volkstümliche Bezeichnungen von Flurdenkmalen


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Tatern- oder Zigeunerkreuze und Taternpfähle
von Wilhelm Kalzhammer

Walter Saal macht in den Mitteilungsblättern der ISF1) auf sogenannte "Taternkreuze" aufmerksam. Nun, Steinkreuze und Kreuzsteine, die in irgendeiner Form mit den Zigeunern, die früher in Niederdeutschland und wohl auch in Thüringen Tartern oder Tatern genannt wurden, lassen sich, bei intensivem Studium der Kreuzsteinliteratur, wohl in ganz Deutschland nachweisen.

Als Beispiele seien hier nur ein Malteserkreuz ohne Zeichen und Inschrift, das "Zigeunerkreuz" bei Waltershofen am Tuniberg (Baden-Württemberg)2), und die sog. "schwangere Jungfer", ein Kreuzstein an der Grenze zwischen Deutschland und Deutschland im Harz3), sowie das von Brockpähler erwähnte "Taternkreuz" von Sandebeck4) genannt.

Während sich um das "Zigeunerkreuz" die Sage rankt, daß zwei Zigeunerbuben beim Beerensuchen Streit bekamen, wobei der eine den anderen totschlug, berichtet eine der vielen Sagen um die "schwangere Jungfer", daß einst Zigeuner dort vorbeigezogen und eine ihrer Frauen hier ein Kind zur Welt brachte. Das mag stimmen, aber daß deswegen ein Kreuzstein errichtet worden sein soll, ist wohl kaum anzunehmen. Brockpähler führt bei dem Steinkreuz von Sandebeck folgende Sage an: "Das Kreuz heißt allgemein 'Taternkreuz'. Junge Burschen von Sandebeck sollen dort ein Zigeunerweib erschlagen haben, weil es einen der ihren in ihre Netze gezogen hatte. Die Zigeunerin hat Sandebeck verflucht. Es soll dort kein Friede sein und kein Unternehmen soll Bestand haben."

Doch soll es hier weniger um Steinkreuze und Kreuzsteine gehen, vielmehr soll auf heute restlos verschwundene Flurdenkmale aufmerksam gemacht werden, Flurdenkmale, von denen niemand mehr weiß, wie sie ausgesehen haben. Ich meine die sog. 'Taternpfähle'. Bis ins 19.Jahrhundert hinein errichtete man diese Taternpfähle im Harzgebiet und wohl auch anderswo zum Zwecke der Warnung und dem Fernhalten von Zigeunern oder Tatern. Man stellte sie besonders gerne an Straßenkreuzungen auf. Hierbei handelte es sich um einen uralten Abwehrzauber, der bereits in das germanische Altertum zurückreichte, wie es z.B. in der isländischen Egilssaga heißt, daß der Normann eine "Nidstange" gegen den feindlichen Hof aufstellte. Bis ins Mittelalter, wo die Neidstange als Bannmittel gegen Ratten und Raupen angewendet wurde, erhielt sich dieses Brauchtum.

Diese überkommene Denkart lebte bei der Bevölkerung, mehr oder weniger mit dem eigenen Glauben behaftet, wieder auf. Schambach bemerkt 1858 im Wörterbuch der niederdeutschen Mundart dazu: "Am häufigsten erscheint der Name Taternpfahl vor den Toren der Stadt oder an den Grenzen der Feldmarken, wenn auch der Pfahl selbst verschwunden ist. Diese Taternpfähle bezeichneten nach der Überlieferung die Stelle, bis wohin die Zigeuner kommen durften."

Ein solcher Pfahl, der auch zur Warnung für Wilddiebe dienen sollte, stand auf dem Pöbbeckenberg bei Hahausen. Der Pfahl wurde 1743, 1744, 1749, 1772 und öfters erwähnt. Er soll noch 1840, immer nach einer Reihe von Jahren erneuert, gestanden haben.

An beiden Seiten der Straße nach Osterrode über die Freiheiter Höhe zum "Heiligen Stock" standen, unfern der Grenze, Taternpfähle. Weitere Taternpfähle befanden sich im Kreis Osterrode bei Harriehausen, Wiershausen und Willershausen. Der "Nienstädter Taternpfahl" stand auf der Paßhöhe des Westerhöfer Waldes, wo sich mehrere Wege kreuzten. Der Name haftet als Flurname an einem Wege in der Nähe von Bartolfelde.

Wenn man, wie bereits gesagt, heute auch nicht mehr weiß, wie diese Taternpfähle ausgesehen haben, so dürfte es sich doch wohl kaum um einfache, in die Erde gehauene Pfosten gehandelt haben. Für Hinweise über das Aussehen derselben wäre der Verfasser dankbar.

Deutlicher lassen sich die sog. Tatern- oder Zigeunergalgen, die einst im Amte Seesen aufgestellt waren - wohl eine Abart der Taternpfähle - darstellen. Es handelte sich hier um galgenförmige Gerüste, an denen eine Tafel befestigt war mit der Darstellung eines Zigeuners, an einem Galgen hängend, und einer Zigeunerin, die "ausgestäupt" (ausgepeitscht) wurde. Darüber war geschrieben: "Strafe für das Zigeunergesindel" (vgl. Abb.).

Die Galgen standen vor Seesen an allen Ausfallstraßen, so vor Herrhausen, Engelade, Klein-Rhüden, ferner vor Bornum, vor Ortshausen, vor Mahlum an der Straße nach Goslar und vor Schlewecke, nach dem Wohldenberg zu5).

Heutzutage sieht man im deutschen Sprachraum - mit Ausnahme von Südtirol - nur noch selten wandernde Zigeuner oder Tatern (sie selbst nennen sich Sinti oder Roma), daher erscheint es angebracht, sich einmal an die mit denselben zusammenhängenden Flurdenkmale zu erinnern.

Anmerkungen:
1) W. Saal, Zigeuner an Kreuzsteinen, in: Mitteilungsblätter des Arbeitskreises Internationale Steinkreuzforschung, Heft 1/1985, S.18.
2) O.A. Müller, Bestandaufnahme der Steinkreuze in Mittelbaden, in: Die Ortenau, 25.Heft, Offenburg 1938, S.178.
3) W. Kalthammer, Die schwangere Jungfer (Dieser Beitrag erscheint in: Steinkreuzforschung, Sammelheft Nr.11).
4) W. Brockpähler, Steinkreuze in Westfalen, Münster 1963, S.68.
5) F. Freitag, Geschichtsblätter aus dem Ambergau, Bockenem 1961, S.93.

(Steinkreuzforschung, Sammelband Nr.10, 1985, S.39-41)

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