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Aberglaube - A


 arme Seelen 

   Das nordische Alterthum kannte, zwar auch die Fähigkeit, Abgeschiedene durch gewisse Zauberformeln zum Erscheinen vor den Lebenden zu vermögen. Der Begriff der Gespenster aber musste ihm unbekannt sein; denn dieser konnte sich erst mit den christlichen Vorstellungen von Himmel und Hölle entwickeln. Gespenster sind nach unserem Volksglauben Erscheinungen jener Seelen, deren Menschen entweder in Unbussfertigkeit starben, oder, wemn auch kirchlich gesühnt, für ihre Sünden noch nicht Genugthunng geleistet hatten und etst nach Erfüllung derselben erlöst werden. Sie bilden also eine Mittelstufe zwischen den Menschen und den Mittelwesen.
   Insofern diese Seelen ihre Busse im Reinigungsorte des Fegefeuers erstehen, heissen sie arme Seelen und das Volk widmet ihnen einen Kult, der in seinen Grundlagen, wie in einzelnen Vorstellungen vom Böhmerwalde bis an die welsche Gränze derselbe ist. Dass man durch Gebete ihre Erlösung fördert, glaubt die ganze katholische Kirche; aber der Volksglaube verknüpft die Armen Seelen noch viel inniger mit den Lebenden, indem er von Ersteren mancherlei Unterstützung erwartet, wogegen er die Letztern durch Hebung frommer Bräuche die Seligmachung der armen Seelen beschleunigen lehrt. In Tirol, wie in der Oberpfalz zündet man Feuer im Ofen und am Herde an, dass sich die armen Seelen daran wärmen; und wenn man dort an dem Klappern der Löffel den Hunger der armen Seelen erkennt und ihnen besonders am Allerseelenabend die übrig gebliebenen Speisen stehen lässt, die man des andern Tages den Armen vertheilt, so wirft man hier Brosamen, Teig, Schmalz ins Feuer, Mehl in den Backofen, damit es ihnen zu Gute komme. Um ihre Pein zu lindern, sprengt man in Baiern Weihwasser auf den Boden. der Alpenbewohner brennt in der Allerseelennacht eine Schmalzlampe, weil sich die armen Seelen mit dem heilsamen Schmalz oder Lampenöle ihre Brandmale bestreichen. Dagegen müssen sie die frommen Gläubigen wecken, ihnen in schwierigen Unternehmungen behülflich sein oder selbst Nebelkappe und Wunschdinge bescheren. Besondern gerne erscheinen die armen Seelen als Kröten und es ist daher streng verpönt, dieselben zu beleidigen oder zu schädigen - ein Glaube, der bis nach Kärnten reicht. Ausser durch Gebet und Aufopferung guter Werke trägt man noch zur Erlösung der armen Seelen durch zufällige Ereignisse bei, z.B. wenn sich zwei zu gleicher Zeit grüssen, oder denselben Gedanken haben, oder wenn man Nachts niest u.s.w.
   So lange die Seele noch nicht der Hölle verfallen ist, lässt der Volksglaube durch Gottes Barmherzigkeit noch immer die Erlösung hoffen, selbst bei solchen, die wegen ungesühnter Uebelthaten nach ihrem Tode umgehen müssen. Diess sind die eigentlichen Geister oder Gespenster, welche eine gewisse Zeit geistern, was man auch regieren, walzen nennt. Sie erscheinen zum Theil in ihrer frühern Gestalt und sind verurtheilt, ein Spiegelbild ihrer Uathat darzustellen; so gehen die sogenannten Marchegger mit dem Grenzsteine um, den sie zum Nachtheil des Nachbars verrückt haben. Zum Theil aber fahren sie im höllischen Gespann, oder erscheinen in trauriger, verhüllter Gestalt, bisweilen ohne Kopf.
   Andre Geister zeigen sich in Thiergestalt, die meistens mit ihrem frühern Lebenswandel in Beziehung steht. Hieher gehören die Geisterhunde, besonders Pudel, Katzen, Lämmer, Hasen, Affen. Auch Geisterpferde und Schweinereiter, sowie Schweine kommen vor. Besonders häufig ist die Vogelgestalt entweder im Allgemeinen, oder insbesondere die der Krähe oder des Raben, seltner die der Taube. Auch in der Fischgestalt gibt es Geister, die fingerslang und schwarz sich im tiefsten Wasser aufhalten, aber allmälig, wie sie der Erlösung entgegenreifen, immer weisser werden. Sogar in sonst leblose Gegenstände, wie Haspel, Fässer und brennende Baumstämme können Geister verzaubert werden und setzen nun dieselben von freien Stücken in Bewegung.
(Quitzmann, Anton - Die heidnische Religion der Baiwaren. Erster faktischer Beweis für die Abstammung dieses Volkes, Leipzig & Heidelberg, 1860, S.175-178)



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