag darauf zu Hartenstein ehrlich begraben.
b) Auf der anderen Seite: Dieser Mann ist 34 Jahr und 34 Wochen alt gewesen, hat eine arme betrübte Witwe und 3 kleine unerzogene Kinder, 2 Söhne und 1 Tochter, hinterlassen.
   Alle drei Steine lehnen heute in der Ausgußpfütze am Gartenzaun deselben Grundstücks, auf dem das Haus des List einst gestanden haben soll; ihre Unterbringung an geeignetem Platze ist zum Schutz der Inschriftreste dringend zu empfehlen. (Kuhfahl 1928)

Sage: Nikolaus List, gewöhnlich nur Nickel List genannt, einer der berüchtigsten Räuber am Ende des siebzehnten Jahrhunderts, lebte in Beutha unweit Hartenstein, unter der Firma eines Gastwiths. Bei seiner Gefangennehmung schoß er zwei Hartensteiner nieder, ward aber doch ergriffen, den 22.Mai 1699 gerädert, geköpft und dann verbrannt. Sein Haus machte man der Erde gleich und setzte darauf eine Schandsäule. Die erschossenen Bürger aber erhielten Benksteine mit Inschriften. (Ziehnert 1886)

Quellen und Literatur:
DYNASTIN COMITAT-SCHOENBURGICI PENIG, REMISSA, ROCHSBURG, WECHSELBURG..., Kupferstichkarte von Tob. Con. Lotter nach Matth. Seutter, um 1750
GRAFSCHAFT SCHÖNBURG SÜDLICHER THEIL..., Kupferstichkarte von Reilly, um 1790
Nickel List und seine Gesellen (1698-1700), in: Der neue Pitaval, herausgegeben von Criminaldirektor Dr. J.E. Hitzig und Dr. W. Häring, 1843, S.247-387
Neubert - Sachsen Kirchengalerie, Dresden 1843, 12.Band, Lieferung 6, S.23
Ziehnert, Widar - Sachsens Volkssagen. Balladen, Romanzen und Legenden, Vierte Auflage, Annaberg 1881, Nr.122, S.524
Straumer, Friedrich - Nikol List, der "Erzdieb", Kirchenräuber und Mörder, in: Allerlei aus dem Erzgebirge, Annaberg 1893, S.77-81
Hülsen, Hans von - Nickel List. Die Chronik eines Räubers, Reclam 1925
Landmann, Dr. Georg R. - Nickel List, ein Freibeuter des 17. Jahrhunderts im Erzgebirge, in: Der Heimatforscher, Nr.2, Januar 1925, S.9-15
Kuhfahl, Dr. G.A. - Die alten Steinkreuze in Sachsen, 1928, Nr.14, S.138-143
Kuhfahl, Dr. G.A. - Die alten Steinkreuze in Sachsen, Nachtrag, 1936, Nr.18
Rößler, Horst - Nicol List, der Räuberhauptmann aus Beutha, in: Der Heimatfreund für das Erzgebirge, Heft 11/1965 - Heft 3/1966
Wendt, Hans-Jochen - Steinkreuze und Kreuzsteine in Sachsen / Inventar Bezirk K.-M.-Stadt, 1979, S.143-146
Bengen, Etta - Nickel List, in: "Wo Zwerge und Riesen hausten - Mit Sagen und Geschichten die Region Uelzen erleben", 1999, S.65
Pleß, Corinna - Nickel List, 1995
aktuelle Aufnahme Paul Basler, Schwarzenbach / Saale (Fotos von Mai 2008)
Ergänzungen von Sven Gerth, Pfaffroda (Foto von April 2004)



Beutha (I)
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Abbildung bei
Wendt (1979)

Größe / Material: 47:52:10 / Schiefer

Geschichte: Auf der Abbildung bei Wendt (1979) ist die jetzige Rückseite noch die Ansichtsseite. Kuhfahl (1928) gibt als Material fälschlicherweise Sandstein an.

Kreuz mit einander rechtwinklig kreuzenden Balken, Kopf, Schaft und SW-Arm zum Teil abgeschlagen, NO-Arm gerundet. Reste eines umfangreichen Textes auf beiden Seiten (Wortlaut siehe Kuhfahl 1928), auf der NW-Seite fast nichts mehr davon zu erkennen. Sehr stark verwittert, Teile abgeschlagen. (Wendt 1979)

Sage:

Quellen und Literatur:
Kuhfahl, Dr. G.A. - Die alten Steinkreuze in Sachsen, 1928, Nr.14
Kuhfahl, Dr. G.A. - Die alten Steinkreuze in Sachsen, Nachtrag, 1936, Nr.18
Wendt, Hans-Jochen - Steinkreuze und Kreuzsteine in Sachsen / Inventar Bezirk K.-M.-Stadt, 1979, S.143-146



Beutha (II)
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Abbildung bei
Wendt (1979)

Größe / Material: 63:58:10 / Schiefer

Geschichte: Kreuz mit einander rechtwinklig kreuzenden, etwa gleichlangen Balken, Kopf und Arme gerundet. Stark verwittert. (Wendt 1979)

Sage:

Quellen und Literatur:
Kuhfahl, Dr. G.A. - Die alten Steinkreuze in Sachsen, 1928, Nr.14
Kuhfahl, Dr. G.A. - Die alten Steinkreuze in Sachsen, Nachtrag, 1936, Nr.18
Wendt, Hans-Jochen - Steinkreuze und Kreuzsteine in Sachsen / Inventar Bezirk K.-M.-Stadt, 1979, S.143-146



Beutha (III)
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Größe / Material: Schiefer

Geschichte: Den beiden Kreuzen zu Beutha schließlich, die selbst zweiseitige Inschriften aufweisen, ist der erklärende Bericht auf einer großen Steinplatte beigegeben, so daß wir strenggenommen unter 300 sächsischen Steinen nur hier eine einwandfreie Überlieferung von Ursprung und Bedeutung vor uns haben. (Kuhfahl 1928)

Sage:

Quellen und Literatur:
Kuhfahl, Dr. G.A. - Die alten Steinkreuze in Sachsen, 1928, S.165



Heimatlicher Pitaval
Nicol List,
der Räuberhauptmann aus Beutha

von Horst Rößler

Die wichtigste Quellenschrift über den Prozeß gegen die List-Bande

Vor mir liegt ein dicker Foliant, in Leder gebunden, mit vergilbten Blättern und verschnörkelten Druckbuchstaben. Das über 250 Jahre alte Buch berichtet von einem denkwürdigen Kriminalfall und Gerichtsprozeß, von einer in ganz Deutschland berüchtigten Räuberbande, von einem der raffiniertesten Einbrecher, vom Räuberhauptmann Nicol List aus Beutha.
Das alte Buch trägt den anspruchsvollen Titel "Fürtreffliches Denck-Mahl der Göttlichen Regierung" und erzählt nicht nur, wie die Diebe der "Güldenen Tafel" entdeckt, "sondern zugleich mit demselben die Rotte im gantzen Teutschland hochberufener Diebe entdeckt und der Kirchenräuber und Ertzdieb Nickel Listen gefangen".
Da der Verfasser dieser alten Schrift der Hauptpfarrer Hosemann aus Celle ist, der während des Prozesses Lists Beichtvater war, strotzt das Buch von zahlreichen Moralpredigten, und am Ausgang der Sache wird daran das "Walten der Göttlichen Regierung" bewiesen. Über das Leben und die Untaten des Nicol List ist bereits viel geschrieben worden, Wahres und Unwahres, Romane und Schauergeschichten, Theaterstücke und Puppenspiele. Versuchen wir nun, ein wahrheitsgetreues Bild seines Lebens zu entwerfen, das wir in die richtige historische Umgebung stellen wollen.
Am 9. März 1698 stellt der Küster der Klosterkirche St. Michaelis zu Lüneburg mit Erschrecken fest, daß sich das Schloß an der sogenannten "Güldenen Tafel" nur schwer öffnen läßt. Als er es endlich aufbringt, sieht er, daß alle Kostbarkeiten, Gold, Silber und Edelsteine, gestohlen sind ...
Die weltberühmte "Güldene Tafel" war ein Schrein mit Fächern, der hinter dem Altar stand und wertvolle Kostbarkeiten und Reliquien enthielt. Das Kunstwerk sollte der Überlieferung gemäß aus der Zeit stammen, als Kaiser Otto II. die Sarazenen besiegte. Der Chronist Henricus Bünting berichtet darüber: "... In demselben Jahr hat auch der junge Kaiser Otto II. in Welschland seine erste Ritterschaft bewiesen, die Sarazenen, die in Italien eingefallen waren, des Landes vertrieben und als Beute das Gold und die Edelsteine für die 'Güldene Tafel' nach Lüneburg gebracht." Auch Heinrich der Löwe soll die Kostbarkeiten mit weiteren Edelsteinen ausgestattet haben.

Die Quellenschrift des Pfarrers Hosemann über die Räuberbande des Nicol List hat einen stark dramatischen Gehalt, den zweifellos Schiller in seinen "Räubern" verwandte.
Der erste Teil des Titelbildes zeigt einen Raubüberfall unter dem Motto "Gewonnen", der zweite das fröhliche Zechen der Bande in der Räuberschenke zu Stedten unter "Zerronnen", das dritte Bild das Gefängnis unter "Gefangen" und zuletzt den "Rabenstein" in Celle mit den gerichteten Räubern unter der Überschrift "Gehangen". Darüber ist jeweils wie bei einem vieraktigen Drama gesetzt: Trifurum, Comico, Tragoe, Dia

Der Diebstahl von 1698 umfaßte all diese Goldgegenstände sowie etwa 200 Edelsteine. Daß der Diebstahl - der wohl drei Nächte vor dem Sonntag Estomihi geschehen sein mußte - so frühzeitig entdeckt wurde, war nur dem Zufall zu verdanken, daß Fremde die "Güldene Tafel" sehen wollten. Man stand vor einem Rätsel, alles war wohl verschlossen gewesen und war auch nach dem Raub wieder zugeschlossen, die große, mit Eisen beschlagene Kirchtür, das eiserne Gitter des Chores und der komplizierte Schloßmechanismus des Schreines. Die Räuber hatten keine Spur hinterlassen. Da in der letzten Zeit mehrere solcher geheimnisvollen Diebstähle vorgekommen waren, verbreitete sich Entsetzen: "... wenn man wohl sah, daß für solche Räuber man nicht würde bei den Seinen sicher sein, da selbige durch die festesten Schlösser dringen..."
Das Gericht von Lüneburg traf die ersten Maßnahmen zur Ergreifung der Täter: Steckbriefe wurden nach Hamburg, Stralsund, Bremen, Wismar und Rostock entsandt sowie alle Juweliere und Goldschmiede verständigt.
Bald zeigten sich doch die ersten Spuren. Der große Raub in Lüneburg wurde der Schlüssel zur Vernichtung einer der größten Räuberbanden, die es je in Deutschland gegeben hatte, und endete mit der Ergreifung des berüchtigten und seit Jahren flüchtigen Räuberhauptmanns Nicol List aus Beutha.
Wer war dieser Nicol List? Was hatte er zu dieser Zeit schon in unserer Heimat auf dem Kerbholz?
Zu Ostern 1696 wurde bei dem reichen Pachtmann des Erblehngerichtes zu Kleinrückerswalde ein schwerer Einbruch verübt. Aus einem Gewölbe wurden viele Kostbarkeiten gestohlen, darunter viele Gold- und Silbersachen, Edelsteine und Perlen, elf Becher und nicht weniger als 25 Ringe. Der Richter Hubert führt die ersten Untersuchungen. Die Hufeindrücke von fünf Pferden werden festgestellt und nun die Verfolgung der Räuber aufgenommen. Die Spur führte an Annaberg vorbei, verlor sich jedoch bei Hermannsdorf im großen Geyrischen Wald. Und da der Wald gefürchtet war und die Dämmerung graute, kehrte der Richter mit seinen Gefährten um.
Aber die Spur war nicht verloren. So hörte man anderen Tages von Leuten, daß der Pferdehändler Nicol List aus Beutha am Sonnabend vor Ostern mit vier anderen gen Annaberg geritten sei. Sollte Nicol List der Räuber sein, von dem man allerhand Böses munkelte, der jedoch in Beutha als Ehrenmann galt?
Der Verdacht wurde stärker, als ein ehemaliger Kriegskamerad Lists, der Dragoner Sammel Schubert vom kurfürstlich-sächsischen Dragonerregiment "Flemming", zu Protokoll gab, daß er mit List in die Bierstube des Apothekers an der Stollberger Kirche eingekehrt sei, wo ihm List von den Schätzen des reichen Pächters in Kleinrückerswalde erzählt und ihn zum Mitmachen aufgefordert habe.
Nun erstattete der Richter Hubert im Hartensteiner Amt Anzeige gegen Nicol List, der seit 1680 in Beutha als Pferdehändler lebte. Über Lists Herkunft und sein bisheriges Leben wird noch später zu berichten sein.
Nicol List, der "Schwarze Nickel", war in der ganzen Gegend gut bekannt. Als Pferdehändler war er viel ortsabwesend, und wenn er daheim war, hatte er viel Besuch. Das wurde mit seinem Beruf begründet, und im Ort gab er sich stets als feiner Mann aus, besuchte regelmäßig die Kirche, galt als fromm und belesen. Der Pfarrer stellte ihm das beste Zeugnis aus.
Trotzdem hatte es beim Hartensteiner Amt schon viele Klagen und Beschwerden gegen List gegeben, die bisher nie aufgeklärt worden waren. Im Volke munkelte man: List steht mit dem Teufel im Bunde!
Die Anzeige des Richters Hubert schien dem Hartensteiner Amtmann Schonheim nun doch auszureichen, um etwas gegen List zu unternehmen. Da der Amtmann durch einen Spitzel erfuhr, daß List beabsichtigte, am nächsten Morgen nach Berlin zu reisen, entschloß er sich, sofort zu handeln und den "schwarzen Nickel" in Haft zu nehmen. 17 bewaffnete Hartensteiner Bürger unter Führung des Landrichters Johann Zechendörfer wurden aufgeboten, um List nachts in seinem Haus zu verhaften. Die biederen Hartensteiner gingen an diese Aufgabe nicht gerade leichten Herzens heran.


Beutha mit Kirche

Die Johannisnacht des Jahres 1696 war dunkel und schwül. Kein Lichtschein war im Dorfe Beutha zu sehen, als nachts gegen zwölf das Haus des Nicol List umstellt wurde.
Zechendörfer dringt mit einigen Bürgern und dem Landsknecht, der schon eine Kette zum Fesseln bereithält, in das Schlafzimmer ein, läßt List, der in "Hosen und Brustlatz" im Bett lag, auch noch auf einen Stuhl setzen, damit er sich Strümpfe, Schuhe und Rock anziehen kann. Diese Gelegenheit benutzt der schlaue Nickel zum Handeln. Zuerst gibt er seiner Frau die Weisung, sein Knecht Michel solle doch das Pferd satteln, damit er den Weg nach Hartenstein nicht zu Fuß machen müsse. Darüber entspinnt sich ein Streit, denn der Landrichter will das dem Gefangenen nicht gestatten. List wird sehr zornig, sagt, er wolle den sehen, der ihm das Reiten verwehren wolle, greift hinter das Bett nach seinen Pistolen und schießt. Dieser Schuß richtet große Verwirrung an. Der Richter hatte sich beim Schuß sofort "verloren", wie der Bericht vermeldet. Aber der Landschöppe Kneufler war tödlich getroffen worden. List stürmte die Treppe hinunter, schoß dort noch einmal unter die Wachmannschaft, die in alle Winde zerstob. List bestieg in dieser Verwirrung sein Pferd und ritt davon. Durch den zweiten Schuß war der Hartensteiner Hoffleischer Gottfried Eckhardt getötet worden, wogegen Kneufler erst nach einigen Stunden sein Leben aushauchte.

Durch diese Bluttat in der Johannisnacht 1696 in Beutha wurde List unstet und flüchtig. Der Amtmann schickte Steckbriefe mit der Personenbeschreibung Lists in alle vier Himmelsrichtungen. List wird beschrieben als "niederstämmiger Mann, blunschlichten (aufgedunsenen) Gesichtes, mit schwarzen Haaren und ziemlich großem Zwickelbart."
Der "schwarze Nickel" ist nun das Tagesgespräch in den Schenken und Bauernstuben. Er wird zur legendären Gestalt, zur Verkörperung des Bösen, zum Kinderschreck. Viele trauen sich nicht mehr in die Wälder. Alle Untaten werden ihm zugeschrieben.
Viele Nachrichten treffen ein, viele falsche und wenige richtige. Die einen sagen, er hätte sich bei seinem Freund Caspar Stark, dem Wirt des "Promnitzers", versteckt, andere behaupten, er sei bei Christoph Kunze in Dorfchemnitz, wo sich gern "allerhandt loß gesindel" aufhalte. Am 13. Juli 1696 wird tatsächlich Lists Pferd bei Oberdorf eingefangen.
Das Begräbnis der beiden ermordeten Hartensteiner Bürger und weitere Untersuchungen in Beutha beschäftigten das schönburgisch-hartensteinische Gerichtswesen und die gesamte Öffentlichkeit stark. Langwierige Verhöre begannen. Vernommen wurden die Frau Lists, seine Tochter, sein Knecht, seine Magd und noch viele Beuthaer Einwohner. Vieles kommt dabei zur Sprache; von einer angeblichen Mordtat im Listschen Hause, von einer Schlosserwerkstatt, von vielen Diebesgesellen usw.
Aber die Frau Lists bestreitet hartnäckig, von den Untaten ihres Mannes etwas gewußt zu haben. Sie kenne keine Diebesgesellen, die Kameraden ihres Mannes haben sich untereinander nur mit "Bruder" angeredet und seien sehr freundschaftlich zueinander gewesen.

Das historische Gasthaus "Promnitzer" in Oelsnitz an der "Hohen Straße" zwischen Lichtenstein und Lößnitz. Hier wohnte Lists Bundesgenosse Caspar Stark, damals Wirt dieser einsam gelegenen Schenke


Frau Margarete List, damals 36 Jahre alt, wurde schließlich, obwohl sie schwanger war, in Hartenstein in Haft genommen. Am 11. Oktober 1696 wurde sie im Gefängnis von einem Knaben entbunden. Da sie aber weiterhin leugnete, wurde sie am 26. November gefoltert. Früh um 3 Uhr wurde sie in der Marterkammer dem Scharfrichter übergeben.
Das Protokoll berichtet:
"Als sie der Scharfrichter angegriffen und nach Vorzeigung seiner peinlichen Instrumente ausgezogen, hat sie grausam lamentiert, vielfältig Gott zum Zeugen angerufen ... sie wüßte von nichts. Als ihr nun der Scharfrichter die Daumenstöcke angelegt und dieselben zugeschraubt, hat sie jämmerlich geschrieen ..."
Margarete List bekannte nichts und wurde schließlich im Dezember 1696 aus der Haft entlassen. Im Januar 1697 brachte sie der Bauer Hans Fankhänel mit seinem Wagen nach Gera. Die Frau wollte dann mit ihren Kindern über Leipzig in ihre Heimat reisen. Über das weitere Schicksal dieser standhaften Frau, die bei den Untaten ihres Mannes wohl nicht beteiligt war, ist nichts bekannt.
Das Gericht in Hartenstein kommt in den nächsten Monaten nicht mehr zur Ruhe. Ist irgendwo gestohlen worden und wird ein Toter aufgefunden, so wird vermutet, Nicol List sei im Spiel gewesen. Alle nicht aufgeklärten Kriminalfälle der letzten Jahrzehnte werden auf sein Konto geschrieben. Allerdings kommen einige Vorfälle ans Tageslicht, die bestimmt mit Lists "zweitem Leben", nämlich seiner Verbrechertätigkeit, zusammenhängen.
Da die Steckbriefe nichts fruchteten, wurde List schließlich mit der Acht gedroht und eine öffentliche Vorladung überall angeschlagen. List solle sich am 3. November 1696 in Hartenstein stellen. Da nichts geschieht, wird ein neuer Termin auf den 26. Januar 1697 festgesetzt. Einige Tage zuvor gelangt tatsächlich ein Brief Lists an das Gericht, in dem er dreist freies Geleit verlangt. Da er den Schneeberger Dr. Zilling als seinen Anwalt angibt, muß der Gesuchte ganz in der Nähe sein!
Aber List stellt sich nicht; ein dritter Termin, der 15. Juni 1697, verstreicht. Der Schöppenstuhl zu Leipzig beschließt nun, List in die Acht zu tun. Das Urteil über die Acht muß dreimal in drei Ländern nach altem Recht verkündet werden.
Am 9. November 1697 wurde auf dem Hartensteiner Markt das Acht-Urteil gegen List nach altem Zeremoniell ausgerufen: Keiner darf ihn nun aufnehmen oder verpflegen, er ist vogelfrei, jeder darf ihn töten.
Nach der Urteilsverkündung stand der Richter auf, steckte sein Schwert, das er während der Urteilsverkündung gezogen hatte, wieder in die Scheide, zog seinen Handschuh aus und stieß seinen Stuhl an. Das gleiche taten die Landschöppen. Das Gericht war beendet. Aber nicht der Kriminalfall List; der Langgesuchte war wie vom Erdboden verschwunden.





Der erste Bandit aus Lists Bande, der hinter Gittern saß: Christian Schwancke aus Hamburg

Christian Müller
Christian Müller war einer der hartgesottensten Räuber, damals zum Prozeß 33 Jahre alt, stammte aus Stolpen, war oft Soldat gewesen und genauso oft desertiert. "Seine Diebereien waren fast unzählig." Pferde, Kühe, Geld und Wertsachen hatte Müller gestohlen, selbst seinen Herrn und Meister Nicol List hatte Müller in Raum beraubt. Sogar die Folter störte Müller wenig. Er war wie List "fest", wie die Banditen sagten. Bei der Tortur stellte man fest, daß Müller kleine Pillen im Munde hatte, man vermutete Opium. Müller leugnete zunächst alles trotz härtester Tortur und Gegenüberstellungen. Erst sehr spät legte Müller ein Geständnis ab. Seine Liste an Verbrechen war schier endlos, viel länger noch als die von List. So hatte er auch viele Raube ausgeführt, an denen List unbeteiligt war. Müller endete auf dem Rad.

Andreas Schvvartze
Schwartze stammt aus der Weimarer Gegend, war lange Zeit Soldat gewesen, vor allem in Brabant und hatte in Leipzig im Streit einen Handwerksgesellen erstochen. Da Schwartze leugnete, wurde er beim Prozeß mit einem Spezialinstrument gefoltert. Dieses sogenannte "Mecklenburger Instrument" drückte die Daumen und die großen Zehen der Füße so zusammen, daß der Gefolterte jämmerlich schrie und alles gestand. Er berichtete, daß er nach diesem Totschlag inhaftiert gewesen, jedoch dann geflohen, bei Stedten sich den Fuß verrenkt und dadurch Kontakt zu List erhalten.

Michael Kayser
Der Bandit Kayser war zunächst entflohen und wurde steckbrieflich gesucht. Schließlich wurde Kayser in seinem eigenen Haus in Wunstorf ertappt. Er war in diesem Ort Braun- und Honigkuchenbäcker, damals 29 Jahre alt, hatte auffallend gelbrotes Haar und war als Schläger und Spieler bekannt. Man erzählte, daß er, wenn er im Spiele gewann, das Fenster öffnete und Geld mit folgenden Worten hinauswarf: "Da Teufel, hast du auch etwas davon!"

Gideon Perrmann

Der Hehler Jonas Meyer

Der "Gardereiter" Jürgen Kramer
Kramer war der Sohn des Kellerwirtes zu Wunstorf. Nach seiner Verhaftung bekannte er bald, als Dieb und Hehler mit beteiligt gewesen zu sein. Das rettete ihn jedoch nicht, er wurde geköpft und sein Haupt auf einen Pfahl gesteckt. Auch er war von "Kriegskameraden" verleitet worden.

Andreas Lucy,
der "Drachenstüber".
Lucy stammte aus Frankenhausen. Man nannte ihn den "Drachenstüber", weil seine Mutter, die den "Drachen" gehabt haben sollte, zu Ballenstedt als Hexe verbrannt worden war. Der Drachenstüber bekannte seine Missetaten auch ohne Tortur und gab die Namen vieler Helfer und Mitwisser bekannt, darunter auch die Handwerker, die die Diebeswerkzeuge hergestellt hatten. Er nannte aber auch Namen wie die "Vogel-Liese", den "Dukatentoffel", die "Berlinsche Dore", deren Mann in Berlin hingerichtet war, und die "Wiener Lene", die damals in Celle "Kaffee schenkte und im Hurenhaus wohnte".

Samuel Löbel
(genannt Schmuel)
Löbel stammte aus Polen und war Feldscher bei den Soldaten gewesen. Er war sehr eitel. Es hieß: "Wie er noch unter den Gaudieben in seinem Wohlstand war, trug er eine schwarze Perücke, im linken Ohre eine Perle, einen lichtbraunen Rock nebst einer blauen damastenen Weste mit Gold bordiert, blaue Strümpfe, ein mit Silber beschlagenes spanisches Rohr und an demselben ein rotes Band mit goldenen Fransen. Er ritt ein schönes braunes Pferd." Löbel gab viele Verbrechen zu, darunter viele, von denen das Gericht das erstemal hörte.

Der "Gardereiter"
Christoph Pante
Pante hatte in vielen Kriegszügen das Morden, Plündern und Rauben gelernt. "Dem Saufen war er fast ergeben, dabei er sich leicht erzürnte und schrecklich fluchte." Pante wurde nach vielen Irrfahrten ergriffen und verriet seinen Kumpanen, den Gardereiter Jürgen Kramer. Beim Verhör äußerte Pante, "man solle doch erst die großen Diebe bestrafen, die vom unrechten Gelde leben und in Schlössern und Palästen bankettieren".

Hoschenek
Der Räuber und Hehler wurde erst am 27. April 1699 in Hamburg ergriffen. Schon dort versuchte er, wieder zu entfliehen. Während des Prozesses organisierte er mit großer Schlauheit einen Ausbruchsversuch. Er ließ Braunbier und Zucker holen und mischte in das Getränk ein Gift vom Stechapfel ein. Damit wollte er seine Wächter einschläfern bzw. umbringen.

Abbildung des Stechapfels im Prozeßbericht über List
Der Stechapfel (Daturum stramonium) ist ein giftiges Nachtschattengewächs mit weißen Trichterblüten und stachligen Früchten. Die giftige Droge, die aus dieser Pflanze gewonnen wird, wandte die Listsche Bande bei ihren Verbrechen und sogar noch im Kerker an.

Wenden wir uns nun wieder nach diesem erforderlichen Rückblick dem Geschehen in der Stadt Lüneburg zu!
Der Gastwirt der "Harburger Herberge" zu Lüneburg konnte von verdächtigen Fremden berichten, die bei ihm gewohnt hatten. Sie hatten angegeben, einem Grafen aus Sachsen zu dienen; einer von den Gästen war von einer Frau begleitet worden. Tagsüber wären sie wenig zu Hause gewesen, nachts jedoch immer. Einer von den Leuten sei oft in Schwanckes Haus gegangen.
Damit war der erste Faden in der Hand der Polizei! Die Vernehmungen bei der Familie Schwancke brachten allerhand zum Vorschein: Der Sohn des Hauses, Christian Schwancke, der Seemann, der am Hamburger Pferdemarkt wohne, habe einen Fremden mitgebracht, der eine Perücke trage und einen Tag im Haus gewohnt habe, auch schwere Koffer seien untergestellt gewesen, Schwanckes Tochter erzählte noch Wichtigeres: Der Fremde sei ein Doktor aus Halle, sehr gelehrt, er habe auch Rezepte verordnet, sei wenig ausgegangen und habe viel gelesen. Die lüneburgische Polizei wurde auch durch den weiteren Hinweis stutzig, die Schwägerin von Schwancke sei mit dem Hamburger Weinhändler Jürgen von Sien verheiratet. Diese Frau von Sien habe sich kürzlich aus geschmolzenem Golde Schmuck herstellen lassen und sei verreist. Das verlautete ein vertraulicher Bericht der Polizei der Hansestadt.
Noch weitere wichtige Spuren wurden deutlich. Die geheimnisvollen Leute aus der "Harburger Herberge" und Schwanckes Haus hatten sich bei dem Kleinschmied (Schlösset) Johann Eling seltsame Werkzeuge anfertigen lassen, darunter Haken, Ketten, vierkantige Eisen und ein gar seltsames spitzes Instrument, das offenbar zum Herausbrechen von Edelsteinen benutzt worden war. Bei einer gehauen Untersuchung der benutzten Gastzimmer in der "Harburger Herberge" fand die Polizei Spuren von Goldresten.
Nun gab es keinen Zweifel mehr, die "Bediensteten des sächsischen Grafen", die Frau von Sien und der "Doktor aus Halle" standen mit der schändlichen Beraubung der "Güldenen Tafel" in direkter Verbindung!

Die Fahndung begann. Fuhrleute berichteten, die Leute seien gen Hamburg geritten. An der Elbe hätten sie frisch gesattelte Pferde bestiegen.
Als erster der großen, über fast ganz Deutschland verbreiteten Räuberbande wurde am 15. März 1698 Christian Schwancke verhaftet. Beim Verhör verwickelte er sich in Widersprüche. Seine Schwägerin, die Frau von Sien, lebe mit ihrem Mann, dem Weinhändler, in Zerwürfnis. Sie habe ihm, Schwancke, die belastenden Koffer gebracht. Die Polizei hatte darin einen Säbel mit goldenen Beschlägen, goldene Armbänder, Dukaten, viele Perlen und Edelsteine, offenbar aus anderen Diebstählen stammend, gefunden. Bei der Leibesvisitation des Schwancke fand man überdies einen Zettel mit der Unterschrift eines "Herrn von der Mosel", ein Name, der bei dem großen Prozeß noch eine bedeutende Rolle spielen sollte.
Schwancke und seine Frau wurden in das Gefängnis der Residenzstadt Celle gebracht. Nun war schon klar: Der "Herr von der Mosel" alias der "Hallesche Doktor" war das Haupt der Bande.
Die Spuren der Bande führten weiter nach Lübeck. Unterwegs hatten sie Diebesgut verkauft. Einer der befragten Fuhrleute berichtete: "Einer von langer Statur, etwa 30 Jahre alt; der andere kurz, wohl 40 Jahre, wohl gekleidet, das Haupt mit einer kurzen Perücke bedeckt ... dann noch ein von Statur kleines Weibsbild ..."
Die letzten Meldungen über die Spuren der Bande kamen aus Mecklenburg. Hinter Gadebusch und Wittgnberge verlor sich die Spur der Verbrecher, die unterwegs mehrmals die Namen, Hüte, Perücken und Kleider gewechselt hatten und offenkundig von raffinierten Helfern einer weitverzweigten Bande unterstützt wurden.
Inzwischen hatte das Gericht alle Hände volf zu tun. Von überall her liefen Nachrichten ein von Diebstählen und Raubüberfällen, die vor oder nach der Beraubung der "Güldenen Tafel" geschehen waren. In Blumenau waren mehrere Diebstähle begangen worden. In das Gewölbe der St.-Katharinen-Kirche zu Braunschweig war eingebrochen und die Koffer der Generalsfrau von Ehm gestohlen worden. Die Generalin hatte diese im Glauben an unbedingte Sicherheit dort unterstellen lassen. In den Koffern befanden sich vergoldete Säbel, Edelsteine, Gewänder und Bestecke, darunter Sachen, die man bei Schwancke sicherstellen konnte.
Aus Hamburg kam die Nachricht von einem schändlichen Diebstahl in der Domkirche. Die Diebe hatten, nachdem; sie mehrere Türen raffiniert erbrochen, Kruzifixe, Bilder, Kelche und Altarstücke gestohlen. Auch von diesen Sachen fand man einige bei Schwancke, der noch immer hartnäckig leugnete und sogar eine Zeitlang in den Hungerstreik trat.
Neue Hinweise trafen ein. Der Rat der Stadt Leipzig übersandte eine Liste von "Gaudieben", die man gefaßt hatte: Hans Heinrich Barthold, der "dicke Korporal" genannt, der Wolf Anton, der David Krösel, Andreas Lucy, Samuel Löbl, Salomon David, der "Rote", wegen seines Bartes so genannt.
Der Bericht aus Leipzig sagte dann noch aus, daß Löbl und David kürzlich in Norddeutschland gewesen seien und schloß mit Sarkasmus: "Der dicke Korporal hat sich allbereit im Gefängnis selbst erhenket und dem Nachrichter (Henker) die Arbeit genommen ..."
Das Gericht, inzwischen hatte das der Residenzstadt Celle die Sache übernommen, da es sich nicht um örtliche Verbrechen, sondern um "Gaudiebe" handelte, zog weitere Erkundigungen ein. Die Schwester der Schwanckes war seit 12 Jahren mit dem Weinhändler von Sien verheiratet. Sie wohnten erst in Hamburg, dann in Halle. Ihr Mann habe einen Schwager in Wunstorf mit Namen Gideon Perrrnann. Auf Grund anderer Verdachtsmomente wurden schließlich der ehemalige Offizier Gideon Perrmann, der Gardereiter Pante und der Händler Jonas Meyer verhaftet. Die Verhöre ergaben sowohl Widersprüche als auch Belastungen, besonders eine Gegenüberstellung Pante - Schwancke. Der schon mehrmals wegen Diebereien und Hehlereien vorbestrafte Jonas Meyer floh aus dem Gefängnis, wurde jedoch bald wieder ergriffen. Dagegen gelang es dem ehemaligen Regimentsquartiermeister Gideon Perrmann, das Gericht zu täuschen. Er konnte sich rechtfertigen und wurde aus der Haft entlassen. Man ließ ihn sogar nach Leipzig reisen, damit er sich die dort in Haft sitzenden "Gaudiebe" ansähe, um zu prüfen, ob es die seien, die bei ihm genächtigt hätten.
Wie sich später herausstellte, hatte Perrmann diese Gelegenheit gründlich benutzt, um die im sächsisch-thüringischen Raum, "operierenden Teile" der Bande zu warnen und zu alarmieren.
Die Angaben über den "Edelmann aus Sachsen'', alias "Doktor aus Halle", alias "Herr von der Mosel" verdichteten sich, auch in seiner Geliebten, dem "Weibsbild von kleiner Statur", konnte man schon die Frau von Sien identifizieren. Der Wirt von den "Drei Kronen" aus Hamburg berichtete der Polizei von einem. Gast, der sich "Herr von der Mosel" nannte und sich als sächsischer Edelmann ausgab. Der vornehme Gast sei von mittelmäßiger Größe gewesen und hätte einen kostbaren mit Rauchwerk unterfütterten brauen Oberrock angehabt. Seine Frau sei klein, habe ein schönes Gesicht, schwarze Augen und zarte Glieder. Sie hätte einen langen schwedischen mit Pelz verzierten Rock getragen.
Beim Wirt Peckel vom "Doppelten Wilden Mann" hatte die vornehme Gesellschaft auch genächtigt. Der Herr von der, Mosel wurde hier von einem ganzen Hofstaat begleitet, nämlich außer "seiner Frau" von einer Hofmeisterin, einer Dienerin, einem Kammerdiener, einem Jäger und einem "Rotskopf". Viele von ihnen hätten die "Leipziger Sprache", also sächsisch, geredet.
Um nun in der Sache endlich weiterzukommen, fand sich das hohe Gericht keinen anderen Rat, als am 23. Juli 1698 die "Scharfe Frage" (Folter) an den schwer belasteten Christian Schwancke zu stellen. Zuerst bekannte er den Braunschweiger Diebstahl. Dabei wären der Herr von der Mosel, sein Knecht Moritz, die Frau von Sien und der Cornet Lorenz gewesen. Dieser Diebstahl wäre abends gegen halb zehn geschehen, nachdem der Doktor (Mosel) die Kirchentüren aufgeschlossen hätte. Er wäre darin ein großer Meister. Als Hehler hätte Jonas Meyer fungiert.
Auch bei der Beraubung der "Güldenen Tafel" gestand Schwancke dabeigewesen zu sein, allerdings hätte er nur Wache gestanden. Mosel hätte an dem notwendigen Schlüssel sehr lange arbeiten müssen, weil er einfach nicht passen wollte. Dieser Diebstahl wäre "eine große Sache" gewesen. Die Koffer mit dem Diebesgut seien nach Hamburg gekommen, geteilt worden wäre noch nicht. Beim Diebstahl im Hamburger Dom hätte man die notwendigen Informationen von einem Stadtsoldaten erhalten, der dafür mit 30 Reichstalern abgefunden worden wäre.
Schwanckes Aussagen unter der Folter belasteten den "Herrn von der Mosel" und seine Geliebte, aber auch Jonas Meyer, Perrmann, Pante und einen "Kerl von Wunstorf mit gelbrotem Haar". Dieser Rotschopf hieß Michel Keyser. Während Perrmann sofort wieder eingesperrt wurde, saßen Pante und Keyser zufällig schon, weil sie im Sandkrug zu Celle eine Schlägerei und Messerstecherei angefangen hatten. Über den Hehler Jonas Meyer notiert das Gericht: "Er ist ein Mann von großer Bosheit und Laster, hat sonst eine falsche Zunge und weiß seine Worte wohl vorzubringen und zu leugnen." Eingesperrt wurde ferner der Wirt Otto Müller aus Blumenau.
Nun sollte das Haupt der berüchtigten Bande, der "Herr von der Mosel", alias Nicol List gefangen werden. Der Amtmann in Celle erhielt alle Vollmachten zu einer umfassenden Fahndung, einer der größten Polizeiaktionen dieses Jahrhunderts!

Zuerst war jedoch alles erfolglos. Der Herr von der Mosel schien wie vom Erdboden weggeblasen worden zu sein. In Nord- und Mitteldeutschland, auch im Osten und Westen, war jedenfalls keine Spur von ihm zu entdecken. Niemand wußte, daß Nicol List mit seiner Bande längst in Nordbayern und an der vogtländisch-thüringischen Grenze operierte!
Als viele Wochen später ein Kommissar aus Celle nach Leipzig kam, erfuhr er, daß in Greiz und Plauen berüchtigte Räuber gefangengenommen worden seien, und einer von ihnen, der wohl der Nicol List sei, habe sich nach der Gefangennahme die Kehle durchschneiden wollen.
Am 22. August 1698 traf der Celler Kommissar in Greiz (Grafschaft Reuß) ein, gerade als der Gefangene von den Hofern abgeholt werden sollte, denn die Räuber hatten in der Hof-Bayreuther Gegend viele Untaten begangen. Die zwei anderen Gefangenen hießen Christian Rohr und Hans Krauße. Zunächst konnte man die Identität Mosel - List nicht exakt genug beweisen. Man wußte nur, daß Schwancke bei einem "peinlichen" Verhör berichtet hatte, daß der "Herr von der Mosel" alias "Hallesche Doktor" einmal gesagt hätte: "Ich heiße Nickel List und bin auch listig!"
Der Kommissar aus Celle ließ endlich den Wirt von den "Drei Kronen" aus Hannover herbeiholen, und der konnte bei einer Gegenüberstellung am 11. September 1699 in Hof eindeutig feststellen, daß der "Herr von der Mosel" und der Nicol List die gleiche Person war. Es war kein Zweifel, Nicol List saß nun in der Falle!
Fieberhaft arbeitete nun die Polizei, um aller Komplizen des List habhaft zu werden. Inzwischen war auch Christian Müller, ein besonders berüchtigter Bandit, bei Leipzig gefaßt worden. Seine letzte große Untat war ein Raub in Winterstedt gewesen. Müller leugnete hartnäckig, er war einer der abgebrühtesten Sünder. Er kenne den Räuberhauptmann List nicht. Nun wurde List, der noch im Hofer Gefängnis saß, befragt. List sagte aus, Müller sei aus Stolpen, Sohn eines Bäckers. Er habe ihn zum ersten Mal mit dem Korporal Barthel in Pegau getroffen. Müller habe eine Narbe am linken Arm, das rühre von einer Schußverletzung durch den kleinen Leopold her, der im Streit auf Müller geschossen habe. Müller habe auch eine lahme Hand, die Folgen einer erlittenen Folterung in Breslau. Ihn, List, habe Müller einmal bestohlen, als er noch Wirt in Raum bei Hartenstein war. Es war kein Zweifel, die Angaben Lists stimmten. Müller war einer der brutalsten Gewaltverbrecher seiner Zeit.
Die nächsten Ereignisse zeigten jedoch auch, daß die Gerichte und die Polizei nicht in der Lage waren, alle Teile dieser weitverzweigten Bande auszuheben. Vor allem wurde das auch deutlich bei Versuchen, der Geliebten Lists habhaft zu werden. Über diese Vorgänge gibt es in den Unterlagen viele Widersprüche. Zunächst wurde ihr Mann, der Weinhändler Jürgen von Sien verhört, der berichtete, "daß er dieses Mensch vor zwölf Jahren geheiratet und mit ihr neun Jahre in Hamburg gewohnt habe". Darauf seien sie nach Halle gezogen, um den dortigen Ratsweinkeller zu mieten. Da er aber das liederliche Leben seiner Frau nicht mehr hätte mit ansehen können, sei er von Halle nach Amsterdam gegangen und wäre dort Soldat auf einem Schiff geworden. Nach seiner Rückkehr hätte er noch einmal seine Frau getroffen, wo sie beschlossen hätten, getrennt zu leben.
Erkundigungen über die Frau von Sien brachten nur Ungünstiges über sie zu Tage. Die Leipziger Polizei meldete, daß das "Frauenzimmer immer zur Messe in der Stadt" gewesen sei, aber sonst wie ein "Perpetuum mobile" im Lande herumgezogen sei.
Nach einer urkundlichen Quelle soll Frau von Sien schließlich im Gasthof zu Stedten verhaftet worden sein. Dieses Stedten war ein gefürchtetes Zentrum der Räuberbanden, ein "Spitzbubennest". Der Pfarrer Hosemann berichtet über Stedten: "...da die Bösewichter ihre eigenen Assemblee's haben, im Schwelgen und Panquetieren leben, die ganze Nacht patrouillieren und ihre Wache halten, auch allemal ihre Pferde gesattelt und fertig haben."
Vorher hatte man vom Wirt von Kersleben (eine Meile von Erfurt) erfahren, daß eine "Anna von Sien", ein "klein geschminkt Weiblein" mit ihrem Diener Lorenz Schöne bei ihm übernachtet und daß ein Doktor Niclas Götzel und ein gewisser Schwartze zu ihnen gekommen seien. Frau von Sien hätte viel Geld für den Schneider ausgegeben.
Es bestand kein Zweifel mehr, Nicol List hatte sich, nachdem ihm in Norddeutschland der Boden zu heiß geworden war, in südliche Richtung begeben, sich bei Erfurt oder schon früher von seinem Hofstaat getrennt und in Sachsen, Nordbayern und Südthüringen, wo er gute Verbindungen besaß, mit neuen Räubereien begonnen. Dabei hatte er auch, wie später ermittelt wurde, nicht einmal die Kirche seiner Geburtsstadt Waldenburg bei einem heimtückischen Raubüberfall verschont.
Bei Ermittlungen über den Lorenz Schöne erfuhr die Polizei, daß er 1654 desertiert und zum Spießrutenlaufen verurteilt worden war. In Holland war er dann abermals den Soldaten, einer Kompanie des Kapitäns Wiedmann, entlaufen.
Nach einer anderen Quelle wurde die Mätresse des Nicol List in Ramslau, einem anderen thüringischen Spitzbubennest aufgegriffen. Sie nannte sich Christiane Magdalene Meyer und leugnete mit einer unverschämten Frechheit Lists Geliebte zu sein. Ihr Mann wäre "Jubilier" gewesen und nun zöge sie im Lande umher, weil es ihr gefalle, sie hätte eben immer Reiselust. "Fing dabei gar von Herzen an zu lachen, daß sie sollte auf Mauserei mit im Lande herumgezogen sein." Als man sie der gewerbsmäßigen Hurerei bezichtete, "lachte sie anfangs höhnisch und sagte, daß sie das bei ihren Eltern nicht gelernt hätte. Gott würde sie dann schon behüten, wobei sie einen tiefen Seufzer getan. Daß sie aber im Lande herumzöge, täte sie wirklich zur Lust ... Von Leipzig hätte sie noch ein Attestatum bei sich, welches, wie man wohl sehen könne, noch ganz neu wäre ..."
Es gab starke Hinweise, daß die Meyerin tatsächlich die "von Sien" war, aber das Gericht hatte alle Hände voll zu tun und war an der Frau wenig interessiert. Es gelang ihr, das Gericht immer wieder zu täuschen. Im Kerker verliebte sie sich in den inzwischen gefaßten Banditen Andreas Schwartze und schickte ihm einen Liebesbrief mit der Anrede "Schönster Engel".
Sie wollte sich und den Schwartze befreien und versuchte deshalb dem Wächter ein Schlafmittel einzugeben.
Mit der Meyerin war auch eine zweite Frau eingesperrt worden, in der man die Frau "des Schönen" vermutete. Merkwürdigerweise konnte bei einer Gegenüberstellung der Wirt von "Drei Kronen", der wieder herbeigeholt wurde, nicht eindeutig sagen, daß die Meyerin die Mätresse des Bandenchefs sei.
Noch merkwürdiger war es jedoch, daß das Gericht später auf weitere Ermittlungen verzichtete und die zwei Frauen, die sich unglaublich frech im Kerker benahmen und die Wächter nicht ohne Erfolg zu betören versuchten, schließlich auf freien Fuß setzte. Die Meyerin alias Sien wurde noch einmal 1699 in Schlesien wegen unsittlichen Lebenswandel aufgegriffen. Dann tauchte sie nicht wieder auf ...
In der Zwischenzeit war das Celler Gericht nicht in der Lage, alle Spuren zu verfolgen. Das Strafregister von Lists Bande wurde von Tag zu Tag größer. Das Leipziger Stadtgericht erhielt einen Brief mit einer exakten Aufzählung des "Ertz-Dieb-Mause-Nickels", so die Beraubung des Domes zu Naumburg, des Domes zu Hamburg, die Diebstähle an den Hofrat von Minckwitz und die Ermordung des Hofrates Bohsen bei Leipzig. Der Mörder des Bohsen, so berichtete das geheimnisvolle Denunziationsschreiben, das anscheinend von einem reuevollen Bandenmitglied und Mitwisser geschrieben worden war, sei der Bandit Andreas Schwartze gewesen, der sich zu Kronstedt aufhalte. Das Gros der Bande stehe gegenwärtig zwischen Naumburg und Erfurt. Der Diebstahl beim Professor Pfantz in Leipzig sei von List, dem Leopold und dem "schwarzen Hans" begangen worden. Aber die Spitzbuben wären "übel zufrieden" gewesen, denn die Auslagen für technisches Material, Bestechungsgelder usw. wären bedeutend höher als der Erlös des Diebesgutes gewesen. Die Mause-Nickel-Diebe arbeiteten mit Risiko und manchmal auch mit Verlust.
Die Angaben dieses anonymen Schreibens stimmten haargenau. Der Dom zu Naumburg war am 1. November 1697 beraubt worden, dem Junker Minckwitz waren zu Michaelis 1697 auf seinem Gute Lindenau bei Ortrand in der Lausitz 7000 Taler gestohlen worden. Herr von Bohsen war bei Regis-Breitingen ermordet worden und der Prediger zu Heldrungen wurde am 5. März 1698 bestohlen.
Auch der Wirt des "Goldenen Löwen" zu Querfurt meldete sich bald als Bestohlener. Ferner waren in den Jahren 1697/98 beraubt bzw. bestohlen worden: die Kirche zu Wunstorf, die Marschall-Witwe Anna Sophie von Stubenvoll, der Amtsmüller zu Bokeloh, die Majorsfrau Elisabeth Böhnhase, die Bürgermeisterswitwe zu Salzwedel, der Oberförster zu Königslutter usw.
In Hildesheim hatte man bereits die beiden Kunstpfeifer Hans Felfe und Jürgen Tönnigs als Listsche Bandenmitglieder entlarvt und hinter Schloß und Riegel gesetzt. Es schien, als ob das gesamte Räubergesindel Deutschlands unter Lists Führung stünde!
Die vollständige Reihe der Verbrechen kann gar nicht aufgezählt werden. Es ergibt sich jedoch schon, welchen großen Aktionsradius die Bande hatte und daß sie aus mehreren Hundert aktiven Banditen und Helfershelfern bestand.
Nicol List alias Mosel leugnete inzwischen in Hof hartnäckig, wenn er nach seinem Anteil an der Räuberei gefragt wurde. Er gab sich als ein feiner Mann aus. Seine Rede war wohl gesetzt. Sein Kumpan Hans Krauße wurde jedoch weich und gab einiges zu.
Wie schon angedeutet, gelang es der Polizei, den berüchtigten Banditen Andreas Schwartze, den Gewalttätigsten der Bande, zu fassen. Am 8. Oktober 1698 wurde Schwartze in Weimar unter der Folter befragt. Er gab die Diebstähle in Hamburg, Braunschweig, Lüneburg, Querfurt und Heldrungen zu und nannte wider Erwarten eine ganze Reihe von bekannten und auch von bisher unbekannten Bandenmitgliedern: Lorenz Schöne, der Kornett aus Magdeburg, der polnische Jude Lipmann, der sich jedoch als ein Italiener ausgab, der kleine und der große Leopold, Gottfried Müller aus Dresden, Hoschenek aus Altona, Christian Schwartz, Jonas Meyer aus Hamburg, Michael Kayser, der Wirt aus Blumenau, Schristian Schwancke und ein gewisser Schimmek. Der Wirtssohn Hans Ernst Buttelstedt sei auch ein Mitglied der Bande und mit dem in Hof sitzenden Christian Rohr identisch. Das war ein sehr ergiebiges Verhör. Zufrieden räumten die Folterknechte die Daumenschrauben und Streckgeräte wieder weg.
Erfolg hatten die Juristen und Folterknechte auch beim Verhör des in Leipzig gefangenen Bösewichtes Christian Malsius. Dabei kamen interessante Einzelheiten über die Praktiken der Listschen Diebesbande zum Vorschein. So berichtete Malsius über die Beraubung der Leipziger Pauliner Kirche: Er und sein Kumpan Brückner hatten ausgekundschaftet, daß in die Kirche eine große Lade mit Geld hineingebracht worden war. Die "Gaudiebe" Malsius und Brückner berichteten dies zur Michaelismesse dem Bandenchef List und dem kleinen Leopold. Zunächst wurden Wachsabdrücke der Außenschlüssel abgenommen, die dann List mit nach Dresden nahm, um dort die Schlüssel anzufertigen. Die ersten Versuche mißlangen, aber List war nachts mit seinen Feilen sehr rege und schließlich gelang es, die äußere "schwarze Kirchentür" zu öffnen. Das gleiche geschah nun mit den inneren Türen. Dabei mußten vielfältig technische Hilfsmittel eingesetzt werden, wie Winden, Brecheisen usw. Viele Nächte wurden dazu benutzt und am nächsten Morgen mußten alle Spuren wieder meisterhaft beseitigt sein. Schließlich brach das letzte Schloß mit einem großen Krach auf. Malsius sagte: "Wobei es einen erschrecklichen Krach getan, daß die eine Schildwache der anderen gesagt, sie solle nur hören, wie es spuke!"

Während List noch im Gefängnis zu Hof saß, setzte ein großer Streit um seine Person ein. Drei Feudalstaaten wollten ihn haben, um ihn zu verurteilen. Außer von Hof wurde er von der Lüneburgischen Regierung und der Schönburgischen Herrschaft beansprucht, wo er ja überall Missetaten begangen hatte. Die Regierung in Lüneburg schrieb, sie wolle List "ein solches lebendiges Lexikon und Aufschlagebuch der Diebe" lebendig haben. Da List seine größten Räubereien auch in Norddeutschland begangen hatte, wurde er schließlich auch der Lüneburgischen Regierung zur Verurteilung unter der Bedingung zugesprochen, daß seine übrigen Untaten mit zur Sprache kämen. Der Transport des gefährlichen Gefangenen wurde nun sorgfältig vorbereitet, der Weg führte nämlich gerade durch die thüringischen Wälder, wo das Zentrum der Bande tätig war. Inzwischen war auch noch der Räuber Pante bei Mansfeld ergriffen worden. List und seine Hauptspießgesellen sollten nun in Celle verurteilt werden, während Nebenprozesse in Hildesheim, Leipzig usw. stattfanden.
Am 17. Dezember 1698 traf ein Leutnant mit 16 Mann, alles ausgesuchte Leute des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg, mit zwei vergitterten Wagen in Hof ein. List, der bisher sehr lustig gewesen war, wurde nachdenklich, als er die guten Vorbereitungen des Gefangenentransportes sah.
Am nächsten Tage rumpelten die Wagen mit dem Gefangenen nach Norden. Die Soldaten schauten in alle Richtungen. Eine Vorhut untersuchte vorher jedes Gebüsch. Eine Nachhut sicherte den Geleitzug nach hinten. Am 19. Dezember 1698 wurde Schleiz erreicht, dann mußte man durch einen großen Tannenwald. Es wurde sehr umheimlich. Gewiß war hier ein Anschlag vorgesehen, denn aus einem Gebüsch rannte ein mit einer Pistole bewaffneter Mann, offenbar ein Posten, in das Dickicht. Traurig sagte Nicol List zu den Soldaten: "Habt keine Angst, die Räuber sind ungefährlich, denn sie haben nun keinen Hauptmann." In den Städten gab es einen großen Zulauf, denn alle wollten List in dem Käfig sehen. Am Heiligen Abend des Jahres 1698 wurde Leipzig erreicht. Nicol List war das Tagesgespräch der Stadt. In den nächsten Tagen kamen Andreas Schwartze, Christian Müller und Pante dazu, daß es nunmehr acht Gefangene waren. Schwartze wollte List nicht kennen, doch Nickel sagte zu ihm: "Ach du guter Kerl! Wie wohl kennst du mich nicht! Wenn du die ersten blauen Daumen hast, wirst du schon reden."
Von Halle ging es dann nach Celle, vier der Gefangenen wurden jedoch zur Aburteilung nach Hildesheim transportiert. Im Celler Gefängnis, dem "Weißen Haus", saßen schließlich die Hauptbanditen Nickel List, Andreas Schwartze, Christian Müller und Christoph Pante. Der Prozeß konnte beginnen!
Im Mittelpunkt des Prozesses stand das verbrecherische Leben des "Ertz-Böse-wichtes" Nicol List aus Beutha im Erzgebirge. In allen Einzelheiten wurden nun noch einmal die Stationen seines abenteuerlichen Lebens aufgespürt.
Nach dem Protokoll des Gerichtes ist List 1656 in Waldenburg als Sohn eines Tagelöhners geboren. Nach dem Beuthaer Chronisten Schwind ist Lists Geburtsjahr jedoch 1654, denn im Waldenburger Taufregister heiße es unter dem 5. Dezember 1654: "Nicolaus Johann List, eines Tagelöhners Söhnlein allhier - Dieses Kindes Eltern, als Johann List und Magdalene, Hans Graintzens Tochter von Kauffungen, haben sich unehelich zusammengefunden, sind nach Bekenntnis ihrer Tat, gefänglich gesessen, und folgend dann, wie solchen Leuten gebührt, getraut worden. Darauf Kirchenbuße getan, und bald darauf dieses Kind erlanget ..."
Der Knabe List war ein sehr aufgeweckter Schüler, der sehr schnell alles aufnahm. Da aber für eine weitere Ausbildung der väterliche Geldbeutel nicht ausreichte, ging er bald in die Dienste der Feudalherren. Er war Stallbursche bei dem Junker von Schönburg und anderen Edelleuten, wo er die Gaunereien der Großen kennenlernte. Schon damals fiel bei einem Gelddiebstahl der Verdacht auf List, von dem gesagt wurde, "er könne alle Schlösser aufmachen".
Seit 1680 wohnte List in Beutha, wo er ein "Häuslein" von seiner Schwiegermutter Maria Scharff gekauft hatte. 1681 verließ er jedoch Beutha und seine Familie und wird Soldat bei den kursächsischen Kürassieren, aber auch bei den kurbrandenburgischen Truppen. List war Teilnehmer an verschiedenen Schlachten im Elsaß, in Ungarn, nahm an der Belagerung von Wien teil und kam bis nach Ofen (Budapest). List gefiel das Kriegshandwerk und vor allem das Plündern. Während seiner Abwesenheit wurde ihm eine Tochter geboren, und seine Frau starb. 1687 kehrte List aus den Kriegszügen zurück und brachte eine zweite Frau mit nach Beutha.
Im Kirchenbuch heißt es: "Weil Nicol List, ein Häusler allhier zu Beutha, eine Weibsperson namens Margarethe Göden von Burgk bei Magdeburg, aus dem Kriege mit nach Hause gebracht, und selbige zwei Jahre statt eines Eheweibes gebrauchet, endlich aber dieselbe von sich jagen wollen ... ist wegen gedachter Listens Tergiverasation (Ausflüche, die Ehe nicht einzugehen) ein Befehl von gnädiger Herrschaft an mich (den Pfarrer) ergangen, alsbald ohne Verzug dieselbigen beiden Personen zu copulieren (trauen)."

Hier war Nicol List einige Jahre Wirt: Die "Tanne" im Dorfe Raum

List trieb in Beutha Pferdehandel und baute sich ein neues Haus. (Heute steht dort in Beutha das Haus 58 B!) Von 1690 bis 1693 bewirtschaftete List die "neue Schenke" ("Tanne") in Raum. Dann zog er wieder nach Beutha zurück.
Besonders in der Raumer Gastwirtschaft kam List in schlechte Gesellschaft. Viele Landsknechte, ehemalige Soldaten, Zigeuner usw. zogen dort vorüber. Anfangs wurde List sogar selbst bestohlen. Seine ersten Spießgesellen waren der "Wachtmeister", der "Student" aus Österreich, der berüchtigte Christian Müller und Caspar Starke aus Oberheinsdorf, damals Wirt auf dem "Promnitzer" bei Oelsnitz.
Über diese Zeit heißt es im Prozeßbericht:
"Dazumal, wie er meinete zur Ruhe zu kommen, suchte er vor seinen Ingenium Speise und Nahrung und verliebte sich in die Schriften des tiefsinnigen Philosophie, Theophrasti Paracelsi und andere Cymischen Bücher, in Meinungen daraus einige Prinzipien in der Arzneikunst zu fassen, zu welcher er fast eine natürliche Inclination hatte ...
Es war aber sein Unglück, daß er Wirtschaft trieb, maßen er durch solche Gelegenheit zu böser Gesellschaft und mit verschiedenen Gaudieben in Kundschaft kam und dadurch den Ursprung zu seinem Verderben legte."
List, der sich in Beutha als feiner, frommer Mann gab, wurde "wegen seines scharfsinnigen Verstandes und herzhaften Mutes" bald das Oberhaupt der Bande, eine legendäre Gestalt und vor allem ein Meister in der Einbruchstechnik und der Anfertigung von Nachschlüsseln.
"Hierzu war das Löten nötig, weil man nicht überall einem Schmied das Werk anvertrauen durfte. List ersann auch dazu seinen Handgriff, und er hatte seine eigene kleine Maschine und einen Blasebalg bei sich, so er in den Wirtshäusern auf seiner Stuben gebrauchen konnte."
Noch vor seiner Hinrichtung mußte List eine Probe seiner Kunst abgeben und konnte die Ketten und Schlösser an Händen und Füßen mit Hilfe eines Stückes Bindfaden geschwind losmachen. Deshalb wurde List auch mit einer Wache mit gezogenen Degen ständig beobachtet.
1694 führte Lists Bande den ersten großen Raub durch, nämlich das Schloß Braunsdorf zwischen Gera und Schleiz. Seine Kumpanen waren Christian Brehmer, der Fourier Hans Bauer, Hans Merz, der Korporal Barthel und Gottfried Müller.
1695 bereits wurde der reiche Floßverwalter in Halle beraubt. Den Verkauf der Beute übernahmen die Hehler in Berlin. Dazu kamen noch viele kleinere Einbrüche im Erzgebirge, wobei List peinlichst vermied, die eigene Umgebung heimzusuchen.
Seine Spießgesellen zu der Zeit, als er noch in Beutha wohnte waren folgende:
David Schilling (saß später in Stollberg in Haft),
Christian Brehmer (ehemals Fourier im Klemmschen Dragonerregiment, ein "Kriegskamerad" Lists),
Christoph Kunze aus Niederzwönitz,
der "Mühlhans" aus Meinersdorf,
der "Runkskopf" aus Herold,
der "böhmische Hans" aus Thum,
der "Nürnberger",
der "Hahntoffel" aus Beierfeld,
der "Dicke",
der "Lange",
der "Wachtmeister" (ebenfalls ein "Kriegskamerad"),
Christian Müller,
Caspar Starke, der Wirt des "Promnit-zers".
Nach der blutigen Johannisnacht von 1696 wurde List endgültig Berufsverbrecher und das Oberhaupt einer weitverzweigten Bande. Die Überfälle häuften sich im Herbst 1699. Bei einem Überfall auf eine Pfarre in der Nähe von Halle war ein neuer Kumpan dabei, Andreas Luci, "der Drachenstüber". Mit gezogenen Degen, mit Pistolen und Brecheisen drangen sie ein und fesselten und knebelten die Pfarrerfamilie. Die Frau konnte jedoch schreien, und die Bauern eilten mit Gabel und Knüppel herbei. Unter Gebrauch ihrer Schußwaffen zog sich die Bande zurück.
Auch bei einem weiteren Anschlag bei Magdeburg hatte die Bande Pech. Als sie nachts in einer Scheune schliefen, eilte ein Vogt mit bewaffneten Bauern herbei, die sie verhaften wollten. Es kam zu einem Handgemenge, wobei der "Drachenstüber" erst unter einen Tisch kroch und dann ohne Hosen davonrannte. Nur List behielt seine Ruhe und konnte die Bande ohne Verluste absetzen.
Nächste Raubziele waren Gommern bei Magdeburg, Altstedt bei Jena (Kirchenraub), Schafstedt (ein Krämer) und eine Schenke bei Delitzsch.
List galt schon damals- als "fest" (unverwundbar) und mit dem Teufel im Bunde. Es war die Zeit, als man ihn von Hartenstein aus eifrig suchte.
Zu Michaelis 1696 hatte List, Christian Müller, der kleine Leopold, der Kesselpeter, Gottfried Müller und der Hahntoffel die Kirche zu Hof in Bayern beraubt.

Im Herbst 1696 war das thüringische Räubernest Stedten das Zentrum der Bande. Spion war damals der "Fähnrich Werthai". Der Fähnrich kroch durch ein Wasserloch der Altenburger Stadtmauer und bereitete einen Überfall auf den Goldschmied Pittmann vor. Das nächste Opfer war ein Goldspinner in Zerbst. Die Räuber kamen mit einer Leiter über die Stadtmauer und steckten einen großen Klumpen Metall zu sich, das sich jedoch später nur als Kupfer erwies. Im Oktober 1696 kundschaftete der "Fähnrich" reiche Leute in Arnstadt aus. Die Bande saß in Stedten beisammen: "Die Resolution war bald gefasset, die Sache lief in ihre Profession. List als Professor Privatissimus doch Ordinarius führte abermals den Trupp. Zum erstenmal war hier der Stedtener Wirtssohn Hans Ernst Buttelstedt dabei. Eine weitere Ergänzung erfuhr die Bande durch Andreas Schwartze (Deckname: Moritz Richter), der wegen Mordes auf der Flucht, nach Stedten kam und Mitglied der Bande wurde. List formierte nun seinen "Staat" und nannte sich fortan "Johann Rudolf von der Mosel".
Über die nächsten Diebereien und Raubüberfälle in Leipzig und anderen Orten des Jahres 1697 ist schon berichtet worden. Es gab auch viele Mißerfolge da "sie auch bei so langwierigen Operationen verschiedenes verunkostet".
Zu dieser Zeit wurde Anna von Sien die Mätresse des "Herrn von der Mosel" und die Bande wuchs von Tag zu Tag, sie war ein Magnet für alle Räuber und Hehler Deutschlands, wobei festgestellt werden muß, daß List und sein engster Kreis durchaus keine Reichtümer dabei ansammeln konnten. Die Gauner im Hintergrund waren dabei gerissener.
Im Prozeß gegen List wurde nun auch enthüllt, wohin sich die Bande nach der Beraubung der "Güldenen Tafel" gewandt hatte.
Nachdem List von der Verhaftung Schwanckes gehört hatte, war List mit Anna von Sien und Andreas Schwartze nach Meuslingen geritten, wo man frische Pferde beschaffte und sich nach Mecklenburg wandte. Später suchte man das Bandennest Stedten wieder auf und begann mit neuen Räubereien. Nach einigen Einbrüchen bei reichen Leuten in Heldrungen, Querfurt und anderen Orten kamen wieder Kirchen an die Reihe. Am 22. Juni 1698 beraubt List die Kirche seiner Vaterstadt Waldenburg, am 24. Juli die zu Wunsiedel. Als sie dann in der "Neuen Schenke" bei Daßlitz gefaßt wurden, hatten sie noch einen Teil der Beute bei sich.
Die Gefangennahme Lists trug sich folgendermaßen zu:
List hatte mit seinen Diebesgesellen den reichen Steuereinnehmer Christian Schmidt in Hof beraubt. Sie ritten mit ihrer Beute durch das Vogtland und nächtigten in der "Neuen Schenke" zu Daßlitz. Dort glaubten sie sich sicher, wurden jedoch nachts von den Verfolgern gestellt.
List war trotz seiner Schlauheit in eine Falle geraten. Dramatisch verlief die Festnahme der gefährlichen Banditen. Hosemann berichtet in seinem Buch darüber:
"Zwei von Lists Schlafgesellen, wie sie munter wurden und die Gefahr sahen, griffen nach ihren Pistolen, gaben in den Haufen Feuer, schössen Hans Schmidt zwei Kugeln in den Leib, ganz gefährlich, daß man die eine im Rückgrat herausschneiden, die andere aber im Leib lassen mußte. Unter dem Rumor (Lärm) retteten sich diese beiden durch die Flucht und brachten wohl 400 Taler an Geld mit fort. List aber verweilte sich etwas, weil er erst seinen Rock anziehen wollte. Er konnte nicht zu seinen Waffen gelangen, rannte an die Hofer. Da hielt ihn einer mit Lebensgefahr an. Das war Georg Stempel, den List an der Hand verwundete und den er Pulver in die Augen warf. Ein anderer aber, Hans Wolf, schlug List mit einem derben Prügelstock dreimal zu Boden. Wie man ihn nun am Boden niederhielt, und er sich in der höchsten Not sah, ergriff er ein anderes Mittel, sich den Häschern zu entziehen. Er hatte vorn in seinem Rock in jeder Tasche ein Messer, in der einen sein Brot-, in der anderen sein Schermesser. Er ergriff rasch das Schermesser, fuhr damit sofort an seinen Hals und brachte sich einen gefährlichen Schnitt an der Gurgel bei. Die Wunde war nicht ohne Gefahr, denn es drang ihm die Speise lange Zeit aus derselben, hat auch dadurch eine gelinde und fast leise Sprache bekommen. - Bei Visitierung seiner Kleidung fand man, daß er in die Hose etwas Moos eingenäht nebst einem Zettel, darauf das letzte Wort Christi am Kreuz in verdorbenem Latein geschrieben war. Man hielt solches vor Zauberei, wie man es denn für unmöglich betrachtete, daß dieser Mensch soviele Taten durch natürliche Wege hätte tun können. Allein List berichtete, daß dieses Moos an den Richtstätten, wo Missetäter aufs Rad und Pfahl gesteckt oder am Galgen gehängt, gewachsen sei. Dies Moos sei ein gutes Mittel gegen Ungeziefer."

Da List schon im Hofer Gefängnis unter der Folter ein umfassendes Geständnis abgelegt hatte und dort bereits zum Tode verurteilt worden war, hatten die Richter in Celle mit ihm nicht viel zu tun. In Celle ging es hauptsächlich um die Spießgesellen Nicols, die zum Teil hartnäckig leugneten, so vor allem Perrmann und Jonas Meyer. Auch der beteiligte Hamburger Stadtsoldat Vincenz Nicolaus leugnete anfangs und kam unter die Folter. Perrmann wurde in das gefürchtete Mecklenburger Instrument genommen und in die schärfsten Daumenschrauben, die man hatte. Noch nie hatten die Folterknechte in Celle so arbeiten müssen, wie in diesen Tagen des Jahres 1693. Dem eingekerkerten Schwancke war Gift ("Fliegenstein") zugesteckt worden, er mußte jedoch nur brechen. Während sich das Gericht hauptsächlich auf die Hauptpersonen konzentrierte, ließ man viele verdächtigte Nebenangeklagte bald laufen. So wurden einige Frauen in die Spinnhäuser gesteckt.
Auch war es keineswegs gelungen, alle Banditen zu fassen. Mehrere der Bandenmitglieder wurden erst Jahre später gefaßt, vor allem in Schlesien und Westpolen, wohin sie ihr "Operationsgebiet" verlegt hatten. (1700 wurde der "große Leopold" in Breslau gefaßt, der "dicke Martin" und der "Kesselpeter" in Lissa.)
Im Frühjahr 1699 waren die wichtigsten Verbrechen der Nicol-List-Bande jedoch aufgeklärt. Man konnte nun zur Exekution schreiten, die in grausamer Weise vollzogen werden und als abschreckendes Beispiel dienen sollte.
Ein Teil der Listschen Räuberbande, bei denen die Sache klar war, wurde schon vorzeitig abgeurteilt, und die Exekution bereits am 21. März 1699 auf dem Richtplatz in Celle vollzogen.
Christian Schwancke und Andreas Schwartze sollten auf das Rad geflochten werden, Gideon Perrmann und Jonas Meyer sollten aufgehängt werden, während Christoph Pante und Jürgen Kramer zum Tode durch das Schwert begnadigt worden waren, weil sie ihre Taten bekannt und "bei Kriegs-Aktionen sich wohl gehalten".
Am 21. März 1699 war in elle ein großer Menschenauflauf, "die ganze Stadt war von Fremden angehäuft". Zuerst gab das hohe Gericht bekannt, daß Otto Müller, der bei der Bande keine große Rolle gespielt hatte, zu lebenslänglicher Arbeit auf den Kalkbergen begnadigt worden sei. Dann wurden die Todesurteile verlesen und mit umständlichen Worten begründet. Dabei protestierte der Bandit Schwartze mit lauten und heftigen Worten. Er redete immer noch, als man seinen Kumpan Schwancke schon auf das Rad geflochten hatte. Schwartze wurde dann von den rohen Henkersknechten ergriffen, die mit ihm die gleiche schmerzhafte Prozedur vornahmen, während er immer noch schimpfte, er wäre doch kein Hund.
Pante und Kramer wurden dann geköpft und ihre Köpfe auf Pfähle zur Schau gestellt. Nachdem Perrmanns Körper am großen Galgen baumelte, hatten die Henker mit Jonas Meyer, dem verurteilten Haupthehler, große Mühe. Meyer hatte schon den Strick um den Hals, als er noch eine Menge gotteslästerliche Worte bis zum Verröcheln ausstieß. Das nahm das Gericht dem Toten sehr übel. Die Leiche wurde nochmals vom Galgen genommen und zum Marktplatz geschleppt, wo erneut über Meyer, diesmal den toten, Gericht gehalten wurde. Das neue Urteil lautete: "Dem toten Körper ist die Zunge aus dem Hals zu reißen und solche öffentlich auf dem Markt zu verbrennen. Der Körper aber ist mit einem Hund nochmals zu hängen, aber verkehrt mit den Füßen nach oben!" Und so geschah es mit vorgehaltenem Kruzifix und unter Absingen frommer Choräle.
Was die Person des Räuberhauptmanns betraf, so war das Hofer Urteil gegen List noch verschärft worden. Es lautete: "Es sind dem Nicol List mit eisernen Keulen durch acht Schläge Arme und Beine zu zerschmettern, dann den Kopf durch Beilhiebe abzuschlagen und derselbe auf einen Pfahl zu stecken, der übrige Körper aber alsdann durch Feuer zu Asche zu verbrennen." Das war eine Kombination der fürchterlichsten Hinrichtungsarten, die es überhaupt damals gab. Und so geschah es denn auch.

Das Ende der Räuberbande des Nicol List auf der Richtstätte in Celle
1. Kopf des enthaupteten Fantes; 2. Kramers Kopf, 3. Schafott, 4. Der auf das Rad geflochtene Schwancke, 5. Der umgekehrt aufgehängte Meyer neben einem Hund, 6. Lists Kopf, 7. Der geräderte Schwartze, 8. Christian Müller auf dem Rad. Am Galgen: 9. Perrmann, 10. Kayser, 11. Lucy, 12. Hoschenek, 13. Löbel (Schmuel), 14. Pfahl, an dem Nicol List verbrannt wurde

Am 23. Mai 1699 wurde Nicol List mit seinen Kumpanen Christian Müller, der gerädert wurde und die zum Galgen verurteilten Andreas Lucy, Michael Kayser, Samuel Löbel und Hoschenek hingerichtet. Nachdem das Urteil auf dem Markt vor einer riesigen Menschenmenge gesprochen war, wurden die Sünder auf Karren zur Richtstätte gefahren. Die Verurteilten wurden noch einmal ermahnt und auf das Schicksal des Meyer hingewiesen: "Wer lästert, dem wird die Zunge bei lebendigem Leibe herausgerissen, wer aber die Obrigkeit schmäht, der soll mit glühenden Zangen zerrissen werden!"
List ging sehr gefaßt in den Tod. Die Kerkerhaft und die Folter hatten ihn zermürbt. In den letzten Wochen hatte er sich als frommer Mann aufgeführt und im Gegensatz zu seinen rauhbeinigen Spießgesellen feine Manieren gezeigt. Das vermerkte am Schluß seines Berichts Lists Beichtvater Hosemann nicht ohne eigene Genugtuung.
Mit Lists Tod endete eine Kriminalaffäre, die viele Jahre die Gemüter bewegte. Inzwischen hatte Nicol Lists Gestalt in seiner Heimat, im Erzgebirge, fast legendäre Form angenommen. Der Räuberhauptmänn aus Beutha ist noch heute nicht vergessen, wenn auch die Erinnerung an sein verbrecherisches Leben Schauder und Entsetzen erregt.

Die Nicol-List-Steine in Beutha
Auf Befehl der schönburgischen Herrschaft auf Hartenstein war Lists Haus in Beutha bereits im Herbst 1696 niedergerissen worden. Die "Mördergrube" sollte verschwinden, damit sich nicht weiterhin "liederliches Gesindel" darin einnisten könne. Nach der Hinrichtung wurden an dieser Stelle drei Gedenksteine aufgestellt, deren Kosten aus der Hinterlassenschaft der Hingerichteten entnommen wurden. Auf der Vorderseite des großen quadratischen Steines war früher zu lesen:

An diesem Ort hat gewohnt der weltbekannte Dieb, Kirchenräuber und Mörder Nicol List, von Waldenburg gebürtig, welcher in der Johannisnacht 1696 von einer nach ihm geschickten Folge den eigenen Landschöppen Christoph Kneufler, und noch einen Bürger, Göttfried Eckhardt, jämmerlich erschossen und darauf die Flucht ergriffen. Auf der gnädigen Herrschaft Befehl ist das hier gestandene Listische Haus niedergerissen und wider dem flüchtigen Mörder mit der Acht verfahren worden. Nachdem nun Nicol List den 9. November wegen der beiden hier begangenen Mordtaten zu Hartenstein in die Acht erklärt worden, ist er wegen anderer Übeltaten zu Greiz gefänglich eingekommen und von da nach Hof geführet, hiernächst aber, ob ihm schon daselbst ein scharfes Todesurteil gesprochen worden, dennoch aber als Miträuber der kostbaren Güldenen Tafel zu Lüneburg erst nach Celle, gebracht, allwo er wegen bekannten vielen wichtigen Diebereien, 9 Kirchenraube und dieser Mordtaten willen den 23. Mai 1699 seinen Lohn empfangen, da er von unten auf mit 8 Schlägen zerschmettert, ihm noch lebend, den Kopf mit einem Beil abgehauen, selbiger auf einen Pfahl genagelt, der tote Körper aber auf einem Scheiterhaufen zu Pulver verbrannt worden.
(Schreibweise modernisiert.)

Neben dem großen Stein wurden links und rechts Gedenksteine für die beiden ermordeten Hartensteiner Bürger Eckhardt und Kneufler mit entsprechenden Inschriften gesetzt.
(Der Heimatfreund für das Erzgebirge, Heft 11/1965 - Heft 3/1966)

Erklärung: Woher kommt der Begriff "Pitaval"?
Der französische Jurist Francois Gayot de Pitaval (1673 bis 1743) veröffentlichte eine vielbändige Sammlung von etwa 200 denkwürdigen Kriminalfällen, die 1792 von Franz und 1794 von Schiller in deutscher Übersetzung herausgegeben wurden. "Pitaval" wurde später eine allgemeine Bezeichnung für Sammlungen von Kriminalfällen. Davon ist der "Prager Pitaval" von Egon Erwin Kisch besonders bekannt geworden.


Sühnekreuze & Mordsteine