Das Sibyllenthürmchen bei Erfurt - 9909X Erfurt
Ganz nahe der Fahrstraße, die von Erfurt nach Gotha führt und dicht unter der Citadelle Cyriacsburg steht ein sehr alter, ziemlich
großer Bildstock in Form eines gothischen Thürmchens. Bildliche Figuren in Stein schmücken dieses alte Denkmal, welches im
Jahre 1716 durch den damaligen Erzbischoff von Mainz, Lothar Franz, erneuert wurde. Manche haben behauptet, an der Stelle,
wo dieses Thürmchen steht, habe vor grauen Zeiten eine Alrune oder Sibylle gewohnt und geweissagt, daher noch immer der
altüberkommene Name; andere sagten, das Denkmal solle den Ort bezeichnen, wo die erste Christenkirche dieser ganzen Gegend
gestanden habe. Eine dritte Sage hat romantischere Färbung und klingt aus einer Zeit, zu welcher auch die rein gothische Arbeit
des Sibyllenthürmchens nebst den daneben stehenden drei alten Steinkreuze paßt.
Eine Gräfin von Kevernburg, Sibylle geheißen, hatte einen jungen mannhaften Ritter zum Bräutigam, den sie am anberaumten
Vorabende ihrer Hochzeit mit Sehnsucht erwartete. Allein der Geliebte kam nicht; auf der Reise zu ihr war er nebst zwei
Edelknappen von einer Schaar von Feinden oder von Räubern an jener Stelle unter der Cyricsburg überfallen und beraubt worden.
Alle drei wurden erschlagen und begraben, und die unglückliche Braut ließ dort auf jedes Grab ein Steinkreuz setzen und das
Denkmal errichten, zu welchem später sich eine förmliche Wallfahrt erhob, die junge Gräfin selbst aber nahm in einem der
Klöster Erfurts den Nonnenschleier und betete für das Seelenheil ihres ermordeten Bräutigams.
(Bechstein, Ludwig - Deutsches Sagenbuch, Meersburg und Leipzig 1930, S.399-400, Nr.593)
Die Sondersiechen - 9909X Erfurt
Der Rat zu Erfurt hatte mit schlimmem Volk seine tausendfache Not, aber er ließ seine Macht fühlen und strafte unnachsichtlich jede Übeltat. Einst war auf der
Gleichenschen Burg Ehrenstein ein junger Ritter, der liebte eine Jungfrau aus dem Gefolge der Gräfin von Gleichen und entführte sie mit ihrer Zustimmung. Sie saß
hinter ihm auf, und beide erreichten glücklich das Stadttor. Es war aber leider schon abends zehn Uhr, und das Tor wurde nicht aufgetan. Da ritten sie zurück voll
Angst und kamen an das Haus der Sondersiechen, dort um Einlaß bittend, nachdem der Ritter sein Roß an einen Zaun angebunden hatte. Es ward ihnen aufgetan,
aber die Siechen, lauter Männer, als sie sahen, daß die Maid schön war, warfen sie sich auf den Ritter und erwürgten ihn und büßten an der Jungfrau ihre schändliche
Lust so, daß sie starb; dann verscharrten sie beide Leichen. Als aber die Flucht bekannt wurde, jagte vom Schlosse Ehrenstein und von Remde her eine Schar
Verfolger nach, kamen auch nach Erfurt und fragten am Tore nach den Flüchtigen. Da sagte der Torwärter: Ja, es ist gestern zur Nacht einer dagewesen, so Einlaß
begehrt, ich durft' ihm aber nicht auftuen, denn es war zu spät. Da ritten die Verfolger vor das Siechenhaus und fragten draußen gleichfalls nach, aber da hieß es: Zu uns
kommt niemand, wir sind die Leprosen und Sondersiechen. Indem so hörte das am Zaun hinterm Haus angebundene Roß, welches die Siechen noch gar nicht gewahr
worden, bekannte Stimmen, mocht' auch Hunger haben, und begann laut zu wiehern. Als nun jene das ihnen wohlbekannte Pferd fanden, drangen sie ein in das Haus
und umstellten es und sendeten in die Stadt zum Magistrat, und der schickte seine Richter und Schöppen, die forschten und fragten und fanden die grauenvolle Tat
und schöpften ihr Urteil. Darauf umfing ein ehrlich Grab bei Sankt Thoma den Ritter und sein armes Lieb; um das Siechenhaus herum aber wurde Scheitholz gelegt,
rundherum, und Stroh und Reisig bis zum Dach, ein mächtiger Haufe, darauf ward es an den vier Ecken mit Feuer angestoßen, daß es mit Mann und Maus, so darinnen
waren, zu Asche verbrannte. Hernach ist an des Hauses Statt ein Kreuz von Steinen errichtet worden, an dessen einer Seite ein Ritter, an der andern eine knieende
Jungfrau zu sehen war.
(Bechstein, Ludwig - Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band, Wien und Leipzig 1858)
Der Mordgarten zu Wandersleben - 99869 Wandersleben
1. Variante
Am nordöstlichen Fuß des Burgberges Gleichen ist ein von Bäumen umschatteter Platz, den das Volk den Mordgarten nennt.
Mancher Zweikampf ist dort vorgefallen. Vor hundert Jahren liebten ein Gothaischer Kammerjunker von Bose und ein hessischer
Dragonerlieutenant von Buttler zugleich ein schönes Mädchen, das in Arnstadt wohnte und den Erstgenannten begünstigte.
Sein unglücklicher Nebenbuhler sann darauf, sich zu rächen, suchte Händel, fand sie beim Spiel, und der einsame Baumgarten im
Freudenthale wurde zum Kampfplatz erwählt. Pistolen waren die Waffe; auf den ersten Schuß v. Buttlers fiel v. Bose entseelt nieder.
Die trostlose Geliebte des Gefallenen, der das Freudenthal auf immer zum Jammer- und Trauerthal wurde, und welche in
banger Vorahnung dem Geliebten am Morgen sein Todtenhemd zugesandt hatte, darin er auch beerdigt wurde, ließ ihrem gefallenen
Freund ein einfaches steinernes Kreuz nahe beim Mordgarten setzen, mit der Inschrift:
2. Variante
Nahe bei dem Vorwerke Freudenthal unter Burg Gleichen ist ein öder Platz, wo einige wilde Birnbäume stehen; dieser Platz
heißt der Mordgarten. Ein Steinkreuz mit jetzt erloschener Inschrift kündete früher dem Wanderer, daß vor Zeiten hie ein blutiger
Zweikampf stattfand, in welchem ein Herr von Bose das Leben lassen mußte um einer Liebe zu einer schönen Arnstädterin Willen,
welche auch noch von einem andern Cavalier geliebt wurde, den jene verschmähte. Dieser Nebenbuhler von Bose's suchte Anlaß,
letztern zu reizen, man entzweite sich beim Spiel und eine Aufforderung erfolgte kurz vor dem bereits angesetzen Hochzeitstage.
Schon hatte jene Jungfrau ihrem Geliebten das übliche Brauthemde zugesendet; er fiel im Zweikampfe, und das Brauthemde
wurde sein Todenhemde. Die trauernde Braut ließ ihrem Geliebten dann an jener einsamen und seitdem verrufenen Stelle des
Mordgartens jenes Kreuz setzen, mit Namen und Datum, und einem Gedenkverse.
(Bechstein, Ludwig - Thüringer Sagenbuch, Coburg, hrg. von Georg Sendelbach 1858)
Anmerkung: Interessant ist bei den beiden Varianten (die nur 21 Jahre auseinander liegen)
die Beschreibung der Inschrift.
Das Bischofskreuz bei Gleichen - 99869 Wandersleben
Thuringia, 1841, S.115.
Eckbrecht II., Markgraf in Thüringen und Sachsen, hatte das Schloß Gleichen inne und war ein Anhänger Hermanns von Luxemburg.
Das Schloß Gleichen ward 1089 vom Kaiser Heinrich IV. mit Heeresmacht belagert, aber der Markgraf zog von vielen tapferen Rittern
und Mannen bekleidet am heiligen Abend vor Weihnachten zum Entsatz heran. In einer blutigen Schlacht wurde der Kaiser
geschlagen; auch sein treuster Freund, der ritterliche Bischof Burkhart von Lausanne, aus dem Hause Oltingen, fiel mit der
Lanze des heiligen Constantin in der Hand an der Spitze einer Heeresabteilung und starb den Heldentod.
Ein hohes, jetzt ergrautes Kreuz in der Nähe von Freudenthal gegen Apfelstädt zu bezeichnet die Stelle, wo er gefallen ist. Das
ist das Bischofskreuz, woran Viele vorübergehen, ohne es zu beachten.
(Witzschel, Dr. August - Kleine Beiträge zur deutschen Mythologie, Sitten- und Heimatkunde in Sagen und Gebräuchen aus Thüringen, Erster Theil: Sagen aus Thüringen, Wien 1866, S.164, Nr.162)
Wo Struzel, der Hund begraben liegt - 99891 Winterstein
In Winterstein, einem großen Dorfe am Fuße des
Inselberges, das früher auch von lauter Bergleuten bewohnt war, liegt ein zertrümmertes Schloß, das die Herren von Wangenheim
erbaut und lange besaßen. Die von Wangenheim sind eine der ältesten Familien Thüringens, davon vornehmlich Fritz von Wangenheim
mit großen Ritterehren genannt wurde, derselbe, der nie vor einem Feinde geflohen, und von dem sich dieserhalb der junge Landgraf
Friedrich der Ernsthafte in England zum Ritter schlagen ließ.
Nahe bei der Ruine, hinter einer Scheuer am Abhang eines Hügels, ragt aus dem Rasen, halb eingesunken, ein niedriger
Grabstein empor, mit fast verlöschter Schrift, Denkmal eines treuen Hundes. Diesen besaß ein Jägermeister von Wangenheim und
nach ihm dessen Witwe, im siebzehnten Jahrhundert. Der Hund ging mit Briefen am Halsband ganz allein nach Friedenstein auf das
Schloß zu der Landesherrschaft und auch wieder zurück und leistete durch seine Treue viel Nutzen. Als er endlich starb, erhob die
Frau großes Herzeleid, ließ den Hund in einen Sarg legen, kleidete ihre ganze Dienerschaft schwarz und stellte ein feierliches
Leichenbegräbnis an. Man erzählt in Winterstein, sie habe es erzwungen, daß der Hund auf dem Gottesacker beerdigt worden sei,
allein Pfarrer und Gemeinde hätten sich also sehr dawider gesetzt, daß er habe wieder ausgegraben werden müssen, worauf er an
die Stelle verscharrt worden, wo er jetzt noch liegt. Scherzhaft hat sich im Ort das Sprichwort gebildet: "In Winterstein liegt der Hund
begraben."
Scherzhaft erzählen sich auch noch die Leute dort, es habe die Herrin des Hundes von ihrem Gesinde die größte Betrübnis,
Weinen und Wehklagen um den Hund erheischt; eine Köchin aber sei nicht zu Tränen zu bringen gewesen, deshalb habe sie auch
kein Trauerkleid empfangen. Wie aber die Herrin in die Küche gekommen, wo eben die Köchin Zwiebeln schnitt, davon ihr die Augen
tränten, habe jene gerührt gesprochen: "Nicht wahr, nun weinst du doch noch um den guten Stutzel!" und ihr williglich ein Trauerkleid
geschenkt.
Die Grabschrift des Hundes ist zwar nicht sonderlich, doch mag sie hier aufgeführt werden, denn an Ort und Stelle wird sie kaum
noch ein Wanderer entziffern.
(Thüringens Sagenschatz, herausgegeben von Arthur Richter-Heimbach, Quedlinburg 1919)