volkstümliche Bezeichnungen von Flurdenkmalen


zur Übersicht

Kitzelkreuze im Harzvorland
von Wilhelm Kalthammer

   Im Heber, einem Vorgebirge des Harzes, steht ein altersgraues, moosbewachsenes Steinkreuz am Rande eines Waldweges. Das Kreuz ist, wie es aus der Ferne scheint, schon fast in die Erde versunken. Doch der Schein trügt, ein Erdaufwurf, entstanden zur besseren Benutzbarkeit eines Holzabfuhrweges und wohl auch, um das Steinkreuz zu sichern, schützt es vor Zerstörungen.
   Um 1900 war das Kreuz bereits fast restlos im lockeren Waldboden verschwunden, nur noch mit dem Kopfende ragte es heraus und wurde daher von Unkundigen für einen Grenzstein angesehen.Nach Aussage von Einwohnern des naheliegenden Dörfchens Mechtshausen soll der Malerpoet Wilhelm Busch, der die letzten Jahre seines Lebens (1832-1908) in diesem stillen und weltabgeschiedenen Ort verbracht hat, den Stein bloßgelegt haben, so daß die Kreuzform wieder sichtbar wurde.
   1924 war das Steinkreuz aus dem Erdboden herausgehoben und an eine Buche gelehnt worden. 1945 war das Kreuz zerbrochen, wurde jedoch mit Eisenstreben wieder zusammengefügt, 1981 mußte es erneut repariert werden.
   Das sogenannte "Kitzelkreuz" oder der "Kitzelkreuzstein" (obwohl es kein Kreuzstein ist), plattdeutsch "Kettelkruiz", am Kitzelkreuzberge nahe am Fast-(First-)wege des Hebers, ist ein lateinisches Steinkreuz aus Kalkstein. Das Kreuz trägt weder eine Jahreszahl noch eine Inschrift. Es ist ein Mord- oder Sühnekreuz.
   Um das Kreuz rankt sich eine Geschichte von Liebe, Blut und Tod, die zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges spielt und sich bis auf den heutigen Tag bei den Einwohnern der umliegenden Dörfer erhalten hat. In Mechtshausen lebte ein Mädchen, das sowohl vom Schäfer des Nachbardorfes wie auch von einem "Pappenheimer", einem kaiserlichen Kürassier unter dem Kommando des Oberst von Pappenheim, dessen Truppe zu der Zeit im Ort lag, begehrt wurde. Eifersucht erhob ihr Haupt. Bei einem Spaziergang mit dem geliebten Mädchen wurde der Schäfer von drei Pappenheimern überfallen und mit Stricken so an einen an einem Abhang stehenden Baum gebunden, daß er mit dem Kopfe nach unten über dem Abhang hing. Während das Mädchen davonlief - die einen sagen, um Hilfe zu holen, die anderen, sie sei mit den Kürassieren im Bunde gewesen - ritzte einer der drei dem Unglücklichen die Fußsohlen auf und streute Salz darauf. Ein anderer holte von einer in der Nähe weidenden Herde eine Ziege herbei, die das Salz, das immer wieder erneuert wurde, von den Fußsohlen des Gefolterten ablecken mußte. Dies rief bei dem Gemarterten einen bis zum Wahnsinn sich steigernden Kitzel hervor. Der Gefesselte schrie und Schaum stand ihm vor dem Munde. Unter unmenschlichen Qualen hauchte er sein junges Leben aus. Man will noch wissen, daß die Pappenheimer am nächsten Tage abgezogen sind, das Mädchen in Untersuchungshaft abgeführt und wegen Mitschuld an dem Mord sogar hingerichtet wurde.
   An der Stelle, an der der Schäfer seinen Tod gefunden haben soll, wurde das Steinkreuz errichtet, das noch heute das "Kitzelkreuz" heißt. - Der Berichterstatter ist der Sache nachgegangen. Die Familiennamen aller Beteiligten - des Schäfers, des Mädchens und des Ziegenhirten - sind um die Zeit des Dreißigjährigen Krieges in den Dörfern am Heber, auch in Mechtshausen, nachweisbar. Se gibt es auch heute noch in dieser Gegend, obwohl sie nicht oft vorkommen. Weiter ließ sich jedoch in alten Akten nichts feststellen.
   Wilhelm Lampe, ein Heimatforscher, der 1978 im Alter von 97 Jahren starb, vertrat jedoch 1935 die Meinung, daß das "aufgewärmte Gereimsel nach dem Simplicissimus" (das Ablecken von Salz durch eine Ziege) nichts mit dem Kitzelkreuz zu tun hat. Seiner Meinung nach spricht Form und Verwitterung des Steins für ein höheres Alter. Er bemerkt jedoch, daß ihm in Mechtshausen erzählt worden sei, daß dort ein Mädchen den Schäfer totgekitzelt habe. Dazu verweist er auf Literaturstellen, welche eine in der Mythologie zu suchende geheimnisvolle Ursache beweisen sollen. So warnt man die Kinder in Ostfriesland mit den Worten: "Hütet euch vor den Kiddelhunden, die euch, sobald ihr ins Korn lauft, zu Tode kitzeln." Ferner: "Wo die hessische Waldfrau und das Schneefräulein in Tirol die Leute zu Tode kitzelt", während "das Zutodekitzeln" eine Naturauffassung des Wirbelwindes ist.
   Wie dem auch sei, "Kitzelkreuze" gibt es mehrere im engeren und weiteren Harzvorland. So berichtet Brackebusch bereits 1896 von einem "Kettelstein" genannten Kreuzstein in der Umgebung von Bad Gandersheim, an dem auch ein "Kettelstieg" vorbeiführte. Auch dieser Stein war um 1868 in die Erde versunken und ragte nur noch etwa 20cm aus dem Boden. Der Volksmund bezeichnete die Stelle, an der der Stein stand, als nicht ganz geheuer. Man erzählte, dort sei jemand zu Tode "gekettelt", ein Kesselflicker dort ermordert worden, es sei der Grabstein eines Mannes namens Kettel und anderes mehr.
   Der stark beschädigte Kreuzstein trägt auf beiden Seiten inmitten einer etwa 8cm breiten rahmenartigen Vertiefung eine gleiche Darstellung von 90cm Höhe in erhabener Arbeit. Ein gleicharmiges mit starken Nasen versehenes Kreuz ruht unter Zwischenschaltung eines auf der Kante stehenden Würfels auf einem Dreieck. Die Form weist eindeutig in die gotische Zeit. Nach seiner im Jahre 1863 erfolgten Freilegung hat der "Kettelstein" mancherlei Schicksale erlebt. Eine Anfrage nach seiner Bedeutung in Tageszeitungen gab zu Erörterungen und Vermutungen Anlaß. Der Stein wurde von seinem Standort entfernt und diente manches Jahr als Brücke über einen Graben. 1882 wurde er von einem Heimatfreund erworben, um ihn bei der 15.Hauptversammlung des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde vorführen zu können. Seit 1893 stand er wieder an seinem ursprünglichen Platz, eingefügt in einen mächtigen Quader. 1977 wurde er im Innenhof des Martin-Luther-Hauses in Bad Gandersheim aufgestellt, da er an seinem alten Standort durch den Bau einer Straße gefährdet war.
   Von einem "Kettelkruize", einem Kreuzstein, der noch in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts neben einem Hause in Wrisbergholzen bei Alfeld lag, während er vor dem Ersten Weltkrieg wohlerhalten am Eingang des Ortes gestanden hatte, berichtet 1935 der bereits erwähnte Wilhelm Lampe. Nur die eine Seite mit einem Radkreuz war zu sehen.
   Ein weiteres "Kettelkruiz" stand einst vor dem Dorfe Altgandersheim. Angeblich soll dort ein Kind zu Tode gekitzelt worden sein. Ein Bauer hat den Stein in seine Scheune einmauern lassen, aber wegen fortgesetzten Unglücks wieder entfernt. Heute ist er unauffindbar.
   Von dem "Kettelkruize" in der Feldmark Düderode, von dem man gleichfalls erzählt, daß dort, wo es stand, ein Mädchen einen Schäfer totgekitzelt habe, ist nur noch der Flurname erhalten.
   In Warle im Kreis Wolfenbüttel liegt ein im Jahre 1755 als "Kitzelstein" erwähnter Kreuzstein außen an der Apsis der evangelischen Kirche. Man bringt ihn mit einer Schlacht in Verbindung, bei der Kaiser Lothar von Süpplingenburg eine Verwundung erlitt.
   Es ergibt sich nun die Frage, ob wir, zumindest was das Kitzelkreuz bei Mechtshausen betrifft, der Erzählung aus dem Dreißigjährigen Kriege glauben oder aber der Mythologie den Vorrang lassen wollen.
   Die Methode, jemand durch das Ablecken von Salz von den Füßen durch eine Ziege zu töten, war im 17.Jahrhundert gang und gäbe und ist nicht nur durch den "Simplicissimus" überliefert. Andererseits kann man aber auch die Auffassung von Lampe nicht ignorieren, der 1958 schreibt: "Alle Sagen um diese Kettelkreuze haben gemeinsam, daß da draußen in der Natur plötzlich ein Mensch auf unerklärliche Weise den Tod erleidet, nicht durch Blitz, Unfall oder Überfall. Eine Erklärung gab unsern Altvordern die Vorstellung von Unholden und bösen Geistern, die in Feld und Wald, Wasser und Luft mit im Spiele sein müßten. Selbst die Kirche war nicht abgeneigt, römische und germanische Gottheiten als bösartige Dämonen aufzufassen, deren ehemalige Herrschaft jetzt dem Reich des wahren Gottes weichen müsse. Die Kirche wehrte sich gegen diesen blühenden Aberglauben durch das älteste Schutzzeichen, nämlich das des Kreuzes. Oft verlangte sie und auch die weltlichen Herren die Errichtung eines Mahnmales, damit für den so urplötzlich ohne die kirchlichen Weihen aus dem Leben Geschiedenen von den Vorübergehenden ein stilles Gebet gesprochen werden konnte."

(Kalthammer, Wilhelm - Steinkreuze und Kreuzsteine im Harz, in: Steinkreuzforschung, Monographienreihe Nr.6, 1990, S.22-25)

nach oben


Sühnekreuze & Mordsteine