Der Kreuzsteig
Viele Städte Deutschlands haben eine Gerichtsstraße oder einen Gerichtsweg. Der Rochlitzer Bergwald hat einen Gerichtssteig. Er kommt vom Kamme des
Berges herab und endet in der Bile, auf der Gerichtsstätte. Angeschlagen steht allerdings Kreuzsteig. Die zahlreichen mit Kreuz gebildeten Eigen-, Flur- und Ortsnamen
erweisen die Beliebtheit dieses Wortes zur Bezeichnung des Gerichts und Richters. In den Bäuerlichen Gesetzbüchern (Weistum) und lat. Urkunden steht es auch in
diesem Sinne. So war dem, der aus Morchingen verziehen wollte, vorgeschrieben: "darnach sol er gan zu dem creuz der freiheit mittes dem meier und gericht und sol
sprechen offentlich: ir hern, ich will enweg!“ und "si qua mulier se reclamaverit, quod vir suus nunquam cum ea mansisset, exeantn inde ad crucem, et si verum fuerit,
separentur" = wenn eine Frau sich scheiden lassen will, weil der Ehemann ihr niemals beiwohnte, möge sie auf das Gericht (ad crucem = Kreuz) gehen;
bewahrheitet sich die Aussage, werden sie geschieden. Auch in der Spielkarte, einer großartigen Geschichtsquelle der altgermanischen Verhältnisse, begegnet der
Ausdruck Kreuz. Das Geheimwort Gras ist entstanden aus grave = Kreuz in der Hauptlosung der Freischöffen der Feme: Stock, Stein, Gras, Grün ist auf den
Kartenblättern mit drei schwarzen Eicheln versinnbildlicht. Die Spieler sagen für Eichel oder Eckern auch Kreuz, ohne die Bedeutung zu kennen. Kreuz in dem
Geheimzeichen der Stuhlherrn und Freigrafen des heimlichen Gerichts ist das Sinnbild des richterlichen Oberamtes. [Die Herren des heimlichen Gerichts wußten, daß
die Eicheln, die Früchte des Eichbaumes, mit Bezug auf den Eich, das Gericht, als Geheimzeichen gewählt waren]. In der Redensart: "zu Kreuze kriechen“ wird des
heidnischen Gerichtes heute noch gedacht.
Das Urwort von Kreuz lässt sich aus Angaben auf der Oberreitschen Karte von Sachsen erschließen. Sie verzeichnet am Vorwerk Neukirch bei Großenhain die
Kreuzwiesen mit dem Grafenwege und im Erzgebirge die Grevenwiese mit dem Kreutzwege. Im Schlitzerland führt der Kreutzweg in den Gebenauerwald. Kreuz ist die
abgeschliffene Form des R.-A. Grebe, Greve, Graf = Oberrichter, Richter, Gericht. Die alten Schreibungen vieler Namen zeigen das Verwischen der Bezeichnung des
R.-A. in Kreuz ganz vorzüglich: Groissing, 1114 Chrebizingen, 1276 Krevzing, oder Kroisbach, 1110 Crebitzbach, 1299 Chreuzpach. Tatian gibt Matthäus 27, 27
Landpfleger mit dem R.-A. wieder: thes graven Pilate. In der lex sal. wird der Richter angeredet mit: tu gravio, rogo te. Ein Bäuerliches Gesetzbuch
fordert: "de greven scholen des jahres veermahl recht holden“. Dorfgrebe hieß in Hessen der Gemeindevorstand.
Das Grundwort steig ist ein vererbtes R.-A. In Vorarlberg heißt ein Gericht Hofsteig und in Waldshut eine große Flur mit Wiesen, Äckern, Kiesgrube und Weingarten:
die Steig. Nach einer Urkunde von 1633 steht ein Blutstein "unter der Steig“. Steig geht zunächst auf Teich zurück. Dem Waldshuter Steig entspricht das pfälz. Deich
am Wolfstein, also auch ein Malstattname. Es stehen sich gegenüber Steigacker und Teich- oder Dychacker, steygenbronnen, 1391, und Teichborn, Frankensteig und
Freckendich, Hasensteig und Haseldeich, Kreuzsteig und Kreuzteich (Parsow), Krebsteich. Das Wort Teich aber ist das entstellte R.-A. tie, tih = Malstatt,
f. Altteich.
Der Kreuzsteig ist eines der glänzendsten Glieder in der Kette der Beweise für die Bile als Ort des Gerichts. Wäre dieser Malstattname verklungen und wären die
Opfersteine verschwunden, so hätte der Kreuzsteig auf die hohe Bedeutung der Bile im germanischen Heidentum hingewiesen. Der Flurname, entstanden aus greve
und tie, bedeutet Malstatt der Grafen, der Richter. Als das Unverstandene R.-A. thi in Teich, Steig umgedeutet war, konnte der Malstattname auf den zur
Bile führenden Steg übertragen werden.
Anmerkung: R.-A. = deutsches Rechtsaltertum
(Leichsenring, Max - Opfersteine und heilige Haine Westsachsens sowie die darauf bezüglichen altgermanischen Flur- und Ortsnamen im Spiegel der deutschen Sprache, 1928, S.68-70)