Man wird vermuten dürfen, daß der im Wormser Andreasmusenm stehende
Immunitätestein mit dem obenerwähnten Stein identisch ist, der die Rolle des Malefikantensteins seit dem Jahre
1708 übernommen hatte. Einmal trifft die Beschreibung des Steines, auf dem das bischöfliche Wappen eingehauen ist, zu, zum anderen wäre es aber auffallend, wenn
gerade der an Bedeutung so überragende Immunitätsstein verschwunden sein sollte und ein anderer unbedeutender erhalten geblieben wäre. Sicherlich wäre eine
Zerstörung des Steines auch urkundlich überliefert worden.
Ein ähnlicher Stein wie der Wormser befand sich auch in Mainz. Des öfteren wird im Schrifttum zur Mainzer Geschichte der "Landgerichtsstein"
oder "Blaue Stein" erwähnt. Nach einer Beschreibung bei A. Hoffmann muß der Gerichtsstein vor dem Stadtgerichtsgebäude gelegen haben. Bereits in der Stadtaufnahme
von 1568 wird ein Gerichtshaus in Mainz erwähnt, das am heutigen Höfchen Nr.4 und 6 lag. Neu errichtet wurde dasselbe an dieser Stelle im Jahre 1611. Das heutige
Höfchen führte früher den Namen Bischofshof. Es befand sich hier der Palast des Bischofs, die Lage des Steines erinnert somit an die des Wormser Steines. Die
Zweckbestimmung scheint aber eine andere gewesen zu sein. Nach Schaab sollen bei ihm vormals die Stadtkämmerer, Stadtschultheißen und weltlichen Richter die
Handlungen der Gerechtigkeit öffentlich ausgeübt und die Bewohner der Stadt die öffentlichen Eide geschworen haben. Der Stein selbst wird von Hoff mann wie folgt
beschrieben: "an dem Stadtgerichtshause gegen die St. Albanskapelle zu auf drey steinerne Postamenten in der Form eines Steines liegenden Stück Eisen, dessen
Länge ungefähr 5 Schuhe, ausmachte" (ein Schuh etwa 30cm).
Der Stein wurde während der französischen Revolution im Jahre 1792 zerstört. [...]
(Höfel, Dr. Otto - Rechtsaltertümer Rheinhessens, Würzburg 1940, S.16-17)
Im Rheinland treten von Aachen an bis zur niederländischen Grenze und dann weiter in den
Niederlanden und Flandern vielfach blaue Steine als Gerichtssteine auf, wie wir im einzelnen noch sehen werden. Bei ihnen und auf ihnen finden gerichtliche Verhandlungen
statt. Darüber hinaus aber haben wir ein Vorkommen blauer Steine als halbschlächüge Rechtssteine auch im sonstigen deutschen Raum: sie werden mit Vorliebe dazu
verwandt, um Hoheitsgrenzen zu bezeichnen, oder es werden an ihnen oder auf ihnen von einer obrigkeitlichen Stelle an eine andere gefangene Verbrecher übergeben. [...]
Im Niederländischen scheint 'blauer Stein' meist für den Arduin (= Ardenner Stein), einen Kohlenkalkstein, der vielfach aus dem Hennegau
kommt, gebraucht zu werden (Woordenboek der Nederl. Taal 2, 1, 610 f.; vgl. auch DU CANGE 1, 678: 'blava lapis cæruleus tegendis ædificiis aptus, quem
Galli vocant Ardoise'). Das scheint doch dafür einzutreten, daß es bei dem 'blauen Stein' auf den Farbton, der zwischen grau, blau und schwarz wechselt, und nicht
auf die mineralogische Beschaffenheit ankommt.
Es wird kaum ein Zufall sein, wenn der blaue Stein als Rechtsstein fast durchweg in einem zusammenhängenden Raum (Rheinland /
Niederlande / Flandern) vorkommt und muß einen bestimmten Grund haben, wenn dieser auch nicht mit Sicherheit festzustellen ist. Oben haben wir gesehen, daß
der Deckstein des vorgeschichtlichen Grabes zum Rechtsstein geworden ist, und wir könnten uns nun fragen, ob dies nicht auch hier zutrifft, wofür das Beispiel des
Kölner blauen Steines und andere Fälle sprächen. Wenn später öfter blaue Steine als Deckplatten von Gräbern auftreten, so könnte dies vielleicht ein Relikt aus
früheren Zeiten darstellen.
Anderseits wäre es auch möglich, daß das Blaugrau des Steines als Farbe der Geister, Dämonen, Elben, Hexen und Zauberer wegen einer
magischen Wirkung gewählt sei. [...]
Wenn auch eingehendere Feststellungen über die Verbreitung der blauen Steine als Rechtssteine für die Niederlande und Flandern nicht
vorliegen, so ergeben schon gelegentliche Nachweise, daß sich ihr Vorkommen im Anschluß an das rheinländische in den Niederlanden und Flandern fortsetzt, und
die Belege würden sicherlich bei weiteren Nachforschungen stark zunehmen. [...]
Wenn der Verfasser des Aufsatzes im Navorscher (6.Jg., 1856) ausführt, die Farbe der Steine bezeichne den Inhaber der Gerichtsbarkeit:
weiß den Landesfürsten oder seinen Vertreter, blau die städtische Obrigkeit, rot
die Geistlichkeit, so steht dies zu den Tatsachen in Widerspruch und ist zu verwerfen.
(Meier, John - Ahnengrab und Rechtsstein, Berlin 1950, S.103, 106, 127, 128 Anm.4)
[...] Vielleicht ist auch der "Handschuh" nur eine spätere, wenn auch immerhin sehr alte Erklärung eines unverstandenen uralten Ausdrucks -
der Hundertschaft der Germanen, deren "Haupt, der Hund oder Huno, ein Edler war, der die gesamte obrigkeitliche Macht ohne Ausnahme, auch das Amt des Opferers,
in seiner Hand vereinigte. Auf der umhegten Malstatt, der Hundertschaft, wo die Tagungen, Gerichte und Opfer gehalten wurden, befanden sich als Mittelpunkt aller
Handlungen eine Eiche, Buche, Esche oder Linde und der blaue das heißt blutige Stein, der für heilig galt, bei dem
man Eide schwur und an den die Verbrecher vor ihrer Aburteilung dreimal gestoßen wurden." So ein verdienter Forscher der Gegenwart, Edmund von Wecus in seinem
"Rätsel des Hundsrücks", Düsseldorf, Bergverlag 1916. Ein solcher blauer Stein mag wohl ehedem da gestanden
haben, wo heute die Martersäule die eiserne Hand mit den Schwurfingern hinausstreckt.
(Wachter, Friedrich - Die eiserne Hand, in: Der Mainbote von Oberfranken. Heimatkalender, 9.Jg., Lichtenfels 1924, S.22)